Häuser des Jugendrechts – Bestandsaufnahme eines Kooperationsmodells

von Klaus Riekenbrauk

1999 wurde in Stuttgart das erste „Haus des Jugendrechts“ als Modellprojekt gegründet. In der Zwischenzeit sind weitere in verschiedenen Bundesländern hinzugekommen. Gemeinsam ist ihnen, dass Jugendamt/Jugendgerichtshilfe sowie die Jugendsachbearbeitung der Polizei und der Staatsanwaltschaft unter einem Dach untergebracht sind, um in allen Jugendstrafverfahren zu kooperieren.

Wenn Jugendhilfe auf Polizei und Staatsanwaltschaft trifft, stoßen zwei Systeme aufeinander, die sich durch erhebliche Differenzen auszeichnen. Zu diesem schwierigen Verhältnis[1] tragen strukturelle Unterschiede in der Aufgabenstellung und Zielsetzung bei. Hinzu kommt, dass die tradierten Erwartungen der Jugendstrafjustiz gegenüber der Jugendhilfe den eigenständigen sozialpädagogischen Auftrag der Hilfs- und Ermittlungsfunktion unterordnen.[2] Wenn deshalb Erfolge in der „Bekämpfung von Jugendgewalt- und Intensivkriminalität“ durch eine verstärkte Kooperation zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft einerseits und Jugendhilfe andererseits erwartet werden, dann wird dieser klassische Konflikt virulent.[3] Die „Häuser des Jugendrechts“ mit interdisziplinären Fallkonferenzen gehören in diesem Zusammenhang zu den Kooperationsmodellen, die in der kriminalpolitischen Debatte Konjunktur haben. So heißt es in der nordrhein-westfälischen Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis90/Die Grünen, dass es zur „Bewältigung der Jugendgewalt- und Intensivkriminalität“ einer „intensiven Zusammenarbeit mit den Kommunen und einer Vernetzung aller an der Jugendkriminalprävention und am Jugendstrafverfahren beteiligten Einrichtungen (bedarf), die wir in jeder Weise, insbesondere durch weitere Stärkung und Ausbau bestehender Projekte fördern werden. Die Einrichtung weiterer ‚Häuser des Jugendrechts‘ wird … vorangetrieben“.[4]

Diese programmatische Perspektive hatte bereits NRW-Justizmi­nister Thomas Kutschaty vor dem 28. Jugendgerichtstag 2010 aufgezeigt, indem er die Bedeutung der „fachübergreifenden Kooperationen“ für die „Bekämpfung der Jugendkriminalität“ hervorhob und das „Kölner Haus des Jugendrechts“ als Modell für andere Städte in NRW bezeichnete.[5]

Die kriminalpolitischen Erwartungen an verbindlicher und enger Kooperation sind überall gleich: Neben einer schnelleren, der Tat auf dem Fuße folgenden Reaktion, ist ein umfänglicher und intensiver Informationsaustausch zwischen den KooperationspartnerInnen erwünscht. Die Kooperationen reichen von „Häusern des Jugendrechts“ über Netzwerke bis hin zu Fallkonferenzen; überall ist die zwingende Teilnahme von VertreterInnen von Polizei und Staatsanwaltschaft auf der einen und der Jugend(gerichts)hilfe auf der anderen Seite vorgesehen. „Wir sitzen alle in einem Boot“, „Gemeinsam gegen …“ oder „Netzwerk gegen …“ sind die plausiblen Metaphern, die den Kooperationsinitiativen die nötige Legitimation verschaffen sollen.

