Aktionismus statt Aufklärung – Der neue staatliche „Kampf gegen Rechts“

von Heiner Busch

Die Ämter für Verfassungsschutz hatten maßgeblichen Anteil daran, dass das „Terror-Trio“, das sich selbst „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte, 1998 abtauchen konnte und bis zum November 2011 unentdeckt blieb. Für ihr Versagen werden sie nun mit dem Ausbau ihrer Macht belohnt.

Neun Gewerbetreibende türkischer bzw. griechischer Herkunft, die zwischen 2000 und 2006 regelrecht hingerichtet wurden; eine getötete Polizistin und ihr Kollege, der bei dem Anschlag in Heilbronn 2007 nur knapp mit dem Leben davon kam; zwei Bombenanschläge 2001 und 2004 in Köln mit vielen Verletzten; vierzehn Überfälle auf Banken und Sparkassen – das ist die Bilanz der Straftaten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, die sich seit dem 4. November, seit dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihrem Wohnmobil in Eisenach und seit dem von Beate Zschäpe gelegten Brand in der gemeinsamen Wohnung in Zwickau herauskristallisiert hat.

„Dieser Vorgang ist objektiv betrachtet eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden“, erklärte Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), am 21. November 2011 vor dem Innenausschuss des Bundestages. Er empfinde das auch persönlich so. Es lohne sich darüber „nachzugrübeln und nachzudenken“. Und weiter: „Wir haben allen Anlass sozusagen in uns zu gehen und sehr schnell – sehr schnell – etwas zu tun, damit sich etwas verbessert. Das geht auch. Der Minister hat einige Dinge angesprochen …“[1]

Wie schafft man es, innerhalb eines einzigen Satzes vom „Nachgrübeln“ und „In-sich-gehen“ in hektischen politischen Aktionismus zu verfallen? Die deutschen „Sicherheitsbehörden“ und „Sicherheitspolitiker“ machen es derzeit vor. Seit Anfang November warten die Medien tagtäglich mit neuen Details und Vermutungen über das „Trio“ auf, über das Netzwerk von Neonazis, das die drei umgab, darüber wie sie trotz intensiver „Beobachtung“ durch den Verfassungsschutz 1998 verschwinden konnten, und warum die Fahndung nach ihnen ergebnislos verlief. Bis zu fünfhundert Polizisten aus dem Bundeskriminalamt (BKA) und den Ländern sind derzeit mit den Ermittlungen befasst. Die strafrechtliche Aufklärung ist noch längst nicht abgeschlossen und die politische, die sich vor allem die Rolle besagter Behörden vornehmen müsste, hat noch gar nicht richtig angefangen. In Thüringen hat eben erst eine Kommission unter dem ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer ihre Arbeit aufgenommen und wird erst in einigen Monaten ihren Bericht vorlegen, der – so ist zu befürchten – nur zum Teil der Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Auf Bundesebene wird noch gestritten, ob es denn nun einen Untersuchungsausschuss geben oder ob das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium einen Sonderermittler hinzuziehen soll.

Dennoch präsentierte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am 21. November vor dem Innenausschuss eine ganze Serie von Maßnahmen, die er möglichst schnell über die Bühne bringen will. Sie reichen von der Zentralisierung der Arbeit der Verfassungsschützer über die Verlängerung von Datenspeicherfristen bis hin zum Aufbau eines „Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechts“ und einer „Verbunddatei“, an denen Polizeien und Geheimdienste aus Bund und Ländern beteiligt werden sollen. Nachdem (leider nicht nur) die etablierten Parteien und die Landesinnenminister sich weitgehend einig sind, dass sie einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot nehmen wollen, scheint auch Friedrich seine anfänglichen Bedenken aufzugeben. Eine generelle „Abschaltung“ von V-Leuten hingegen kommt weder für die zuständigen Politiker noch die Chefs der Geheimdienste in Frage.

Dunkelmänner als Lichtgestalten?

