Seit 2007 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 840 Millionen Euro für das Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit“ ausgegeben. Eine exemplarische Auswertung des Programms zeigt, dass die Polizei in rund einem Drittel der geförderten Projekte präsent ist. Polizeiliche Einrichtungen in Bund und Ländern sind in unterschiedlicher Intensität an Forschungen beteiligt. Dabei liegt der Schwerpunkt in Vorhaben, die den technischen, insbesondere informationstechnischen Fortschritt für die Polizeiarbeit nutzbar machen wollen. Im Zusammenwirken in der Forschung ist ein Geflecht aus Wissenschaft, Polizei und Privatwirtschaft entstanden, das Sicherheit als technokratisch herstellbaren Zustand begreift.
Die öffentliche Forschungsförderung ist aus zwei Gründen von Interesse. Erstens verspricht sie Hinweise darauf, in welchen Bereichen, mit welchen Strategien und Methoden der wissenschaftliche Fortschritt für die innere Sicherheit nutzbar gemacht werden soll. Zweitens erlaubt die Forschungsförderung einen Blick in die Zukunft. Denn zu erwarten ist, dass ein Teil dessen, was heute erforscht wird, bald in der Praxis Anwendung findet. Das gilt insbesondere, seit die Logik der öffentlichen Förderung darin besteht, dass sie „anwendungsorientiert“ angelegt sein soll, was in den meisten Förderrichtlinien dadurch sichergestellt wird, dass die späteren „Anwender“ an den Forschungsvorhaben zu beteiligen sind. Allerdings wird die Hoffnung, über die Forschung in die Zukunft blicken zu können, mehrfach getrübt. Einerseits wird vieles erforscht, das nie Praxisrelevanz erlangen wird. Andererseits werden Innovationen ohne Forschungsförderung von Firmen oder Behörden entwickelt, oder sie werden aus dem Ausland importiert.
Was die Forschung selbst angeht, so findet sie auf verschiedenen Pfaden statt, auf denen unterschiedliche Akteure mit spezifischen Interessen und Ressourcen tätig sind:
- Hochschulen und Forschungsinstitute besitzen eigene Forschungsetats, über die sie Forschungsvorhaben (allein) finanzieren können.
- Private Unternehmen in bestimmten Branchen unterhalten eigene Forschungsabteilungen, und diese forschen auch ohne öffentliche Unterstützung. Forschung ist ein Element im privatwirtschaftlichen Wettbewerb und fällt schnell in das Feld von „Betriebsgeheimnissen“.
- Die Innenministerien verfügen über Mittel für die „Auftragsforschung“. Gegenüber der „freien“ Forschung hat dieser Weg den Vorteil, dass der Auftraggeber unmittelbarer auf Gegenstand, Fragen, Design und damit auf mögliche Ergebnisse Einfluss nehmen kann. Eine Übersicht über die Indienstnahme der Forschung über Auftragsforschung durch deutsche Sicherheitsbehörden existiert nicht und wäre vermutlich nur sehr aufwändig zu erstellen.
- Die zentralen Polizeibehörden und -einrichtungen haben eigene Forschungskapazitäten. Im Bundeskriminalamt (BKA) findet die kriminologisch-sozialwissenschaftliche Forschung[1] im Kriminalistischen Institut, die naturwissenschaftlich-technische im Kriminaltechnischen Institut statt. Zur technikorientierten Forschung hat die Bundespolizei vor gut einem Jahrzehnt die „Forschungs- und Erprobungsstelle“ an der Bundespolizeiakademie in Lübeck eingerichtet. Geforscht wir auch an der Deutsche Hochschule für Polizei (DHPol) [2] sowie an den polizeilichen Fachhochschulen, die mitunter eigene Forschungsinstitute eingerichtet haben.
