von Matthias Monroy und Leil-Zahra Mortada
Die Bundesregierung zeigt sich über die Lage der Menschenrechte und Repressionen gegen die Zivilgesellschaft in Ägypten „beunruhigt“ und „besorgt“. Dessen ungeachtet haben beide Länder mit der Umsetzung eines neuen Sicherheitsabkommens begonnen und im August eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit im Migrationsbereich geschlossen. Die Maßnahmen dienten der Förderung rechtsstaatlicher Werte und Grundsätze, sagt das Auswärtige Amt.
Laut Amnesty International sitzen in Ägypten mehr als 40.000 politisch Verfolgte im Gefängnis.[1] Der größte Teil von ihnen sind Angehörige der Muslimbrüder und damit Anhänger des früheren Präsidenten Mohammed Mursi, der vor drei Jahren vom Militärgeneral Abdel Fattah al-Sisi gestürzt und zu einer vierzigjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Besonders verfolgt werden auch Bürger- und Menschenrechtsgruppen, BloggerInnen, Medienschaffende und AnwältInnen. Jetzt gehen ägyptische Behörden gegen die Queer-Szene in Kairo vor. Seit dem 22. September hat die Polizei Dutzende AktivistInnen aus dem LGBTQI-Spektrum – oder auch solche, die sie dafür hält – festgenommen. Die Verhaftungswelle begann, nachdem im Publikum eines Konzerts der libanesischen Band Mashrou‘ Leila in Kairo Regenbogenfahnen gezeigt wurden.
Die Verfolgung von Homosexuellen und trans-Personen ist in Ägypten kein neues Phänomen. Laut der ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) wurden seit Ende 2013 mehr als 232 Personen verhaftet[2] und zu Haftstrafen von durchschnittlich drei, in einigen Fällen sogar zwölf Jahren verurteilt. Seit September kamen mindestens 54 Verhaftungen hinzu, neun Betroffene wurden bereits in Schnellverfahren mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft. Inzwischen hat die Oberste Behörde für Medienregulierung ein Dekret erlassen, wonach Schwule und Lesben nicht mehr positiv in den Medien dargestellt werden dürfen. Homosexualität wird darin als Krankheit bezeichnet.
Von den gegenwärtigen Razzien und Durchsuchungen sind erstmals viele bekannte AktivistInnen betroffen. Die Regierung verfolgt sie nach dem Paragrafen gegen „ausschweifendes Verhalten“ bzw. „Unzucht“, entweder weil sie diese Vergehen selbst praktizierten, dazu aufriefen oder es angebahnt hätten. Einigen wird zur Last gelegt, sie gehörten zu einer illegalen Organisation, die gegen das Gesetz und die Verfassung agieren würde. Wiederholt hat die Polizei Betroffenen ein Metallwerkzeug in den Enddarm eingeführt, um zu belegen, dass sie homosexuell sind. Das Anti-Folter-Komitee der UN hat diese entwürdigende und gewalttätige Methode verurteilt.[3] Ärztevereinigungen wie die libanesische Ärztegewerkschaft oder der nationale Medizinrat Tunesiens erklären, diese „Untersuchungen“ hätten keinerlei medizinische Grundlage.
Festnahmen nach Internetbeobachtung
Einige der BesucherInnen des o. g. Konzerts hat die Polizei aufgrund von Fotos, die in Sozialen Medien erschienen, verhaftet. Sie sollten die Passwörter ihrer Facebook-Accounts herausgeben, die von der Polizei nach weiteren Hinweisen und Kontakten durchforstet wurden. Um Fake-Verabredungen zu arrangieren, bei denen die Betroffenen festgenommen werden, nutzt die Polizei außerdem seit Jahren Dating-Apps wie Grindr oder PlanetRomeo, dabei helfen das Profilfoto und die Standortfunktion der App. Damit steht auch das deutsche Bundesinnenministerium (BMI) in der Kritik, denn bereits 2011, kurz vor der Revolte gegen das Mubarak-Regime, wurden ägyptische Behörden vom Bundeskriminalamt (BKA) in der Ausforschung von InternetnutzerInnen geschult.[4] Ein weiterer Workshop zur „Beobachtung von Websites“ war für Dezember 2016 geplant, im Fokus standen Internetauftritte, die „von Terroristen zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankenguts und zur Vorbereitung von Terroranschlägen missbraucht werden“. Der Workshop wurde zunächst verschoben und mittlerweile gänzlich abgesagt. Zu den Gründen teilte das Auswärtige Amt mit, dass „einige der im Rahmen dieses Lehrgangs zu vermittelnden Kenntnisse und Fertigkeiten nicht nur zur Verfolgung von Terroristen, sondern möglicherweise auch zur Verfolgung von anderen Personenkreisen eingesetzt werden könnten“. Wann die Regierung zu dieser neuen Auffassung gelangte, lässt sich nicht rekonstruieren. In den letzten Monaten häuften sich jedoch Meldungen, wonach die ägyptische Regierung das Internet immer stärker reglementiert und kontrolliert. Welche Überwachungsformen und -werkzeuge bei der „Beobachtung von Websites“ vorgeführt werden sollten, ist nicht bekannt. Als anvisierte Teilnehmende nennt das BMI Angehörige des ägyptischen Innenministeriums.