von Heiner Busch und Matthias Monroy
Die Staats- und Regierungschefs, der Europäische Rat, geben die strategischen Leitlinien vor. Die Kommission macht daraus Vorschläge für Richtlinien und Verordnungen, die vom Rat und vom Europäischen Parlament beraten werden. Diese formelle Arbeitsteilung zwischen den Institutionen der EU verrät nur wenig über die Machtverhältnisse und Treibriemen der Anti-Terror-Politik.
Als Exekutive der EU legt die Kommission Vorschläge für Verordnungen und Richtlinien vor, beaufsichtigt die EU-Agenturen – hier insbesondere Europol, Eurojust, Frontex und die Agentur für das Management von IT-Großsystemen –, vergibt Gelder an die Mitgliedstaaten aus den Fonds für die Innere Sicherheit, fördert Sicherheitsforschung u.v.m. Zuständig für den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, also die frühere Dritte Säule der EU, ist in erster Linie die Generaldirektion für Migration, Inneres und Bürgerschaft (GD HOME) unter dem Kommissar Dimitris Avramopoulos.
Mittlerweile erhält der frühere griechische Verteidigungsminister Verstärkung: Im Sommer hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem britischen Kommissionsmitglied Sir Julian King das neue Ressort der „Sicherheitsunion“ zugewiesen.[1] Zu seinen Aufgaben und Zuständigkeiten gehören der „Kampf gegen Terrorismus, Radikalisierung und organisierte Kriminalität, das Management der Außengrenzen und europäische Waffengesetze“. Noch ist unklar, wie sich die Kommissare King und Avramopoulos ihre Aufgabenbereiche aufteilen. Letzterer nimmt weiterhin wichtige repräsentative Funktionen wahr, darunter den ersten Besuch eines EU-Kommissars beim US-Heimatschutzministerium unter dem Kabinett des neuen Präsidenten Donald Trump.[2]
Wenn es um die „Fortschritte“ in Richtung „Sicherheitsunion“ geht, treten die beiden Kommissare im Doppelpack auf. Im April 2015 hatte die Kommission ihre Europäische Sicherheitsagenda verkündet, ein Jahr später, kurz nach den Anschlägen in Brüssel, folgte eine „Mitteilung“ über deren „Umsetzung … im Hinblick auf die Bekämpfung des Terrorismus und die Weichenstellung für eine echte und wirksame Sicherheitsunion“.[3] Ähnlich wie die Migrationsagenda vom Mai 2015 dienen auch die Sicherheitsagenda und die Umsetzungsmitteilung zur Beschleunigung des Rechtssetzungsprozesses. Seit Oktober wurden monatliche Fortschrittsberichte vorgelegt.[4]
Deutlich wird dabei, dass es bei der Terrorismusbekämpfung vielfach um Themen geht, die zuvor als Instrumente des Migrations- und Grenzmanagements auf den Weg gebracht wurden – von der Umwandlung der Grenzschutzagentur zu einer Grenz- und Küstenwache, über die Verschärfung des Grenzkodexes bis hin zum Ausbau und zur Zusammenlegung der EU-Informationssysteme, die im Zentrum der Verordnungsvorschläge des letzten Jahres standen. Zu diesem Punkt hat die Kommission eine „Hochrangige Expertengruppe“ (HLEG) eingesetzt, die Möglichkeiten zur „Interoperabilität“ polizeilicher Datenbanken finden soll. Auch die Mitgliedstaaten entsenden ExpertInnen.
Der Rat und sein Anti-Terror-Koordinator
Sieht man ab von der Betonung des „Mehrwerts“, den die EU in Sicherheitsfragen erbringen soll, unterscheidet sich die terrorismusbezogene Agenda der Kommission nicht wesentlich von den Maßnahmenpaketen, die der Europäische Rat und der Rat der Innen- und JustizministerInnen nach den Pariser Anschlägen vom Januar und vom November 2015 gefordert haben.[5] Die entsprechenden Erklärungen waren jedoch die Startsignale für die neue europäische Gesetzgebungsrunde in Sachen Terrorismusbekämpfung und zeigen, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten und ihre Gremien in diesem Bereich nach wie vor die treibende Kraft sind. Allerdings kommen diese Schlussfolgerungen nicht aus heiterem Himmel. Ihr Inhalt war zu großen Teilen bereits vorher in den Berichten des EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung (im Folgenden kurz: Anti-Terror-Koordinator, ATK) zu lesen.
