Warnungen aus Großbritannien – Zunehmende Überwachung von Migrant*innen

von Lucie Audibert

Seit 10 Jahren strebt die britische Regierung danach, Menschen, die nach Großbritannien einwandern, im Rahmen der Politik der „feindlichen Umgebung“ das Leben so unangenehm wie möglich zu machen. Neben vielen anderen Instrumenten und Praktiken werden dazu neuen Technologien und die Daten der Menschen genutzt. Die Beschlagnahmung von Handys und die GPS-Ortung sind zwei eindrucksvolle Beispiele. Dieser Artikel diskutiert, wie die Instrumente unter menschenrechtlicher Perspektive infrage gestellt und angegangen werden können.

Vor zehn Jahren kündigte in Großbritannien die damalige Innenministerin Theresa May die Strategie einer „feindlichen Umgebung“ an, um die sogenannte „illegale Einwanderung“ zu bekämpfen.[1]  Durch das Schaffen von Hindernissen für Migrant*innen beim Zugang zu grundlegenden Rechten und Gütern wie Arbeit, öffentlichen Dienstleistungen oder Bankkonten hoffte die Regierung, diese von der Einreise abzuhalten und zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Es wurden Strategien und Praktiken angewendet, die Familien auseinanderreißen,[2] Menschen davon abhalten, notwendige medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen,[3] Kindern den Zugang zu kostenlosem Schulessen oder sogar den Schulbesuch grundsätzlich verwehren oder Opfer von Straftaten davon abhalten, sich bei der Polizei zu melden, weil sie Abschiebung fürchten.[4]

Diese Maßnahmen basieren auf der Annahme, dass Migrant*innen nicht die gleichen Menschenrechte und den gleichen Schutz wie Staatsbürger*innen verdienen. Dies zeigt sich im unerbittlichen Einsatz invasiver Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen, die gleichzeitig in rechtstaatliche Garantien eingreifen und Menschenrechtsgarantien vorenthalten. Die britische Regierung bereitete sich sogar darauf vor, durch die Verabschiedung einer sogenannten „Einwanderungsausnahme“ im Datenschutzgesetz von 2018 von den regulären Datenschutzverpflichtungen gemäß der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) abzuweichen. Dadurch werden Migrant*innen einige Schutzrechte verweigert, wenn ihre Daten für den Aufenthaltsstatus verarbeitet werden. Obwohl eine gerichtliche Anfechtung der Ausnahmeregelung erfolgreich war,[5] bleibt diese für Migrant*innen grundsätzlich in Kraft und wurde lediglich durch zusätzliche Garantien ergänzt.

In diesem Artikel werden zwei Beispiele der in Großbritannien gegen Migrant*innen eingesetzten Überwachungsmaßnahmen untersucht: die Beschlagnahmung von Handys samt Datenauslesung und die GPS-Ortung. Wir werden die damit verbundenen Technologien und ihre Auswirkungen auf die Betroffenen untersuchen und beurteilen, wie diese unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten angefochten werden können und angefochten werden.

Beschlagnahmung von Handys und Datenauslesung

Heutzutage beinhalten Handys (insbesondere die weit verbreiteten Smartphones) mehr gespeicherte Informationen über das Privatleben einer Person als es bisher für digitale Geräte möglich war. Im Zuge der technologischen Entwicklungen sammeln Mobiltelefone immer mehr unterschiedliche und intime Informationen, etwa private Gespräche, tägliche Gesundheitsdaten, Browserverläufe, Finanzdaten, intime Bilder, GPS-Standortdaten usw. Die britische Datenschutzbehörde (der Information Commissioner oder ICO) stellte in einem Bericht über die Erfassung von Mobiltelefonen durch die Polizei in England und Wales fest:  „Heutzutage betrachten Menschen Mobiltelefone als Erweiterungen ihrer selbst; sie sind zu einzigartigen Speichern unserer persönlichen Informationen geworden, generieren riesige Datenmengen und sind oft Träger intimster und privatester Details unseres Alltagslebens.“ [6]

