Im In- und Ausland stieß der Vorwurf gegen Andrej H. auf Protest. Weil er Zugang zu Bibliotheken habe, in seinen Veröffentlichungen Worte wie „Gentrifizierung“ benutze und sich konspirativ verhalte, geriet der Berliner Stadtsoziologe spätestens im Sommer 2006 ins Visier des Bundeskriminalamts (BKA). Mithin galt er als mutmaßliches Mitglied der „militanten gruppe“, die sich – inzwischen aufgelöst – seit Mitte 2001 zu etwa 27 Anschlägen vor allem im Berliner Raum bekannte.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte schon im August 2007 entschieden, dass Andrej H. wegen „bloßer Vermutungen“ nach seiner Festnahme am 31. Juli 2007 für drei Wochen in Untersuchungshaft saß. Die vorgelegten Beweise bestätigen nur „in hinreichender Weise“ seine politische Einstellung, seine Einbindung in die linke Szene und eine Mitarbeit an der Zeitschrift „radikal“. Konsequenterweise hob der BGH den Haftbefehl auf. Das Ermittlungsverfahren gegen H. lief aber weiter.
Obwohl es nie einen hinreichenden Tatverdacht gab, ließ sich die Bundesanwaltschaft vier Jahre Zeit mit der Einstellung. Vier Jahre, in denen H.’s Telefon weiter überwacht, seine E-Mails mitgelesen, sein Umfeld ausgeforscht und er selbst observiert wurde. In der Einstellungsverfügung, datiert auf den 5. Juli 2010, heißt es lapidar, dass die Kontakte von Andrej H. und die bei ihm gefundenen Unterlagen auch in anderen, nicht strafrechtlichen Sachzusammenhängen stehen könnten. In der Gesamtschau reichten die Indizien nicht aus, „um eine mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten in der ‚militanten gruppe (mg)‘, eine strafbare Unterstützung der Gruppe oder eine Beteiligung des Beschuldigten an einzelnen Anschlägen, sei es auch nur im Grad einer geistigen Urheberschaft, in einem für eine Anklageerhebung hinreichenden Maße sicher zu erheben.“ Soweit war der BGH vor vier Jahren auch schon.
Die längst überfällige Einstellung zeigt erneut, dass die Ermittlungen gegen die mg mit heißer Nadel gestrickt waren: Inzwischen sind von den einstmals bekannten zwölf mg-Verfahren neun eingestellt und davon vier nachträglich vom BGH als rechtswidrig eingestuft worden.
(Martin Beck)