Die Stelle des ATK wurde auf Entscheidung des Europäischen Rats nach dem Anschlag in Madrid im März 2004 eingerichtet und zunächst von dem früheren niederländischen Innenminister Gijs de Vries übernommen. Sein Nachfolger wurde 2007 Gilles de Kerchove, der bis dahin das Amt als Direktor in der Generaldirektion Justiz und Inneres beim Rat innehatte. Der ATK untersteht auch weiterhin dem Ratssekretariat. Er agiert als Wächter der Terrorismusbekämpfung und behält „alle der Union zur Verfügung stehenden Instrumente im Auge“.[6] Halbjährlich und mitunter auch anlassbezogen erstattet er dem Rat Bericht und gibt auf mehreren Dutzend Seiten „Politikempfehlungen“ zu prioritären Handlungsbereichen ab. De Kerchove fungiert dabei als politischer, strategischer und operativer Lotse. In seinen Handlungsempfehlungen verlangt er stets nach mehr Kompetenzen und Fähigkeiten beispielsweise für Europol, ruft die Polizeien der Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Daten konsequent an Europol zu melden, fordert den Ausbau der Informationssysteme u.ä.m. Rat und Kommission nehmen daraufhin die Vorschläge in ihre Erklärungen oder in Verordnungsvorschläge auf. Im darauf folgenden Halbjahresbericht berichtet der ATK dann über deren Umsetzung, lobt Fortschritte, beklagt aber vor allem, dass es nicht schnell genug vorwärts geht.
Die Ratsarbeitsgruppen
Die Innen- und JustizministerInnen treffen sich regulär alle drei Monate, die Zwischenzeit wird mit informellen Treffen gefüllt. Die eigentliche Arbeit an den Maßnahmen und Rechtsakten im Bereich Justiz und Inneres erfolgt in den verschiedenen Ratsarbeitsgruppen (RAGs):[7]
- die Gruppe „Informationsaustausch und Datenschutz“ (DAPIX) befasst sich mit der Rechtssetzung zu den alten und neuen Datenbanken im Bereich der Strafverfolgung. Mit Europol ist sie zuständig für die Umsetzung der Strategie für das Informationsmanagement. Die Gruppe soll auch die Einhaltung der Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten gewährleisten;
- die Gruppe „Schengen-Angelegenheiten“ tritt in vier verschiedenen Formationen zusammen: SIS SIRENE berät zur Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS), SIS-TECH erörtert technische Fragen wie den damaligen Umzug des alten SIS auf die Version SIS II, die Untergruppe Schengen-Besitzstand koordiniert legislative Angelegenheiten, SCHEVAL befasst sich mit Fragen der Evaluierung des SIS;
- die Gruppe „Strafverfolgung“ (LEWP) arbeitet zu operativen Fragen der grenzüberschreitenden Polizeiarbeit. Sie soll die Zusammenarbeit der Verfolgungsbehörden aus den Mitgliedstaaten befördern. Dies betrifft technische Aspekte, die Kooperation bei grenzüberschreitenden Kriminalitätsphänomenen, Großereignisse oder gesetzgeberische Tätigkeiten. Die LEWP arbeitet mit der Europäischen Polizeiakademie (CEPOL) und Europol zusammen;
- die Gruppe „Materielles Strafrecht“ (DROIPEN) soll die nationalen Bestimmungen vereinheitlichen und neue Strafverfahrensvorschriften ausarbeiten. Zuletzt war die Arbeitsgruppe mit der im Februar verabschiedeten Terrorismus-Richtlinie befasst;
