Alle Beiträge von Marius Kühne

EGMR: Plastikfolienvisiere sind keine „Schutzwaffen“

Der Begriff der „Schutzwaffe“ legt nahe, Gegenstände zum Schutz vor externer Gewalteinwirkung seien vergleichbar mit Waffen oder ähnlichen Gegenständen, die zum Angriff genutzt werden. Trotz dieser erkennbar fehlgeleiteten Wertung verbietet § 17a Abs. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes (BVersG) das Mitführen von sog. Schutzwaffen bei Demonstrationen, § 27 Abs. 2 Nr. 1 BVersG sieht sogar eine Sanktionierung mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Wegen mutmaßlicher Verstöße gegen diese Vorschriften wurde ein Frankfurter Aktivist zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte bei den „Blockupy“-Protesten gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank im Jahr 2015 eine mit einem Gummiband befestigte Plastikfolie mit der Aufschrift „Smash Capitalism“ vor dem Gesicht getragen. Verschiedene deutsche Gerichte bestätigten die Verurteilung, bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 20. Mai 2025 entschied, sämtliche vorergangenen Urteile verstießen gegen die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention. EGMR: Plastikfolienvisiere sind keine „Schutzwaffen“ weiterlesen

BGH gestattet Smartphone-Entsperrung mit Fingerabdruck

Wer die Daten auf dem Smartphone einer fremden Person auslesen kann, erlangt regelmäßig einen tiefen Einblick in deren Lebensgestaltung. Das Nutzungsverhalten zahlreicher Apps bietet Aufschluss über bestehende Kontakte, persönliche Kommunikation, private Fotos, Notizen und Kalendereinträge sowie Gesundheitsdaten, konsultierte Medien und vieles mehr. Um auf diese Daten zugreifen zu können, bedarf es der Entsperrung durch einen PIN-Code, Fingerabdruck oder die sog. Face-ID. Strafverfolgungsbehörden stehen regelmäßig vor der Herausforderung, die begehrten Geräte zwar beschlagnahmen, aber nicht auslesen zu können. BGH gestattet Smartphone-Entsperrung mit Fingerabdruck weiterlesen

Landtag NRW beschließt Polizeibeauftragten-Gesetz

Wer schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat, hat oft das Bedürfnis, sich über die jeweiligen Beamt*innen zu beschweren, aber nicht unbedingt das Vertrauen, damit bei der Polizei an der richtigen Adresse zu sein. Insbesondere an der unvoreingenommenen Bearbeitung von Anzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden bestehen erhebliche Zweifel. Aus diesem Grund haben seit 2014 sieben Bundesländer und der Bund unabhängige Polizeibeauftragte bei den Parlamenten geschaffen, am 25. März 2025 auch Nordrhein-Westfalen durch den Beschluss eines Polizeibeauftragtengesetzes. Landtag NRW beschließt Polizeibeauftragten-Gesetz weiterlesen

Geheimer Erlass zu Widerstandsdelikten veröffentlicht

Wer Polizist*innen wegen Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) anzeigt, muss häufig mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands gegen oder tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamt*innen (§§ 113, 114 StGB) rechnen. Gegenanzeigen streuen Zweifel an der Legitimität der ursprünglichen Anzeige und stellen den Gehalt der darin enthaltenen Vorwürfe in Frage. Gegenanzeigen fungieren als Abwehrinstrument gegen Betroffene von (mutmaßlich) strafbarem Handeln der Polizist*innen und dienen der Rechtfertigung des polizeilichen Gewalteinsatzes. Teilweise wird das Erstatten von Gegenanzeigen auch als „prophylaktische Praxis“ der Polizist­*­innen beschrieben, um sich für zukünftige Anzeigen wegen Körper­verletzung im Amt zu schützen. Anzeige und Gegenanzeige werden regelmäßig von Staatsanwaltschaften gemeinsam bearbeitet, wobei sich Glaubwürdigkeitshierarchien zugunsten der Polizist*innen auswirken.[1] Geheimer Erlass zu Widerstandsdelikten veröffentlicht weiterlesen

Befugnisse im PolG NRW verfassungswidrig

Mit Beschluss vom 14. November 2024 (Az.: 1 BvL 3/22) entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass die Bestimmungen im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz (PolG NRW) zur längerfristigen Observation bei gleichzeitigem Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar sind. Das Verfahren war dem Verfassungsgericht vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegt worden, das über die Revision einer Klägerin zu entscheiden hatte, die selbst nicht Zielperson der Überwachung war. Sie war jedoch im Rahmen der Observation einer als sog. ‚Gefährder‘, aus dem Spektrum politisch rechts motivierter Kriminalität, eingestuften Person mehrfach beobachtet und fotografiert worden. Befugnisse im PolG NRW verfassungswidrig weiterlesen