Für alle genannten Forschungsakteure stellt die öffentliche Forschungsförderung eine Option dar. Unter der Maßgabe der „Anwendungsorientierung“ ist sie forschungspolitisch als eine Win-Win-Konstellation angelegt: Die (privatwirtschaftlichen oder öffentlichen) Anwender können öffentliche Gelder und wissenschaftliches Knowhow nutzen. Die Forschenden vergrößern ihre Ressourcen (bis zur Koppelung der Hochschullehrer*innen-Besoldung an die eingeworbenen „Drittmittel“) und erhalten zugleich Zugänge zum Untersuchungsgegenstand. Und schließlich soll die Anwendungsrelevanz gewährleisten, dass die Forschungen gesellschaftlich nützlich sind. Die Nachteile dieser Konstruktion sind offenkundig, denn sie eröffnen den „Anwendern“ direkten Zugang zu Gegenständen, Fragen und Methoden der Forschung; sie zwingt Forschende zur Rücksichtnahme auf die beteiligten Praktiker*innen; und sie bewirkt, dass gesellschaftlich und politisch starke Interessen die Forschungslandschaft dominieren. Im Feld der inneren Sicherheit reicht dies von den Gewinninteressen privatwirtschaftlicher Anbieter von Gütern und Dienstleistungen über die institutionellen Eigeninteressen der Beteiligten bis zu den Vorstellungen, wie, durch wen und mit welchen Mitteln, welche Art von „Sicherheit“ für wen gewährleistet werden soll.
Im Folgenden kann nur ein Ausschnitt aus der Forschungslandschaft betrachtet werden. Der Artikel beschränkt sich auf die Forschungsförderung durch das einschlägige Rahmenprogramm des Bundes.[3] Durch diesen Zugang können nur jene Forschungsaktivitäten in den Blick kommen, die durch dieses Programm gefördert werden.
Das Rahmenprogramm
Seit 2007 fördert der Bund durch das Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit“; „zivil“ verweist darauf, dass es sich explizit nicht um Fragen der äußeren Sicherheit (= Militärforschung), sondern der inneren Sicherheit handelt. Diese Unterscheidung betrifft die Begründungszusammenhänge des Programms, nicht unbedingt seine praktische Bedeutung. Dass insbesondere bei technischen Innovationen „Dual Use-Möglichkeiten“ entstehen, also das Geförderte auch in militärischen Kontexten genutzt werden kann, könne – so die Zwischenevaluation zum Programm – „a priori nicht ausgeschlossen werden“. Weil am Programm auch Unternehmen beteiligt seien, die zugleich zivile und „nicht-zivile Anwendungen“ produzierten, sei eine diesbezügliche Kontrolle „über die Verwertung“ des Geförderten „utopisch“.[4] Darüber hinaus zeigt die Liste der geförderten Vorhaben, dass sechs Projekte von Einrichtungen der Bundeswehr koordiniert wurden und sie in zehn anderen aktiv und an einem weiteren passiv beteiligt war.[5] Auch deshalb ist die Kennzeichnung „zivil“ etwas irreführend.
Das Rahmenprogramm wurde bisher dreimal mit fünfjähriger Laufzeit aufgelegt. Im Programm formuliert die Bundesregierung Ziele sowie Schwerpunkte im Hinblick auf Themen und Instrumente der Forschung. Diese Grundzüge des Rahmenprogramms werden dann in konkreten „Förderrichtlinien“ umgesetzt, die es Interessierten erlauben, einen Antrag auf finanzielle Förderung ihres Vorhabens zu stellen. Seit 2007 wurden 58 SIFO-Förderrichtlinien erlassen.
