Rechte Anschläge in Berlin-Neukölln: Alte Nazistrukturen und zweifelhafte Ermittlungen

Interview mit Franziska Nedelmann und Lukas Theune

Die Rechtsanwältin Franziska Nedelmann vertritt einen Betroffenen der Anschlagsserie, die seit Jahren durch den Berliner Bezirk zieht. Ihr Kollege Lukas Theune vertritt die Familie von Burak Bektaş, dessen Ermordung im Jahr 2012 bis heute nicht aufgeklärt wur­de. Das Interview führten Friederike Wegner und Benjamin Derin. 

Was hat es mit der Anschlagsserie auf sich, die sich seit Jahren durch Berlin-Neukölln zieht? Wer ist davon betroffen?

Franziska Nedelmann: Das ist eine sehr lange Serie, die – würde ich sagen – schon 2009 begonnen hat. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang mit Feindeslisten, also einer Zusammenstellung von linken Projekten, Einzelpersonen und auch Anwält*innen, die von den Autonomen Nationalisten in der Zeit auf einer Homepage „Nationaler Widerstand Berlin“ veröffentlicht wurde. Spätestens seit 2011 wurden auch Brandanschläge verübt. Als am 1. Februar 2018 das Auto eines in Neukölln sehr engagierten LINKEN-Politikers brannte und das Feuer nur durch Glück nicht zu einer Gasexplosion am Wohnhaus führte, an dem das Auto direkt stand, war eine neue Qualität erreicht. Denn hier war klar, dass einer der Tatverdächtigen damals Mitglied der Neuköllner AfD war, so dass es einen konkreten Bezug zur politischen Tätigkeit gab.

Lukas Theune: In Neukölln sind vor allem zwei Gruppen von rechter Gewalt betroffen. Zum einen sind das migrantische Teile der Bevölkerung, die von rechten Strukturen angegriffen werden – von Sachbeschädigungen und Propagandadelikten bis hin zu lebensgefährlichen Attacken und dem bis heute nicht aufgeklärten Mord an Burak Bektaş und dem Mordversuch an seinen Freunden im April 2012, bei denen man leider auch von einem rechten Motiv ausgehen muss. Ziel ist hier wohl, ähnlich wie das auch der NSU formuliert hat, vor allem die Einschüchterung der gesamten migrantischen Bevölkerung. Zum anderen sind politisch Aktive betroffen, die sich öffentlich gegen rechte Gewalt und Neonazis engagieren. Dass es zwischen beiden Gruppen große Schnittmengen gibt, liegt auf der Hand.

Neukölln ist entgegen seines Multikulti-Images seit Jahrzehnten ein Hotspot rechter und rechtsautonomer Gruppen. Bis heute treiben zentrale Figuren der rechten Szene ihr Unwesen. Warum konnte sich eine derartige Struktur in Neukölln verfestigen.

L.T.: Neukölln ist in der Tat ein Bezirk, der aus mehreren ganz verschiedenen Gegenden besteht. So geht das „Multikulti“-Image eher auf Nord-Neukölln zurück, während Teile Rudows früher fast wie Brandenburg wirkten. Neukölln ist auch das „Buschkowsky-Neukölln“, wo Lokalpolitiker*innen mit rassistischen Stammtischparolen wahl­kämpf­ten, wo nach wie vor in der Sonnenallee „ver­dachts­unab­hängige Kon­trol­len“ stattfinden, von denen ausschließlich die von arabisch­stäm­migen Menschen betriebene Gastronomie betroffen ist, wo 2015 Luke Holland ermordet wurde. Da lohnt ein genauerer Blick in die einzelnen Kieze sehr.

Fakt ist, dass die staatlichen Strukturen ihr Augenmerk hier nie auf rechte Gewalt gerichtet haben, sondern ihr Fokus nach wie vor auf sogenannter Clankriminalität liegt. So konnten sich rechte Strukturen lange Zeit unbehelligt bewegen.

