von Ben Hayes
Nach US-amerikanischem Vorbild investiert auch die EU Unsummen in die Erforschung neuer Sicherheitstechnologien. Davon profitiert vor allem die Rüstungsindustrie.
Nach dem 11. September 2001 unterzog die Bush-Regierung die Struktur der bundesstaatlichen Institutionen der USA einer radikalen Revision. Mit dem Department of Homeland Security (DHS) entstand ein Superministerium mit mächtigen nachgeordneten Behörden wie der neuen U.S. Customs and Border Protection. Gleichzeitig installierte die Administration eine „Drehtür“ zwischen ihren Entscheidungsträgern und der im Entstehen begriffenen Heimatschutzindustrie, die von Unternehmen dominiert wird, die zuvor von Rüstungsaufträgen des Pentagon profitiert hatten.[1] Sowohl Tom Ridge, Bushs erster Heimatschutzminister, als auch sein Nachfolger Micheal Chertoff gründeten nach dem Ende ihrer Amtszeit Beratungsfirmen (Ridge Global, Chertoff Group) und versuchen damit ein Stück des Sicherheitskuchens zu ergattern, dessen Volumen größer sein dürfte als die Umsätze von Hollywood und der Musikindustrie zusammen.[2]
Die Befürchtung, US-Multis könnten diesen lukrativen und – wie manche meinen – krisensicheren Markt[3] dominieren, war einer der Gründe, weswegen auch die EU ihre Liebe zur (heimischen) Sicherheitsindustrie entdeckte und damit den Prozess nachvollzog, der in den USA unter dem Stichwort des „Heimatschutzes“ begonnen hatte. Im Jahre 2003 berief die EU-Kommission eine „Group of Personalities“ (GoP) zur „Sicherheitsforschung“. Zu der Gruppe zählten einerseits die EU-Kommissare für Forschung und Informationsgesellschaft sowie für Außenbeziehungen und Handel (letztere als Beobachter), der Hohe Repräsentant für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik, Vertreter der NATO, der Western European Armaments Group (einer Unterorganisation der Westeuropäischen Union, WEU) und des EU-Militärkomitees. Beteiligt waren andererseits acht multinationale Unternehmen: fünf europäische Rüstungsfirmen, darunter die vier größten – EADS, BAE Systems, Thales und Finmeccanica – und die keineswegs kleine deutsche Diehl-Stiftung sowie die IT-Unternehmen Ericson, Indra und Siemens. Abgerundet wurde der illustre Kreis durch Vertreter von sieben Forschungseinrichtungen, u.a. der umstrittenen RAND Corporation.[4]
In ihrem Abschlussbericht[5] warnte die Gruppe davor, dass die europäische gegenüber der US-Industrie ins Hintertreffen gerate: Das jährliche Budget des DHS weise einen „signifikanten Anteil für Ausrüstung und etwa eine Milliarde Dollar für Forschung“ aus. Ein solches Ausmaß an Investitionen bedeute, dass die USA eine „Führungsrolle“ bei der Entwicklung von sicherheitsrelevanter „Technologie und Ausrüstung“ übernehmen werde. US-Technologie könnte damit „zukünftig Normen und operative Standards auf globaler Ebene setzen“, wodurch US-Unternehmen einen „starken Wettbewerbsvorteil“ erlangen würden. Die GoP empfahl daher der EU, die Sicherheitsforschung in vergleichbarem Maße zu fördern wie die USA, und schlug ein Fördervolumen von mindestens einer Milliarde Euro pro Jahr vor, um „die Lücke zwischen ziviler und herkömmlicher Rüstungsforschung“ zu schließen, die „Transformation von Technologien quer zu zivilen, sicherheitsrelevanten und militärischen Bereichen“ zu fördern und die „industrielle Wettbewerbsfähigkeit der EU“ zu stärken. Dies war die Geburtsstunde des EU-Sicherheitsforschungsprogramms (European Security Research Programme – ESRP).