Seit Beginn des Programms wurden rund 500 Forschungsprojekte mit ca. 2.000 Teilvorhaben durch SIFO gefördert. Für das zweite Rahmenprogramm (2012-2016) liegt eine Evaluation der Prognos AG vor, der einige Grunddaten entnommen werden können: In diesem Programmabschnitt wurden im Rahmen von 210 Verbund- und 29 Einzelprojekten insgesamt 1.042 Vorhaben gefördert, die mit Ausgaben von 473 Mio. Euro verbunden waren; 84% dieser Kosten (409 Mio. Euro) wurden durch das Rahmenprogramm finanziert. Gemäß der damaligen Programmstruktur unterscheidet die Evaluation sieben thematische Förderbereiche: „Schutz und Rettung“ (250 geförderte Projekte), „Kritische Infrastrukturen“ (245), „Internationale Kooperationen“ (145), „Biologische und chemische Gefahren“ (65), „KMU-Innovativ (themenoffen“) (KMU = Kleinere und mittlere Unternehmen, d. h. weniger als 250 Beschäftigte und weniger als 50 Mio. Euro Jahresumsatz) (88), „Kriminalitäts-Phänomene“ (40) und „Sonstige Themen“ (209). Den engsten Bezug zur Polizei weisen die Forschungen zu den „Kriminalitäts-Phänomenen“ auf; sie wurden mit knapp 14 Mio. Euro gefördert (zum Vergleich die „Schutz und Rettungs“-Projekte mit über 100 Mio.).[6]
Das gegenwärtig laufende Rahmenprogramm (2018-2023) betrachtet „Sicherheit als Voraussetzung für Freiheit, Lebensqualität und Wohlstand“. Diese sehr allgemeine Perspektive wird konkretisiert durch die Formulierung von zwei „Perspektiven“ (Schutz im alltäglichen Lebensumfeld, aktive Beteiligung der Bürger*innen), vier „Missionen“ (Resilienz, Innovation, Staat als Sicherheitsgarant, gesamtgesellschaftliche Aufgabe) und zwölf „Zielen“ (von „Sicherheit im Alltag erhöhen“ bis „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ verbessern). Thematisch werden drei „Programmsäulen“ vorgegeben: „Schutz und Rettung von Menschen“, „Schutz Kritischer Infrastrukturen“ und „Schutz vor Kriminalität und Terrorismus“. Für jede Säule formuliert das Programm „relevante Forschungsthemen“. Darüber hinaus fördert das Programm Vorhaben in den Bereichen technologische und gesellschaftliche Entwicklungen, internationale Kooperationen und „Strukturbildung, Praxistransfer und Kompetenzaufbau“.[7]
Im Rahmen des Programm 2018-2023 waren bis Januar 2023 insgesamt 20 Förderbekanntmachungen erfolgt; davon die Hälfte bereits für weitere Antragstellungen geschlossen. Die Förderbekanntmachungen selbst geben nur eine grobe Richtung des zu Fördernden vor; es liegt bei den potenziellen Antragsteller*innen, ob es ihnen gelingt, ihre Interessen oder besonderen Fähigkeiten so zuzuschneiden, dass sie zur Förderbekanntmachung passen. Je weiter die Bekanntmachung, desto vielfältiger sind die geförderten Projekte. Die acht Projekte, die im zum „Schutz vor organisierter Kriminalität“ bewilligt wurden, reichten von Online-Betrug (ABBO) über den Menschenhandel (PRISMA) [8] bis zu Ticketfälschungen (Securestamp). Demgegenüber konzentrierten sich die zehn Projekte zur Terrorismusbekämpfung auf die Abwehr von Drohnen (4 Projekte) und Radikalisierungsprozesse im Internet (3).
Bewilligte Projekte
Die Förderungen in der zivilen Sicherheit, kurz: Sicherheitsforschung, werden auf der Seite www.sifo.de des Bundesministeriums für Bildung und Forschung dokumentiert. Die dort geführte Projektdatenbank listet
478 Vorhaben auf, die durch das Programm seit 2007 gefördert wurden.[9] Die Projekte sind den Bereichen „Schutz und Rettung von Menschen“, (10 Bekanntmachungen/ 81 Förderungen), „Schutz Kritischer Infrastruktur“ (12/100), „Gesellschaft“ (7/65), „Querschnittsthemen und -aktivitäten“ (6 />200) sowie „Schutz vor Kriminalität und Terrorismus“ (7/43) zugeordnet. In letzterem wurden Projekte im Hinblick auf islamistischen Extremismus (2 Projekte), Terrorismus (10), organisierte Kriminalität (12), Wirtschaftskriminalität (7), Biometrie (3) und Mustererkennung (9) gefördert.