F.N.: Die Nazistrukturen gerade im Süden Neuköllns in den eher kleinbürgerlichen Wohngebieten sind schon sehr alt und gut gewachsen. Aber die Politik des Bezirks, vor allem die von Heinz Buschkowsky, der von 2001 bis 2015 Bürgermeister in Neukölln war, fokussierte sich auf eine Spaltung in „wir“ und „ihr“, also diejenigen, die die Gesellschaft „ausmachen“ und diejenigen, die „integriert“ werden sollten. Das führte dazu, dass die ganzen Nazi-Strukturen unter dem Radar liefen. Die Störer*innen waren nach Buschkowsky immer „die Anderen“. Wenn dann noch eine Verharmlosung der Gefahr rechter Gewalt dazu kommt, können sich solche Strukturen aufbauen und verfestigen. 

Wie sind die Behörden an die Sache herangegangen und was gibt es aus eurer Sicht an der Ermittlungsarbeit auszusetzen?

F.N.: Ich kann jetzt nicht zu dem gesamten Komplex, also abschließend zu allen Ermittlungshandlungen was sagen, aber es hat allein fast acht Jahre gedauert, bis beim LKA Berlin eine Ermittlungs­gruppe (EG) zu dieser Anschlagsserie eingerichtet wurde: die EG RESIN im Jahr 2017. Das zeigt, wie nebensächlich diese Vorfälle seitens der Polizei behandelt wurden. Vorher gab es bei der Polizei in Neukölln zwar schon eine Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (REX), aber die ist, wie wir heute wissen, mit großer Vorsicht zu genießen: Derzeit steht ein Mitarbeiter dieser Ermittlungsgruppe in Berlin vor Gericht, weil er 2017 mit anderen zusammen einen afghanischen Geflüchteten rassistisch beleidigt und krankenhausreif geschlagen haben soll. Als damals die Polizei kam, soll er seinen Kollegen gesagt haben, er habe nur schlichten wollen und die Sache mit den Worten herunter gespielt haben, es seien „keine deutschen Interessen betroffen.“ Und ausgerechnet dieser Polizeibeamte war damit beauftragt, sich um die Betroffenen der Anschlagsserie in Neukölln zu kümmern. Da stellt sich die Frage, ob dieser Polizist an Ermittlungen gegen die rechte Szene überhaupt interessiert war. Er ist jetzt zwar nicht mehr mit den Ermittlungen befasst, aber arbeitet nach wie vor und fährt Streife.

Wussten Verfassungsschutz und Polizei Bescheid und hätten Betroffene gewarnt werden können?

F.N.: In dem Fall des Anschlags vom 1. Februar 2018 auf den LINKEN-Politiker auf jeden Fall. Der Verfassungsschutz Berlin hatte letztmalig Mitte Januar 2018 im Rahmen einer Telefonüberwachung konkret mitbekommen, dass zwei Verdächtige ihn beobachteten und seine Wohnanschrift sowie das Kennzeichen seines Autos herausgefunden hatten. Erst Ende Januar 2018 schickten sie dazu einen Bericht an das LKA. Gewarnt wurde niemand. Am 1. Februar 2018 brannte nachts das Auto des Politikers, das direkt vor seinem Wohnhaus stand ab. Nur weil er zufällig aufgewacht war und die Flammen gesehen hatte, konnte das Feuer gelöscht werden, bevor es die Gasleitung am Haus erfasste. Das hätte auch ganz anders ausgehen können.

Die Betroffenen haben immer wieder Kritik an den Ermittlungsbehörden geäußert. Könnt Ihr kurz deren zentrale Kritikpunkte schildern?

L.T.: Gerade in den Anfangsjahren wurden die Ermittlungen unter dem Stichwort „Sachbeschädigung“ oft schlampig und lustlos geführt. Darauf hat unser Kollege Sven Richwin kürzlich noch einmal hin­ge­wie­sen.[1] Mehrere Betroffene mussten die Polizeibeamt*innen selbst auf rechte Bezüge wie Graffitis in ihrem Umfeld stoßen. Die Polizei hatte kein Interesse, sich damit zu beschäftigen. Die Familie von Burak Bektaş hatte den Eindruck, dass sie gerade am Anfang der Ermittlungen der Frage nach Tätern aus der rechten Szene nicht konsequent genug nachgegangen war. Außerdem wurden Hinweise auf den Mörder von Luke Holland, Rolf Z., nie entschlossen nachverfolgt, obwohl sein Name schon 2013 in den Ermittlungen zum Mord an Burak eine Rolle spielte.

