In Karlsruhe wollte die örtliche Staatsanwaltschaft die Mitarbeiter*innen eines Fußball-Fanprojekts zur Zeugenaussage zwingen. Ihre Weigerung wurde mit einem Strafbefehl geahndet. Das Karlsruher Vorgehen bedroht die Arbeitsgrundlage nicht nur der Fanarbeit, sondern der Sozialarbeit insgesamt, weil es das Vertrauen zu deren Adressat*innen untergräbt. Deutlich wird die Dominanz der Strafverfolgung gegenüber sozial unterstützenden Interventionen, sowie die fehlende politische Bereitschaft, durch ein Zeugnisverweigerungsrecht die Soziale Arbeit zu stärken.
Am 12. November 2022 empfängt der Karlsruher Sportclub (KSC) den Zweitliga-Konkurrenten FC St. Pauli zu einem Heimspiel. Karlsruher Fußball-Fans zünden Pyro-Technik im Stadion. Die wegen ihres 20-jährigen Bestehens besonders aufwendig geplante Jubiläums-Inszenierung geht schief, mindestens elf Personen werden verletzt. Wegen der Vorfälle wird der KSC vom Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes zu einer Geldstrafe von 50.000 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft leitet strafrechtliche Ermittlungen ein, die sich gegen Mitglieder der Fangruppe „Rheinfire“ richten. Im Mai 2024 beginnt der erste Prozess gegen zwei Beschuldigte; ihnen wird „gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung“ vorgeworfen. Die beiden Angeklagten werden zu Bewährungsstrafen (zehn bzw. zwölf Monate) und 5.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Beim zuständigen Amtsgericht sind weitere 20 Verfahren gegen Mitglieder oder Unterstützer*innen der Gruppe anhängig.[1] Strafrecht statt Sozialarbeit: Die Folgen des fehlenden Zeugnisverweigerungsrechts weiterlesen →
Interview mit Franziska Nedelmann und Lukas Theune
Die Rechtsanwältin Franziska Nedelmann vertritt einen Betroffenen der Anschlagsserie, die seit Jahren durch den Berliner Bezirk zieht. Ihr Kollege Lukas Theune vertritt die Familie von Burak Bektaş, dessen Ermordung im Jahr 2012 bis heute nicht aufgeklärt wurde. Das Interview führten Friederike Wegner und Benjamin Derin.
Was hat es mit der Anschlagsserie auf sich, die sich seit Jahren durch Berlin-Neukölln zieht? Wer ist davon betroffen?
Franziska Nedelmann: Das ist eine sehr lange Serie, die – würde ich sagen – schon 2009 begonnen hat. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang mit Feindeslisten, also einer Zusammenstellung von linken Projekten, Einzelpersonen und auch Anwält*innen, die von den Autonomen Nationalisten in der Zeit auf einer Homepage „Nationaler Widerstand Berlin“ veröffentlicht wurde. Spätestens seit 2011 wurden auch Brandanschläge verübt. Als am 1. Februar 2018 das Auto eines in Neukölln sehr engagierten LINKEN-Politikers brannte und das Feuer nur durch Glück nicht zu einer Gasexplosion am Wohnhaus führte, an dem das Auto direkt stand, war eine neue Qualität erreicht. Denn hier war klar, dass einer der Tatverdächtigen damals Mitglied der Neuköllner AfD war, so dass es einen konkreten Bezug zur politischen Tätigkeit gab. Rechte Anschläge in Berlin-Neukölln: Alte Nazistrukturen und zweifelhafte Ermittlungen weiterlesen →
von Klaus Riekenbrauk
1999 wurde in Stuttgart das erste „Haus des Jugendrechts“ als Modellprojekt gegründet. In der Zwischenzeit sind weitere in verschiedenen Bundesländern hinzugekommen. Gemeinsam ist ihnen, dass Jugendamt/Jugendgerichtshilfe sowie die Jugendsachbearbeitung der Polizei und der Staatsanwaltschaft unter einem Dach untergebracht sind, um in allen Jugendstrafverfahren zu kooperieren.
Wenn Jugendhilfe auf Polizei und Staatsanwaltschaft trifft, stoßen zwei Systeme aufeinander, die sich durch erhebliche Differenzen auszeichnen. Zu diesem schwierigen Verhältnis[1] tragen strukturelle Unterschiede in der Aufgabenstellung und Zielsetzung bei. Hinzu kommt, dass die tradierten Erwartungen der Jugendstrafjustiz gegenüber der Jugendhilfe den eigenständigen sozialpädagogischen Auftrag der Hilfs- und Ermittlungsfunktion unterordnen.[2] Wenn deshalb Erfolge in der „Bekämpfung von Jugendgewalt- und Intensivkriminalität“ durch eine verstärkte Kooperation zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft einerseits und Jugendhilfe andererseits erwartet werden, dann wird dieser klassische Konflikt virulent.[3] Häuser des Jugendrechts – Bestandsaufnahme eines Kooperationsmodells weiterlesen →
Interview mit dem Hamburger Strafverteidiger Martin Lemke
Die Staatsschutzabteilungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft ziehen alle Register – auch jenseits des rechtlich Zulässigen. Diese Bilanz zieht der Martin Lemke, Hamburger Strafverteidiger und Mitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Martin Beck fragte ihn nach seinen Erfahrungen in politischen Strafverfahren.
