Polizei und Soziale Arbeit – zwei Welten scheinen aufeinander zu stoßen: Kontrolle und Repression auf der einen, Hilfe und Unterstützung auf der anderen Seite. Glaubt man dem herrschenden Sicherheitsdiskurs, dann haben beide so viel gemeinsam, dass es keine Alternative zur engen Zusammenarbeit gibt.
Seit vier Jahrzehnten wird über die Beziehungen zwischen Polizei und Sozialer Arbeit in der Bundesrepublik gestritten. Aber kaum war der Streit entbrannt, da wurde bereits verkündet, es gehe nicht mehr um das „Ob“, sondern nur um das „Wie“ der Zusammenarbeit.[1] Bald bildete sich ein Kanon jener Merkmale heraus, wie sich beide Seiten begegnen müssten: „grundsätzliche Akzeptanz der jeweiligen Berufsgruppe“,[2] „gleichberechtigte Partner“,[3] „gleichberechtigte Kooperation“,[4] „gegenseitige Anerkennung“[5], „ein klares Rollenverständnis und die gegenseitige Akzeptanz der unterschiedlichen Professionen“[6] etc. Ein gleichberechtigtes Verhältnis – so der Konsens – muss die Basis jeder Zusammenarbeit bilden. Inwieweit dieser Anspruch in den mittlerweile entstandenen Arbeitsbeziehungen umgesetzt wird, darf seiner gebetsmühlenartigen Wiederholung zum Trotz bezweifelt werden.
Die Eigenständigkeit jeder Seite zu beteuern, steht am Anfang aller Kooperationsforderungen. Diese zu ignorieren, würde jedes Bestreben um – wie auch immer geartete – Zusammenarbeit unmöglich machen. Denn auf den ersten Blick sind die Unterschiede offenkundig:
Idealtypische Gegenüberstellung von Polizei und Sozialarbeit[7]
Polizei | Soziale Arbeit | |
Verwaltungstyp | Eingriffsverwaltung | Leistungsverwaltung |
Rechtsgrundlage | Strafprozessordnung; Polizeirecht |
Sozialgesetzbücher |
Bedeutung des Rechts | Befugnis zu Eingriffen | Leistungsanspruch |
bedeutendes Prinzip | Legalitätsprinzip | Unterstützungsprinzip |
Instrumente | Zwang(sdrohung) | Angebote/Freiwilligkeit |
Sanktionen | negative | positive |
Perspektive | mit Handlungen verbundene Risiken; Verantwortlichkeit zuschreiben | Chancen für Individuen eröffnen; Persönlichkeit entwickeln |
basales Paradigma | Störung | Hilfe und Förderung |
Dauer | schnelle Intervention | langfristige Arbeit |
Ziel | rechtstreues Verhalten | soziale Integration |
zu AdressatInnen | Distanz: Verdächtige/StörerInnen | Vertrauen |
Diese vielfältigen Unterschiede werden in der allgemeinen Diskussion auf zwei Gegensatzpaare verkürzt: Kontrolle versus Hilfe und Legalitätsprinzip (die Pflicht zur Strafverfolgung) versus Vertrauensschutz den KlientInnen gegenüber.
