Dr. Heiner Busch: Dankesrede der Preisträger anlässlich der Verleihung des Werner-Holtfort-Preises 2005 an die Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP

Berlin, den 27. Mai 2005

Dr. Heiner Busch

Dankesrede

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sie haben uns heute geehrt und beschenkt. Dafür schulden wir ihnen Dank. Der kommt von Herzen und gleich in doppeltem Sinne.

Zum einen holt uns dieser Preis aus einer der vielen finanziellen Krisen, die diese Zeitschrift in den 27 Jahren ihres Erscheinens erlebt hat. Dieser Zuverdienst, diese Erleichterung, enthebt uns natürlich nicht der Aufgabe, nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten und das heißt auch nach neuen Abonnentinnen und Abonnenten und neuen Mitgliedern des Vereins „Institut für Bürgerrechte“ zu suchen. Wir freuen uns sehr, dass Sie, die Sie vielfach schon zu unseren Leserinnen und Lesern gehören, uns auch noch die Werbung erleichtern. Denn kann man sich eine bessere Empfehlung, eine bessere Bestätigung der Qualität unseres Produkts denken, als eine Auszeichnung durch Sie.

Doppelter Dank – hier kommt der zweite Teil. Eine Zeitschrift kann nicht überleben ohne ihr Publikum. Die fortschrittlichen Anwältinnen und Anwälte waren in den zurückliegenden Jahren nicht nur einfach ein Teil unserer Leserschaft. Sie waren vielfach Autoren und Autorinnen von CILIP. Sie waren vor allem diejenigen, die unsere Kritik an der Einschränkung von Grundrechten, am Ausbau des innerstaatlichen Gewaltapparates diskutiert haben, weiter getragen haben, uns ernst genommen haben, auch wenn wir – jedenfalls in der Mehrheit – keine JuristInnen waren und sind. Sie sind gewissermaßen ein Resonanzboden unserer Arbeit gewesen – sowohl als Einzelpersonen als auch in organisierter Form – etwa in Gestalt des RAV oder der Strafverteidigervereinigungen. Sie haben uns immer wieder ein Podium gegeben, wir haben zusammengearbeitet – u.a. bei jenem – um Wolfgang Kaleck zu zitieren – „bürgerrechtlichen Wanderzirkus“, der Ende 2001 auf vielen Veranstaltungen – aber leider vergebens – gegen die Anti-Terror-Gesetze anrannte.

Persönlich geehrt haben Sie heute den Kern der aktuellen Equipe von CILIP. Norbert Pütter, Martina Kant und mich. Felix Herzog hat bereits einiges zur Geschichte unserer Zeitschrift gesagt. Ich hatte die große Chance, 1978 als junger Student in dieses Projekt einsteigen zu können. Ich habe dort eine eigentliche Lehre gemacht und ich hatte hervorragende Lehrmeister:

Wolf-Dieter Narr – ohne seine Radikalität und seinen Durchhaltewillen hätte es die Gruppe gar nicht gegeben und würde es sie heute nicht mehr geben. Er ist heute verhindert – lässt Sie aber grüßen und dankt.

Falco Werkentin – heute stellvertretender Beauftragter für die Stasi-Unterlagen des Landes Berlin. Bei ihm konnte man sich nicht nur den exakten Umgang mit Quellen und Fakten abgucken. Er hat mir überdies beigebracht, meine politische Wut nicht in ständigen Wutanfällen zu vergeuden. Auch das muss man lernen.

Albrecht Funk – lebt heute in den USA, aber schreibt immer wieder für CILIP, er ist gewissermaßen unser USA-Korrespondent geworden. Albrecht war in der Gruppe der Historiker des staatlichen Gewaltmonopols.

Zu der ursprünglichen Truppe gehörten weiter Udo Kauß, unser Jurist, und Thomas von Zabern, der der erste verantwortliche Redakteur der Zeitschrift wurde.

Nach ihm lag dann die Redaktion lange Jahre in den Händen von Falco Werkentin. Er machte die Zeitschrift zu einem wirklichen Informationsdienst und unter seiner Ägide erreichten wir auch die höchsten Auflagen in unserer Geschichte. Es waren dies die Hefte, in denen wir Ende der 80er Jahre die Entwürfe der damaligen Sicherheitsgesetze aus den exekutiven Schubladen an die Öffentlichkeit zerrten.