BKA-Gesetz teilweise verfassungswidrig

Verschiedene Vorschriften des Gesetzes über das Bundeskriminalamt (BKAG) verstoßen gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 1. Oktober 2024 (Az. 1 BvR 1160/19) festgestellt und den Bundestag verpflichtet, bis spätestens 31. Juli 2025 nachzubessern. Die Verfassungsbeschwerde wurde von Rechtsanwält*innen, Aktivist*innen und Fußballfans erhoben und von der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte koordiniert. Im Urteil bemängelte das Gericht die Befugnis des BKA zur heimlichen Überwachung der Kontaktpersonen von Tatverdächtigen im Bereich des Terrorismus sowie die Verarbeitung bereits erhobener personenbezogener Daten in den Datenbanken von Bund und Ländern. BKA-Gesetz teilweise verfassungswidrig weiterlesen

Gesetz für Bundespolizeibeauftragten beschlossen

Acht Bundesländer verfügen über Landespolizeibeauftragte, nun zieht der Bund nach. Zum 5. März 2024 ist das „Gesetz über die Polizeibeauftragte oder den Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag“ (PolBeauftrG) in Kraft getreten.[1] Faktisch wird es ein Bundespolizeibeauftragter, denn dass der bisherige SPD-Bundestagsabgeordnete Uli Grötsch erster Amtsinhaber würde, stand bereits lange fest.

Der Beauftragte soll künftig strukturelle Mängel und individuelles Fehlverhalten bei Bundespolizei, Bundeskriminalamt und der Polizei beim Deutschen Bundestag untersuchen (§ 1), nicht jedoch bei den ebenfalls mit polizeiähnlichen Befugnissen ausgestatteten Vollzugsbehörden der Bundeszollverwaltung. Gesetz für Bundespolizeibeauftragten beschlossen weiterlesen

Umfassende Änderungen für Versammlungen in Sachsen

Bereits seit 2012 verfügt Sachsen über ein eigenes Versammlungsgesetz, nun legt die Staatsregierung einen Entwurf für dessen Neufassung vor.[1] Dabei fällt positiv auf, dass im Gesetzesentwurf der Schutz der freien Berichterstattung gestärkt (§§ 3 Abs. 1 Nr. 4, 21 Abs. 2) und das Mindestalter für Ordner*innen auf 16 Jahre herabgesetzt wird (§ 6 Abs. 2). Im Sinne einer umfassenden Gewährleistung der Versammlungsfreiheit ist ebenfalls begrüßenswert, dass die Nichtanzeige geplanter Versammlungen zukünftig von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft und Versammlungen ohne Leiter*in nicht mehr aufgelöst, sondern ihre Durchführung ermöglicht werden sollen – auch wenn dies wohl ein Zugeständnis an das problematische Protestspektrum der ‚Corona-Spaziergänge‘ ist. Umfassende Änderungen für Versammlungen in Sachsen weiterlesen

Zwischenbericht zur Polizeistudie MEGAVO veröffentlicht

Nach hitzigen Diskussionen stimmte im Jahr 2020 der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer der Förderung einer Polizeistudie zu. Damals wurde im Kontext der Veröffentlichung rechtsextremer Polizeichatgruppen eine Studie über Rassismus innerhalb der Behörden gefordert. Letztendlich einigte sich die große Koalition darauf, nicht explizit Rassismus, sondern allgemein den Arbeitsalltag deutscher Polizeibeamt*innen zu untersuchen. Gefördert wurde daraufhin die Studie „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“ (MEGAVO) unter der Leitung der Strafrechtsprofessorin Anja Schiemann, die nun ihren ersten Zwischenbericht vorlegt.[1] Zwischenbericht zur Polizeistudie MEGAVO veröffentlicht weiterlesen

Einigung zu „elektronischen Beweismitteln“

Das Europäische Parlament und der Rat haben sich im Januar 2023 auf zwei Gesetzesvorhaben zur Sicherung und Herausgabe elektronischer Beweismittel in Strafsachen geeinigt.[1] Das „E-Evidence“-Paket besteht aus einer Verordnung sowie einer ergänzenden Richtlinie. Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist, dass Strafverfolgungsbehörden zunehmend auf im Ausland gespeicherte Daten zugreifen wollen. Deren Herausgabe richtet sich traditionell nach den Vorschriften der internationalen Rechtshilfe. Allerdings werden entsprechende Verfahren von den Behörden als zu langsam und ineffizient wahrgenommen. Daher haben die USA bereits 2018 den sog. CLOUD ACT erlassen, der US-amerikanische Technologiefirmen verpflichtet, auch Daten, die auf ihren Servern im Ausland gespeichert werden, an US-Strafverfolgungsbehörden herauszugeben. Ein ähnliches Verfahren sieht die E-Evidence-Verordnung vor, auf die sich die europäischen Rechtssetzungsorgane nun geeinigt haben. Einigung zu „elektronischen Beweismitteln“ weiterlesen