Polizeibehörden verschiedener Länder machen sich daher in den letzten Jahren diesen beispiellosen Fundus an potentiellen Beweismitteln zu Nutze. Verschiedene Unternehmen haben Programme zur Datenauslesung entwickelt.[7] Wie so oft, wenn Behörden neue Technologien einsetzen, fehlen auch in Großbritannien der rechtliche Rahmen sowie Sicherheitsvorkehrungen, um Datenmissbrauch zu verhindern und die Einhaltung von Menschenrechten und Datenschutzgesetzen zu gewährleisten.[8]

Beschlagnahmung von Mobiltelefonen an der Grenze

Im Jahr 2020 stellten Anwält*innen von Asylsuchenden fest, dass bei der Ankunft britische Einwanderungsbeamt*innen von einigen ihrer Mandant*innen die Telefone beschlagnahmten und diese nie oder erst nach Monaten zurückgegeben wurden. Nachdem Gerichtsverfahren eingeleitet worden waren, um die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmungen zu prüfen und die Wiedererlangung der Handys zu erwirken, stellte sich heraus, dass das Innenministerium zwischen April und November 2020 pauschal die Handys aller Migrant*innen, die in kleinen Booten Großbritannien erreichten, beschlagnahmen ließ. Sie sollten zur Herausgabe ihrer PIN-Nummern gezwungen werden und erhielten nur sehr begrenzte Informationen darüber, was mit ihren Handys und den darin enthaltenen Daten geschehen würde.

Dieser Fall führte zu einer Anfechtung der zugrundeliegenden systematischen Politik und Praxis des Innenministeriums. In den erstrittenen Offenlegungen von Dokumenten zeigte auch, dass die aus den Handys extrahierten Daten mit anderen Behörden ausgetauscht und analysiert wurden. Die Einwanderungsbehörden und die National Crime Agency luden die Daten von allen beschlagnahmten Handys herunter. Sie „wuschen“ diese in behördenübergreifenden Datenbanken, um ihre Spuren zu vertuschen und relevante Informationen zu identifizieren und zu analysieren.

Die Wegnahme ihrer Handys bringt Asylbewerber*innen in eine Notlage. Telefone sind oft die letzte Verbindung zu ihrem Herkunftsland und ihren Lebenserinnerungen sowie die einzige Möglichkeit, mit ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihren Anwält*innen Kontakt aufzunehmen und ihre behördlichen Verfahren zu bearbeiten. Da die Asylbewerber*innen zudem kaum oder gar nicht über den Zweck der Beschlagnahmung informiert wurden, bestand zudem Unsicherheit darüber, was die Einwanderungsbehörde aus den Daten herauslesen würde und ob dies Auswirkungen auf ihre Einwanderungsanträge haben könnte.

Weitverbreitete Rechtswidrigkeit

Das Innenministerium räumte im Laufe des Verfahrens schließlich ein, dass die Beschlagnahmungen aufgrund ihres pauschalen Charakters rechtswidrig sind (d. h. die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen erfolgten nicht auf der Grundlage einer individuellen Bewertung der Wahrscheinlichkeit, dass das Handy Beweise für Einwanderungsdelikte enthält) und dass die Einbehaltung von Telefonen, die Datenauslesepolitik und die Anweisung, PIN-Nummern anzugeben, nicht mit dem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder dem Data Protection Act 2018 vereinbar sind. Eine Intervention von dritter Seite durch die Menschenrechtsorganisation Privacy International zeigte mittels technischer Beweise auf, dass die auf Handys gespeicherten Datenmengen und die dem Innenministerium zur Verfügung stehenden Analysetechnologien eine noch nie dagewesene Eingriffsmöglichkeit in das Privatleben der Kläger*innen schuf.[9]