Angesichts dieser Unterschiede ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass beiden Seiten „unterschiedliche, zum Teil inkompatible Funktionen, Aufgaben, Handlungslogiken und professionelle Selbstverständnisse zugrunde liegen“, aus denen „Grenzen der Kooperation und der Gemeinsamkeiten“ resultierten.[8]
Überschneidungen
Wenngleich niemand diese strukturellen Differenzen im Grundsatz in Zweifel zieht, so werden regelmäßig zwei Gründe angeführt, die eine Kooperation förmlich erzwingen. Der erste bezieht sich darauf, dass Polizei und Sozialarbeit häufig mit denselben Personen, denselben sozialen Milieus, denselben sozialen Problemen beschäftigt sind: Gewalt gegen Kinder ruft sowohl eine strafrechtliche Reaktion als auch eine nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz hervor; der Umgang mit illegalen Drogen ist ein polizeiliches und ein sozial-/gesundheitspolitisches Problem; häusliche Gewalt, Obdachlosigkeit, Jugendgruppen, Rechtsextreme etc.. Kurz: Es gibt „immer mehr Ziel- und Problemgruppen, denen sich Polizei und Sozialarbeit gleichermaßen zuwenden.“[9]
Der zweite Grund bezieht sich auf den Umstand, dass die idealtypische Gegenüberstellung entscheidende Aspekte beider Institutionen (oder Professionen) nicht berücksichtigt: „Es ist aber“, so Feltes, „bei weitem nicht so, dass die eine Seite nur hilft und die andere nur kontrolliert.“ In Wirklichkeit sei es wegen der „vielfältige(n) Aufgabenüberschneidungen“ so: „Polizei und Sozialarbeit teilen sich Hilfe und Kontrolle“. Die Polizei, das zeigten Feltes‘ Untersuchungen des schutzpolizeilichen Alltags aus den 1980er Jahren, sei eine „unspezifische Hilfeinstitution“, die von den BürgerInnen gerufen werden, weil keine andere Einrichtung verfügbar sei. Und dass die Sozialarbeit auch kontrollierende Aufgaben wahrnehme, sei hinlänglich bekannt.[10] In Wirklichkeit seien beide in einem Bereich zwischen helfenden und kontrollierenden Tätigkeiten beschäftigt, so dass die „Zusammenarbeit … nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig“ sei.[11]
Polizei, Prävention und soziale Probleme
Ende der 1970er Jahre wurde auf Initiative des Kriminologen und damaligen niedersächsischen Justizministers Hans-Dieter Schwind der Versuch unternommen, institutionelle Konsequenzen aus dem Umstand zu ziehen, dass vor allem SchutzpolizistInnen mit sozialen Problemen oder mit den unmittelbaren Folgen sozialer Missstände konfrontiert werden. Unter der Überschrift „Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeiter“ (PPS) wurden in einem Polizeirevier Hannovers sechs SozialarbeiterInnen vor Ort tätig. Konzeptionell sollten zeitgleich mit der Polizei, die SozialarbeiterInnen des Reviers nach einem „Ereignis“ tätig werden. Die Polizei sollte ermitteln, die SozialarbeiterInnen (die Opfer/TäterInnen) betreuen, beraten oder an Unterstützungseinrichtungen vermitteln. Durch dieses Modell wollte man die Überforderung der PolizistInnen durch ausbildungsfremde, nicht-polizeiliche Tätigkeiten vermeiden und den Betroffenen schnell und wirksam helfen.[12]
Außerhalb Hannovers fand das Modell wenig Nachahmung. Nach der Wende wurden im niedersächsischen „Partnerland“ Sachsen-Anhalt mit SozialarbeiterInnen besetzte „Jugendberatungsstellen“ bei allen Jugendkommissariaten des Landes eingerichtet, die dem PPS-Modell folgen.[13] Die Propagierung der Sozialarbeit in der Polizei[14] blieb ansonsten folgenlos. 2005 wurde das Projekt in Hannover mit der Begründung eingestellt, sein Ansatz sei von der Entwicklung überholt.[15]
Der schutzpolizeiliche Alltag ist nur ein Bezugspunkt der Diskussion. Systematisch wichtiger sind die Entwicklungen im polizeilichen Selbstverständnis. Dies lässt sich besonders deutlich am Umgang der Polizei mit Jugendlichen, die bis heute im Zentrum aller Kooperationsbemühungen stehen, nachzeichnen: Ausgehend von den „Halbstarkenkrawallen“ der 1950er Jahre wurden bereits in den 1960er Jahren flächendeckend auf die Jugend gerichtete Konzepte bei den Polizeien der Bundesländer etabliert.[16] Während dies weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit umgesetzt werden konnte, provozierten die Pläne für eine spezialisierte „Jugendpolizei“ erheblichem Widerstand, der dazu führte, dass das ursprüngliche Konzept geändert bzw. gar nicht realisiert wurde.[17] Der grundlegende Gedanke, eine nur auf Jugendliche ausgerichtete Polizeieinheit zu schaffen, die in Alter, Kleidung und Habitus den Jugendlichen entspricht, zu denen sie Kontakt im Alltag, in den Jugendeinrichtungen, auf der Straße etc. halten soll, hat sich hingegen durchgesetzt. Heute heißen sie „szenekundige Beamte“ oder arbeiten z.B. in Berlin in den „Operativen Gruppen Jugendgewalt“. Im Hinblick auf das Verhältnis zur Sozialarbeit ist bemerkenswert, dass sie im Auftreten und im Umgang Ähnlichkeiten mit SozialarbeiterInnen aufweisen.