Auf Falco folgte Otto Diederichs, den wir anfangs spaßeshalber „Professor Otto von der hochschulfreien Polizeiforschung“ nannten. Seine politischen Kenntnisse und seine journalistischen Fähigkeiten haben dem Blatt sehr genutzt.

Und jetzt wir. Zur Redaktion gehört heute auch eine Reihe von weiteren Leuten, von denen ich insbesondere Rechtsanwältin Anja Lederer, Rechtsanwalt Fredrik Roggan und Mark Holzberger nennen möchte, im Beruf flüchtlingspolitischer Referent der Grünen Bundestagsfraktion, aus Berufung immer wieder unser EU-Spezialist.

Was hat sich geändert? Sicherlich die äußerliche Form des Heftes, das anfangs auf einer IBM-Kugelkopf-Maschine getippt, dann zusammengeleimt und schließlich kopiert wurde. Das waren halt die 70er Jahre. Heute kann sich das Heft – zumal mit Martinas Titelbildern – auch äusserlich sehen lassen.

Haben sich die Themen geändert? Leider nein – sie kommen immer wieder, wenn auch auf neuem Niveau: die polizeiliche Datenverarbeitung und die Technik insgesamt, der Umgang mit Demonstrationen, das Polizeirecht, das ständig um neue Befugnisse erweitert wird, die Geheimdienste, die Irrungen und Wirrungen der Terrorismusbekämpfung oder dessen, was unter diesem Titel verkauft wird etc. etc. Alles schon mal da gewesen. Leider. Neu ist dagegen, dass sich in den letzten zehn Jahren kaum ein Thema behandeln lässt, ohne auf seine europäische Komponente einzugehen.

Haben sich unsere Ansprüche geändert? Nein – jedenfalls nicht in den Grundsätzen. CILIP wollte nie eine akademische Fachzeitschrift sein. Wir haben aber immer davon profitiert, dass es neben der Zeitschrift Forschungsprojekte gab. Sie haben nicht nur das Überleben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesichert oder, wenn es sie nicht gab, das Überleben der Zeitschrift gefährdet. Sie haben auch einen Fundus von Informationen gebracht, die in die Zeitschrift eingeflossen sind. Der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit bedeutet für uns aber vor allem, dass wir genau arbeiten, dass man sich auf unsere Informationen verlassen kann, dass unsere Analysen stichhaltig sind.

Gleichzeitig hatten und haben wir einen politischen Anspruch, zu dem wir uns mit dem Titel „Bürgerrechte – und Polizei“ verpflichtet haben. Dieser Anspruch impliziert auch, dass wir unsere Ergebnisse in lesbarer Form bringen, dass wir auch jenseits der universitären Debatten wirksam werden wollen.

Und natürlich ist dieser Anspruch eine Verpflichtung zur Radikalität – eine Verpflichtung, Themen weiter zu bearbeiten und Positionen weiter zu vertreten, auch wenn damit realpolitisch kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Dies ist u.a. der Fall bei der Frage der Geheimdienste und der politischen Polizeien. Wir haben Anfang der 90er Jahre Gesetzentwürfe für die Abschaffung der Geheimdienste geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt, also kurz nach der Auflösung der DDR-Staatssicherheit, schien diese Forderung – oder zumindest die massive Ausdünnung der Dienste – bis weit hinein in die etablierten Parteien und selbst bei Vertretern der Polizei Beachtung zu finden. Heute – zumal nach dem 11. September 2001 – scheint eine solche Position hoffnungslos zurückgeblieben. Selbst jene, die nur auf der wirklichen Trennung von Polizei und Geheimdiensten bestehen, sehen sich heute an den politischen Rand gedrängt. Wenn regierungsoffiziell von dieser Trennung geredet wird, dann meist in dem Sinne, dass die organisatorische Trennung zu einer umso stärkeren Zusammenarbeit verpflichte: „getrennt marschieren, vereint überwachen“.