F.N.: Dazu kommt noch das Misstrauen der Betroffenen, ob die Beamt*innen die Bedrohungssituation auch ernst nehmen. Das liegt daran, dass die Polizei häufig auf konkrete Vorfälle reagiert und sagt, dass sich die Betroffenen keine Sorgen machen sollten, da nicht damit zu rechnen sei, dass Gewalttaten verübt werden würden. Das klingt, wenn man sich die Ermordung von Burak Bektaş oder die NSU-Morde vor Augen führt, fast zynisch.

Könnten Verstrickungen von Polizei, Staatsanwaltschaft oder Ver­fas­sungs­schutz in die rechte Szene die Ermittlungen beeinflusst haben?

L.T.: Es entsteht ein ungutes Gefühl, wenn Betroffene etwa erfahren, dass einer der Beamten aus der Ermittlungsgruppe Rechts­extremismus angeklagt ist, weil er an einem rassistischen Übergriff betei­ligt gewesen sein soll. Oder dass ein Beamter, der in einer Gegend wohnt, in der es viele Anschläge gab, in rechten Telegram-Gruppen Dienstgeheimnisse weitergegeben hat. Konkrete Belege gibt es nicht, aber ausschließen lässt es sich eben auch nicht.

F.N.: Die Vorfälle, die erhebliche Zweifel aufkommen lassen, ob die Polizei ihren Job macht, häufen sich. 2018 hat ein Berliner Polizeibeamte 42 Briefe an Leute aus dem linken Spektrum geschrieben und ihnen gedroht, ihre persönlichen Daten an rechte Netzwerke weiterzuleiten. Er hatte dafür vertrauliche persönliche Daten aus den Polizeidatenbanken verwendet, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt – und arbeitet weiter. Im März 2018 beobachten Berliner Verfassungsschützer, die einen der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie in Neukölln im Visier hatten, gerade diesen Tatverdächtigen, wie er sich in Neukölln mit einem Beamten des Mobilen Einsatzkommandos des LKA in einer Kneipe trifft und mit ihm im Auto wegfährt. Das wäre natürlich ein absoluter Skandal. Die Ermittlungen – die uns natürlich im Einzelnen nicht bekannt gegeben werden – sollen ergeben haben, dass sich die Verfassungsschützer im Rahmen einer Befragung nicht mehr sicher gewesen seien, ob es wirklich der Hauptverdächtige war, den sie mit dem LKA’ler gesehen haben. Das zu glauben, fällt schwer. So kommen Fragen auf, ob hier nicht auch eine Verbindung aus der Polizei heraus in die rechten Netzwerke bestehen könnte.

Versprecht Ihr euch etwas davon, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen hat und nach einer Sonderkommission nun noch Sonderermittler*innen eingesetzt wurden?

F.N.: Ich bin froh, dass die Abteilung der Staatsanwaltschaft, die in Berlin unter anderem für politisch motivierte Kriminalität zuständig ist, diese Fälle nicht mehr bearbeitet. Denn es war sehr deutlich erkennbar, dass seitens der Staatsanwaltschaft da keine große Energie reingesteckt wurde. Es ist gut, wenn sich andere Leute damit beschäftigen, die Angelegenheit noch einmal neu bewerten, andere Ermittlungsansätze in Erwägung ziehen und so weiter. Es ist erfreulich, dass die Generalstaatsanwaltschaft sich alle Fälle zur Anschlagsserie noch einmal anschaut und überprüft. Ob allerdings nach so langer Zeit noch konkrete Hinweise auf mögliche Täter gefunden werden können, ist fraglich. Was ich dagegen für vollkommen unsinnig halte, ist die Reaktion des Berliner Innen­senators Geisel, hier nun „externe“ Sonderermittler*innen dranzusetzen. Was die eigentlichen Ermittlungen betrifft, werden sie wenig beitragen können. Wir konnten das schon bei der Arbeit der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Fokus sehen, die ebenfalls eine Bewertung der bisherigen Ermittlungsarbeit vornehmen sollte: Das Ergebnis (das der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde) war fast gleich Null. Stattdessen sind die Ermittlungsakten vollkommen undurchsichtig geworden. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass es der BAO Fokus wichtiger war, dem Innensenator Bericht zu erstatten, als sich mit der eigentlichen Ermittlungsarbeit zu beschäftigen. Diese Problematik wird sich nun fortsetzen, befürchte ich. Wenn es darum gehen soll, wirklich aufzuklären, ob innerhalb der Berliner Polizei ein Sicherheitsproblem besteht, dann kann das nur durch einen Untersuchungsausschuss geschehen.

