Literatur

Zum Schwerpunkt

Großereignisse sind naturgemäß ein polizeiliches Aufgabenfeld. Wo viele Menschen zusammenkommen, wo viel öffentliche Aufmerksamkeit gewiss ist, da liegt es auf der Hand, dass Kriminalität vermehrt auftreten kann und dass Gefahren entstehen können. Dieser Allgemeinplatz erfährt im Fall der Fußball-WM eine besondere Zuspitzung. Hier fließen mindestens drei Entwicklungen zusammen, die die Sicherheit des Turniers zu einer ganz besonderen polizeilichen Angelegenheit machen: Erstens verfügen die Polizeien über langjährige Erfahrungen mit Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen, und sie haben ein reichhaltiges Repertoire an Mitteln entwickelt, um dieser Gewalt präventiv und repressiv zu begegnen. Zweitens stehen spätestens seit dem 11.9. alle Großveranstaltungen unter einer erhöhten terroristischen Anschlagsgefahr. Und drittens haben die FIFA und die Verbände mit ihren Vermarktungsstrategien die „schönste Nebensache der Welt“ derart überhöht, dass gerade in Fragen der Sicherheit nichts schief gehen darf. Seit Jahren arbeiten die deutschen Sicherheitsbehörden deshalb auf allen Ebenen daran, der Welt sichere Spiele zu präsentieren. Im Folgenden wird auf einige ausgewählte Veröffentlichungen hingewiesen, die einen Einblick in die polizeilichen Konzepte und WM-Vorbereitungen erlauben.

Deutsches Polizeiblatt 2001, H. 3: Hooligans (Themenheft)

Diese Ausgabe der „Fachzeitschrift für die Aus- und Fortbildung in Bund und Ländern“ will in zehn Beiträgen einen Überblick über das Thema „Hooligans“ geben. Der erste Beitrag „Fußballfan = Hooligan?“ beginnt mit der bekannten polizeilichen Dreiteilung der Fußball-Anhän­ger in die Kategorien A (friedlich und fußballorientiert), B (bei Gelegenheit gewaltgeneigt) und C (zur Gewalt entschlossen). Nach dem Appell an alle Beteiligten, zur Gewaltreduzierung beizutragen, und dem Hinweis auf die „bauliche Sicherheitsverbesserung“ der Stadien wird das po­lizeiliche Konzept knapp vorgestellt. Dessen Ziele seien, „keine Ausschreitungen/negativen Vorkommnisse“ entstehen zu lassen bzw. „schädliche Ereignisse zu begrenzen und diese kurzfristig zu beenden“. Elemente dieses Konzepts seien: permanenter Informationsaustausch, auch mit dem Ausland; Erstellung differenzierter Lagebilder; Einsatz von polizeilichen Szenekennern; frühzeitige Aufklärung durch Zivilkräfte, auch in den Verkehrsmitteln und Innenstädten; ständige Begleitung gewalttätiger Gruppen, bis zur sofortigen Festnahme durch Spezialkräfte; gerichtsverwertbare Beweissicherung; sichtbare Präsenz der Polizei. Schließlich weist der Artikel auf „weitere probate Mittel zur Verhinderung einer Anreise gewalttätigen Potenzials“ hin: Gefährderansprachen, Ausreiseuntersagungen und Meldeauflagen.

In weiteren Beiträgen wird zunächst ein sozialwissenschaftlich orientierter Blick auf die Fans geworfen. Die Autoren erwähnen neben der polizeilichen eine soziologische Dreiteilung in konsum-, fußball- und erlebnisorientierte Fans. Sie benennen verschiedene gesellschaftliche Ursachen des „Hooliganismus“, den Zusammenhang zwischen Gewalt und Kommerzialisierung des Profifußballs sowie die Rolle der Polizei als (willkommenem) Gegner. Auf die besondere Bedeutung polizeilicher Reaktionen wird auch aus der Perspektive der Fanprojekte hingewiesen. Aus der Sicht der zielgruppenorientierten Sozialarbeit bewirke die „Verschärfung der Repression“ eine „massive Ausgrenzung von Jugendlichen aus ihren Lebenslagen“. In der zweiten Hälfte des Heftes werden die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“, das Konzept des (damaligen) Bundesgrenzschutzes sowie einzelne polizeiliche Instrumente (Ausreiseuntersagung, Meldeauflagen, szenekundige Beamte) vorgestellt.