[5] Vermutlich handelt es sich um den „National Security Sector“ (NSS), mit dem das BKA in den letzten zwei Jahren ähnliche Maßnahmen durchführte. Der NSS ist ein Inlandsgeheimdienst mit Polizeivollmachten, dem immer wieder schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Seit Mai dieses Jahres sind 434 Webseiten von Sperren betroffen, darunter der Auftritt Qantara.de der Deutschen Welle, die deutschsprachige Seite von Reporter ohne Grenzen, Agenturen wie Al Jazeera oder Daily News Egypt sowie das bekannte emanzipatorische Nachrichtenportal Mada Masr.[6] Nach einem Bericht von Human Rights Watch über Folter in Ägypten ist auch die Webseite der Menschenrechtsorganisation gesperrt.[7] Erst daraufhin hatte das Auswärtige Amt reagiert und eine kritische Stellungnahme seiner Beauftragten für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe zur Sperrung von Internet-Seiten in Ägypten veröffentlicht.[8] Geholfen hat es nicht: Mittlerweile sind viele VPN-Dienste, mit denen die Sperren umgangen werden konnten, ebenfalls blockiert. Auch der Krypto-Messenger Signal ist in Ägypten teilweise nicht nutzbar.
Zusammenarbeit mit ägyptischem Geheimdienst
Die Absage des Workshops zur Internetbeobachtung bleibt jedoch eine Einzelmaßnahme und tangiert die ansonsten sehr weitgehende Zusammenarbeit nicht. Zu den gegenwärtig mit dem NSS geplanten Vorhaben gehören Lehrgänge zu „Grundlagen und Methodik im Bereich Analyse“ sowie zur „Fortbildung von Führungskräften“, ein „Arbeitsbesuch im Bereich Verhandlungsführung“ und Deutschkurse. Außer mit dem NSS arbeitet das BKA auch mit dem geheimdienstlichen „General Intelligence Service“ (GIS) zusammen, mit dem die Bundesregierung einen „Expertenaustausch auf Fachebene“ zum Thema „Terrorismus-/Extremismusbekämpfung“ gestartet hat.[9] Auf Einladung des BKA nehmen daran auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst teil. Für den „Informationsaustausch zu extremistischen/terroristischen Sachverhalten“ hat das BKA einen Verbindungsbeamten nach Kairo abgeordnet. Einige der Workshops richten sich an Ausbilder und fanden in Kairo, Berlin, Meckenheim, Magdeburg und Wiesbaden statt. Die ägyptischen Geheimdienstler wurden mehrmals in das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow eingeladen. Weitere Besuche erfolgten bei der Staatsschutzabteilung des BKA. Themen waren dort unter anderem „Extremismusbekämpfung und (De-)Radikalisierung, Reisebewegungen des islamistischen Personenpotenzials und Bekämpfungsansätze“.[10] Zu den Ausbildungsmaßnahmen gehören zudem Finanzermittlungen zur Ausforschung von Konten und Überweisungen. 2015 hatte das BMI in Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei eine „Hospitation“ von Vertretern des NSS bei der Absicherung eines Fußballspiels im Olympiastadion vorbereitet.
Auch der Leiter der ägyptischen Polizeiakademie war bereits zu einem Informationsaustausch in Deutschland und traf unter anderem mit Angehörigen der Fachhochschule des Bundes, der Deutschen Hochschule der Polizei, einer deutschen Landespolizei und dem BKA zusammen. Weitere Besuche sind geplant, dabei soll auch die Bundespolizeiakademie eingebunden werden. Zu den Projekten der Bundespolizei gehört unter anderem die Sicherheit an ägyptischen Flughäfen. Zusammen mit dem Luftfahrtbundesamt und der Bundespolizei hatten Angehörige des BKA die ägyptischen Luftsicherheitsstandards evaluiert. Dies betrifft unter anderem die Kontrolle von Passagieren und den Abgleich ihrer Ausweisdokumente mit internationalen Datenbanken. Auch die Bundespolizei arbeitet hierzu mit dem Inlandsgeheimdienst NSS zusammen, weitere Ausbildungsmaßnahmen für ägyptische Polizei- und Grenzbehörden befinden sich derzeit in Abstimmung.