Dass der Verfassungsschutz V-Leute – „Quellen“ – brauche, sei gar keine Frage, erklärte der Präsident des Thüringer Landesamtes (LfV), Thomas Sippel, vor dem Innenausschuss. „Er braucht qualitativ gute Quellen, um diese Szene überhaupt penetrieren zu können und Ermittlungsansätze zu finden.“ Das ist die Version, die die Ämter seit Jahrzehnten zum Besten geben – trotz der vielen Skandale, die ihre „Quellen“ (nicht nur, aber) insbesondere aus der rechten Szene produzieren. Denn sie haben dem Inlandsgeheimdienst nicht nur Zugang zu Informationen von zweifelhafter Qualität eröffnet, sie blieben in aller Regel ihrem rassistischen Gedankengut und ihren Organisationen treu. Die Verfassungsschützer sahen aus Gründen des Quellenschutzes oft genug über Straftaten ihrer Schützlinge hinweg. Das gilt nicht nur für Thüringen, wo Sippels Amtsvorgänger Helmut Roewer in den 90er Jahren bis zu 800 000 DM jährlich in V-Mann-Honorare investierte.[2] Entsprechende Fälle sind aus den westlichen Bundesländern schon seit den 70er Jahren belegt.[3]

Nur mit Kopfschütteln jedoch kann man Sippels Auffassung quittieren, dass sich gerade im Falle des Trios Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die Wichtigkeit und die positive Rolle der „Quellen“ gezeigt habe. Seit Mitte der 90er Jahre hatte das Thüringer LfV die drei unter Beobachtung. Von 1995 datiert der Eintrag über sie im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) des Verfassungsschutzes. Das „Trio“ bildete mit einigen anderen Neonazis die Jenaer Sektion des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), in dem das LfV laut Sippel „eine Quelle an exponierter Stelle“ hatte. Es handelt sich um den ebenfalls aus Jena stammenden Tino Brandt, alias Otto, der in der Tat die Führungsfigur des THS war und es danach zum stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden brachte. Von 1994 bis zu seiner Enttarnung 2001 stand der Neonazi in Diensten des LfV und soll dafür insgesamt rund 200 000 DM kassiert haben, die er nach eigenen Angaben in den Aufbau des THS investierte. „Otto“ hat praktisch die gesamte „Karriere“ des Trios bis zu seinem Abtauchen Anfang 1998 aus nächster Nähe verfolgt, hatte aber offensichtlich auch danach mit ihnen Kontakt. Wie Andreas Förster mehrfach in der Berliner Zeitung berichtet hat, habe sich Brandt bis ins Jahr 2000 mehrmals mit den Untergetauchten getroffen und davon auch seinem V-Mann-Führer im LfV berichtet.[4]

LfV-Chef Sippel brüstet sich damit, dass sein Amt auch „zum Aufspüren des Unterschlupfs des Trios“ V-Leute eingesetzt habe. Die lieferten aber nicht nur zutreffende Hinweise auf einen Aufenthaltsort in Sachsen, sondern lenkten sowohl das LfV selbst, als auch die Zielfahnder der Polizei auf falsche Fährten. „Mal hieß es, das Trio setzte sich nach Südafrika ab, … dann hieß es, sie seien auf Kreta tot aufgefunden worden“, so Sippel. Auch von Ungarn sei die Rede gewesen, berichtete BKA-Präsident Jörg Ziercke. Das alles seien „möglicherweise bewusst fehlgeleitete Informationen“ gewesen, Aber auch die richtigen führten zu keinem Ergebnis.

Die vielen „Pannen“, die sich in diesem Fallkomplex Stück um Stück offenbaren, sind nach Ansicht der Sicherheitsbehörden und -politiker vor allem darauf zurückzuführen, dass wichtige Daten wegen der gesetzlichen Fristen zu früh gelöscht wurden und dass die Übermittlung und Koordinierung zwischen den zwischen den Verfassungsschutzämtern selbst und zur Polizei nicht funktioniert habe. Die Antwort müsse deshalb eine längere Speicherungsdauer und eine verbesserte „Sicherheitsarchitektur“ sein. Die Rezepte orientieren sich dabei im Wesentlichen an dem, was zuvor gegen den „Islamismus“ und den „islamistischen Terrorismus“ vorexerziert wurde.

Speicherungsfristen verlängern?

Dass bei so viel Handlungsbereitschaft vergessen wird, was ohnehin bereits in den Gesetzen steht, zeigt sich bei der Debatte um die Löschungsfristen sehr deutlich. Das Bundesverfassungsschutzgesetz sieht in der Tat eine Regellöschung nach zehn Jahren vor. Bereits nach fünf Jahren Speicherung soll geprüft werden, ob die Daten noch erforderlich sind. Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom Januar 2002 war für den „Ausländerextremismus“ und die „Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker“ – sprich: Islamismus – eine Speicherungsdauer von fünfzehn Jahren eingeführt worden.