Pilz, Gunter A.: Vom Kuttenfan und Hooligan zum Ultra und Hooltra, in: Deutsche Polizei 54. Jg., 2005, H. 11, S. 6.12

In der zweiten Jahreshälfte 2005 häuften sich die Beiträge zur Fußball-WM in der polizeilichen Fachpresse. Pilz, einer der bekanntesten deutschen Sportsoziologen, präsentiert neuere Entwicklungen der Fanszenen. Mit den „Ultras“ ist in den letzten Jahren eine neue Gruppe entstanden, die sich gegen die Kommerzialisierung des Fußballs wendet und mit imposanten Inszenierungen versucht, ihre Mannschaft zu unterstützen. Pilz, der auch schon als Gutachter für das Bundesinnenministerium agierte, befürchtet, dass aus der Annäherung von Ultras und Hooligans ein neues Gewaltpotential („Hooltras“) entstehen könnte. Da die unterschiedlichen Fangruppen auf polizeiliche Präsenz unterschiedlich reagierten, müsse die Polizei differenziert vorgehen.

Moog, Jürgen: Der Confederations Cup als WM-Feuertaufe ohne Hooligans, in: Polizei – heute 34. Jg., 2005, H. 6, S. 182-188

Heck, Christoph; Göttlich, Timo: FIFA Confederations Cup 2005 – Generalprobe oder Freundschaftsspiel?, in: der kriminalist 37. Jg., 2005, H. 11, S. 464-467

Der Confederations Cup galt gemeinhin als Test für die WM. Die Autoren dieser beiden Beiträge ziehen eine Bilanz aus Sicht der Frankfurter Polizei. „Mangels Problemklientel“ sei der Polizei die „Gratwanderung zwischen der Gewährleistung der Sicherheit … und der sportlich-heiteren Atmosphäre“ erspart geblieben. Im Vorfeld des Cups habe es in Hessen 86 Gefährderansprachen, aber keine Meldeauflagen oder Aufenthaltsverbote gegeben. Insgesamt seien 22.000 Akkreditierungsanträge überprüft worden (wobei von den 5.000 aus Hessen sechs Prozent abgelehnt wurden). Weiter erfährt man, dass im Frankfurter Stadion vier Gewahrsamszellen mit einer Kapazität für 60 Personen vorhanden sind. Insgesamt müsse berücksichtigt werden, dass die WM „eine ganz andere Dimension haben“ werde. In den „Lagefelder(n) Hooliganismus, Organisierte und politisch motivierte Kriminalität sowie gefährdete Personen und Objekte“ seien „vorbereitende gefahrenabwehrende Maßnahmen“ geboten.

Lederer, Uwe: Fußball-WM 2006 in Deutschland: Die Welt zu Gast bei Freunden, in: Die Kriminalpolizei 23. Jg., 2005, H. 4, S. 112-115

Dieser Beitrag aus dem rheinland-pfälzischen Landeskriminalamt liefert einige polizeiliche Daten: Rund 10.000 Personen werden in der Bundesrepublik zu den B- und C-Fans gerechnet, 2005 gab es 2.300 bundesweite Stadionverbote, in der Datei Gewalttäter Sport waren Mitte 2005 6.774 Personen gespeichert, zur WM werden EU-weit ca. 8.000 bis 10.000 Stadionverbote bestehen. Lederer nennt vier „besondere polizeiliche Handlungsfelder“: 1. „Public Viewing“-Veranstaltungen, durch die die Sicherheitsprobleme auch auf andere als die Spielorte übertragen werden könnten. 2. Kriminalität „mit Veranstaltungsbezug“, hier reicht die Liste vom Trickdiebstahl über Markenpiraterie und Geldwäsche bis zur illegalen Prostitution, zu Landfriedensbruch und der Androhung von Straftaten. 3. Politisch-motivierte Kriminalität, die „bis zur Beteiligung des internationalen Terrorismus“ gehen könnte. 4. Größere Gefahren-/ Schadenslagen, auf die die Behörden durch das „Musterkonzept Kata­s­trophenschutz“ vorbereitet seien.

