SIS II vor dem Aus?

Am 30. Januar 2009 stellte der Bundestag die nationalen rechtlichen Weichen für die Einführung des Schengen-Informationssystems der zweiten Generation (SIS II). Zuvor hatte der Innenausschuss den Regierungsentwurf des SIS-II-Gesetz modifiziert und die Pflichten zur Benachrichtigung Betroffener nach einer Ausschreibung zur verdeckten Kontrolle an die Strafprozessordnung angepasst. Damit soll sichergestellt werden, dass von einer Benachrichtigung zukünftig nur abgesehen werden kann, wenn der Zweck der Ausschreibung damit gefährdet werden würde, und dass auf eine Benachrichtigung maximal 12 Monate ohne gerichtliche Zustimmung verzichtet werden darf. Unangetastet blieb allerdings die Öffnung des SIS für die Geheimdienste, die 2007 durch das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz ermächtigt wurden, Ausschreibungen zur verdeckten Kontrolle vorzunehmen.[1]

Indes wurden allerdings deutliche Zweifel an der Realisierbarkeit des SIS II laut. Nachdem ein Bericht der Europäischen Kommission an das Artikel 36-Komitee bereits Ende 2008 gravierende Mängel offenbart hatte, musste sich EU-Kommissar Jacques Barrot auf dem informellen Ratstreffen der Innen- und Justizminister am 15. Januar 2009 in Prag scharfe Kritik gefallen lassen, als er Verzögerungen einräumte.[2] Trotz der Lösung einiger technischer Probleme entsprächen bislang insbesondere die Datenkonsistenz zwischen dem zentralen SIS (C.SIS) und den nationalen Systemen (N.SIS), aber auch die Leistungsfähigkeit und Systemstabilität nicht den Anforderungen, so dass der Plan, das SIS II im September 2009 in Betrieb zu nehmen, sich nicht länger halten ließe.

Nachdem die Kommission angeblich bereits mehr als 70 Millionen Euro in das neue System investiert hat, machte die tschechische Ratspräsidentschaft Druck („business as usual is not an option“) und legte Anfang Februar einen Krisenplan vor, dessen Empfehlungen auf dem Ratstreffen vom 26./27. Februar 2009 in eine Entschließung gegossen wurden.[3] Danach gilt die Inbetriebnahme des SIS II weiterhin als „absolute Priorität“. Bis spätestens Mai sollen nun die Tests fortgesetzt und eine grundlegende Fehleranalyse durchgeführt werden. Parallel dazu will man als alternatives Szenario prüfen, ob sich das laufende SIS so weiterentwickeln lässt, dass auch die EU-Mitglieder Britannien, Irland, Zypern, Rumänien und Bulgarien (sowie das Nicht-Mitglied Liechtenstein) angeschlossen werden können und sich die geplante Speicherung biometrischer Merkmale umsetzen lässt, und mit welchen Kosten und Auswirkungen auf das Visa-Informationssystem und die bereits implementierten N.SIS II dies verbunden wäre. Abschließend über die Zukunft des SIS II entscheiden wollen die Innenminister dann auf ihrem nächsten Treffen am 4./5. Juni 2009.

Artikel
SDÜ
Fahndungszweck C.SIS

1.1.2006

C.SIS

1.1.2007

C.SIS

1.1.2008

C.SIS

1.1.2009

95 Festnahme 15.460 16.047 19.119 24.560
96 Einreiseverweigerung 751.954 752.338 696.419 746.994
97 Vermisste 39.011 42.500 47.501 48.559
98 Aufenthaltsermittlung 45.189 50.616 64.684 72.958
99 Beobachtung 31.013 33.275 31.577 34.247
  Personen gesamt 882.627 894.776 859.300 927.318
100 Banknoten 252.442 241.062 177.327 168.982
100 Blankodokumente 403.900 386.440 390.306 360.349
100 Schusswaffen 297.021 294.490 314.897 332.028
100 Ausweise 11.353.906 13.752.947 17.876.227 22.216.158
99/100 Kraftfahrzeuge 1.469.378 1.731.115 3.012.856 3.618.199
99/100 Wohnwagen 3.153 3.063 2.984
  Sachen gesamt 13.779.800 16.409.117 21.774.597 26.695.716

Quellen: Ratsdok. 5239/06 v. 12.1.2006, 6178/07 v. 13.2.2007, 5441/08 v. 30.1.2008 und 5764/09 v. 28.1.2009

Unverdrossen weiter läuft derweil das alte SIS, das mit mehr als 900.000 gespeicherten Personen und weit über 26 Millionen Sachen einen neuen Höchststand erreicht hat, wie die Anfang 2009 veröffentlichte Jahresstatistik zeigt. Nachdem die Zahl der zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Personen nach der Integration der neun osteuropäischen Beitrittsländer in den Schengen-Raum im September 2007 deutlich zurückgegangen war, ist mit knapp 750.000 nun fast wieder die Marke erreicht, die sie vor dem Update des SIS zum „SIS one4all“ hatte. Bemerkenswert ist, dass etwa ein Drittel aller Fahndungseinträge aus Italien stammt.[4]

Dabei scheint sich die gewachsene Zahl an Ausschreibungen und Fahndungstreffern für die SIRENE-Büros einiger Länder angesichts begrenzter Personalressourcen mittlerweile zu einem echten Problem zu entwickeln. So stieg die Zahl der „Treffer“ in 2008 gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent auf 122.115, während die Personalstärke der SIRENE-Büros in den 24 Schengen-Staaten mit 652 Beamten nahezu stagnierte. Angesichts der Arbeitsbelastung könnte somit selbst bei einer Lösung der technischen Probleme des SIS II die Migration der Daten in das neue System zur nächsten Hürde seiner Realisierung werden.[5]

(Eric Töpfer)

[1]      Regierungsentwurf: BT-Drs. 16/10816 v. 7.11.2008; Beschluss des Innenausschusses: BT-Drs. 16/11763 v. 28.1.2009
[2]     heise online v. 17.1.2009
[3]     Ratsdok. 6896/09 v. 25.2.2009
[4]     Ratsdok. 15934/08 v. 18.11.2008
[5]     Ratsdok. 5171/09 v. 19.2.2009