Um die Bedeutung der Forschungsförderung für die Polizei bestimmen zu können, wurden 467 Projekten aus der SIFO-Datenbank, für die eine Kurzbeschreibung vorlag, daraufhin ausgewertet, ob die Polizei an den Vorhaben beteiligt war. In den Projekten werden drei Arten von Beteiligung unterschieden: 1. Koordinierung des Projekts. Das ist die zentrale Stelle des Projekts, das sie in der Regel auch selbst initiiert hat. Sie koordiniert alle Projektaktivitäten und ist selbst forschend beteiligt. 2. Kooperationspartner im Projekt. Das sind die am Vorhaben aktiv beteiligten Einrichtungen, die durch die Projektmittel unterstützt werden. 3. Assoziierte Projektpartner. Diese erhalten keine Mittel aus der Projektförderung, sind aber in unterschiedlichen Formen beteiligt, etwa indem sie beratend mitwirken oder die Vorhaben praktisch unterstützen (z. B. Interviewgenehmigungen oder Aktenauswertungen zusagen). Der Einbezug dieser dritten Gruppe in die Auswertung gewährleistet, dass über die Beteiligten die Polizeirelevanz des Geförderten deutlich werden kann. (Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass etwas, das ohne jede polizeiliche Beteiligung entwickelt wurde, zukünftig polizeilich genutzt werden kann.)
Projekte mit Beteiligung der Polizei
478 | Gesamtzahl der geförderten Projekte |
11 | Projekte ohne Kurzvorstellung (= nicht berücksichtigt) |
29 | Koordination durch die Polizei |
55 | Polizei als Projektpartner (und nicht als Koordinator) |
73 | Polizei als assoziierter Partner (und nicht als Projektpartner) |
Als „Polizei“ wurden in der Auswertung alle Polizeibehörden und -einrichtungen gezählt, einschließlich der polizeilichen Ausbildungseinrichtungen. Nicht berücksichtigt wurden Innenministerien, Zoll, Staatsanwaltschaften und Verfassungsschutz, die alle nur selten beteiligt sind. In einem Drittel (156 von 467) der geförderten Projekte war die Polizei in mindestens einer der drei Formen beteiligt.
Die unter „Polizei“ zusammengefassten Einrichtungen sind heterogen; sie reichen von den Polizeien des Bundes über die Ausbildungseinrichtungen bis zu lokalen Polizeibehörden. Die nachfolgende Tabelle zeigt, welche „Polizei“ wie häufig in welcher Form an den Projekten beteiligt war.
Polizeibehörden, -einrichtungen Art der Beteiligung an Projekten
Koord. | Partner | Assozi. | |
Bundeskriminalamt | 5 | 14 | 12 |
Bundespolizei | 3 | 6 | 5 |
Deutsche Hochschule der Polizei | 2 | 10 | 5 |
Polizeil. Fachhochschulen, Akademien | 2 | 14 | 6 |
Landeskriminalämter, -polizei | 9 | 12 | 33 |
Polizeipräsidien, -direktionen etc. | 7 | 6 | 16 |
Bund Deutscher Kriminalbeamter | 1 | ||
Spezialeinsatzkommando (SEK) | 1 |
Für die bundesweiten Einrichtungen weist das BKA die höchste Forschungspräsenz auf. Wie bei der Bundespolizei verteilt sich dies innerhalb der Behörde auf unterschiedliche Organisationseinheiten. Auffallend ist, dass nachgeordnete Landespolizeibehörden fast doppelt so viele Projekte koordinieren wie die Fachhochschulen.
Das Förderprofil
Die Themen der geförderten Projekte mit Polizeibeteiligung ergeben sich zum Teil aus den Förderbekanntmachungen, wenn sie z. B. explizit auf Sicherheit im Luftverkehr, biologische Gefahren, Terrorismus, organisierte oder Wirtschaftskriminalität zielen. Sie werden auch vorgegeben durch die Art der Instrumente, die erforscht werden sollen, z. B. Biometrie, Mustererkennung oder Künstliche Intelligenz. Bereits aus diesen Beispielen sind die sachlichen Überschneidungen ersichtlich, etwa ein terroristischer Anschlag auf den Luftverkehr, der durch das Erkennen verdächtiger Bewegungsmuster im Flughafen verhindert werden soll. Kennzeichnend für das SIFO-Programm sind aber auch die vielen themenoffenen Ausschreibungen, die die Förderung von Projekten erlauben, die sich mit Fußballfans (SiKomFan), dem Betrug in der Pflegeversicherung (PflegeForensik), Tötungsdelikten in Partnerschaften (GaTe), der Ausbildung von Spezialeinheiten mithilfe Virtueller Realität (KITE) oder der Lageerkundung durch Drohnen in geschlossenen Räumen (InLaSeD) beschäftigen. So entsteht ein thematisch weit gefächertes Spektrum geförderter Projekte mit Polizeibeteiligung.
