Wer Polizist*innen wegen Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) anzeigt, muss häufig mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands gegen oder tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamt*innen (§§ 113, 114 StGB) rechnen. Gegenanzeigen streuen Zweifel an der Legitimität der ursprünglichen Anzeige und stellen den Gehalt der darin enthaltenen Vorwürfe in Frage. Gegenanzeigen fungieren als Abwehrinstrument gegen Betroffene von (mutmaßlich) strafbarem Handeln der Polizist*innen und dienen der Rechtfertigung des polizeilichen Gewalteinsatzes. Teilweise wird das Erstatten von Gegenanzeigen auch als „prophylaktische Praxis“ der Polizist*innen beschrieben, um sich für zukünftige Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt zu schützen. Anzeige und Gegenanzeige werden regelmäßig von Staatsanwaltschaften gemeinsam bearbeitet, wobei sich Glaubwürdigkeitshierarchien zugunsten der Polizist*innen auswirken.[1]
Nicht bekannt war bisher, warum die Gegenanzeigen wegen geringfügiger Strafvorwürfe gem. §§ 113, 114 StGB regelmäßig vor Gericht verhandelt werden. Wenn der Schaden der Betroffenen oder die Schuld der Verdächtigen gering ausfallen, sieht die Strafprozessordnung in §§ 153, 153a vor, dass ein Verfahren eingestellt werden kann. Dies ist ohne weitere Bedingungen oder unter bestimmten Auflagen, etwa der Leistung gemeinnütziger Arbeit, der Zahlung von Geldbeträgen oder von Schadensersatz, möglich. Eine Recherche des Medienportals FragDenStaat legt nun offen, warum hiervon bei Gegenanzeigen von Polizist*innen nicht Gebrauch gemacht wird.[2] In neun deutschen Bundesländern gibt es interne Vorschriften, die eine Einstellung des Verfahrens ausschließen, wenn Amts- und Mandatsträger*innen die Geschädigten sind. Konkret geht es um Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, das Saarland und Thüringen – den entsprechenden Runderlass aus NRW veröffentlicht FragDenStaat exemplarisch. Faktisch führt dies zu einer justiziellen Ungleichbehandlung von mutmaßlicher Gewalt gegen Polizist*innen und Normalbürger*innen – mit dem Ergebnis, dass die Praxis der Gegenanzeige auch zukünftig abschreckende Wirkung auf Anzeigen gegen Polizist*innen haben wird.