Martin Lemke: Redebeitrag anlässlich der Verleihung des Werner-Holtfort-Preises 2005 an Bürgerrechte & Polizei/CILIP

Berlin, den 27. Mai 2005

Rechtsanwalt Martin Lemke, Hamburg
Vorsitzender der Holtfort-Stiftung
Einführung: Europäischer Haftbefehl, Folterdrohung, GPS und Feindstrafrecht – was bleibt noch von den Bürgerrechten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

im Namen der Holtfort-Stiftung darf ich Sie herzlich zu der Veranstaltung und der Verleihung des Werner-Holtfort-Preises 2005 begrüßen und mich gleichzeitig bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Gastfreundschaft und Kooperation bedanken.

Wir freuen uns sehr, dass Sie, unsere Gäste, doch recht zahlreich erschienen sind und werten dieses als Bestätigung dafür, dass wir mit unseren heutigen Diskussions- und Vortragsthemen ein offenbar vorhandenes Bedürfnis nach kritischer Auseinandersetzung und Reflexion getroffen haben.

Der Vorstand der Holtfort-Stiftung hat sich entschieden, den Werner-Holtfort-Preis 2005 an die Redaktion und Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ zu vergeben und die Preisverleihung wie auch in früheren Jahren zu nutzen, die Preisträger nicht nur mit dem Preis und einem Preisgeld zu ehren, in diesem Jahr sind es 7.500,- Euro, sondern auch zu ehren und zu würdigen mit der Ausrichtung einer Vertrags- und Diskussionsveranstaltung, die dem Anliegen des Stifters Werner Holtfort und dem Anliegen der diesjährigen Preisträger gleichermaßen dient:

nämlich: der Verteidigung der Bürgerrechte auch und gerade in schwierigen politischen Zeiten.

Lassen Sie mich noch einige Worte über unseren Stifter sagen, weil nicht alle, die heute anwesend sind, den Kollegen Holtfort persönlich kennengelernt haben.

Werner Holtfort, Rechtsanwalt und Notar, langjähriger Abgeordneter der SPD im Niedersächsischen Landtag, hat nicht nur vor nunmehr 26 Jahren den Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) ins Leben gerufen, sondern hat durch seine vielfältige rechtspolitische Tätigkeit und sein persönliches Wirken viele Anwältinnen und Anwälte dazu gebracht, über den Tellerrand der reinen Juristerei hinauszublicken und sich ihrer Rolle und gesellschaftlichen Verantwortung als berufene und unabhängige Interessenvertreter der sozial schwachen, der politisch ausgegrenzten und der gesellschaftlich geächteten Menschen bewusst zu werden und sich als Verfechter der freien Advokatur nicht von staatlicher Autorität blenden oder gar vereinnahmen zu lassen.

Was jetzt so abstrakt klingt hatte damals ganz praktische Bedeutung. Es galt nämlich, eine Plattform und einen organisatorischen Rahmen zu schaffen. Liberale und linke Positionen in der Anwaltschaft waren bis in die Mitte der 70er Jahre nur vereinzelt zu vernehmen. Es ging darum, diese Positionen und eben konkret die damaligen Kolleginnen und Kollegen zu bündeln und ihnen einen Zusammenhalt zu bieten, um das republikanische Bewusstsein der Anwaltschaft, dass der Staat für den Bürger da ist und nicht umgekehrt, zu formen. Diesen Ansatz der freien Advokatur mit entschieden republikanischer Grundhaltung baute Werner Holtfort in Amt und Person aus und seine Haltung und sein Wirken mündeten in die Gründung des RAV 1979.

In seinem Testament hat Werner Holtfort, der 1992 verstorben ist, die Holtfort-Stiftung als Alleinerbin eingesetzt mit dem Auftrag, die anwaltliche Fortbildung sowie den Kampf um ein demokratisches Recht und die freie Advokatur fortzuführen. Er hat auch verfügt, dass für herausragende Leistungen zur Verteidigung der Bürgerrechte der Werner-Holtfort-Preis verliehen werden soll.