Glaubt man Friedrich und Co. muss dies nun auch für den Rechtsextremismus passieren, damit die Daten aus den späten 90er Jahren nicht verloren gehen. Im Falle Holger Gerlach, der mittlerweile als Helfer des Trios beschuldigt ist und verhaftet wurde, ist das schon geschehen. „Gerlach wurde von den Verfassungsschutzbehörden zum Zeitpunkt der Abfrage am 11. November dieses Jahres nicht als Extremist in den elektronischen Dateien geführt.“ Das sagte Hans-Werner Wargel, Präsident des niedersächsischen LfV in der Innenausschusssitzung vom 21. November. Über Gerlach gibt es heute also weder einen NADIS-Eintrag noch einen in den Amtsdateien des LfV. Erst durch die mühsame Suche seiner Mitarbeiter in den nicht-personenbezogenen Sachakten, so Wargel, habe Gerlachs Datenkarriere beim LfV Niedersachsen rekonstruiert werden können.

Demnach ist der Mann erstmals 1999 bei der Hochzeitsfeier von Thorsten Heise, einer zentralen Figur der verbotenen FAP, in Erscheinung getreten und bei dieser Gelegenheit auch in den elektronischen Dateien erfasst worden. Bis 2004 tauchte Gerlach immer wieder auf Neonazi-Demos und -konzerten, bei Auseinandersetzungen mit der Polizei u.ä. auf.

Dass er aus den elektronischen Dateien gelöscht wurde, hat aber nichts mit dem Gesetz zu tun. Denn die Löschungsfristen beginnen nicht ab dem ersten, sondern jeweils ab „dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information“ zu laufen. Im Falle Gerlach hieße das, dass eine Löschung frühestens 2014 bevorgestanden hätte.

Dass die Verfassungsschützer in anderen Fällen die Bestimmungen sehr wohl zu handhaben wissen, haben sie oft genug demonstriert. Zum Beispiel im Falle des Publizisten, Juristen und zeitweiligen Präsidenten der Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, dessen Eintrag in NADIS („linksextremistisch beeinflusst“) über Jahrzehnte hinweg erhalten blieb, schlicht und einfach deswegen, weil mit jedem von ihm publizierten und vom Verfassungsschutz zu den Akten genommenen Aufsatz oder Buch die Frist erneut zu laufen begann.

Bleibt zu ergänzen, dass eine längere Speicherungsdauer in § 12 des Gesetzes nicht nur die rechten „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO), sondern natürlich auch die linken betreffen würde.

Wolkenkratzer in Schnellbauweise

Debatten über eine „neue Sicherheitsarchitektur“ hat es seit dem 11. September 2001 am laufenden Band gegeben. Insgesamt ging es dabei um eine Stärkung der zentralen polizeilichen und geheimdienstlichen Institutionen und eine noch engere Zusammenarbeit von Polizei, Zoll, Diensten und sogar dem Militär. Schon die 1990 verabschiedeten Geheimdienstgesetze sahen umfassende Vorschriften hinsichtlich der Übermittlung von Daten zwischen Polizei und Diensten vor. Das Trennungsgebot zwischen der mit exekutiven Befugnissen ausgestatteten Polizei und den geheimen Diensten wird längst nur noch als Aufforderung verstanden, über die organisatorische Trennung hinweg umso fester zusammenzuarbeiten. Dass dabei die Frage der Kontrolle und Kontrollierbarkeit keine Rolle spielte, und erst recht nicht die Tatsache, dass geheime Dienste immer einen Fremdkörper in einer Demokratie darstellen – das ist schon fast selbstverständlich. In Sachen „Rechtsextremismus“ und „Rechtsterrorismus“ wiederholen sich nun sowohl die Debatten als auch die Lösungen, die bereits in Sachen „internationaler Terrorismus“ vorexerziert wurden.

Friedrichs Vorschläge beziehen sich zum einen auf den Verfassungsschutz selbst. Bereits entschieden hat der Bundesinnenminister erstens, dass das BfV wieder eine eigenständige Abteilung Rechtsextremismus erhält, „um sich dort mit diesem Thema intensiv zu beschäftigen.“ Im Zuge der Konzentration auf den „Islamismus und islamistischen Terrorismus“ hatte das BfV in den Nullerjahren seine Abteilungen „Rechts“- und „Linksextremismus“ zusammengelegt. Ob mit der eigenständigen Abteilung auch ein Zuwachs an Personal verbunden ist, und was das für den „Linksextremismus“ bedeutet, der damit ebenfalls eine eigenständige Abteilung erhält – zu diesen Fragen äußert man sich nicht.