Das britische Berufungsgericht (High Court) urteilte daher, dass „die Beschlagnahme und Einbehaltung der Mobiltelefone der Kläger*innen die Rechte der Kläger*innen nach Artikel 8 verletzte, da der Eingriff in diese Rechte nicht im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 gerechtfertigt werden kann“. Das Gericht stellte ferner fest, dass „die Erlangung des Zugangs zu privatem Material durch die Forderung nach den PIN-Nummern der Telefone ohne jede rechtmäßige Befugnis und die Androhung von Strafverfolgung einer nicht existierenden Straftat zur Durchsetzung der Forderung ein weiterer eindeutiger Eingriff in die Rechte der Kläger*innen nach Artikel 8 war“.[10]

In einem weiteren Urteil, welches sich einige Monate später [11] mit den verbleibenden Fragen des Falles befasste, erließ das Berufungsgericht die bedeutende und ungewöhnliche Anordnung, auch jene Tausende von Migrant*innen, die von der rechtswidrigen Politik betroffen, aber nicht direkt am Fall beteiligt waren, zu entschädigen.[12] Das Gericht verpflichtete das Innenministerium, „alle angemessenen Anstrengungen“ zu unternehmen, um jede Person, die der Meinung der Behörde nach einer rechtswidrigen Durchsuchung und/oder Beschlagnahmung eines Handys ausgesetzt war, über die Existenz des Urteils und ihr Recht auf Rechtsmittel zu informieren.

Abhilfe oder Wiedergutmachung sind beim Rechtsschutz für Menschen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, häufig übersehene Aspekte, da sich die Urteile i. d. R. auf die Feststellung von Verstößen konzentrieren, die Betroffenen aber ohne konkrete Abhilfe zurücklassen [13]  Dieser Fall verdeutlicht, wie Gerichte versuchen können, Regierungen für die schädlichen Folgen ihrer Politik zur Rechenschaft zu ziehen, indem sie von ihnen – auch für Hunderte oder Tausende vergangene Menschenrechtsverletzungen – verlangen, Wiedergutmachung zu leisten. Der Fall ist auch ein Beispiel für die Schwierigkeiten, systematische Verfehlungen vor Gericht zu bringen, da das Innenministerium während des gesamten Verfahrens immer wieder argumentierte, dass die Anfechtungsgründe der Kläger theoretischer Natur seien, da die praktischen Fragen bereits geklärt seien. Immer wieder verliert das Innenministerium aber auch derartige Klagen gegen seine Behandlung von Asylbewerber*innen.[14]

GPS-Überwachung

Die elektronische Überwachung ist in vielen Ländern der Welt seit langem fester Bestandteil des Strafrechtssystems, i. d. R. zur Überwachung von aus der Haft entlassenen Personen oder zur Überwachung der Einhaltung von Kautionsauflagen.[15] Im Rahmen der technologischen „Innovation“ auf dem strafjustiziellen Technologiemarkt wurde die herkömmliche Funkfrequenz-Überwachung (wobei die Entfernung zwischen einem Sender und einer Basisstation gemessen wird, die sich meist in der Wohnung der zu überwachenden Person befindet)  durch die Nutzung von GPS-Tracking oder tragbaren Geräten, die den genauen GPS-Standort der jeweiligen Person rund um die Uhr überwachen können, abgelöst.[16]

Die erfassten GPS-Standortdaten werden als „Spurdaten“ bezeichnet. Untersuchungen der Menschenrechtsorganisation Privacy International zeigen, dass es sich aufgrund ihres Umfangs und ihrer Detailgenauigkeit um hoch sensible Daten handelt, die „tiefe Einblicke in intime Details des Lebens einer Person gewähren, die ein umfassendes Bild der alltäglichen Gewohnheiten und Bewegungen, des ständigen oder vorübergehenden Wohnorts, der Hobbys und anderer Aktivitäten, der sozialen Beziehungen, der politischen, religiösen oder weltanschaulichen Interessen, der gesundheitlichen Belange, des Konsumverhaltens usw. offenbaren“.[17]