Kubera, Thomas: Beweissicherung und Freiheitsentziehung bei gewalttätigen Aktionen. Vollübung in Stukenbrock als Härtetest für WM-Vorbereitung, in: Die Streife 44. Jg., 2005, H. 11, S. 12-17

Überall in Deutschland probt die Polizei den WM-Ernstfall. Dieser Bericht über eine Übung der nordrhein-westfälischen Polizei gibt einen kleinen Einblick in die Vorbereitungen repressiven Vorgehens. Zentrale Elemente sind unaufwändige Personalüberprüfungen, die Realisierung von Freiheitsentziehungen durch die Einrichtung von Gefangenensammelstellen (GeSa) sowie der Einsatz von Beweissicherungseinheiten (BESI-Teams), die die spätere Strafverfolgung sicherstellen sollen. Das Konzept ist mit einer Flexibilisierung der taktischen und verfahrensmäßigen Vorschriften verbunden. So kann bei Freiheitsentziehungen z.B. auf die Zuführung in eine GeSa verzichtet werden; das „Modell GeSa 50 Plus“ erlaubt die Einrichtung von GeSas ohne Beteiligung der Bereitschaftspolizei etc. Die Einrichtung einer „Informations- und Auskunftsstelle“ soll nicht nur Datenabgleiche mit der „Datei Gewalttäter Sport“ ermöglichen, sondern auch Auskünfte an „Angehörige oder Rechtsanwälte … festgenommener Personen“.

Deusch, Florian: Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sportgroßveranstaltungen. Darstellung anhand des Fußballsports (Beiträge zum Sportrecht, Bd. 21), Berlin (Duncker & Humblot) 2005, 264 S., EUR 74,–

Diese Dissertation untersucht aus juristischer Perspektive das polizeiliche Instrumentarium im Zusammenhang mit Fußball. Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert. Zwischen den beiden vorbereitenden Teilen („Gewalt bei Sportgroßveranstaltungen“ und „verfassungs- und europarechtliche Grundlagen“) und dem fünfseitigen Schlussteil „Gesamtergebnis und Thesen“ werden im dritten Teil „veranstalterorientierte“ und „fanorientierte Gefahrenabwehr“ sowie die Kostenpflicht des Veranstalters untersucht. Aus bürgerrechtlicher Perspektive sind die Ausführungen zur „fanorientierten Gefahrenabwehr“ von besonderem Interesse. Die Grundorientierung des Autors wird bereits an einer frühen Stelle deutlich, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass „die Gewalt der Hooligans den Bestand des Staates selbst an(greift), indem sie die Funktionsfähigkeit seiner Organe auf die Probe stellt“ (S. 45). Entsprechend grund­rechtsunsensibel und polizeifreundlich sind die juristischen Bewertungen einzelner fanorientierter Maßnahmen: Polizeiliche Informationserhebungen im Vorfeld werden auf die Aufgabe „vorbeugender Bekämpfung von Straftaten“ gestützt, eine Beschränkung auf bestimmte Straftaten lehnt der Autor ab (S. 177 f.). Die Videoüberwachung sei durch die polizeiliche Generalklausel gedeckt (S. 179). „Gefährderansprachen“ seien nur in speziellen Fällen ein Eingriff, und den hält Deusch für durch die Generalklausel legalisiert (S. 184 f.). Die Polizei sei frei, den Hooligan an einen so weit entfernt liegenden Ort zu verbringen, „dass seine alsbaldige Rückkehr verhindert wird“ (S. 191). Auch in der einschließenden Begleitung von Fans sieht Deusch nur dann einen Eingriff, wenn die Eingeschlossenen so behandelt würden, dass sie für Außenstehende als „potentielle Gewalttäter“ erschienen (S. 196). Da die „Verhütung von Straftaten im Ausland vom polizeilichen Aufgabenbereich nicht ausgenommen“ sei, könne die Polizei Daten aus der Datei „Gewalttäter Sport“ an ausländische Stellen übermitteln – nur „undifferenziert“ dürfe dies nicht geschehen, weil „die deutschen Behörden auf die weitere Behandlung der Daten im Ausland keinen Einfluss mehr nehmen können“ (S. 204). Die Untersuchung lehrt erneut: Wo ein Wille ist, polizeiliche Praxis zu legitimieren, findet sich ein juristischer Weg. Auch wenn der mit der Entwertung demokratisch-rechtsstaatlicher Errungenschaften erkauft werden muss.