L.T.: Einen ersten Dämpfer hat der versprochene „unbedingte Aufklärungswille“ ja bereits erlitten: Kurz nach der Übernahme der Ermittlungen lehnte die Generalstaatsanwaltschaft die Bitte der Familie Bektaş ab, auch diese Ermittlungen zu übernehmen. Das lässt wieder eine sehr verkürzte Sichtweise befürchten.

Was die Arbeit der beiden Sonderermittler*innen angeht, ist es noch zu früh, diese zu bewerten. Sie wollen im Frühling 2021 ihren Abschlussbericht vorlegen. Eines der Kommissionsmitglieder ist der ehemalige Bundesanwalt Herbert Diemer, der sich als Vertreter des Generalbundesanwalts beim NSU-Prozess allerdings nicht gerade mit einer analytischen Sichtweise auf Neonazi-Netzwerke hervorgetan hat.

F.N.: Es war Diemer, der im NSU-Prozess mit Händen und Füßen die These des Trios vertreten hat. Er war sich auch nicht zu schade, all diejenigen zu diffamieren, die im Verfahren versucht haben, die Netzwerke des NSU offenzulegen und aufzuklären. Von ihm ist kaum zu erwarten, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Ermittlungstätigkeiten stattfindet.

Im August 2020 wurde der ursprünglich für die Ermittlungen zuständige Leiter der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin wegen Vorwürfen der Befangenheit versetzt– ein ziemlicher Paukenschlag. Wie kam es dazu?

F.N.: Da ich einen der Betroffenen der Anschlagsserie vertrete, hatte ich mit der Staatsanwaltschaft direkt zu tun. Die Staatsanwaltschaft hatte mir über einen längeren Zeitraum faktisch die Akteneinsicht verwehrt, sich einfach stumm gestellt und nicht mehr auf meine Anträge reagiert. Gleichzeitig hatte ich zuvor den Akten entnommen, dass einer der Tatverdächtigen über den Leiter dieser Abteilung der Staatsanwaltschaft in einem Chat geschrieben hatte, dass dieser auf deren „Seite“ und vermutlich AfD-Wähler sei. Das tauchte in den Handy-Aus­werte­berichten auf, aber niemand seitens des LKA oder der Staatsanwaltschaft hatte darauf reagiert. Ich habe dann eine Fachaufsichtsbeschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft wegen der Verweigerung der voll­ständigen Akteneinsicht eingelegt. Dadurch konnte ich sicherstellen, dass sich die Generalstaatsanwaltschaft die Akten von der Staats­anwalt­schaft holen muss, um meine Beschwerde zu überprüfen. Die Gene­ral­staatsanwältin hat dann tatsächlich sofort reagiert.

Politische Abteilungen ermitteln sowohl bei linken als auch bei rechten Hintergründen. Gehen die Strafverfolgungsbehörden mit Verfahren gegen Linke anders um als mit Verfahren gegen Rechte?

L.T.: Auf jeden Fall! Das zeigt sich etwa bei der Bejahung oder Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses – zum Beispiel bei Sachbeschädigungen. Gerade wird etwa eine Sitz­blockade von Feminist*innen gegen einen rechten Anti-Abtrei­bungs­marsch in vielen Fällen und mit enormem Aufwand vor Gericht ver­han­delt. Dafür sind dann Kapazitäten vorhanden. Ganz anders ist es, wenn es um rassistisch motivierte Taten geht, die keinen klaren organisierten Bezug haben.