Das ESRP selbst startete erst Ende 2007 als Teil des 7. Forschungsrahmensprogramms (FP7). Den Vorlauf bildete von 2004 bis 2006 eine „Preparatory Action for Security Research“ (PASR) im Umfang von 65 Mio. Euro.[6] Schon an diesem Programm waren Rüstungsunternehmen in starkem Maße beteiligt: Von den 39 PASR-Projekten wurden 23 von Unternehmen geleitet, die primär das Militär beliefern. Ein Drittel aller PASR-Projekte wurde koordiniert von Thales, EADS, Finmeccanica-Töchtern, SAGEM Défense Sécurité (einem Ableger der französischen SAFRAN Gruppe) oder der AeroSpace and Defence Industries Association of Europe (ASD), Europas größter Rüstungslobbygruppe. Hinsichtlich der Beteiligung an den Projekten kommt der Kreis der Großkonzerne der Militärindustrie, zu dem auch die britische BAE Systems gehört, gar auf einen Anteil von zwei Dritteln.
Das Sicherheitsforschungsprogramm der EU
Das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU (2007-2013) stellt jährlich 200 Mio. Euro für die Sicherheitsforschung und noch einmal die gleiche Summe für die Forschung zur Raumfahrttechnologie bereit. Von den 46 Forschungsprojekten, die im ersten Jahr des FP7 genehmigt wurden, werden 17 von Rüstungsunternehmen koordiniert. Darüber hinaus hat die EU zusätzliche Mittel für den Schutz kritischer Infrastrukturen, das so genannte Migrationsmanagement, die IT-Sicherheit und Antiterrorismusforschung bereitgestellt. „Sicherheitsforschung“ findet sich aber auch in anderen Themenfeldern des FP7: Nahrung, Energie, Transport, Informations- und Kommunikationstechnologien, Nanotechnologie oder Umwelt beinhalten unausweichlich z.B. Nahrungssicherheit, Energiesicherheit, Transportsicherheit usw. Rechnet man die nationalen Budgets für Sicherheitsforschung hinzu – mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten haben mittlerweile spezielle Programme aufgelegt –, summieren sich die Gesamtinvestitionen in Forschung und Entwicklung für „Homeland Security“ in Europa zu einem Betrag, der weitaus näher an der von der Group of Personalities geforderten Milliarde Euro liegt, als alle außen stehenden Beobachter geahnt hatten.
Kennzeichnend für das ESRP ist die fehlende Trennung zwischen Konzeption bzw. Entwicklung und Durchführung. Mit der Einrichtung von „Stakeholder Plattformen“, in denen Regierungsvertreter, „Sicherheitsexperten“ und Firmen, die Homeland-Security-Produkte vermarkten, über die Entwicklung des Programmes beraten, hat die EU die Formulierung der Sicherheitsforschungsagenda faktisch abgegeben: Sie lädt Konzerne und andere Privatinteressen dazu ein, die Ziele und jährlichen Themen des ESRP zu setzen, und ruft sie anschließend dazu auf, Forschungsprojekte zu beantragen[7] und sich für die Erarbeitung von High-Tech-Strategien für den „Heimatschutz“ in der EU fördern zu lassen.[8]
Das ESRP hat fünf zentrale „Mission Areas“: 1. Grenzsicherung, 2. Schutz vor Terrorismus und organisierter Kriminalität, 3. Schutz kritischer Infrastrukturen, 4. Krisenmanagement und 5. Integration und Interoperabilität. Für jeden dieser Bereiche ist die Forschungs- und Entwicklungsagenda überraschend ähnlich: Es geht um den Aufbau von Überwachungskapazitäten, die sich jeder denkbaren und auf dem Markt verfügbaren Technologie bedienen; es sollen Identitätskontrollen und Authentifizierungsprotokolle auf der Grundlage von biometrischen ID-Systemen entwickelt werden; es gilt, mehr oder weniger die ganze Bandbreite von Detektionstechnologien für das Durchleuchten an Kontrollpunkten einzusetzen werden; High-Tech-Kommunikationssysteme sollen der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden sämtliche verfügbaren Informationen an die Hand geben; es geht um Techniken des Profiling, Datamining und der Verhaltensmustererkennung zur Identifizierung verdächtiger Personen; es sollen schnelle Reaktionen auf drohende Gefahren und möglichst automatisierte Interventionen zu ihrer Neutralisierung ermöglicht werden. Und letztlich heißt es, dass all diese Systeme nahtlos ineinandergreifen müssen – voll interoperabel zu sein haben –, damit die Technik problemlos von einer Mission in die andere übertragen werden kann.