Etwas deutlicher wird das Bild, wenn danach gefragt wird, zu welcher Art polizeilicher Tätigkeiten oder Herausforderungen die Projekte beitragen wollen. Auch wenn die Zuordnung nicht trennscharf erfolgen kann, lassen sich die folgenden Förderschwerpunkte erkennen:
- 31 Projekte (3 von der Polizei koordiniert/ in 8 als Forschungspartner/ in 20 assoziiert dabei) beschäftigen sich mit der „Detektion“, also dem technisch unterstützten Aufdecken von Substanzen (Sprengmittel etc.), als verdächtig definierten Verhaltensweisen oder illegalisierten Personen.
- 30 Projekte (9/11/19) dienen der Herstellung von Lagebildern bzw. der Darstellung von Einsatzsituationen.
- 16 Projekte (6/4/6) beschäftigen sich mit der Unterstützung von Auswertungen und Ermittlungen.
- 9 Projekte (2/4/7) thematisieren Sicherheitsstrategien im öffentlichen städtischen Raum.
- 8 Projekte (2/3/3) gelten Sicherheitsproblemen im Zusammenhang mit Großveranstaltungen.
- 7 Projekte (1/4/2) wollen die Verdachtsschöpfung im Hinblick auf Gefahren oder Kriminalität verbessern.
- 6 Projekte (1/2/3) beschäftigen sich mit Drohnen als Gefahr oder polizeilichem Einsatzmittel.
49 Projekte können diesen Kategorien nicht zugeordnet werden. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Aktivitäten im Bereich des Katastrophenschutzes oder der Vernetzung.
Für den Innovationsgehalt der Forschungen ist kennzeichnend, dass der naturwissenschaftlich-technische und der informationstechnologische Fortschritt nutzbar gemacht werden soll.[10] Im Feld der „Detektion“ geht es häufig um das Aufspüren gefährlicher Stoffe; aber auch um das Aufspüren von Personen und das Erkennen gefährlicher Situationen. Die Grenzen zwischen Detektion und „Musterkennung“ sind fließend. Sie dienen beide der Verdachtsschöpfung im bisher Unverdächtigen. Sie zielen auf visuelle Muster (ADIS), Personen (APFel) oder Situationen (ASEV, CamInSens); auch die Projekte FLORIDA (Auswertung von Videomassedaten) und ERAME (Radikalisierung in Sozialen Medien), X-SONAR (extremistische Bestrebungen in Sozialen Netzwerken) oder PANDORA (extremistische Inhalte im Internet) gehören in diese Kategorie.
Die Potenziale der Digitalisierung sollen darüber hinaus in zweifacher Hinsicht nutzbar gemacht werden: Ein Teil der Projekte will zu einer verbesserten Lagebilderstellung beitragen, indem sie Dunkelfelder erhellen und Modi operandi aufdecken; dieses Ziel verfolgen z. B. die Projekte FINANTIA (Missbrauch von modernen Zahlungssystemen), INSPECT (organisierte Finanzdelikte) oder OK 3.0. Durch eine andere Gruppe von Vorhaben soll die Arbeit der Sicherheitsbehörden verbessert werden, indem nicht neue Daten erhoben, sondern vorhandene effektiver ausgewertet und mit anderen verknüpft werden. Die Projekte LIDARKA (Vernetzung von Daten unterschiedlicher Formate und Systeme) oder PEGASUS (Gewinnung und Analyse heterogener Massedaten) verfolgen dieses Ziel.