Bündnis Aktiver Fußballfans – BAFF (Hg.): Die 100 „schönsten“ Schikanen gegen Fußballfans. Repression und Willkür rund ums Stadion, Grafenau 2004

Auf diesen lesenswerten Einblick in den polizeilichen Umgang mit Fußballfans aus deren Sicht haben wir bereits an früherer Stelle hingewiesen, s. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 78 (2/2004), S. 108 f.

Sonstige Neuerscheinungen

Kunz, Thomas: Der Sicherheitsdiskurs. Die Innere Sicherheit und ihre Kritik, Bielefeld (transcript) 2005, 420 S., EUR 29,80

Mit dem erklärten Ziel, zur „Weiterentwicklung der Kritik“ an Innerer Sicherheitspolitik (S. 22) beizutragen, untersucht Kunz befürwortende und kritische Positionen „Innerer Sicherheitspolitik“ im Zeitraum von 1972 bis 1998 mit den Instrumenten der Diskursanalyse. Das Besondere des Buches ist die gleichzeitige und vergleichende Betrachtung beider Seiten des Sicherheitsdiskurses. Der Autor verspricht die Überprüfung der These, wonach „eine inhaltliche Gemeinsamkeit (existiere), etwas notwendigerweise Verbindendes zwischen Akteuren des kritischen und des konservativen Teildiskurses“ (S. 72). Da dies auf dem Wege der Dis­kursanalyse geschehen soll, macht der Autor sich auf die Suche nach „vorfindbaren Topoi und Metaphern, vorherrschend verwendeten Bedrohungen und Feindbildern“.

Auf S. 83 beginnt die eigentliche Untersuchung. Bevor er die beiden Seiten des Diskurses analysiert, betrachtet der Autor zunächst die Verwendung des Begriffs „Innere Sicherheit“ in einschlägigen Nachschlagewerken. Im Unterschied zur „öffentlichen“ erscheint Innere Sicherheit als ein Kampfbegriff der politischen Auseinandersetzung, der sich parallel zur innenpolitischen Entwicklung seit den 1970er Jahren entwickelt hat (S. 132 f.). Die Konjunktur des Begriffes wird durch dessen Unbestimmtheit erklärt: „Ihre Eignung und Durchsetzungsfähigkeit erhält Innere Sicherheit nur in dem Maße bei, wie die nähere Begriffsbestimmung notwendig diffus bleibt“ (S. 136).

In zwei Kapiteln untersucht Thomas Kunz sodann den Innere Sicherheit stützenden Teildiskurs. Zunächst spürt er der Verwendung des Begriffs im herrschenden Sprachgebrauch nach. Welche Rolle spielt „In­nere Sicherheit“ für die Abteilungsstruktur des Bundesinnenministeriums? Wann taucht der Begriff in den Selbstdarstellungen der Bundesregierung und wann in den parlamentarischen Debatten auf? Der Autor stellt fest, dass „Innere Sicherheit“ erst in einer späteren Phase zu einer behördlichen Ordnungskategorie wird (S. 153 f.) und der Begriff teilweise die Nachfolge von „Öffentlicher Sicherheit“ antritt, von der er sich durch seine inhaltliche Unbestimmtheit unterscheide (S. 173). In einem zweiten Zugang werden die Begrüßungs- und Eröffnungsreden der BKA-Jahrestagungen untersucht. Die detaillierte Analyse beschränkt Kunz auf die Reden der Jahrestagungen von 1972, 1974 und 1997. Auf die Reden in anderen Jahren nimmt er bei der anschließenden „Rekonstruktion des Sicherheitsdiskurses“ nur exemplarisch Bezug. Kunz diagnostiziert einen durchgängigen Zeit- oder „Dramatisierungstopos“, während die „Feindbilder“, denen ein „homogenes Opfer-Kollektiv“ entgegengestellt werde, sich wandelten (Terrorismus, sozialer Protest, Organisierte Kriminalität, Ausländer). Schließlich seien in den Reden häufig die „Front-Metapher“ sowie Anleihen aus dem „Bereich Biologie bzw. Natur“ anzutreffen, die mitunter in eine „krankheitsmetaphorische Zuspitzung“ mündeten (S. 234-238).