Das geschieht seit 1995 auch regelmäßig und ich darf bei dieser Gelegenheit die Preisträger von 1999, Herrn Kollegen Bertram Börner aus Hannover, Mitinitiator des alternativen Juristentages, begrüßen und ich begrüße auch eine der Preisträgerinnen des Holtfort-Preises 2003, Frau Kollegin Ulrike Donat aus Hamburg, Mitinitiatorin des anwaltliches Notdienstes im Wendland anlässlich der Castor-Transporte.

In diesem Jahr nun geht der Preis nicht an Anwälte, sondern als ausdrückliche Anerkennung und Dank für ihre Leistungen und ihr aufreibendes Engagement an die Reaktion und Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ und dabei namentlich an Dr. Heiner Busch, Martina Kant und Prof. Dr. Norbert Pütter.

Die Lobrede wird nachher Prof. Felix Herzog halten, aber ich möchte zuvor zumindest eine persönliche Bemerkung an die heutigen Preisträger richten.

Ich freue mich besonders über diese Ehrung und darüber, dass ich an der Auswahl der Preisträger teilnehmen durfte, weil ich schon als Student nicht nur zu den Abonnenten von CILIP gehört habe, sondern schon damals die Zeitschrift als Quelle regelrecht ausgeplündert habe, um Thesen und Polemiken in Flugblättern und Aufrufen mit Fakten, wissenschaftlichen Argumenten und konkreten Zahlen zu untermauern. Mit diesem konkreten „Gebrauchswert“ war und ist mir CILIP nahe, denn ich nutze die Quelle bis heute, um Beweisanträge im Strafprozess zu untermauern und eben, um über den Tellerrand der eigenen Profession hinauszuschauen.

In diesem Sinne darf ich, dürfen wir als Leser und Nutzer von CILIP mit dem Holtfort-Preis auch unseren Dank abstatten an die Redaktion und ich gratulieren den Dreien, Heiner Busch, Martina Kant und Norbert Pütter ganz herzlich.

Nun zum Vertrags- und Diskussionsthema:

Feindstrafrecht – Auf dem Weg zu einer anderen Kriminalpolitik

Gestatten Sie mir zum Auftakt, bevor Prof. Fritz Sack nachher vorträgt und wir über Ursachen, Visionen und Auswüchse des Feindstrafrechtes und der „anderen“ Kriminalpolitik sprechen, die „gegenwärtige“ Kriminalpolitik zu beleuchten.

Bevor wir über das sprechen was uns „droht“, einige Anmerkungen zu dem was wir „haben“ und wie heute Kriminalpolitik von den Ermittlungsbehörden namentlich im Strafrecht und bei der Strafverfolgung betrieben wird.

Die ungeheuerlichen Vorschläge von Jakobs und anderen zum Thema Feindstrafrecht fallen ja nicht vom Himmel, sondern wachsen auf dem Boden der alltäglichen Aushöhlung des Schuldprinzips und der Auflösung rechtsstaatlicher Garantien im Strafverfahren. In diesem Sinne hat sich Jakobs mit seinen Forderungen nicht aus der seriösen rechtswissenschaftlichen Diskussion verabschiedet, sondern bildet womöglich nur die Spitze des Eisberges.

Lassen Sie uns also zunächst über den kriminalpolitischen Alltag, den Status quo sprechen und die gegenwärtig aktuellen Themen:

den Europäischen Haftbefehl, die technischen und personellen Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei und der Staatsanwaltschaft und die aktuelle Folterdebatte innerhalb des Polizeiapparates.

Als Erstes also: Der Europäische Haftbefehl

Es gibt in der Ausbildung bundesdeutscher Juristinnen und Juristen elementare Grundsätze, die den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat, namentlich vom nationalsozialistischen Unrechtsstaat, unterscheiden.