Eine besondere Form „aufsuchender Polizeiarbeit“ ist die „Gefährderansprache“, die nicht nur, aber auch von jenen „klientelnahen“ PolizistInnen geführt werden. Bei diesen „Ansprachen“ handelt es sich um eine präventive Maßnahme; weder der Verdacht einer Straftat, noch eine konkrete Gefahr gehen ihr voraus, sondern eine Prognose über das erwartete Verhalten einer polizeibekannten Person. Die Person soll dazu bewegt werden, die erwartete Handlung zu unterlassen: nicht zum Fußballspiel oder zur Demonstration zu gehen oder nicht mit der Clique um die Häuser zu ziehen. Das rechtliche Fundament dieses Vorgehens ist mehr als dünn.[18] Entscheidend im Hinblick auf die Sozialarbeit ist jedoch, dass die PolizistInnen ihre eigene Tätigkeit als „ein bisschen Sozialarbeit“ beschreiben. Weil sie ein „bestimmtes Vertrauensverhältnis“ aufbauten, würden sie auch von den Jugendlichen als jemand betrachtet, „wo sie Halt haben“. Einerseits setzten die Gefährderansprachen voraus, dass man über die Jugendlichen und ihr Umfeld Bescheid wisse: Vater, Mutter, Oma, Peergroup – „ganz enge soziale Daten musst du eigentlich wissen“, andererseits erlaubten sie, etwa wenn die Jugendlichen zuhause aufgesucht würden, Einblick in deren „Umfeld“ – von der Größe der Wohnung über die Geschwisterzahl bis zum Beruf der Eltern.[19] Zwei Entwicklungen werden hier deutlich: Die präventiv motivierte Tätigkeit der Polizei im ausgeweiteten Vorfeld sowie Handlungsformen, die im sozialarbeits-ähnlichen Gewand daherkommen.
Die Gefährderansprachen fügen sich in das Selbstbild vieler PolizistInnen ein, demzufolge sie häufig Aufgaben der Sozialarbeit wahrnehmen (müssen).[20] Die Selbstwahrnehmung als „aufsuchende SozialarbeiterIn“ wird dabei von einer Kritik an den Professionellen begleitet, die ihre Arbeit nicht „richtig“ machten – etwa weil sie Feierabend hätten, wenn die sozialen Probleme manifest werden, oder sie auf Seiten der (polizeilichen) Problemgruppen stünden oder weil sie sich der Kooperation verweigerten.[21] Polizeistrategisch sind die Konsequenzen dieses Befunds naheliegend: Die Sozialarbeit muss mit ins Boot geholt werden.