Auf den S. 241-355 untersucht Kunz den „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Bei den „Konturen des Kritischen Diskurses“ sieht er seine Ausgangsthese von der Ähnlichkeit der verwendeten Metaphern und Topoi bestätigt. Dies sei überraschend, weil die von ihm nachgewiesenen „Krankheits-, Bio-, Natur- oder abwertend mythologischen Metaphern“ typisch konservative seien; auch in der Verwendung des „Dramatisierungstopos“ und des positiven Bezugs auf den Begriff „Rechtsstaat“ lägen Gemeinsamkeiten, die die Frage nach dem Konservatismus der KritikerInnen der Inneren Sicherheit nahe legten (S. 347 f.).

Die Absicht des Buches, zur Selbstreflexion der Kritik Innerer Sicherheitspolitik anzuregen, ist lobenswert und wichtig. Kunz hat viele Einsichten versammelt, die dringend diskutiert werden müssten; etwa die ständigen Warnungen vor dem Ende des Rechtsstaates, der trotz der ungehörten Warnung immer noch nicht zu Ende ist, oder die bekannte Faschisierungsthese. Sein Anliegen wird durch die vorliegende Untersuchung jedoch kaum gefördert. Weder scheint die Diskursanalyse eine zureichende Methode, um das zu diskutieren, was der Autor diskutiert sehen möchte, noch setzt er seinen Ansatz plausibel um. Diese Mängel gelten bereits für die Analyse der institutionellen Karriere des Begriffs. Warum wird nicht untersucht, seit wann der AK II der Innenministerkonferenz „Innere Sicherheit“ heißt? Indizieren die administrativen Verwendungen (oder auch die Konventionen des Parlamentsspiegels) ein andere bürokratische Praxis, hat diese oder die Begriffskonjunktur Folgen für den Diskurs?

Die methodischen Mängel werden in der Untersuchung über den kritischen Diskurs eklatant. Das Problem beginnt bereits mit der Zwei­teilung in Befürworter und Kritiker Innerer Sicherheitspolitik. Nach diesem Schwarz/Weiß-Schema werden Hans-Peter Bull (vorher Datenschutzbeauftragter und dann Innenminister) oder Christian Pfeiffer (nachher Landesjustizminister) in dieselbe Schublade wie CILIP oder die „vorgänge“ gepackt und vom Autor zum „mainstream“ der Kritik erklärt. Die erheblichen Unterschiede zwischen diesen Akteuren werden ignoriert. Statt einer systematischen Analyse (etwa von 20 Jahren CILIP oder 27 Jahre „vorgänge“ oder den Pressemitteilungen der Humanistischen Union), hat der Autor sich auf die gezielte Suche nach Topoi, Metaphern und Feindbildbestimmungen gemacht – und ist fündig geworden. Die Funde werden sodann zu Befunden für den gesamten „mainstream“. So muss man sich nicht mit 500 Seiten Analyse oder hundert Aufsätzen auseinandersetzen, sondern kann sich auf die Entschlüsselung verräterischer Metaphern und die Kritik an verstreuten Kriminalisierungsforderungen beschränken.