Im Jahr 2021 begann das Innenministerium mit dem Einsatz von GPS-Tracking zur elektronischen Überwachung von Personen, die gegen Kaution aus dem Asylgewahrsam entlassen wurden [18] – eine der Bedingungen, die gemäß Schedule 10 des Immigration Act 2016 für die Entlassung aus dem Asylgewahrsam gestellt werden können. Beim GPS-Tracking können Standortdaten mit unterschiedlicher Häufigkeit oder in unterschiedlichen Intervallen erfasst werden, z. B. jede Minute, alle 15 Minuten, alle 30 Minuten oder einmal in der Stunde, was sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Menge und Detailgenauigkeit Spurdaten hat. Anwält*innen, die überwachte Personen vertreten, haben darauf hingewiesen, dass das vom Innenministerium verwendete GPS-Tracking so eingestellt ist, dass Standortdaten einmal pro Minute erfasst werden.

Pauschaler Einsatz ohne individuelle Bewertung

Die Gesetzgebung, die eine elektronische Überwachung von Migrant*innen durch das Innenministerium ermöglicht, beinhaltet die ungewöhnliche „obligatorische Pflicht“ zur elektronischen Überwachung von Personen, die von einer Abschiebung oder einem Abschiebungsverfahren betroffen sind (Schedule 10 § 2(3)(a)). Damit wurde der richterliche Ermessensspielraum und die richterliche Aufsicht faktisch abgeschafft, sodass die Entscheidung einer Anordnung über eine elektronische Überwachung nicht auf einer Bewertung der Notwendigkeit beruht, eine bestimmte Person zu überwachen. Das Innenministerium unternimmt währenddessen keinen Versuch, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Einsatzes auf individueller Basis zu begründen, wie in einer Reihe von Klagen von Einzelpersonen gegen ihre GPS-Tracking vor Gericht festgestellt wurde.[19]

Das Innenministerium scheint auch wenig bis gar keine Rücksicht auf die persönlichen Umstände der Betroffenen zu nehmen; so versuchte es etwa, GPS-Tracking bei schutzbedürftigen Personen und/oder Überlebenden von Menschenhandel und Folter durchzusetzen.[20] Forschungen von Migrant*innenrechtsorganisationen und Ärzt*innen haben aufgezeigt, dass das GPS-Tracking „erhebliche psychologische und physische Leiden“ verursacht, darunter Angst, Schmerzen, Re-Traumatisierung, das Gefühl der sozialen Stigmatisierung, Schlaf- oder Beziehungsprobleme.[21]

War die Methodik ursprünglich auf Gruppen von „sehr gefährlichen Straftäter*innen“ beschränkt, hat das Innenministerium nun im Rahmen eines im Juni 2022 veröffentlichten Pilotprojekts das GPS-Tracking auf Personen ausgeweitet, die auf „unnötigen und gefährlichen Wegen“ nach Großbritannien kommen.[22] Die einzige Begründung, die der damalige Premierminister Boris Johnson für die signifikante Ausweitung der Maßnahmen anführte, war, dass man sicherstellen wolle, dass Menschen, die ins Land kommen, nicht aus dem System „verschwinden“.[23] Dass jedoch nur etwa ein Prozent der aus dem Asylgewahrsam entlassenen Personen untertauchen, stellt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erneut in Frage.

Schleichende Funktionsausweitung

In verschiedenen Iterationen seiner „Immigration Bail policy“ hat das Innenministerium die Gründe dargelegt, aus denen es auf Spurdaten zugreifen und diese überprüfen kann. Einige dieser Gründe sind eindeutige Beispiele für eine „schleichende Funktionsausweitung“, ein häufig zu beobachtendes Phänomen, bei dem eine Technologie über den ursprünglich vorgesehenen Zweck hinaus verwendet wird – und in diesem Fall über das hinausgehend, was die Gesetzgebung vor Augen hatte.[24]

Einer dieser Gründe ist die Verwendung der GPS-Standortdaten von Personen, um fundierte Entscheidungen über ihre Einwanderungsanträge zu treffen: „Im Falle des Erhalts von Anträgen nach Artikel 8 oder weiteren Eingaben von Einzelpersonen können befugte Mitarbeiter*innen des Innenministeriums, die diese Anträge bearbeiten, Zugang zu den vollständigen Standortdaten verlangen, um die Ansprüche zu untermauern oder zu entkräften.“