Sozialarbeit zwischen Hilfe und Kontrolle
Die Stilisierung der Sozialarbeit als einer helfenden Profession war immer schon nur die halbe Wahrheit. Zum einen haben sich sozialarbeiterische Arbeitsfelder im justiznahen Bereich herausgebildet, für die die Zwitterstellung zwischen der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und der Hilfe für die Klientel charakteristisch ist: im Strafvollzug, in der Führungsaufsicht und Bewährungshilfe, aber auch in der von den Jugendämtern wahrgenommenen Jugendgerichtshilfe. Bereits Mitte der 1980er Jahre, als mit den „ambulanten Maßnahmen“ die Bedeutung der Sozialarbeit im strafenden Kontext zunahm, sahen kritische BeobachterInnen die Sozialarbeit in das „Souterrain der Justiz“ verwiesen; wolle sie ihre Selbstständigkeit behalten, dann müssten Strafe und Hilfe institutionell getrennt werden.[22] Der Einwand blieb ohne Folgen; mitunter wird behauptet, der Aufstieg aus dem Kellergeschoss sei gelungen.[23]
Zum anderen ist Soziale Arbeit seit jeher von „kontrollierenden“ Elementen durchzogen. Von der Zwangseinweisung der Armen in Arbeitshäuser bis zu den karitativen Wurzeln bürgerlicher Fürsorge: Im Grundsatz zielt Soziale Arbeit auch auf die „Einpassung“ des Individuums in die Gesellschaft. Insofern wirkt Soziale Arbeit in aller Regel darauf hin, einen bestimmten „Sozialtypus“ herzustellen, indem sie als allgemeine Sozialkontrolle auszugleichen sucht, woran andere (Sozialisiations-)Instanzen gescheitert sind. Selbst in der emanzipatorischen Variante, die alle Menschen zu einem selbstverantwortlichen, selbstbestimmten Leben befähigen will, versucht Soziale Arbeit, Angebote zu unterbreiten, die praktisch wirksam werden können: Es ist – unabhängig von der staatlichen Schulpflicht – sinnvoll eine Schule zu besuchen, weil Wissen und Qualifikation auch Voraussetzung widerständigen Verhaltens sind. Es ist sinnvoll, keinen Diebstahl zu begehen – auch wenn man die Eigentumsordnung ablehnt –, weil man sich ansonsten viel Ärger einhandeln und Entwicklungschancen verbauen kann. „Sozialarbeiter sensibilisieren ihre Adressaten für die jeweils bestehende normative Lage“[24] und hoffen, dass jene sie in ihrem Handeln berücksichtigen. Vor 40 Jahren erschien eine Untersuchung, in der die SozialarbeiterInnen als „sanfte Kontrolleure“ beschrieben wurden:[25] Teilnehmende Beobachtung und Aktenauswertungen führten zu dem Ergebnis, dass SozialarbeiterInnen nicht weniger als PolizistInnen auf abweichendes Verhalten reagieren, aber anders. Nicht die Kriminalisierung sei für sie handlungsleitend, sondern die konkrete Lebenssituation der KlientInnen.
Die an diesen Befund geknüpfte Hoffnung, das „Selbstverständnis als Helfer“ könne in das Zentrum sozialarbeiterischer Professionalisierungsbestrebungen treten und SozialarbeiterInnen könnten deshalb künftig bereit sein, „jegliche Produktion von Devianten einzustellen“,[26] hat sich in den folgenden Jahrzehnten nicht erfüllt. 1990 diagnostizierte Helga Cremer-Schäfer die Wandlung des vormals festgestellten „,Kontroll-Kartell(s)‘: zwei abgegrenzte, doch koexistierende Institutionen“ hin zu einem von „Justiz und Sozialarbeit“ gebildeten „Syndikat“, in dem die „,sanften Kontrolleure‘ … ihren Adressaten nicht mehr selbstständig, als eine eigene Institution, gegenüber(treten).“[27]