Dabei hat sowohl der 11. September und hat auch der 11. März 2004 – also die Bomben in Madrid – bestens dargelegt, dass die Geheimdienste und ihr Quellenschutz eben nicht dazu in der Lage sind, ihr Sicherheitsversprechen zu erfüllen. Dass sie aber um so mehr Gefahren für die Rechte und Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger bewirken, insbesondere für die Fairness des Strafverfahrens und die Rechte der Beschuldigten. In unserem neusten Heft informiert sie unser britischer Kollege Tony Bunyan von den Plänen der G8-Gruppe und ihrem Widerhall in der EU – den Plänen, geheimdienstliche Erkenntnisse in Strafprozesse einfließen zu lassen – bei gleichzeitiger Wahrung des Quellenschutzes.

Was liegt näher, als angesichts solcher Pläne daran festzuhalten, dass Geheimdienste grundsätzlich demokratiefeindlich sind und deshalb abgeschafft gehören.

Geheimdienstliche Methoden im Polizeibereich – auch hier scheint sich die schiere Gewöhnung an V-Leute, verdeckte Ermittler und allerlei Lauscherei die Sensibilität der Öffentlichkeit hinweg geschwemmt zu haben. Die technischen Überwachungsmöglichkeiten sind enorm gewachsen und verbergen sich gerade unter dem alten Begriff der Randdaten, die keineswegs Randprobleme sind. Die alte Telefonüberwachung ist in neuem rechtlichem Kleid zum Allerweltsmittel geworden.

Daran ändert eine bloße Verrechtlichung, eine „rechtsstaatliche Regelung“ nichts. Der Ruf nach gesetzlichen Grundlagen ist häufig genug eine Forderung, die nach hinten losgeht. Gesetze taugen nur dann etwas, wenn sie wirklich etwas verbieten, ausschließen, wenn sie die materielle Grundlage für solche Methoden entziehen. Darauf beharren wir.

Die bloße Tatsache, dass etwas in der Realität und im Recht verankert ist, darf uns weder das Denken verstellen. Noch können wir das, was gestern gegen uns durchgesetzt wurde, heute für richtig erklären, nur weil das, was Regierungen heute wollen noch über das schlechte alte hinausgeht.

Dies gilt auch für Europol und überhaupt für die europäische Polizeikooperation mit ihrer Vielzahl von Gremien. Als Kanzler Helmut Kohl 1991 auf dem Luxemburger Gipfel mit seiner Forderung nach einem „europäischen FBI“ reüssierte, war das blanker Populismus. Viele Polizisten waren damals gegen dieses zentralistische Instrument skeptisch. Heute ist dieses Europäische Polizeiamt fest verankert.

Trotzdem: Wozu soll ein solcher Zentralismus führen, wenn bereits auf der nationalen Ebene die Polizeizentralen zu zentralistisch sind? Kann ein demokratisches Europa entstehen, wenn man polizeiliche Institutionen zur „Klammer des Reiches“ macht, wenn die politische Union vorab eine polizeiliche Union ist?

Der Auf- und Ausbau von Europol wurde dampfwalzenartig vorangetrieben. Kaum war die Europol-Konvention in Kraft getreten, sollte sie erweitert werden. Wes Geistes Kind diese Gesetzgebung ist, lässt sich daran illustrieren, dass die zuständige Arbeitsgruppe des Ministerrates im Jahre 2001 ihre Überlegungen für die Änderungen der Konvention in einer „shopping list“ kundtat. Die Polizei kauft sich ihre gesetzlichen Grundlagen. Deutlicher kann man’s nicht sagen.

Machen all die „Fortschritte“ des polizeilichen Europas eine grundsätzliche Kritik sinnlos oder ist sie nicht gerade jetzt aktueller und notwendiger denn je?

Jetzt wo man die ursprüngliche Legitimation des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität eingewechselt hat gegen den neuen Terrorismus?

Jetzt, wo die EU ihre – nach demokratischen Maßstäben – verquere Aufbaugeschichte mit einem konstitutionellen Heiligenschein umgeben will?

Ich kann Ihnen hier Folgendes versprechen: Wir werden auch in Zukunft radikaldemokratische Kritik und stichhaltige Information miteinander verbinden.

Dass Sie uns heute für diese Arbeit mit einem Preis honorieren – das ist für uns ein Ansporn und dafür danken wir Ihnen.