Hierzu gehören: die Unschuldsvermutung, der Zweifelsgrundsatz, das Recht zu schweigen und die Aussage zu verweigern, das Rückwirkungsverbot, und der Grundsatz: nulla poene sine lege, keine Strafe ohne Gesetz sowie das Auslieferungsverbot deutscher Staatsbürger und der Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehungen. Das haben alle Juristinnen und Juristen hier im Saal gelernt. Es handelt sich um den Kernbereich der Bürgerrechte im Strafverfahren.

Weil allerdings der Abgeordnete Christian Ströbele sich „normativ unfrei fühlte“ und die anderen Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit ihren Gedanken, falls sie sich überhaupt welche gemacht haben sollten, woran man nach den Offenbarungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erhebliche Zweifel hegen kann, offenbar woanders waren, weil also bei der Abstimmung im Bundestag über das Gesetz zur Übernahme der Brüsseler Ministerratsbeschlüsse zum Europäischen Haftbefehl in das Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht ein einziger Abgeordneter die grundlegende Bedeutung dieser neuen Bestimmungen erkennen konnte oder wollte, sind die Grundsätze des Rechtes zu schweigen, das Rückwirkungsverbot, des Auslieferungsverbot und der Grundsatz keine Strafe ohne Gesetz nunmehr aufgrund der Bundestagsentscheidung Makulatur oder gleich ganz aufgehoben.

Deutsche Staatsbürger können auf Antrag eines europäischen Vertragsstaates ohne richterliche Prüfung der Begründetheit der Vorwürfe von und aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert werden. Hierzu ist nicht erforderlich, dass die den Betroffenen vorgeworfene Handlung in der Bundesrepublik Deutschland jetzt oder früher strafbar ist oder war und/oder Haftgründe nach deutschem Recht bestehen. Nicht nur das jetzt kein Strafgesetz der Bundesrepublik verletzt oder gefährdet sein muss, auch in der Vergangenheit muss nicht gegen eine Strafvorschrift verstoßen worden sein, um aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen in – ich betone: in- oder außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aus der Bundesrepublik ausgewiesen zu werden und zwar auch als deutscher Staatsbürger. Falls Sie zudem ausgerechnet nach England ausgeliefert werden sollten, dürfen Sie sich nicht durch schweigen verteidigen, sondern müssen aussagen. Schweigen kann gegen Sie verwendet und darf von dem Gericht als Schuldeingeständnis gewertet werden. Ein betroffener Bundesbürger wurde lediglich wegen behaupteter Unterhaltsverstöße nach Verhaftung in der Bundesrepublik in die baltischen Staaten ausgeliefert. Ein Betrugsvorwurf in Spanien führte für einen anderen betroffenen Bundesbürger, von Beschuldigten mag ich angesichts der Umstände nicht ernstlich sprechen, zur zwangsweisen Auslieferung nach Spanien. Nur nebenbei sei erwähnt, dass sich der Betroffene zuvor nicht einmal in Spanien aufgehalten haben soll.

Der bekannteste Betroffene, der deutsche Herr D. aus Hamburg, befindet sich immer noch in Auslieferungshaft für Vorwürfe aus Spanien hinsichtlich derer er mangels Strafvorschrift in der Bundesrepublik nicht bestraft und verfolgt werden konnte. Der Verfolgung des Herrn D. bis zur Übernahme des Europäischen Haftbefehls stand das Rückwirkungsverbot und der Grundsatz keine Strafe ohne Gesetz sowie das bis dahin geltende Auslieferungsverbot entgegen.

Sie können davon ausgehen, dass die früheren deutschen Ermittlungsergebnisse betreffend Herrn D. an die spanischen Behörden von der Bundesanwaltschaft und dem BKA übermittelt worden sind und anschließend den spanischen Auslieferungsantrag begründet haben.

