Schlagwort-Archive: Strafrecht

Mit Strafrecht für Frauenrechte? Interview mit Christina Clemm

Christina Clemm ist Anwältin für Straf- und Familienrecht und engagiert sich gegen sexualisierte und rassistische Gewalt. Im Interview betont sie die Notwendigkeit intersektionaler Feminismen. Sie kritisiert eine mangelnde wissenschaftliche Expertise bei Polizei und Justiz zu sexualisierter und gegenderter Gewalt, und sie erläutert, warum es Strafrecht und Nebenklage zu deren Bekämpfung braucht. 

Du arbeitest als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin nicht zuletzt von Opfern sexualisierter Gewalt. Auf der Basis Deiner Praxiserfahrung, wo würdest Du sagen, drückt der Schuh am meisten in diesem Bereich?

Christina: Sexualisierte Gewalt und insgesamt geschlechtsspezifische Gewalt ist ein massives gesamtgesellschaftliches Problem, das alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens durchzieht. Es gibt sie sowohl alltäglich im sozialen Nahraum als auch in politischen Auseinandersetzungen, zum Beispiel gegen Sexarbeiter*innen auf der Arbeitsstelle, in Wohnprojekten, auf Festivals. Es gibt sie besonders häufig gegen Frauen mit Beeinträchtigungen und gegen Menschen, die zusätzlich rassistisch diskriminiert werden, gegen Transpersonen, homosexuelle Personen. Grundsätzlich kann sie jedoch überall vorkommen. Aber sie wird weiterhin individualisiert, statt strukturell analysiert und bekämpft. Mit Strafrecht für Frauenrechte? Interview mit Christina Clemm weiterlesen

Verpolizeilichung des Strafrechts: Neue EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung

von Elif Eralp

Mit einem Richtlinienvorschlag vom Dezember 2015 möchte die Europäische Kommission die geltenden EU-Vorschriften zur Strafbarkeit terroristischer Handlungen ausweiten.[1] Einmal mehr bleiben dabei Grundrechte außen vor.

Im Fokus sind vor allem ausländische terroristische KämpferInnen sowie in Drittländern an terroristischen Handlungen teilnehmende Reisende. Die Richtlinie, die die Mitgliedstaaten in ihr nationales Strafrecht umsetzen müssen, enthält Vorgaben, die aus grundrechtlicher Sicht höchst problematisch sind. Sie werden die nicht nur in Deutschland seit Jahren sichtbare Verpolizeilichung des Strafrechts weiter vorantreiben. Verpolizeilichung des Strafrechts: Neue EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung weiterlesen

Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Notizen zu einem Buch von Peter-Alexis Albrecht[1]

Auf 1040 Seiten hat Peter-Alexis Albrecht sein Wissen, seine Erfahrungen, seine Kritik, seine (Gegen-)Vorschläge und schließlich seine verhaltene Verzweiflung ausgebreitet. Von Strafrecht, Strafjustiz, Strafverfolgung und Strafvollzug in ihrer bundesdeutschen Entwicklung von etwa 1970 bis zur Gegenwart ist die Rede.

49 Abhandlungen von Peter-Alexis Albrecht, gegliedert in sieben Teile, enthält dieses an Material und Aspekten üppige, alles in allem faszinierende Werk. Sie werden „vor dem Hintergrund sich wandelnder Formen und Zugriffe sozialer Kontrolle sowie gesellschaftlicher Ent­wicklungen – in ihrem zeitlichen Verlauf“ präsentiert. Sie sind werkbiographisch verknotet und mit pointierten Bilanzierungen versehen. Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Notizen zu einem Buch von Peter-Alexis Albrecht[1] weiterlesen

Zwei Seiten einer Medaille – Über Chancen und Risiken der Nebenklage

von Daniel Wölky

Das Instrument der Nebenklage ermöglicht es den Verletzten, aktiv ins Prozessgeschehen einzugreifen – um Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zu kontrollieren, aber auch um eigene höchst partikulare Interessen oder gar Rachebedürfnisse zur Geltung zu bringen.

Ein Fall von Kindesentführung und Vergewaltigung von Anfang des Jahres 2006 sorgte im Herbst desselben Jahres erneut für Schlagzeilen. Hervorgerufen wurde das öffentliche Aufsehen jedoch nicht durch die Straftaten des Mario M., sondern durch die offensive Medienstrategie der Anwälte des 13-jährigen Opfers Stephanie R.: Es begann mit einem Artikel des „Spiegel“ unter dem Titel: „Willst Du mich umbringen?“, in welchem das Mädchen detailreich von den erlittenen Qualen berichtete.[1] Kurze Zeit später wurde sie in Johannes B. Kerners Talkshow präsentiert.[2] Unablässig gab die Nebenklagevertretung Stellungnahmen ab. Als Mario M. am 8. November auf das Dach der Haftanstalt kletterte, forderte der Anwalt von Stefanie R. gar eine Standleitung zum Justizminister und zur Gefängnisleitung, „damit man immer informiert“ sei. Zwei Seiten einer Medaille – Über Chancen und Risiken der Nebenklage weiterlesen

Terrorismusprävention – Ausufernde Befugnisse und ihre Resultate

von Stefan Waterkamp und Mark Eidam

Ein ins Vorfeld verlagertes Strafrecht sowie ausgedehnte Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten bestimmen das Recht der Terrorismusprävention. Ihre Ergebnisse sind wenige Verurteilungen aber auch schlichte Gewalt gegen Einzelne.

Ein Video, das anlässlich einer Entführung im Irak offensichtlich für die deutsche und österreichische Öffentlichkeit erstellt wurde, heizt die Alarmstimmung an. Politik und Sicherheitskreise verweisen auf eine „erhöhte, abstrakte Terrorgefahr“, von konkreten Plänen wisse man aber nichts. Das ist beruhigend, denn schließlich müssten die Behörden inzwischen alles wissen können, was islamistische Terrorkrieger in Deutschland aushecken. In der Folge der Attentate vom 11. September 2001 wurden die Befugnisse von Polizei, Justiz und Geheimdiensten zur Abwehr der terroristischen Gefahr exzessiv ausgeweitet.[1] Frühzeitige Information über mögliche Planungen der Terroristen ist nach Ansicht von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zentral, um Anschläge zu verhindern. Und die Vernetzung von Informationen sei das wichtigste Mittel, um die Effizienz der Terrorismusbekämpfung zu steigern.[2] Terrorismusprävention – Ausufernde Befugnisse und ihre Resultate weiterlesen

Terrorismusbekämpfung in der EU – Ein Jahr nach dem 11. September

von Mark Holzberger und Heiner Busch

Die Terrorismusbekämpfung hat der Innen- und Justizpolitik der EU neuen Treibstoff zugeführt. Wohin die Reise gehen soll, ist einem 64 Punkte umfassenden „Fahrplan“ zu entnehmen, der seit Oktober 2001 ständig aktualisiert wird.[1]

Der Entwurf für eine gemeinsame Terrorismus-Definition hat offenbar bereits vor den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer Schublade der EU-Kommission gelegen, denn präsentiert wurde er bereits acht Tage danach. Am 22. Juni 2002 trat der entsprechende Rahmenbeschluss in Kraft.[2] Die Mitgliedstaaten haben ihn nun in ihr Strafrecht zu übernehmen; d.h. unter anderem, dass sie entweder einen Straftatbestand der „terroristischen Vereinigung“ neu einführen oder – wie Deutschland und fünf weitere EU-Staaten – bereits bestehende Regelungen anpassen müssen. Terrorismusbekämpfung in der EU – Ein Jahr nach dem 11. September weiterlesen