Im Sommer 2014 ist die deutsche Abschiebungshaftpraxis binnen weniger Wochen höchstrichterlich für nahezu vollständig rechtswidrig erklärt worden. Am 26. Juni 2014 stellte der Bundesgerichtshof (BGH) klar, dass die Abschiebehaft in Dublin-Verfahren, wonach dasjenige EU-Land für das Asylverfahren zuständig ist, welches Flüchtlinge zuerst betreten haben, überwiegend rechtswidrig ist.[1] Rund Dreiviertel aller Inhaftierten mussten freigelassen werden, weil ein EU-rechtskonformer Haftgrund fehlte. Am 17. Juli 2014 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen in normalen Justizvollzugsanstalten gemeinsam mit Strafhäftlingen rechtswidrig ist.[2] Betroffen waren insgesamt neun Länder, die keine eigenen Abschiebehaftanstalten unterhalten, u.a. Nordrhein-Westfalen (NRW), Hessen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.[3]
Der NRW-Innenminister und der Berliner Innenstaatssekretär vereinbarten daraufhin, dass Berlin die 21 in Abschiebehaft verbliebenen Flüchtlinge aus NRW aufnimmt. Darüber hinaus übernahm Berlin in Amtshilfe acht Flüchtlinge aus Sachsen-Anhalt. Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland fragten in Berlin an, Hessen signalisierte Interesse. Dem Berliner Senat kam dies sehr gelegen. Denn der Berliner Abschiebeknast, ein marodes ehemaliges DDR-Frauengefängnis, steht seit vielen Jahren nicht nur in der Kritik von Flüchtlingsinitiativen, sondern auch des Landesrechnungshofs, der die immensen Kosten von rund einer Million Euro pro Monat bemängelte.[4]
Doch die exzessive deutsche Abschiebepraxis wird mit den Urteilen wohl nur vorübergehend eingeschränkt. Ein aktueller Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium sieht vor, dass die vom BGH für rechtswidrig erklärte Haft für Personen in Dublin-Verfahren nicht nur aufrecht erhalten, sondern sogar ausgeweitet werden soll.[5]
(Christian Schröder)
[1] BGH: Beschluss v. 26.6.2014, Az.: V ZB 31/14
[2] EuGH: Urteil v. 17.7.2014, Az.: C-473/13 und C-514/13
[3] taz v. 23.7.2014
[4] Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 17/10960 (Antwort des Senats v. 14.11.2012 auf eine Kleine Anfrage der SPD)
[5] www.ggua.de/fileadmin/downloads/gesetze/140407_Referentenentwurf_Gesetz_ Neubestimmung_Bleiberecht_Aufenthaltsbeendigung-1.pdf