Der Verlauf der mündlichen Verhandlung in der Sache des Herrn D. vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gibt allerdings Anlass zu der Hoffnung, dass dieser Variante heutiger Kriminalpolitik der verfassungsrechtliche Garaus gemacht wird. Erschütternd, besser ernüchternd bleibt, wie schnell und gedankenlos rechtsstaatlich sicher geglaubte Garantien parlamentarisch außer Kraft gesetzt worden sind. Der absolute Kernbereich von Beschuldigtenrechten in der Strafprozessordnung wurde, weil es ja aus Brüssel kam, der unüberprüfbaren Willkür einer Vielzahl ausländischer Justizbehörden ausgeliefert. Die Bestimmungen des Europäischen Haftbefehls gelten gegenwärtig uneingeschränkt und das Bundesverfassungsgericht wird möglicherweise im Sommer oder Herbst entscheiden. Herr D. jedenfalls sitzt nach wie vor in Auslieferungshaft und ist seiner Freiheit beraubt, ohne heute oder früher gegen eine Strafnorm in der Bundesrepublik Deutschland verstoßen zu haben.

Zum Zweiten: Der aktuelle Stand der angewandten technischen Mittel in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Ich möchte Ihnen beispielhaft einen kurzen Überblick über die gegenwärtig eingesetzten und seit 2002 gesetzlich erlaubten technischen Mittel und Methoden von Polizei und Staatsanwaltschaft geben. Es handelt sich um ein reales Verfahren mit veränderten Namensangaben.

Aufgrund eines Vermerkes des Kriminalbeamten A. der Drogenfahndung bei dem Landeskriminalamt stellt sich heraus, dass eine namentlich nicht genannte und von der Polizei konspirativ vernommene Person behauptet, Herr W. beziehe regelmäßig Marihuana im Kilogrammbereich aus Holland.

Tatsächlich sind Rauschmittel nicht aufgefunden worden, Herr W. lebt, wie die Polizei feststellt, seit Jahren unbescholten in der Bundesrepublik, er ist nicht vorbestraft, verheiratet und hat ein Kind. Vermeintliche Kunden oder Lieferanten werden nicht genannt. Es gibt einzig und allein die Behauptung der unbekannten Person über Herrn W., wobei davon auszugehen ist, dass die unbekannte Person, der von der Staatsanwaltschaft nachträglich ohne nähere Begründung Vertraulichkeit zugesichert worden ist, von der Polizei Geld für die Aussage erhalten hat. Das Polizeigeld sichert den Lebensunterhalt der aussagenden Person.

Aufgrund des polizeilichen Vermerks über die Vernehmung wird von den Kollegen des Kriminalbeamten A. nunmehr eine Strafanzeige mit dem Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des Einfuhrschmuggels gegen Herrn W. gefertigt. Die Mindeststrafe beträgt zwei Jahre, es handelt sich um eine sogenannte Katalogtat im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO). Diese Einordnung des nicht näher oder konkret beschriebenen Tatvorwurfes dient der Polizei später zur Legitimation von Überwachungsmaßnahmen. Zunächst dient die Strafanzeige als Grundlage eines weiteren Vermerkes. Darin heißt es:

„Aufgrund der Erkenntnisse aus der Strafanzeige und der Erkenntnisse des Beamten A. wird hiermit die kurzfristige Observation des beschuldigten W. gem. § 163 StPO angeordnet.“ Nach Aktenlage haben sich die Grundlagen des Verdachts aus polizeilicher Sicht jetzt verdoppelt, Strafanzeige und Vernehmungsvermerk, ohne das sich tatsächlich an der Verdachtslage etwas geändert hätte.

§ 163 StPO regelt lediglich und allgemein die gesetzliche Verfolgungspflicht der Polizei. Mehr nicht. Von Observationen steht dort nichts. Gleichwohl wird Herr W. umgehend an zwei Tagen hintereinander ausweislich der Ermittlungsakte von 10.00 bis 16.00 Uhr polizeilich überwacht und beobachtet.