Artikel 8-Anträge oder weitere Eingaben sind Ansprüche von Einzelpersonen auf ihr Recht auf ein Privat- und Familienleben in Großbritannien, das durch eine verpflichtende Ausreise oder Abschiebung verletzt würde. Die Verwendung von Spurdaten für solche Beurteilungen und Entscheidungen ist gesetzlich nicht genehmigt und kann das Recht auf Privatsphäre, aber auch auf Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit verletzen. Ein typischer „Abschreckungseffekt“ : Das Wissen, dass das Innenministerium mögliche Informationen über politische, religiöse, weltanschauliche oder sonstigen Ansichten einer Person verwenden könnte, kann dazu führen, dass Menschen ihre täglichen Aktivitäten einschränken (wie bereits in verschiedenen Aussagen von Betroffenen deutlich wurde),[25] weil sie befürchten, dass diese Informationen bewusst oder unbewusst gegen sie verwendet werden, wenn über ihre Anträge entschieden wird.

Unzureichende Sicherheitsvorkehrungen

Verglichen mit dem Einsatz im strafrechtlichen Kontext ist die elektronische Überwachung im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Einwanderungsgesetzen mit begrenzten Sicherheitsvorkehrungen verbunden, was wiederum Anlass zu der Besorgnis bietet, das Innenministerium sei der Ansicht, dass Migrant*innen nicht dieselben Menschenrechte und denselben Schutz verdienen wie britische Bürger*innen.

Zwar geht dieser Artikel nicht auf die Angemessenheit der Sicherheitsvorkehrungen im Strafrechtssystem ein und räumt ein, dass auch in diesem Zusammenhang Probleme bestehen, dennoch gibt es auffällige Unterschiede. „Her Majesties Prisons and Probation Code of Practice for Electronic Monitoring“,[26] die Leitlinien für den Einsatz der elektronischen Überwachung in der Bewährungshilfe, sieht unter anderem vor, dass nur Strafgerichte befugt sind, elektronische Überwachung anzuordnen und dass dabei Fragen der Fairness und Verhältnismäßigkeit berücksichtigen müssen; die Bewährungshilfe kann dies nicht selbst tun. Außerdem werden strengere Auflagen für die Verwendung von GPS-Tracking festgelegt und dieses zeitlich begrenzt, während es im Einwanderungssystem keine zeitliche Begrenzung gibt.

Auch eine Reihe von „Grundprinzipien“ für die elektronische Überwachung, die vom Ministerial-Committee des Europarats festgelegt wurden, hat das Innenministerium beim GPS-Tracking von Migrant*innen eindeutig ignoriert. Diese verlangen insbesondere, dass die Dauer der elektronischen Überwachung gesetzlich geregelt ist, dass Entscheidungen über die Überwachung von der Justiz getroffen werden oder eine gerichtliche Überprüfung möglich ist sowie, dass die Dauer und die Intensität der Überwachung in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der behaupteten oder begangenen Straftat stehen.[27]

Das Vorhandensein und die Qualität von Sicherungen sind von grundlegender Bedeutung für die Bewertung des Rechtseingriffs einer Maßnahme gemäß der EMRK. Im Verfahren Uzun vs. Deutschland des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), in dem es um die Anbringung eines GPS-Trackers im Auto einer Person ging,[28] urteilte das Gericht über den Eingriff der GPS-Überwachung in das Recht auf Privatleben gemäß Artikel 8 EMRK. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Überwachung berücksichtigte der EGMR die folgenden Faktoren: Dauer, Zeitpunkt, Ort und Rechtfertigung der Überwachung sowie die Existenz von minderinvasiven Methoden, die weniger in die Privatsphäre eingreifen, um das gleiche Ziel zu erreichen. Das GPS-Tracking von Migrant*innen in Großbritannien weist eine hohe Eingriffsintensität auf und lässt daher eine vernichtende Bewertung erwarten, wenn diese Praxis vor Gericht angefochten wird. Das Innenministerium scheint zu versuchen eine gerichtliche Überprüfung um jeden Preis zu vermeiden: Viele Klagen auf gerichtliche Überprüfung sind gescheitert, weil das Innenministerium das Tracking von Klagenden zu Beginn des Verfahrens entfernte und ihnen so den Grund der Klage nahm.