Wird sich durch die Versetzung des Abteilungsleiters etwas an der Arbeitsweise der politischen Abteilung in Berlin ändern?

L.T.: Die ganze Abteilung wird gerade durch die Oberstaatsanwältin Ines Karl umstrukturiert. Es wurde eine neue „Zentralstelle Hass­kriminalität“ geschaffen, die laut Ankündigung speziell „Rassismus, Anti­semi­tismus und andere Formen gruppenbezogener Menschen­feindlichkeit“ in den Blick nehmen soll. Das ist schon ein interessantes Projekt; wie die konkrete Umsetzung dann funktioniert, müssen wir einfach abwarten.

F.N.: Ich denke schon, dass sich da etwas ändern wird, denn die Abteilungsleitung trägt immer dazu bei, welche Stimmung sich in einer konkreten Abteilung breit macht. Gerade bei der Verfolgung von poli­tisch motivierter Kriminalität hat das erhebliche Auswirkungen auf die konkrete Arbeit der einzelnen Staatsanwält*innen. Denn die Staats­anwaltschaft ist nun einmal eine hierarchisch strukturierte Be­hör­de. 

Nun wurde in Berlin der „Bürger- und Polizeibeauftragte“ beschlossen. Er­hofft Ihr Euch Besserung, zumindest in ähnlichen zukünftigen Fällen?

L.T.: Dafür bringt der oder die Beauftragte leider nichts. Denn in allen strafrechtlich relevanten Fällen hat diese Institution keine Ermittlungs­kompetenzen. Das Abgeordnetenhaus hat sich leider nicht getraut, eine Kompetenz auch in denjenigen Fällen zu normieren, in denen Strafprozessrecht angewendet wird, weil das Bundeskompetenz ist. Dabei hätten aus meiner Sicht durchaus auch die Mitarbeitenden des oder der Polizei­beauftragten per Änderung der Rechtsverordnung zu Ermittlungs­personen der Staatsanwaltschaft ernannt werden können. So bleibt der Tätigkeitsrahmen der neuen Behörde auf Fälle unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz beschränkt.

F.N.: Für alle Fälle von Diskriminierungen ist diese neu geschaffene Stelle sicherlich gut. Das ist ein erster Schritt. Aber außen vor bleiben Fälle von Polizeigewalt oder von Verstrickungen der Beamt*innen in rechte Netzwerke. Hier ermitteln weiter Polizeibeamt*innen gegen ihre eigenen Kolleg*innen. Diese Leerstelle bleibt. 

Dass bezüglich des „Neukölln-Komplexes“ überhaupt etwas passiert, hat vor allem damit zu tun, dass einige Gruppen und Initiativen seit Jahren den Druck aufrechterhalten. Wo seht Ihr noch Möglichkeiten, den Druck zu erhöhen?

L.T.: Die neonazistischen Angriffe sind politisch aus meiner Sicht als verzweifelte Abwehrkämpfe zu lesen. Die Bewohner*innen Neuköllns nehmen diese nicht mehr hin, werden aktiv und unterstützen sich solidarisch. Das führt zu Handlungsdruck in den Behörden. Die Betroffenen fordern die Einrichtung eines parla­men­tarischen Unter­suchungs­ausschusses. Dieser hätte eigene Ermittlungs­kompetenzen und wäre nicht so sehr auf die Zuarbeit der Polizei angewiesen. Diese Forderung verdient auf jeden Fall Unterstützung.

F.N.: Was die Anschlagsserie in Neukölln betrifft, sollte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Auch wenn er nicht alle Fragen wird lösen können. Umso wichtiger sind all die Initiativen in Berlin und Neukölln, die sich gesellschaftlich und politisch mit den rechten Strukturen befassen und dagegenhalten.

Das Interview wurde im November geführt.

[1]   vgl. Richwin, S.: Der Neukölln-Komplex. Affinität zwischen Polizei und Nazistrukturen? in RAV-Infobrief 120/2020, S. 28

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