Zweitens soll die Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder (IMK) eine Änderung der „Koordinierungsrichtlinie“ beschließen. Das BfV soll dadurch – wie Friedrich vor dem Innenausschuss sagte – „auch eine klare Federführung in der Frage des Rechtsextremismus“ erhalten. Im Bereich des „Islamismus“ hat das Amt diese zentralistische Rolle bereits seit 2004. Nach dem Anschlag in Madrid hatte die IMK in Windeseile die Richtlinie geändert. Man wartete nicht einmal bis zur nächsten Sitzung, sondern fällte den Beschluss im „Umlaufverfahren“.[5] Das BfV hat das Sagen bei der Festlegung von Beobachtungsschwerpunkten, es wertet auch die „Erkenntnisse“ zentral aus. Es erhält – so Friedrich – nicht nur die „subjektiven Bewertungen der Landesämter“, sondern kann auch die Rohberichte der von ihnen geführten V-Leute anfordern.

Der Justizministerin wäre ein radikalerer Eingriff in den geheimdienstlichen Föderalismus lieber gewesen. Anstelle der heute sechzehn Landesämter wollte sie nur noch drei oder vier regionale, die dann notwendigerweise zu Filialen des BfV würden.[6] Die Liberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger knüpfte damit bezeichnenderweise an eine Idee des sozialdemokratischen Hardliners Otto Schily vom Mai 2004 an. Wie denn das ohnehin untaugliche und überforderte Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages das Wuseln der Ämter und ihrer V-Leute vor Ort kontrollieren sollte – diese Frage haben weder die Liberale noch der Sozi gestellt.[7]

Der zweite Teil der Vorschläge des Innenministers bezieht sich auf die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Nach dem Vorbild des Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrums (GTAZ) in Berlin soll nun auch ein Gemeinsames Abwehrzentrum – Rechts (GAZ-R) in Meckenheim, am Sitz der BKA-Staatsschutzabteilung, entstehen, „in dem die Informationen des Bundeskriminalamts und des Bundesamtes für Verfassungsschutz zusammenlaufen und eine laufende Lagebewertung über die Gefahren und die Gefährdungsbewegungen im Bereich Rechtsextremismus vorgenommen wird.“ BKA und BfV sollen den Anfang machen. Das – so Friedrich – „ist so entschieden und auch klar“. Die Länder sollten sich mit ihren Kriminal- und Verfassungsschutzämtern beteiligen. Ähnlich wie beim GTAZ wird auch für das neue Zentrum eine eigene gesetzliche Grundlage nicht für nötig erachtet. Es wird nicht als eigene Behörde angesehen, sondern soll sich der unter anderem im Bundesverfassungsschutzgesetz enthaltenen Übermittlungsvorschriften als juristische Krücke bedienen.

Eine formelle gesetzliche Grundlage braucht es jedoch für die „Verbunddatei“, die der „Anti-Terrordatei“ nachgebildet sein soll. Ob dafür das BKA- und das Verfassungsschutzgesetz oder das „Gemeinsame Dateiengesetz“ ergänzt wird, ist dem Minister offenbar herzlich egal. Fest steht für ihn jedoch: „Wir müssen weitergehen, als nur Terrorverdächtige einzubeziehen.“ Die neue Datenbank soll „die Vielzahl der Dateien, die es in Bund und Ländern gibt – über Neonazis, über Extremisten, über rechtsgerichtete Gewalttäter im Bereich des Fussballs – zusammenführen, um sozusagen eine Gefährdungsbewertung der Einzelnen in sehr breitem Maße vornehmen zu können.“ Dass eine solche massenhafte Speicherung von Daten wirklich zu Ermittlungserfolgen führt, dass sie es gar ermöglichen könnte, „Gefährder“ zielgenau herauszufiltern, bevor sie gewalttätig werden, das darf doch sehr bezweifelt werden.

Mit dem GTAZ und dem GAZ-R, mit der Anti-Terror- und der Verbunddatei-Rechts sind wesentliche Bereiche der polit-polizeilichen und geheimdienstlichen Datensammlung und -auswertung zusammengekoppelt. Von daher scheint es nur noch eine Frage der Zeit und des tauglichen Aufhängers, bis dieses Panorama mit einem GAZ-Links und einer entsprechenden Datei komplettiert wird.

Nebelkerze NPD-Verbot

Mit der Ankündigung eines neuerlichen NPD-Verbotsantrags verkommt der neue staatliche Kampf gegen Rechts vollends zur symbolischen Politik. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2003 die Aktendeckel des damaligen Verbotsverfahrens zugeknallt hatte, schien ein solcher Antrag aussichtslos. Schließlich tummeln sich nach wie vor mehr als 130 V-Leute in den Reihen der Partei und wohl auch in ihren Vorständen.[8] Auf die wollte und will man aber nicht verzichten.

