Vertrag von Prüm – Neuauflage von Schengen?

Sieben EU-Staaten – die drei Benelux-Staaten, Frankreich, Österreich, Spanien und Deutschland – haben am 27. Mai 2005 im Eifelkurort Prüm einen Vertrag über „die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ unterzeichnet, der in doppelter Hinsicht von Bedeutung ist.[1]

Zum einen wegen seines Inhalts: Vereinbart wurden nicht nur erweiterte Formen der grenznahen Polizeikooperation, sondern insbesondere der gegenseitige automatische Zugriff auf nationale Datenbanken mit personenbezogenen Informationen, nämlich DNA-Profil-, Fingerabdruckdatenbanken sowie Fahrzeugregister. Im ers­ten Falle ist die Abfrage nur zur Strafverfolgung, in den beiden anderen auch zu präventiven Zwecken möglich. Zudem soll es regelmäßige Abgleiche der nicht einer bekannten Person zugeordneten DNA-Spuren geben. Ergibt sich beim Abgleich oder der Abfrage von DNA-Profilen oder Fingerabdrücken ein „Treffer“, dann sollen auch alle weiteren Daten zu einer Person weitergegeben werden, sofern das Recht des ersuchten Staates dies erlaubt. Damit rücken die Vertragsstaaten dem im Haager Fünf-Jahres-Programm festgeschriebenen Ziel, beim Informationsaustausch das „Prinzip der Verfügbarkeit“ einzuführen, einen großen Schritt näher.[2]

Daneben wollen die Vertragsstaaten sowohl auf Ersuchen als auch spontan personenbezogene Daten austauschen – im Zusammenhang mit Großereignissen (Sportveranstaltungen und Demonstrationen) sowie im Kontext dessen, was nach der gemeinsamen EU-Terrorismusdefinition als „terroristische Straftat“ gilt – eine Definition, die weit über das Alltagsverständnis des Begriffs hinaus geht.[3] Beides ist bereits weitgehend Praxis in der EU. Ebenfalls längst praktiziert werden gemeinsame Abschiebungen von abgewiesenen Asylsuchenden und die Entsendung von „Dokumentenberatern“, d.h. grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten.

Bedeutsam – weil ungeklärt – ist auch die Rolle dieses Vertrags im Kontext der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik der EU. Formell handelt es sich hier nicht um eine „verstärkte Zusammenarbeit“ im Sinne des EU-Vertrags: Die müsste mindestens die Hälfte der Mitgliedstaaten einbeziehen, vom Rat genehmigt und dem Europäischen Parlament zur Kenntnis gebracht werden. Dies ist nicht der Fall.

Praktisch gleicht die mit dem Vertrag von Prüm eingeleitete Kooperation der Schengener Zusammenarbeit, die es den beteiligten EU-Staa­ten erlaubte, außerhalb der EU-Strukturen wesentliche Elemente der po­lizeilichen und asylpolitischen Kooperation vorzuspulen, um sie anschließend in den EU-Rahmen zu integrieren. Wie im Schengener Durch­führungsübereinkommen ist auch in Art. 43 des neuen Vertrages eine eigene politische Struktur vorgesehen: ein Ministerkomitee und Ar­beits­gruppen. Drei Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags will man Initiativen ergreifen, um das außerhalb der EU-Strukturen Erreichte in diese zu übertragen. Dies riecht allerdings sehr nach Schengener Kerneuropa.

(Heiner Busch)

[1]      www.statewatch.org/news/jul/17schengen-III.htm, zu den Aspekten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit s. in diesem Heft den Artikel von M. Holzberger, S. 63 ff.
[2]     ABl. EG C 53 v. 3.3.2005, S. 1
[3]     ABl. EG L 164 v. 22.6.2002, S. 3