Das Observationsergebnis liest sich wie folgt: „Die kurzfristige Observation ergab, dass Herr W. sich am 15.11. und am 16.11. jeweils mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegt, dabei extrem umsichtig ist und im Einkaufszentrum seine Umgebung beobachtet.“

Fassen wir die Verdachtslage jetzt zusammen: Eine unbekannte und von der Polizei bezahlte Person schildert einen Verdacht und der Beschuldigte ist nach Polizeieinschätzung extrem umsichtig. Einen Beweis oder ein Indiz für den behaupteten Marihuanahandel gibt es nicht. Man sollte meinen, das Verfahren würde jetzt eingestellt. Die Drogenfahnder sehen das freilich anders. Sie schreiben einen weiteren Vermerk. Darin heißt es:

„Dieses Verhalten – umsichtiges Umschauen im Einkaufszentrum – erscheint hier grundsätzlich für jemanden, der kriminalpolizeilich bislang nicht in Erscheinung getreten ist, sehr ungewöhnlich.“

Aufgrund dieses Vermerkes wird bei der Staatsanwaltschaft der Antrag gestellt, eine Observationsanordnung gegen Herrn W. zu erlassen und einen richterlichen Beschluss zum Einsatz technischer Mittel beim Mobilfunk, IMSI-Catcher, § 100i StPO, und zur Vorbereitung der Anordnung der Telekommunikationsüberwachung, § 100a StPO, einzuholen. Staatsanwaltschaft und Richter entscheiden antragsgemäß. Der IMSI-Catcher ist ein Gerät, das sich gegenüber jedem in seiner Nähe befindlichen Mobiltelefon wie eine feste Basisstation des Mobilfunknetzes verhält und eine eigene Funkzelle simuliert. Mit dem IMSI-Catcher kann die Teilnehmer-Nummer auf der SIM-Karte des benutzten Handys und die Gerätenummer IMEI des Mobiltelefons festgestellt werden. Außerdem kann der Standort des Handys festgestellt werden. Mittels der nunmehr festgestellten Teilnehmernummer kann die anschließende Telefonüberwachung geschaltet werden.

Falls Sie es noch nicht wissen sollten, darf ich daraufhinweisen, dass dieses auch alles bei ausgeschaltetem Handy funktioniert. Es bedarf nicht mehr eines Gespräches oder eines eingeschalteten, empfangsbereiten Handys, um diese Feststellungen zu treffen und den Beschuldigten abhören zu können, sondern das alles funktioniert auch bei abgeschaltetem Handy, sofern nur die SIM-Karte eingelegt ist.

Die elektronische Fußfessel ist nichts im Vergleich zum mitgeführten Handy und auch zum mitgeführten, ausgeschalteten Handy.

Mittels des Handys sind für die Polizei jederzeit und unmittelbar folgende Feststellungen möglich:

Den Standort des Handys und seines Trägers festzustellen , sämtliche in der Umgebung des Handys geführten Unterhaltungen abzuhören und zwar jederzeit, sofern nur die SIM-Karte eingelegt ist. Das Handy ist, auch wenn es ausgeschaltet ist, das Mikrofon mit der direkten Leitung in das Polizeipräsidium. Sämtliche aus- und eingehenden Gespräche, SMS und dergl. sowie sämtliche Verbindungsdaten können unmittelbar erfasst werden. Der Provider ist zur Herausgabe früherer Verbindungsdaten verpflichtet. Mittels Auswertung der digitalisierten Funksignale können Stimmproben und Stimmvergleiche durchgeführt werden.

Das alles ist auf der von mir beschriebenen überaus dürftigen Verdachtslage gegen den Beschuldigten W. aufgrund der inzwischen geltenden Bestimmungen der StPO seit 2002 möglich gewesen und tatsächlich durchgeführt worden. Es gilt hier, was im Bereich des Strafrechts schon immer galt: die technischen Möglichkeiten und die polizeiliche Praxis bestimmen den Anwendungsfall der Maßnahmen und die gesetzliche Normierung der Maßnahmen wurde nachgereicht. Nicht das Gesetz bestimmt die polizeiliche Praxis, sondern die Praxis das nachfolgende Gesetz.