Schade. Eine reflexive Positionsbestimmung der Kritik an Innerer Sicherheitspolitik tut not. Aber ihre Voraussetzung wäre eine methodisch saubere Analyse, die jenseits der Sprachmuster die Kriterien und den Inhalt der Kritik zum Gegenstand haben müsste.

Baldus, Manfred (Hg.): Polizeirecht des Bundes mit zwischen- und überstaatlichen Rechtsquellen, 3. neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Heidelberg (C.F. Müller) 2005, 605 S., EUR 30,–

Die Textsammlung enthält insgesamt 38 zentrale Dokumente, die den Kern des (europäischen) „transnationalen Polizeirechts“ bilden. Der Titel „Polizeirecht des Bundes“ ist deshalb nicht ganz zutreffend, weil nur drei der dokumentierten Gesetze die Polizeien des Bundes bzw. den Zoll betreffen und die anderen Rechtsquellen gleichermaßen für die Länderpolizeien von Bedeutung sind. Die Zusammenstellung reicht von Interpol-Statuten über bilaterale Polizeiverträge, von der Schengener Zusammenarbeit über Europol und Eurojust bis zur Grenzagentur, von den Übereinkünften zur Rechtshilfe bis zu den einschlägigen Dokumenten des Europarats und der Grundrechtecharta der EU. Gemäß der heterogenen Struktur, weist die Natur der Rechtsquellen eine erhebliche Spannweite auf. Sie reicht von (deutschen) Gesetzen über bi- und multinationale Abkommen bis zu Rahmenbeschlüssen, Verordnungen, Protokollen und Vereinbarungen auf Ebene der EU. Für alle, die sich mit dem europäischen Polizeirecht befassen, ist diese Zusammenstellung unterschiedlichster Quellen ein hervorragendes Hilfsmittel. Allerdings fällt die Einleitung des Herausgebers mit sieben Seiten nicht nur sehr knapp aus, sie lässt auch eine rechtspolitische Einordnung des dokumentierten Rechts vermissen.

Bücking, Hans-Jörg; Kubera, Thomas:Eine digitale Streifenfahrt …“. Evaluation einer Videoüberwachung beim Polizeipräsidium Bielefeld, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2004, 382 S., EUR 29,–

Zwischen dem 23.1.2001 und dem 31.3.2002 wurde eine innerstädtische Parkanlage (Ravensburger Park) in Bielefeld durch Videokameras überwacht. Durch eine Erweiterung des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes waren die rechtlichen Voraussetzungen für diesen Modellversuch geschaffen worden. Die vorliegende, an der Bielefelder Fachhochschule für öffentliche Verwaltung entstandene Veröffentlichung stellt eine umfassende Evaluation der Videoüberwachung dar. Durch verschiedene Methoden wurden die Wirkungen auf die Kriminalitätsentwicklung und auf das Sicherheitsgefühl untersucht sowie ein Kostenvergleich zwischen herkömmlichen polizeilichen Kontrollen und der Videoüberwachung angestellt. Sowohl bei der Entwicklung des Untersuchungsdesigns wie bei der Interpretation der Ergebnisse findet eine ausdrückliche Ausein­andersetzung mit den KritikerInnen der optischen Überwachung öffentlicher Räume statt. Insofern ist es schlüssig, dass die Studie den möglichen Verdrängungswirkungen ein eigenes Kapitel widmet.

Die Autoren kommen zu einer uneingeschränkt positiven Bewertung der Videoüberwachung, die sie konsequent als „Videoschutz“ bezeichnen. Durch Vergleiche mit einer Vielzahl anderer Variablen (von der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung bis zur damaligen Diskussion um das Drogenkonzept der Bielefelder Polizei) kann nicht nur gezeigt werden, dass die registrierte Kriminalität im Park sank, sondern dass die Reduktion auf die Kameraüberwachung – und bereits auf die Diskussion über diese – zurückzuführen ist. Die Analyse verschiedener Stadträume konnte keine nennenswerten räumlichen oder deliktischen Verdrängungen nachweisen. In verschiedenen Umfragen zeigte sich durchgehend eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls. Die Überwachung führe zu einem „Zugewinn an Lebensqualität und individueller Freiheit“. Die Effizienzanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Kosten der Videoüberwachung sich sehr schnell amortisieren, wenn durch sie personalintensive Kontrollen kriminalitätsbelasteter Räume überflüssig werden.