- die Gruppe „Terrorismus“ (TWP) ist federführend für alle Angelegenheiten der Terrorismusbekämpfung, darunter den Datentausch, die Verhinderung von Radikalisierung, die Entwicklung bewährter Verfahren in den Mitgliedstaaten sowie die Bewertung terroristischer Bedrohungen durch Polizei- und Geheimdienste der Mitgliedstaaten. Behandelt werden ebenso die Lageberichte von Europol und in wachsendem Maße des EU Intelligence Analysis Centre (INTCEN), das sich aus den Geheimdiensten der Mitgliedstaaten rekrutiert und dem Auswärtigen Dienst der EU angegliedert ist. Die TWP arbeitet eng mit dem ATK und mit Europol zusammen. Sie entstand aus der früheren TREVI-Arbeitsgruppe 1 und übernahm von dieser auch das Netzwerk von Verbindungsbüros („Bureaux de liaison“, BDL). Da in der grenzüberschreitenden Kooperation heute Europol den Ton angibt, wird das BDL-Netzwerk kaum mehr genutzt. Die Gruppe tritt vierteljährlich zusammen;
- die Gruppe „Terrorismus (Internationale Aspekte)“ (COTER) gehört zum Rat für Außenbeziehungen. Sie ist zuständig für Risikoanalysen und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Sie betreut beispielsweise Dialoge und Maßnahmen in Ländern wie Tunesien oder Libyen zum Thema Terrorismus. In verschiedenen Politikbereichen kooperiert sie mit der Gruppe „Terrorismus“, beide Gruppen treffen sich halbjährlich gemeinsam. Im Gegensatz zur TWP sind die Tagesordnungen oder Protokolle der COTER nicht öffentlich verfügbar;
- der Koordinierungsausschuss für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (CATS) soll den strategischen Überblick über die übrigen Ratsgruppen im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit behalten. Im CATS vertreten sind die DirektorInnen und GeneraldirektorInnen der Justiz- und Innenministerien. Er bildet die Spitze der legislativen Gremien des Rates und ist das Scharnier zum Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV);
- der Ständige Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (COSI). Während die TWP eine stärker operative Rolle habe, versteht der COSI seine Aufgabe in Sachen Terrorismusbekämpfung als eine strategische.[8] Er soll die operativen Maßnahmen der Agenturen und der EU-Staaten bewerten und wenn nötig koordinieren. Dies betrifft die Strafverfolgung, Grenzkontrollen und die justizielle Zusammenarbeit. Der COSI erstattet dem Rat für Justiz und Inneres Bericht und unterstützt ihn bei der Reaktion auf Terroranschläge oder Katastrophen. Anders als im CATS sitzen im COSI auch VertreterInnen der Kommission und des Auswärtigen Dienstes (EAD). Die Agenturen können als BeobachterInnen eingeladen werden.
An den Gruppen CATS und COSI zeigt sich die nicht immer widerspruchsfreie Aufgabenverteilung innerhalb des Rates. Vor dem Vertrag von Lissabon tagte der CATS als „Committee on Article Thirty Six“, benannt nach Art. 36 des alten Vertrags über die Europäische Union. Nach 2009 stand die Auflösung auf der Agenda. Weil sich der CATS jedoch als „unschätzbares Netzwerk für hochrangige Beamte“ erwiesen habe, sollten in dem Ausschuss auch weiterhin „Probleme, die von mehreren Gruppen behandelt werden, bereinigt werden können, bevor sie eskalieren“.[9] Allerdings wurde der Fokus des CATS auf „politisch wichtige Gesetzgebungsvorschläge und Initiativen“ eingegrenzt.