Da die Überwachung und Observation des Herrn W. mit den hier beschriebenen technischen Maßnahmen für die Polizei nichts erbrachte, wurde in einem Fahrzeug, das Herrn W. nicht gehörte, in welchem er jedoch von Bekannten gelegentlich mitgenommen wurde, eine Wanze installiert und alle Innenraumgespräche im Fahrzeug abgehört. Begründung der Maßnahme:

Herr W. habe sich am Handy konspirativ verhalten und man, gemeint ist die Polizei, habe nichts feststellen können, was den Tatverdacht bis dahin erhärtet habe. Marihuanalieferungen aus Holland sind bis heute nicht festgestellt worden. Der Einsatz der Wanze ist gem. § 100c StPO wegen des Vorwurfes der oben genannten behaupteten Katalogtat zulässig.

Je umfangreicher der Vorwurf und je schmaler die Beweisgrundlage, desto schneller und einfacher dürfen die Vorschriften des § 100a ff. StPO angewandt werden. Nicht feststellbare Beweise und Indizien begründen nach polizeilicher Logik nicht die Einstellung des Verfahrens, sondern im Gegenteil dessen Ausweitung.

Ich habe als Strafverteidiger erst einmal erlebt, dass ein mitgeführtes Handy hilfreich war:

Der flüchtende Beschuldigte Y. rannte im Harz von einer Autobahnraststätte aus in Richtung eines nahegelegenen Waldrandes. 50 Polizisten und ein Polizeihubschrauber waren ihm dicht auf den Fersen und hatten, wie es polizeilich heißt, unmittelbaren Sichtkontakt zu dem Flüchtigen. Der flüchtige Herr Y., im Wald angekommen, warf sein Handy sofort in hohem Bogen nach links in ein dichtes Gebüsch, während er einen Haken nach rechts schlug und weiter rannte. Seine Flucht gelang ihm wider alle Erwartungen. 50 Polizisten und der Hubschrauber von oben belagerten nämlich mehr als 30 Minuten lang das Gebüsch, sendeten und empfingen unablässig Funksignale und stellten nach Erstürmung im nunmehr niedergetretenen Blattwerk des Gebüsches das Handy des Herrn Y. sicher. Herr Y. hatte sich für ihn erfolgreich der elektronischen Fessel entledigt.

Ich möchte zum Abschluss noch kurz auf mein drittes Thema, die Folterdiskussion innerhalb der Polizei, eingehen und zu einem Teilausschnitt, der mir wesentlich erscheint, etwas sagen:

Über polizeiliche Folter zu reden, sie gutzuheißen und ihr angesichts des generellen Folterverbotes nunmehr über den Umweg des Polizeirechtes und des Störerbegriffes einen rechtlichen Rahmen geben zu wollen ist das eine. Als Polizeibeamter zur Folterausübung bereit zu sein, etwas anderes, weiteres.

Verschiedene Dozenten an Polizeifachhochschulen berichten darüber, dass sie im Unterricht den Beamten und Polizeischülern den Frankfurter Folterfall vorgestellt haben und die Rechtslage mit dem absoluten Folterverbot und das anschließende Strafurteil gegen Vizepräsident Daschner erörtert haben. Die Seminarteilnehmer sind anschließend von den Dozenten im Unterricht nach ihrer Meinung gefragt worden. Zwischen 50 % und 70 % der Teilnehmer haben die Folteranordnung für richtig gehalten. 30-40 % der jeweiligen Teilnehmer waren sofort bereit und taten dies auch kund, die Folter durch Zufügung erheblicher Schmerzen an dem Beschuldigten körperlich zu vollziehen.

Wir können davon ausgehen, dass diese Polizeischüler keine Bedenken hätten, dass Jakobsche Feindstrafrecht anzuwenden und bestimmte Beschuldigte zukünftig als außerhalb des Rechts stehende Feinde zu behandeln.