Sie sind seit 20 Jahren als Strafverteidiger in Hamburg tätig. Hat sich aus ihrer Sicht in diesen zwei Jahrzehnten das Agieren des Staatsschutzes verändert?
Insbesondere im Wendland bei Castortransporten oder bei Demonstrationen in Hamburg – zu diesen beiden Bereichen kann ich am meisten sagen – geht die Polizei in ihrem Bemühen, Demonstrierende zu verfolgen, immer weiter.
Sie schreckt dabei teilweise noch nicht einmal davor zurück, ihre eigene Dämlichkeit kundzutun. Ein Beispiel: Polizisten fühlen sich ja leicht beleidigt. Wenn dann ein Beamter schreibt, er sei durch eine Geste beleidigt worden und „Geste“ mit Doppel-E schreibt, zeigt das meines Erachtens, dass er gar nicht genau weiß, was damit gemeint ist. Egal ob Hühnerstall oder Castor: Der Staatsschutz überwacht immer weiterlesen →
von Daniel Wölky
Das Instrument der Nebenklage ermöglicht es den Verletzten, aktiv ins Prozessgeschehen einzugreifen – um Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zu kontrollieren, aber auch um eigene höchst partikulare Interessen oder gar Rachebedürfnisse zur Geltung zu bringen.
Ein Fall von Kindesentführung und Vergewaltigung von Anfang des Jahres 2006 sorgte im Herbst desselben Jahres erneut für Schlagzeilen. Hervorgerufen wurde das öffentliche Aufsehen jedoch nicht durch die Straftaten des Mario M., sondern durch die offensive Medienstrategie der Anwälte des 13-jährigen Opfers Stephanie R.: Es begann mit einem Artikel des „Spiegel“ unter dem Titel: „Willst Du mich umbringen?“, in welchem das Mädchen detailreich von den erlittenen Qualen berichtete.[1] Kurze Zeit später wurde sie in Johannes B. Kerners Talkshow präsentiert.[2] Unablässig gab die Nebenklagevertretung Stellungnahmen ab. Als Mario M. am 8. November auf das Dach der Haftanstalt kletterte, forderte der Anwalt von Stefanie R. gar eine Standleitung zum Justizminister und zur Gefängnisleitung, „damit man immer informiert“ sei. Zwei Seiten einer Medaille – Über Chancen und Risiken der Nebenklage weiterlesen →
von Anja Lederer
Im Bereich der Wirtschaftskriminalität sind die Strafverfolgungsbehörden vor besondere Probleme gestellt. Ermittlungen erfolgen spezialisiert und höchst selektiv. Sie dienen vor allem dazu, das Vertrauen in die Wirtschaft zu festigen.
Bereits die relevanten Straftatbestände sind schier unüberschaubar: Neben verschiedenen Vorschriften aus dem Strafgesetzbuch (StGB) wird der Wirtschaftskriminalität eine Vielzahl von Deliktsbeschreibungen des sogenannten Nebenstrafrechts zugeordnet. Allein in § 74c Gerichtsverfassungsgesetz, der die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern regelt, sind an die 30 strafrechtliche Nebengesetze erwähnt. In kaum einer Deliktsmaterie ist die Zahl der an der Verfolgung beteiligten Behörden so groß und vielfältig, was besonders effektive Ermittlungen erwarten lassen müsste. Nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern auch Kontroll- und Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder, Vergabe- und Ausschreibungsstellen, die Zoll- und Arbeitsverwaltung sowie Finanz- und Steuerbehörden wirken mit an der Ermittlung strafrechtlich relevanter Sachverhalte.[1] Dabei handelt es sich um in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sehr komplexe Tatbestände. Die Verfahren sind zwar im Vergleich zu den insgesamt erfassten Ermittlungsverfahren zahlenmäßig gering und werden gegen verhältnismäßig wenige Beschuldigte geführt, weisen aber viele Geschädigte und in der Summe einen außerordentlich hohen Vermögensschaden auf. Streiflichter aus der Strafverfolgung – Wirtschaftskriminalität und ihre „Bekämpfung“ weiterlesen →
Erst Mitte der 80er Jahre setzte sich in der Bundesrepublik eine offizielle Terminologie durch. Seither wird eindeutig unterschieden zwischen V(=Vertrauens)-Personen) und Verdeckten Ermittlern. Bei der VP, so die Richtlinien von 1985, handelt es sich um „eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützten, und deren Identität grundsätzlich geheimgehalten wird“. Während Gelegenheitsinformanten nur punktuell der Polizei ihr Wissen mitteilen, kommt es mit V-Personen zu einer regelrechten Zusammenarbeit. Sie ist auf Dauer angelegt, die V-Person ist MitarbeiterIn der Polizei, sie erhält von dieser bestimmte Aufträge und sie wird für ihre Arbeit entlohnt. Gleichwohl bleibt sie außerhalb des Polizeidienstes. Im Unterschied zur zweiten Gruppen, den Verdeckten Ermittlern. Laut offizieller Definition handelt es sich bei ihnen um „besonders ausgewählte und ausgestattete Polizeivollzugsbeamte, die unter einer Legende Kontakte zur kriminellen Szene aufnehmen, um Anhaltspunkte für Maßnahmen der Strafverfolgung zu gewinnen, und deren Identität auch im Strafverfahren geheimgehalten werden soll“. Terminologie zu Vertrauens-Personen und Verdeckten Ermittlern weiterlesen →
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