Editorial

von Heiner Busch

Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 ist das herausragende Symbol für das Ende des Kalten Krieges gewesen. Mit zwei anderen symbolischen Ereignissen ging im selben Monat auch der Kalte Krieg in der Schweiz zu Ende. Zum einen mit dem spektakulären Ausgang einer Volksabstimmung: Über 30 Prozent der Stimmbevölkerung sagten ja zur Abschaffung der Armee, der heiligen Kuh schlechthin des schweizerischen Staates. Zum andern mit der Veröffentlichung des Berichtes einer Parlamentarischen Untersuchungskommission. Diese hatte die Verhältnisse im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unter die Lupe genommen und dabei festgestellt, dass die Bundespolizei, der Staatsschutz, 900.000 Personen und Organisationen in seinen Karteien und Akten führte. Zum Vergleich: die Schweiz wurde zu diesem Zeitpunkt von 6,1 Millionen Menschen bewohnt.

Die schweizerische Linke hat auf dieses Ereignis mit zwei Forderungen reagiert. Erstens verlangte und erlangte sie – wenn auch mit großen Anstrengungen und nur eingeschränkt – die Einsicht der Betroffenen in ihre Karteikarten und Akten. Zweitens ließ sie sich nicht von dem Angebot täuschen, den Staatsschutz mit einem halbgaren Gesetz ein rechtliches Krönchen aufzusetzen, sondern forderte dessen vollständiges und endgültiges Ende. „Die politische Polizei ist abgeschafft“, sollte der erste Satz eines neuen Artikels lauten, den man mit dem Volksbegehren, der Volksinitiative, „S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei“ in die Bundesverfassung einführen wollte. Die Regierung antwortete darauf mit der üblichen Sicherheitskampagne, pinselte organisierte Kriminelle, Terroristen und andere Teufel vorzugsweise ausländischer Herkunft an die Wand und zögerte die Abstimmung über Jahre hinaus. 1998 konnte die Initiative rund 25 Prozent Ja-Stimmen verbuchen – ein mageres, aber dennoch respektables Ergebnis.

Nachdem in Deutschland-Ost die Staatssicherheit zu Grabe getragen wurde, haben auch in Deutschland-West viele Menschen die Lust verspürt, den geheimdienstlichen Mist des Kalten Krieges endlich auf den großen Haufen der Geschichte zu karren. Eine Volksabstimmung darüber konnte es zwar nicht geben, mehrere Gesetzentwürfe und Anträge zur Abschaffung – der letzte 1996 zur Abwicklung des BND wurde auch vom heutigen Bundesaußenminister unterzeichnet – dokumentieren immerhin die Bereitschaft einer Minderheit, für klare Verhältnisse zu sorgen.

Die Politik der Angst im Innern und der gewachsenen militärischen „Bedeutung Deutschlands in der Welt“ haben diese Minderheit kleiner werden lassen. Die Zukunft der Geheimdienste scheint heute sicherer denn je. Die etablierten Parteien überbieten sich geradezu mit Vorschlägen, ihnen mehr Macht zu übertragen und das ohnehin barocke Bauwerk der „Sicherheitsarchitektur“ außen mit weiteren Überwachungstürmchen und innen mit noch mehr dunklen Gängen zu versehen. Dabei wären gerade die Anschläge in den USA am 11.9.2001 und in Spanien am 11.3.2004 die gelungensten Beispiele dafür, dass mit Geheimdiensten und politischen Polizeien nur Staat und Staatssicherheit zu machen ist, aber kein Schutz der BürgerInnen vor terroristischen Attentaten.

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Die nächste Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP wird sich mit der Rolle der Polizei im Strafverfahren beschäftigen. Sie erscheint Ende des Jahres.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.