Schlussfolgerung

Es sieht düster aus für die Menschenrechte von Migrant*innen in Großbritannien, aber Anwält*innen und Menschenrechtsorganisationen wehren sich mittels rechtlicher Anfechtungen, Untersuchungen, Beschwerden bei den Behörden [29] und durch Kampagnen. Und das britische Innenministerium wird regelmäßig an seine völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen erinnert – so auch von der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte nach der Verabschiedung des Nationality and Borders Act 2022, der ein gestuftes Asylsystem einführte, Migration kriminalisierte und die räumliche Auslagerung von Asylbearbeitungszentren in Gebiete außerhalb Großbritanniens vorbereitete.[30]

Doch die vom Innenministerium eingesetzten Überwachungsinstrumente werden sich fast zwangsläufig auf andere EU-Länder ausbreiten, da sicherheitsbesessene Regierungen oft im Ausland nach Inspirationen suchen (in den USA gibt es bereits GPS-Tracking von Migrant*innen).[31] Menschenrechtsverteidiger*innen und Anwält*innen werden wachsam bleiben müssen. Mit der Weiterentwicklung von Technologien und Instrumenten zum Aufbau eines Überwachungsapparats gegen Migrant*innen,[32] werden neue und bestehende Probleme auftreten, die ein wachsames Auge der Zivilgesellschaft erfordern.