Was sich im engen Feld der Kriminalitätskontrolle bereits in den 1980er Jahren anbahnte, wurde unterstützt durch den allgemeinen politischen Kurswechsel, in dessen Rahmen neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik durch eine individualisierende Sozialpolitik flankiert wurde, die die Bewältigung ihrer Probleme den Betroffenen aufbürdete und der Sozialen Arbeit den Platz zuwies, ihre Klientel zur Problemlösung zu befähigen. In keinem Bereich wurde das so offenkundig wie in der Arbeitsmarktpolitik, die seither unter dem Motto des „Förderns und Forderns“ Hilfsangebote mit Sanktionsdrohungen verbindet: Wer sich nicht helfen lassen will (bei Schulden oder Suchtproblemen), dem droht der Entzug der Leistungen. Mit dieser Sozialpolitik wurden die Felder der „Soziale(n) Arbeit in Zwangskontexten“[28] ausgeweitet. Zugleich wurde auch innerhalb der Sozialarbeit das Feld bereitet, auf den sich „eine – sehr unterschiedlich ausgeprägte – zunehmende Akzeptanz und Normalisierung … von Sanktionen als Bestandteil der Sozialen Arbeit“ entwickeln konnten.[29]
Information, Vernetzung, Kooperation
Für die Entwicklung, die verstärkt in den 1990er Jahren begann, muss man sich vor Augen führen, dass die Initiative zur Zusammenarbeit regelmäßig von der Polizei – mitunter unterstützt aus Kreisen der Justiz – und von der Politik ausging, die sich als Sicherheitspolitik wiederum auf die polizeilichen Problembeschreibungen und Lösungsstrategien bezog. Wenn „Vernetzungsforderungen“ von Seiten der Sozialarbeit ausgingen, so war das die große Ausnahme. Wie schon in den 1970er Jahren befand sich die Soziale Arbeit in der Defensive. Aber die Stimmen, die die Zusammenarbeit mit den repressiven staatlichen Instanzen als Gefahr für die eigene Profession betrachteten, waren merklich geschwächt. Dazu hatte nicht nur die allgemeine Konjunktur punitiver Interventionen beigetragen, sondern auch die institutionelle Schwächung, die die Sozialarbeit erfahren hatte.[30] Mit den öffentlichen Ressourcen, die die Präventionseuphorie der 1990er Jahre versprach, verbanden sich die Hoffnungen von Akteuren und Trägern der Sozialarbeit, die eigenen Anliegen in neuen Netzwerken, in der Zusammenarbeit mit anderen realisieren zu können.
Das Interesse der Polizei an der Sozialarbeit ist leicht zu bestimmen: Es speist sich zum einen aus der alltagspolizeilichen Erfahrung, dass polizeiliche Einsätze häufig unmittelbar Probleme des Zusammenlebens zugrunde liegen (nachbarschaftliche Lärmbelästigung …) oder dass es sich um strafbare Handlungen handelt, deren sozialen Ursachen offenkundig sind. In der Sozialarbeit sucht die Polizei eine Partnerin, der ihr die perspektivische Konfliktbearbeitung abnimmt. Unter präventiven Gesichtspunkten sucht sie nach einer Instanz, die wiederkehrende Störungen/Kriminalität verhindert, indem sie mit ihren Methoden eingreift. Zum anderen erschöpft sich die sozialarbeiterische Nützlichkeit nicht in dieser Entlastung. Denn die Polizei ist für die Wahrnehmung ihrer originären Aufgaben (der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung und der Strafverfolgung) an den Zugängen und den Informationen der Sozialarbeit interessiert. So will die Polizei über den „interdisziplinären“ Ansatz erreichen, was ihr mit eigenen Mitteln nicht gelingt. Nicht nur diese beiden Motivstränge deuten darauf hin, wer in den Kooperationen den Ton angibt. Bereits die gesamte Rahmung ist durch den Bezug auf Kriminalität und deren Prävention polizeilich dominiert.[31]