Full Spectrum Dominance
Beispiele sprechen für sich. Das 20 Mio. Euro schwere Projekt TALOS will ein „mobiles, modulares, skalierbares, autonomes und anpassungsfähiges System für den Schutz der europäischen Außengrenzen“ entwickeln und testen. Zum Einsatz sollen dabei sowohl unbemannte Luft- als auch Bodenfahrzeuge kommen, die von einem Command-and-Control-Zentrum aus gesteuert werden. Folgt man der Projektbeschreibung von TALOS, werden umgebaute Kampfroboter „angemessene Maßnahmen ergreifen, um illegale Handlungen zu unterbinden;“[9] die Aufgabe der Grenzschutzbeamten reduziert sich dabei darauf, das Funktionieren der Maschinen zu überwachen. Zu den Konsortialpartnern gehört auch der Rüstungsgigant Israel Aerospace Industries, dessen „operative Lösungen garantieren, dass Terroristen, Schmuggler, illegale Einwanderer und andere Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit rund um die Uhr schnell und akkurat entdeckt, lokalisiert und bekämpft werden“.[10]
Weitere 30 Mio. Euro fließen in Forschungs- und Entwicklungsprojekte für High-Tech-Grenzüberwachung: u.a. STABORSEC (Standards for Border Security Enhancement), das für nicht weniger als 20 Detektions-, Überwachungs- und Biometrietechnologien eine europaweite Standardisierung empfiehlt, das Projekt OPERAMAR zur „Interoperabilität der europäischen und nationalen Seegrenzenüberwachung“, das WIMA2-Projekt zur „großräumigen luftgestützten maritimen Überwachung“ sowie EFFISEC für „effiziente und integrierte Sicherheitskontrollpunkte für die Land-, Grenz- und Hafensicherheit“. Zu den Nutznießern gehören Sagem Défensé Sécurité, Thales und Selex, eine Finmeccanica-Tochter. Im Prinzip hat die EU damit die Entwicklung des geplanten Grenzüberwachungssystems EUROSUR in Auftrag gegeben.[11]
Auch die EU-Beschlüsse zur Sammlung und Speicherung von biometrischen Merkmalen werden von einer Anzahl von Sicherheitsforschungsprojekten unterstützt. Nachdem die Entscheidung für die obligatorische Speicherung von Fingerabdrücken in EU-Reisepässen und Visa gefallen ist, werden jene Firmen und Lobbygruppen mit der Umsetzung der Systeme zur biometrischen Verifizierung beauftragt, die zuvor vehement für die Vermarktung der Technik geworben hatten. Profiteur diverser Forschungsprojekte in diesem Kontext ist das European Biometric Forum, ein Dachverband von Anbietern, dessen „Leitbild“, die „Etablierung der Europäischen Union als Weltmarktführer in biometrischer Exzellenz ist, indem Vermarktungshindernisse beseitigt und die Marktfragmentierung bekämpft werden“.[12]
Große multinationale Konzerne spielen auch eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von GALILEO, dem alternativ zum US-amerikanischen GPS geplanten europäischen Satellitennavigationssystem, sowie bei KOPERNICUS, dem satellitengestützten Erdbeobachtungssystem. Wurde GALILEO ursprünglich als weltweit erstes ziviles Satellitennavigationssystem gefeiert, sind militärische Ziele inzwischen ins Zentrum seiner Entwicklung gerückt. Auch KOPERNICUS begann seine Laufbahn als Projekt „Global Monitoring Environmental Security“ (GMES), allerdings wurde seine Zielsetzung mittlerweile um polizeiliche und militärische Zwecke erweitert. Zu den wichtigsten Vertragsnehmern im Rahmen des EU-Programms zur Raumfahrtforschung gehören die beiden größten europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen EADS und Thales.