Nachdem der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben als Helfer des „Terror-Trios“ verhaftet wurde, scheint dies kein Hindernis mehr darzustellen, denn das Gericht hatte 2003 eine Lücke gelassen: Eine Partei, die Gewalttaten fördere, könne zur „Abwehr akuter Gefahren“ verboten werden – auch wenn sie bis zur Halskrause voll von V-Leuten steckt.

Dennoch wird gerade an diesem Punkt die Absurdität des NPD-Verbots sichtbar. Dieses ist nämlich erstens absehbar ineffizient: Die gewalttätige Neonazi-Szene hat in den vergangenen Jahrzehnten eine ungeheure organisatorische Flexibilität an den Tag gelegt. Vereinsrechtliche Verbote gab es zu Hauf schon seit den 80er Jahren – von der Wehrsportgruppe Hofmann über die ANS des Michael Kühnen und die FAP bis hin zu Blood & Honour und den diversen lokalen Neonazi-Vereinen. Erst diese Verbote haben die NPD für die Neonazi-Szene wirklich attraktiv gemacht, was aber keineswegs dazu führte, dass die Kameradschaften u.ä. verschwunden wären. Wer meint, ein NPD-Verbot würde dies bewirken, hat sich schon jetzt getäuscht. Umso weniger wird ein solches Verbot die in großen Teilen der Bevölkerung vorhandene rassistische Ideologie beseitigen – eine Ideologie, die durch die offizielle Ausländer-(raus-)Politik ständig genährt wird. Das NPD-Verbot ist in der Tat eine politische „Nebelkerze“, wie die Beratungsstellen für die Opfer rechter Gewalt zu Recht klargestellt haben.[9]

Zweitens sind Parteienverbote keine Strafverfolgung. Selbst wenn es gelänge, einen Zusammenhang zwischen den Gewalttaten des Trios und einzelnen NPD-Leuten herzustellen, muss sich der Antrag auf die – ideologische – Frage beziehen, ob die Partei „darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“. Wie Helmut Ridder in seinem Kommentar zu Art. 21 des Grundgesetzes festhielt: „Verfassungswidrigkeit ist eine politische Qualität, Rechtswidrigkeit eine rechtliche.“[10] Wie schon der Verbotsantrag von 2002 wird sich auch ein neuer unter anderem damit befassen, dass die NPD antiparlamentarisch ist, dass sie das Mehrparteien- und das Rechtssystem verhöhnt, etc.

Der Verfassungsschutz wird erneut die Materialsammlung zusammentragen. Die fdGO, die ideologische Grundlage seiner Tätigkeit, wird in hellem Licht erstrahlen (und bei der nächsten Gelegenheit wieder den „Linksextremisten“ um die Ohren gehauen werden).

Statt eines schnellen und scheinbar „entschlossenen“ staatlichen Kampfes gegen Rechts, der in gefährlichen neuen Institutionen und Datenbanken mündet, ansonsten aber symbolisch bleibt, muss eine ernsthafte strafrechtliche und politische Aufklärung und Offenlegung erfolgen. Nur dann lässt sich die Bedeutung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ inmitten all der rechten Gewalt der letzten beiden Jahrzehnte ermessen. Nur dann besteht auch die Chance, die Rolle des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute an diesem „Vorgang“ zu erkennen. Dass die politische Auseinandersetzung mit nationalistischen und rassistischen Ideologien nicht dieser staatlichen Geheimloge überlassen werden kann, steht ohnehin fest.

Heiner Busch, Bern, ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP, Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie.
[1] BT-Innenausschuss, 58. Sitzung v. 21.11.2011
[2] Berliner Zeitung v. 14.11.2011
[3] siehe u.a. Scheub, U.; Becker, W.: Verfassungsschutz in der Neonazi-Szene, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 17 (1/1984), S. 57-65
[4] Berliner Zeitung u.a. v. 15.11.2011
[5] Tagesspiegel v. 3.6.2004
[6] s. ihr Interview mit der Süddeutschen Zeitung v. 18.11.2011
[7] zur damaligen Debatte: Busch, H.: Staatsschützerische Großbaustelle, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 78 (2/2004), S. 14-28
[8] Spiegel online v. 11.12.2011
[9] s. den Aufruf in der taz v. 21.11.2011 oder unter www.opferperspektive.de
[10] Ridder, H.: Kommentar zu Art. 21 GG, in Denninger, E. u.a. (Hg.): Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Neuwied, Darmstadt 1984, S. 1432 (Rn. 13)

Bibliographische Angaben: Busch, Heiner: Aktionismus statt Aufklärung. Der neue staatliche „Kampf gegen Rechts“, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 99 (2/2011), S. 41-49

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