Mittlerweile ist das Feld polizeilich-sozialarbeiterischer Zusammenarbeitsformen unüberschaubar. Bereits 1996 unterschied Mücke vier Ebenen der Kooperation: (1) seminaristisch: gegenseitige Kenntnis und Dialog, (2) regionale phänomenbezogene Arbeitsgruppen, (3) im Umgang mit Jugendliche vor Ort und (4) die „Schutzfunktion“ gegenüber Jugendlichen.[32] In seiner Untersuchung nannte Dold 2010 sechs „Kopplungen“ zwischen beiden Systemen: Arbeitskreise, Verfahren der Verweisung der Klientele an die jeweils andere Institution, Netzwerke mit weiteren Instanzen, gemeinsame Einsatzkonzepte, gegenseitige Schulungen und die Einrichtung von gegenseitigen Kontaktstellen.[33]
Die Formen und Felder der Kooperationen sind vielfältig. Sie reichen von der Mitarbeit in lokalen Kriminalpräventiven Räten über die delikts- oder gruppenbezogene Zusammenarbeit bis zur Durchführung gemeinsamer Einsätze.[34] Sie können sich auf die Erarbeitung gemeinsamer Problembeschreibungen ebenso erstrecken wie auf die Ausarbeitung abgestimmter Reaktionen oder die Weitergabe personenbezogener Informationen. Die Verhältnisse – auch die Stellung der Soziale Arbeit – mögen in den verschiedenen Kontexten durchaus unterschiedlich ausfallen. Einige Bereiche lassen sich jedoch identifizieren, in denen eine nachhaltige Verschiebung zwischen Polizei und Sozialarbeit sichtbar ist:
- Über das Präventionsmotiv schiebt die Polizei sich in das soziale Feld. Das gilt für die genannten szenetypischen Einsatzformen ebenso wie für die häufig unter dem Dach kommunaler Präventionsforen angebotenen Freizeitveranstaltungen oder auch ihre Präsenz an Schulen.[35] Ob als Organisatorin, Helferin oder Beraterin im Einsatz: der Strafverfolgungszwang ist immer dabei.
- Nichts ist für die Präventivpolizei so wichtig wie Informationen. Deshalb versucht sie, in den Szenen präsent zu sein. Deshalb sucht sie den Kontakt zur Sozialen Arbeit, weil sie dort weitere, tiefere, Person und Umfeld gründlicher ausleuchtende Informationen vermutet.
- Der Wunsch nach Informationen wird begleitet von der Vorstellung, die Instrumente der Sozialen Arbeit könnten für die Bekämpfung und Verhinderung in Dienst genommen werden. Dies wird sichtbar an den Bestrebungen, eine Rechtsgrundlage für sogenannte Fallkonferenzen zu schaffen.[36] Sichtbar wird dies auch an den „Häusern des Jugendrechts“, in denen die Unterordnung der sozialen Hilfen unter die Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung ihren baulich-institutionellen Niederschlag findet.[37]
Grenzen setzen
Offenkundig gibt es Felder der Kooperation, in denen die einseitige Funktionalisierung nicht geschieht. In Konzepten, die auf Gewalt gegen Frauen oder auf Kindeswohlgefährdung reagieren, scheint eher eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ stattzufinden – aber auch das ist eher Vermutung als durch Untersuchungen belegte Gewissheit. Für die Mehrzahl der Kooperationen muss jedoch festgestellt werden, dass die polizeiliche Indienstnahme die Selbstständigkeit und damit auch die Wirksamkeit Sozialer Arbeit bedroht.
Die Sozialarbeit ist in eine kriminalpolitische Zange geraten: Unter Verweis auf wachsende Kriminalitätsprobleme – zumal der Jugend – und schwindendes Sicherheitsgefühl, werden Forderungen nach Strafverschärfungen und schnellen Strafen laut. Auch wenn weder die Zunahme- und Brutalisierungsthese belegt sind, auch wenn bekannt ist, dass harte Strafen keine präventive Wirkung entfalten, dass zeitnahes Strafen nicht wirkungsvoller als Straflosigkeit ist, der Ruf nach der durchgreifenden Staatsgewalt genießt den Zuspruch, der allen einfachen Lösungen zufällt. Sich dieser Indienstnahme zu widersetzen und, deutlicher als das vereinzelt geschieht, die Grenzen des Kontakts zu bestimmen, ist die einzige Chance der Sozialen Arbeit ihre Selbstständigkeit gegenüber der kriminalpräventiv-polizeilichen Vereinnahmung zu bewahren.