Zudem investiert die EU Gelder in ein Dutzend Projekte, die den Eindruck eines verdeckten Programms zur Einführung von „Drohnen“ (Unmanned Aerial Vehicles – UAVs) für militärische, polizeiliche und zivile Zwecke erwecken. Trotz der noch geltenden (luftfahrt-)rechtlichen Beschränkungen des Einsatzes und jenseits einer öffentlichen Diskussion über Sinn und Zweck ihrer Subventionierung finanziert die EU kräftig Forschung und Pilotstudien. Als führende Konsortialpartner mit an Bord sind Weltmarktführer für Kampfdrohnen wie Israel Aircraft Industries, Dassault Aviation, Thales, EADS und Boeing.
Selbstverständlich handelt es sich nicht bei allen Projekten, die im Rahmen des EU-Sicherheitsforschungsprogramms gefördert werden, um Unternehmungen solch martialischer und vermutlich kontroverser Natur. Aber selbst in Bereichen wie Krisenmanagement und Katastrophenschutz spielen häufig große Rüstungs- und IT-Unternehmen eine führende Rolle. Damit zeichnet sich ab, dass der radikale Umbau der Sicherheitslandschaft, wie ihn die USA erlebt haben, auch in der EU langsam an Fahrt gewinnt. Innerhalb Europas, aber auch im transatlantischen Vergleich konvergieren die Strategien nationaler Sicherheit: Sowohl in Großbritannien, Deutschland oder Frankreich als auch in den USA gehören „Interoperabilität“ und eine neue „Public-Private-Partnership“ sowie ein ausuferndes Verständnis von „Bedrohungen“ zum Kanon der Versicherheitlichung.
Richten wir die Waffen auf uns selbst?
Angetrieben von der neuen Politik der Angst und Verunsicherung, sind die ökonomischen Interessen an der Vermarktung von Sicherheitstechnologie und die nationalen Sicherheitsinteressen auf EU-Ebene eine Symbiose eingegangen. Jenseits einer glaubwürdigen demokratischen Kontrolle fördert das Sicherheitsforschungsprogramm der EU die Entwicklung einer Bandbreite von Technologien, die implizit die Wünsche der staatlichen Exekutiven gegenüber den Rechten der BürgerInnen favorisieren und damit die systematische Verletzung von Grundrechten in Kauf nimmt. Die geplanten Systeme beinhalten Überwachungs- und Profilingtechnologien, basierend auf der offensichtlich unersättlichen Sehnsucht nach der Sammlung und Analyse von personenbezogenen Daten für polizeiliche Zwecke; sie beinhalten automatisierte Zielerfassung sowie satellitenbasierte Überwachung. Sie werden angepriesen als allgegenwärtig und umfassend einsetzbar, von der Gefahrenabwehr über die Strafverfolgung bis zum Umweltmonitoring und der Erdbeobachtung, von der Grenzkontrolle über Crowd Control bis zum Verkehrsmanagement und der Fischereiaufsicht.
Die europäische Sicherheitsforschung ist der Katalysator für eine Sicherheitspolitik, die sich an einer High-Tech-Blaupause orientiert: Angestrebt wird eine Welt aus roten und grünen Zonen, militarisierten Außengrenzen und einem internen Netzwerk von Kontrollpunkten, eine Welt von öffentlichen Räumen, Mikrostaaten und Megaevents, die durch High-Tech-Überwachungssysteme und schnelle Eingreiftruppen poliziert werden. Es geht nicht länger um den „Schlafwandel“ oder das „Aufwachen“ in einer „Überwachungsgesellschaft“, vor dem der britische Datenschutzbeauftragte gewarnt hat, sondern um die Blindheit gegenüber dem Auftakt zu einem neuen Rüstungswettlauf, bei dem wir alle verfügbaren Waffen auf uns selbst richten.