Mehr Einbindung der Geheimdienste
Die eigentliche operative Ebene zur Terrorismusbekämpfung wird von den Agenturen Europol und – nach der neuen Verordnung – auch Frontex übernommen. Europol hat hierzu vor einem Jahr das European Counter Terrorism Centre (ECTC) eingerichtet. Es soll zu einem „zentralen Service-Dienstleister“ für die Mitgliedstaaten entwickelt werden. Auf Einladung des Bundeskriminalamtes (BKA) und von Europol trafen sich im Februar die „Polizeichefs“ der EU-Mitgliedsstaaten, Norwegens sowie der Schweiz in Berlin um über den weiteren Ausbau zu beraten. Laut BKA sind Möglichkeiten gefunden worden, die polizeiliche Zusammenarbeit zur Terrorismusbekämpfung stärker „von zentraler Stelle aus“ (unter anderem durch „Anpassung der bestehenden Dateienlandschaft“) zu koordinieren.[10] Zur Debatte steht die Einrichtung eines „Operational Steering Board“ aus LeiterInnen der Terrorismusabwehrabteilungen der nationalen Zentralstellen. Dadurch würde die Arbeit des ECTC „strategisch ausgestaltet und koordiniert“. Erst auf Nachfrage schildert das Bundesinnenministerium Inhalte eines „mit mehreren Mitgliedstaaten abgestimmten Positionspapiers“, wonach die nicht zur EU gehörende „Police Working Group an Terrorism“ (PWGT) ebenfalls in das „Operational Steering Board“ aufgenommen werden soll.Zu den weiter vorgeschlagenen Maßnahmen gehört die Einrichtung von „staatenübergreifenden Teams, die sich gemeinsam identifizierter Schwerpunktthemen annehmen und kurzfristig Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für eine verbesserte Bekämpfung des internationalen Terrorismus entwickeln“. Möglicherweise würde das „Operational Steering Board“ die engere Zusammenarbeit mit den Inlandsgeheimdiensten der Mitgliedstaaten einfädeln, wie es seit vergangenem Jahr zwischen Europol und der (nicht zur EU gehörenden) „Counter Terrorism Group“ (CTG) sondiert wird. Letzterer gehören die Inlandsgeheimdienste aller EU-Staaten sowie der Schweiz und Norwegens an. Der Vorsitz in der Gruppe wechselt parallel zum Vorsitz in der EU. Im Juli 2016 hat die CTG eine eigene geheimdienstliche Plattform mit gemeinsamen Datenbanken – angesiedelt beim niederländischen Geheimdienst AIVD – in Betrieb genommen. In einer Mitteilung an den COSI hatte das Generalsekretariat des Rates bereits die engere Zusammenarbeit mit INTCEN gefordert.[11]
Zahnloses Parlament
Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung werden auch in informellen Gremien einiger EU-Mitgliedstaaten beraten und auf den Weg gebracht. Hierzu gehören die Treffen der G6-Staaten, in denen sich die InnenministerInnen der sechs einwohnerstärksten EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Spanien, Italien, Großbritannien, Frankreich, Polen) vernetzen. Seit 2007 nehmen auf Initiative des damaligen deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble auch das Justiz- und das Heimatschutzministerium der USA teil. Im Bereich der Geheimdienste wird die europäische Anti-Terror-Kooperation derzeit durch die „Paris-Gruppe“ ergänzt, in der sich die Geheimdienstkoordinatoren von mindestens 15 EU-Mitgliedstaaten zusammenschließen.[12] Der Mehrwert zur CTG dürfte darin bestehen, dass damit auch die Auslandsgeheimdienste eingebunden sind. Bei Treffen in Rom und Berlin waren VertreterInnen des INTCEN und der CTG sowie der Anti-Terrorismus-Koordinator de Kerchove eingeladen. Alle Angaben zur „Paris-Gruppe“ sind aus Rücksicht auf die teilnehmenden Geheimdienste als streng geheim eingestuft.
Schließlich gehört auch das Europäische Parlament zu den drei Institutionen der Rechtsetzungsgewalt in der EU. Gemeinsam mit dem Rat und der Kommission sind die Abgeordneten im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in die Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften eingebunden. In den Trilog-Verfahren werden die Vorschläge unter allen drei Institutionen erörtert, wobei sich das Parlament häufig als zahnlos erweist.