[1]    Theresa May Interview: ‘We’re going to give illegal migrants a really hostile reception’, www.telegraph.co.uk v. 25.5.2012
[2]    „Hostile environment”: the hardline Home Office policy tearing families apart, www.theguardian.com v. 28.11.2017
[3]    Medact: Patients Not Passports: Challenging healthcare charging in the NHS – Updated, London 2020, www.medact.org/wp-content/uploads/2020/10/Patients-Not-Passports-Challenging-healthcare-charging-in-the-NHS-October-2020-Update.pdf
[4]    Bradley, G.M.: Care Don’t Share, London 2018, www.libertyhumanrights.org.uk/wp-content/uploads/2020/02/Liberty-Care-Dont-Share-Report-280119-RGB.pdf.
[5]   England and Wales Court of Appeal: Entscheidung v. 26.5.2021, Az.: [2021] EWCA Civ 800, www.bailii.org/ew/cases/EWCA/Civ/2021/800.html
[6]    ICO: Mobile Phone Data Extraction by Police Forces in England and Wales, 2020, https://ico.org.uk/media/about-the-ico/documents/2617838/ico-report-on-mpe-in-england-and-wales-v1_1.pdf
[7]    Privacy International: Digital stop and search: how the UK police can secretly download everything from your mobile phone, London 2018, https://privacyinternational.org/sites/default/files/2018-03/Digital%20Stop%20and%20Search%20Report.pdf
[8]    ICO a.a.O. (Fn. 6)
[9]    Privacy International: PI intervenes in judicial review to support asylum seekers against the UK Home Secretary’s seizure and extraction of their mobile phones v. 31.1.2022, https://privacyinternational.org/news-analysis/4782/pi-intervenes-judicial-review-support-asylum-seekers-against-uk-home-secretarys
[10] England and Wales High Court: Entscheidung v. 25.2.2022, Az.: [2022] EWHC 695 (Admin), § 135, www.bailii.org/ew/cases/EWHC/Admin/2022/695.html
[11] England and Wales High Court: Entscheidung v. 14.10.2022, Az.: [2022] EWHC 2729 Admin, www.bailii.org/ew/cases/EWHC/Admin/2022/2729.html
[12] Privacy International: UK High Court orders groundbreaking redress for thousands of migrants affected by unlawful phone seizures and data extraction v. 18.11.2022, https://privacyinternational.org/news-analysis/4987/uk-high-court-orders-groundbreaking-redress-thousands-migrants-affected-unlawful
[13] European Court of Human Rights: Guide on Article 13 of the European Convention on Human Rights – Right to an effective remedy, 2022, www.echr.coe.int/documents/guide_art_13_eng.pdf
[14] A reprehensible way to behave: Crises mount up at the Home Office’, www.independent.co.uk v. 2.1.2023
[15] Audibert, L.; Bhatia, M.: From GPS tagging to facial recognition watches: expanding the surveillance of migrants in the UK, Institute of Race Relations v. 26.2.2022, https://irr.org.uk/article/from-gps-tagging-to-facial-recognition-watches-expanding-the-surveillance-of-migrants-in-the-uk
[16] Privacy International: Electronic monitoring using GPS tags: a tech primer v. 9.2.2022, https://privacyinternational.org/explainer/4796/electronic-monitoring-using-gps-tags-tech-primer
[17] Privacy International: Submission to the Information Commissioner – Request for assessment of processing operations by the Secretary of State for the Home Department („Home Office“) v. 17.8.2022, https://privacyinternational.org/sites/default/files/2022-08/2022.
[18] Bail for Immigration Detainees: BID’s Briefing on Electronic Monitoring, 24 March 2021, www.biduk.org/articles/805-bid-s-briefing-on-electronic-monitoring
[19] Dunan Lewis.: Duncan Lewis challenges the use of 24/7 GPS tracking by the Home Office v. 26.10.2022, www.duncanlewis.co.uk/immigration_news/Duncan_Lewis_challenges_the_use_of_247_GPS_tracking_by_the_Home_Office_(26_October_2022).html
[20] Another blow to Home Office as Rwanda asylum seekers not tagged on release from detention, www.independent.co.uk v. 11.7.2022
[21] Bail for Immigration Detainees: Research reveals „inhumane“ effects of GPS tagging on migrants v. 31.10.2022),  www.biduk.org/articles/research-reveals-inhumane-effects-of-gps-tagging-on-migrants
[22] Home Office: Immigration bail conditions: Electronic monitoring (EM) expansion pilot, Version 1.0 v. 15.6.2022, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1082956/Immigration_bail_conditions_-_Electronic_Monitoring__EM__Expansion_pilot.pdf
[23] Savage, M.: Outrage over scheme to electronically tag asylum seekers arriving in UK, , www.theguardian.com v. 19.6.2022
[24] Home Office: Immigration Bail, 27.1.2023, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1122225/Immigration_bail.pdf
[25] s. z. B. die Zeug*innenaussagen in der Beschwerde von Privacy International beim  Information Commissioner (Fn. 17)
[26] HM Prison & Probation Service: Code of Practice – Electronic Monitoring Data, October 2020, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/926813/em-revised-code-practice.pdf
[27] Council of Europe: Recommendation CM/Rec(2014) 4 of the Committee of Ministers to member states on electronic monitoring v. 19.2.2014
[28] EGMR: Entscheidung 35623/05 v. 2.9.2010
[29] Beschwerden wurden gegen das Innenministerium bei der britischen Datenschutzbehörde und der Aufsichtsbehörde für forensische Wissenschaft eingereicht, s. Privacy International: Privacy International files complaints against GPS tagging of migrants in the UK v. 17.8.2022, https://privacyinternational.org/news-analysis/4941/privacy-international-files-complaints-against-gps-tagging-migrants-uk
[30] OHCHR: UN Rights Chief urges revisions to UK borders bill v. 17.3.2022,  www.ohchr.org/en/press-releases/2022/03/un-rights-chief-urges-revisions-uk-borders-bill
[31] A US surveillance program tracks nearly 200,000 immigrants. What happens to their data?, www.theguardian.com v. 14.3.2022
[32] vor kurzem hat das Innenministerium „nicht integrierte” Fingerabdruckscanner eingeführt, s. UK plans GPS tracking of potential deportees by fingerprint scanners, www.theguardian.com v. 13.1.2023

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