Die kriminalpräventiven Wirkungen der Videoüberwachung müssen nach Ansicht der Autoren „strukturell und tätertypspezifisch“ differenziert werden. Delikte, die sich ungeplant situativ entwickelten, würden von der Überwachung nicht beeinflusst (im Ravenburger Park z.B. Körperverletzungen im Anschluss an Disko-Besuche), aber bei jenen Delikten, denen eine Abwägung der Risiken vorausgehe, sei der Rückgang eindeutig. Im überwachten Gebiet treffe dies insbesondere für die „Hart­drogenszene“ zu. Während ein Teil der „Weichdrogenszene“ (Freizeittrinker und Cannabis-Konsumenten) sich von den Kameras nahezu unbeeindruckt zeigten, seien Dealer und User harter Drogen vollständig aus dem Park verdrängt worden. Es habe sich in der Stadt kein neuer Schwerpunkt gebildet, vielmehr sei die Szene „atomisiert“ worden.

Was die Zersplitterung der Szene für eine gesundheitsorientierte Drogenpolitik bedeutet, und was sie jenseits der spezifischen Bedingungen in der ostwestfälischen Metropole bedeuten könnte, wird in der Untersuchung nicht thematisiert. Auch nach den gesellschaftlichen Folgen und nach der Frage, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der öffentliche Räume mit Überwachungstechnik kontrolliert werden, sucht man leider vergebens.

Aus dem Netz

www.statewatch.org

Die Homepage der in London erscheinenden Zeitschrift bietet einen einzigartigen Zugang zu den Fragen Innerer Sicherheits- und Justizpolitik in der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die – vollständig auf Englisch geführte – Site enthält sowohl eine Reihe von Serviceangeboten als auch eine Vielzahl von Nachrichten, Analysen und Dokumenten, die thematisch gruppiert, aber auch über eine Suchmaschine zugänglich sind. Nur ein kleiner Teil des gesamten Informationsangebotes ist kostenpflichtig. Zu den Service-Leistungen, die „statewatch“ anbietet, gehören:

  • Das Abonnement der monatlichen „Statewatch News Online“. Dieser kostenlose E-Mail-Dienst enthält Analysen, Kurzberichte und Hinweise auf die aktuelle Entwicklung im Bereich „justice und home affairs“ in der EU. Die Online-News sind regelmäßig mit Links auf die Originaldokumente versehen.
  • Der „Statewatch European Monitor“ und das „Statewatch Monitoring and Documentation Centre“ (SEMDOC). Über diesen kostenpflichtigen Dienst werden EU-Dokumente und umfänglichere Analysen zugänglich gemacht.

Das unmittelbare und generell kostenlose Informationsangebot der Homepage ist zu einigen Rubriken („observatories“) zusammengefasst, etwa: „Secret Europe“, „FOI“ (für: Freedom of Information), „SOS-Europe“ (für: Statwatch Observatory on Surveillance in Europe) oder die „Observatories on Civil Liberties in the EU“, zu denen gegenwärtig etwa die europäische Asylpolitik, die Telekommunikationsüberwachung, das Passagierdaten-Abkommen mit den USA oder Pläne und Maßnahmen gegen DemonstrantInnen gehören. Getreu dem Untertitel der Zeitschrift „monitoring the state and civil liberties“ finden sich zu diesen Beobachtungsstellen wiederum eine Vielzahl von Analysen, Hinweisen und Dokumenten, die nicht nur einen schnellen Überblick über die wichtigsten Inhalte zulassen, sondern auch die Lektüre der Dokumente im Original ermöglichen. Wer im Europa der Inneren Sicherheit auf dem Laufenden sein will, der sollte immer wieder www.statewatch.org anklicken und wenigstens die Online-Nachrichten abonnieren.

(sämtlich: Norbert Pütter)

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