Abschiebung und freiwillige Rückkehr
Im Juni vergangenen Jahres haben das deutsche und das ägyptische Innenministerium ein jahrelang verhandeltes „Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich“ unterzeichnet.[11] Es regelt die engere Kooperation zur Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und technischen Hilfe bei Katastrophen. Beide Seiten wollen hierzu „Fachleute“ und Informationen austauschen. Der Bundestag ratifizierte das Sicherheitsabkommen im April. Nachdem auch die Regierung Ägyptens grünes Licht gab, trat der Vertrag am 30. Juli 2017 in Kraft.
Im August hat die Bundesregierung schließlich eine Vereinbarung zur deutsch-ägyptischen Zusammenarbeit im Migrationsbereich unterzeichnet. Anvisiert ist die gemeinsame Bekämpfung des „Menschenschmuggels und der Schleuserkriminalität“ sowie die „Verbesserung des Grenzschutzes“. Jetzt sollen Gespräche zur Umsetzung der Vereinbarung beginnen. Neben Ausbildungsmaßnahmen sollen mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) Aufklärungskampagnen durchgeführt werden, „um vor den Gefahren irregulärer Migration zu warnen“. Ägyptische Behörden sollen bei der freiwilligen Rückkehr von Drittstaatsangehörigen, die sich irregulär in Ägypten aufhalten, unterstützt werden. Wichtigster Partner ist die 2016 eingerichtete Behörde zur Bekämpfung irregulärer Migration (National Coordinating Committee on Combatting and Preventing Illegal Migration, NCCPIM). Ebenfalls verabredet ist die verbesserte Zusammenarbeit bei der Abschiebung und freiwilligen Rückkehr von in Deutschland ausreisepflichtigen ÄgypterInnen.
Terrorismus-Definition ‚unverhältnismäßig‘
Angesichts der von vielen Organisationen bestätigten desaströsen Lage der Menschenrechte verwundert der Abschluss der beiden neuen Abkommen. Denn nach eigener Aussage sind die entsprechenden Berichte auch der Bundesregierung bekannt. Bereits vor zwei Jahren bestätigt das Auswärtige Amt, dass „Repressionen gegen die Zivilgesellschaft“ in der vergangenen Zeit zugenommen haben und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen „eng überwacht“ wird.[12] Der umfassende Terrorismusbegriff des ägyptischen Anti-Terror-Gesetzes vom 26. November 2014 sei „unverhältnismäßig“ und werde sowohl von den Sicherheitsbehörden als auch der Justiz „immer wieder auch im Kontext von Demonstrationen gebraucht“. Freiräume seien in den vergangenen Jahren „kontinuierlich kleiner geworden“, was auch für Projekte und Organisationen, in denen deutsche Staatsangehörige mitarbeiten, gelte. Auch diese würden mitunter von Sicherheitsbehörden beobachtet. Entsprechende Berichte würden von Vertretern der Bundesregierung gegenüber ägyptischen Stellen „regelmäßig angesprochen“, auch die Einhaltung der Menschenrechte werde regelmäßig angemahnt.
Zuletzt hatte sich das Auswärtige Amt angesichts der anhaltenden Verhaftungswelle gegen die LGBTIQ-Szene sowie zur Anwendung menschenrechtswidriger Methoden wie „Analuntersuchungen“ den ägyptischen Partnern gegenüber „beunruhigt“ und „sehr besorgt“ gezeigt.[13] Bekräftigt wird, die Achtung der Menschenrechte sei „für die bilaterale Zusammenarbeit von grundlegender Bedeutung“. In der Konsequenz müsste dies aber dazu führen, jede Kooperation im Rahmen des neuen Abkommens über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich mit Ägypten zu stoppen. Darauf angesprochen, schreibt das Auswärtige Amt, die geplanten Maßnahmen seien so ausgestaltet, dass sie im Rahmen ihrer Umsetzung „keinen Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten können“. Die neue deutsch-ägyptische Kooperation stelle die „Vermittlung sowie Förderung rechtsstaatlicher Werte und Grundsätze“ sogar in den Fokus.
Eine Überprüfung zur Einhaltung der Menschenrechte oder der Rechtsstaatlichkeit ist im Abkommen allerdings nicht vorgesehen. Das Auswärtige Amt schreibt dazu, dass entsprechende Prüfungen aber fortlaufend von der deutschen Botschaft in Kairo vorgenommen würden. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung der Menschenrechtslage durch die deutsche Polizeikooperation seien bisher nicht gefunden worden.