Mit dem Förderaufruf zur Künstlichen Intelligenz soll „Big Data“ und Massenauswertungen für Sicherheitsbelange eingesetzt werden. Sechs der 21 nach diesem Aufruf geförderten Projekte weisen einen unmittelbaren Polizeibezug auf: VIKING will die polizeiliche Infrastruktur verbessern, CrossFace zielt auf verbesserte Gesichtserkennung bei Videoaufnahmen, FAKE-ID soll gefälschte Identitäten aufdecken (so auch das Projekt SpeechTrust+), KISTRA soll durch die Verarbeitung von Massendaten zur Erkennung, Vorbeugung und Verfolgung von „politisch motivierten Straftaten mit Internetbezug“ beitragen und durch das Projekt KriminelleNetzwerke sollen die Ermittlungen der Polizei bei Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen unterstützt werden.
Die technokratische Schlagseite der Förderungen zeigt sich auch in den Bereichen, die einen expliziten gesellschaftlichen Bezug versprechen. In der Säule „Gesellschaft“ wurden nach dem Förderaufruf „Fragen der Migration“ sieben Projekte gefördert. Nur an einem Vorhaben ist die Polizei nicht beteiligt. Und nur in zwei Vorhaben geht es nicht um die Aufdeckung, Verhinderung und Verwaltung illegal(isiert)er Migration. Diese Zielsetzung wird auch in anderen Programmsäulen verfolgt.
Ein kurzes Fazit
Der hier gewählte quantitative Zugang zum Zusammenhang von Polizei und staatlicher Forschungsförderung erlaubt nur einen groben Eindruck, der geprüft werden müsste durch Einbeziehung der Forschungen selbst, ihres Vorgehens, ihre Ergebnisse und Folgen. Nicht in genaueren Augenschein genommen wurden die wenigen Projekte, die sich aus einer sozial- oder rechtswissenschaftlichen Perspektive mit der inneren Sicherheit beschäftigen. Betrachtet wurde auch nicht der Stellenwert, der den sozial- oder rechtswissenschaftlichen Teilprojekten im Kontext größerer Vorhaben zukommt. Beide Elemente der SIFO-Förderung wären einer gesonderten Untersuchung wert. Die hier vorgenommene Auswertung zeigt drei charakteristische Merkmale:
Erstens ist die Institution „Polizei“ nur in einem Drittel der Projekte vertreten, d. h. Sicherheitsforschung ist nicht gleich Polizeiforschung. Allerdings gilt umgekehrt, dass es in SIFO keine Polizeiforschung ohne die Polizei gibt. Die Betonung der Anwendungsorientierung führt fast zwangsläufig dazu, in Fragen mit Polizeibezug die Polizei zu beteiligen. In unterschiedlichen Konstellationen bedeutet dies, dass Forschung zur Verfolgung polizeilicher Zwecke betrieben wird oder dass polizeiliche Interessen im Projekt berücksichtigt werden. Selbst in der geringsten Stufe der Beteiligung als „assoziierter“ Partner ist der Spielraum für die Forschenden begrenzt, sofern sie die Assoziierten nicht verärgern wollen. So entsteht eine Konstellation, in der die Polizei mitbestimmt, wie über sie geforscht wird.
Zweitens zeichnet sich der gesamte Förderkatalog durch eine doppelte Schieflage aus: Entgegen den Vorgaben im aktuellen Programm („Schutz im alltäglichen Lebensumfeld“, „Sicherheit im Alltag“) liegt sein Schwerpunkt eindeutig in der Abwehr oder dem Umgang mit großen Schadenslagen oder systemischen Bedrohungen. Statt auf sozialen Antworten und gesellschaftliche Veränderungen zielen die Forschungen zum weit überwiegenden Teil auf verbesserte Möglichkeiten des technischen Aufdeckens und der effektiveren Polizierung von Risiken für die „zivile Sicherheit“ – auch dies ein deutlicher Widerspruch zum Rahmenprogramm, das von der „aktiven Beteiligung der Bürger*innen“ spricht.
Drittens entsteht in der Forschungsförderung ein Geflecht aus polizeilichen Einrichtungen und Dienststellen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie privatwirtschaftlichen Unternehmen, die von spezialisierten IT-Anbietern bis zu internationalen (Rüstungs-)Konzernen reichen. Es werden dauerhafte Verbindungen geschaffen, die wiederum rückwirken auf den zugrunde gelegten Sicherheitsbegriff, und die ermöglichen, dass das „Geben und Nehmen“ jenseits der konkreten Zusammenarbeit fortgesetzt wird.