Das „Kölner Haus des Jugendrechts“[6]

Das im Juni 2009 eröffnete „Kölner Haus des Jugendrechts“ war das erste speziell für „IntensivtäterInnen“ und unterschied sich damit von den anderen in Deutschland existierenden gleichnamigen Einrichtungen.[7] Nach der Kooperationsvereinbarung, die als Kooperationspartner Polizei, Staatsanwaltschaft, Stadt (Jugendamt) sowie Land- und Amtsgericht vorsieht, wird mit seiner Errichtung das Ziel verfolgt, „flächendeckend für das Stadtgebiet Köln, durch Optimierung der bestehenden behördenübergreifenden Zusammenarbeit aller Kooperationspartner

  • strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen jugendliche und heranwachsende IntensivtäterInnen zu beschleunigen und damit einhergehend zeitnahe Reaktionen auf jugendkriminelle Aktivitäten zu ermöglichen,
  • kriminelle Karrieren von Jugendlichen und heranwachsenden IntensivtäterInnen zu beenden bzw. deren Rückfallquote zu verringern, um so die Jugendkriminalität insgesamt zu reduzieren und damit insgesamt
  • einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls und der objektiven Sicherheitslage in der Stadt Köln zu schaffen.“[8]

Als IntensivtäterInnen gelten danach Strafverdächtige, denen mindestens fünf schwerwiegende Straftaten wie Raub, Köperverletzung oder Einbruchsdelikte innerhalb eines Jahres angelastet werden.[9]

Eine wesentliche Bündelung der Informationsstränge findet in den sogenannten Fallkonferenzen statt, in denen die „Kooperationspartner“ die ihnen zur Verfügung stehenden Kenntnisse über einzelne IntensivtäterInnen austauschen, Lösungsmöglichkeiten diskutieren und (Vor-)
Entschei­dungen über die zu ergreifenden Maßnahmen treffen sollen.[10] Als eine zentrale Aufgabe wird die „Optimierung der Kommunikationsstrukturen“ angesehen.

Dass der insbesondere von Polizei und Staatsanwaltschaft gewünschte Kommunikationsfluss aus dem Jugendamt nicht ungehindert erfolgen kann, war den Kooperationspartnern bei der Erarbeitung der Konzeption des Hauses wohl bekannt. Unter Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen des Sozialdatenschutzes und dem daraus resultierenden Umstand, dass „hohe Maßstäbe an die Datenweitergabe durch die Jugendämter“ gesetzlich festgelegt sind, wird konstatiert, dass

„aus diesen Gründen … das Jugendamt den übrigen Institutionen oft nicht alle gewünschten Informationen zur Verfügung stellen (kann). So benötigen Justiz und Polizei im Einzelfall beispielsweise Informationen über durchgeführte und laufende Maßnahmen der Jugendhilfe, um bei gemeldeten delinquenten Jugendlichen die Gesamtsituation, aber auch die Gefahr möglicher weiterer Straftaten einschätzen zu können.“

Wegen dieser Konstellation wurde ein Arbeitsauftrag formuliert, demgemäß „der Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Jugendlichen, auf den Informationsbedarf der einzelnen Behörden und den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren schwerwiegenden Straftaten“ gerichtet werden soll.[11]

Trotz dieser wohlfeilen konzeptionellen Überlegungen und der – theoretischen – Bereitschaft der „Kooperationspartner“, mit datenschutz­rechtlicher Sensibilität den unter einem Dach vereinigten Kommunikationsprozess zu steuern, kam es von Anfang an immer wieder zu Problemen, wenn die MitarbeiterInnen der Jugendgerichtshilfe[12] die von Polizei und Staatsanwaltschaft geforderten Informationen verweigerten und sich dabei auf den Sozialdatenschutz bezogen. Dabei stand der Vorwurf im Raum, das neue Projekt würde von den SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen des Jugendamtes boykottiert.[13]

Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft

Polizei und Staatsanwaltschaft unterliegen dem Legalitätsprinzip. Für beide Institutionen folgt daraus die gesetzliche Verpflichtung, wegen aller verfolgbaren Straftaten, zu denen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, einzuschreiten. Dazu gehört, den Sachverhalt zu ermitteln und alle erforderlichen Fahndungsmaßnahmen zu treffen (§§ 152 Abs. 2, 160 und 163 Strafprozessordnung – StPO). Kommen sie dieser Ermittlungspflicht nicht nach, machen sie sich der Strafvereitelung im Amt nach § 258a Strafgesetzbuch (StGB) strafbar und werden disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen. Obwohl im Gesetz nicht erfasst, kann einem Ermittlungsverfahren eine Phase des „Herumfragens“ vorausgehen, „eine informatorische, formlose Befragung zur Gewinnung eines groben Bildes, ob wirklich der Verdacht einer Straftat besteht und wer als Beschuldigter oder als Zeuge in Betracht kommt“.[14]

Im „Haus des Jugendrechts“ gilt in Fallbesprechungen und bei entsprechenden Kontakten mit den MitarbeiterInnen der Jugendhilfe das Legalitätsprinzip uneingeschränkt, wobei die Grenze zwischen verpflichtender Ermittlung und informellem „Herumfragen“ zu neuen Erkenntnissen über „IntensivtäterInnen“ wohl kaum präzise gezogen werden kann. In jedem Fall wird die Jugendhilfe mit ihren klientenbezogenen Informationen zur interessanten Erkenntnisquelle der Ermittlungsbehörden.[15]

Neben der – repressiven – Strafverfolgung ist die Polizei nach den Polizeigesetzen auch dazu verpflichtet, Straftaten bereits im Vorfeld zu verhindern. In diesem Bereich ist seit einigen Jahrzehnten eine Entwicklung von polizeilichen Präventionsstrategien zu beobachten, die sich durch eine Vorverlagerung polizeilicher Praxis und eine Fokussierung auf Kinder- und Jugenddelinquenz auszeichnen.[16] In fast allen Bundesländern wurden inzwischen polizeiliche Programme für Mehrfach- und IntensivtäterInnen eingeführt.[17] So greifen beispielsweise JugendsachbearbeiterInnen der Polizei zu dem in der Praxis entwickelten, gesetzlich nicht geregelten Mittel der sogenannten Gefährderansprache, oder sie führen „polizeiliche Erziehungsgespräche“.[18]

Aufgaben der Jugendhilfe

Der gesetzliche Auftrag der Jugendhilfe ist in § 1 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII hinreichend klar formuliert: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Dieser zentrale Programmsatz[19] gilt für die Jugendhilfe auch da, wo sie mit der Justiz in ein Kooperationsverhältnis tritt, also auch bei der Mitwirkung im jugendstrafrechtlichen Verfahren.[20] Das Herzstück des jugendrechtlichen Aufgabenspektrums bilden die Leistungen nach den §§ 27ff. SGB VIII, die sich als Angebote an die HilfsadressatInnen richten.

Der gesetzliche Auftrag der Förderung und Erziehung verpflichtet die Jugendhilfe zu größerer Aufmerksamkeit und zu umfassenderem Engagement gegenüber den Jugendlichen. Kommt es zu anhaltender Delinquenz, die die Grenzen jugendtypischer und passagerer Auffälligkeit deutlich überschreitet, handelt es sich in der Regel um eine Gefährdungslage, und es ist die Aufgabe der Jugendhilfe, dem Schutzauftrag gemäß § 8a SGB VIII nachzukommen. In Fällen, in denen die Personensorgeberechtigten jegliche Mitarbeit verweigern, muss das Familiengericht eingeschaltet werden.[21] Dabei haben die in der Jugendhilfe Tätigen in all ihrem Tun das Postulat der Vertraulichkeit zu achten.[22]

Verpflichtung zur Kooperation und ihre Grenzen

Trotz dieser strukturellen Unterschiede in den Zielen und Aufgaben von Jugendhilfe und Polizei/Staatsanwaltschaft bestehen gesetzliche Pflichten für die Jugendhilfe, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Nach § 52 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII ist das Jugendamt nach Maßgabe der §§ 38 und 50 Abs. 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG) zur Mitwirkung im jugendstrafrechtlichen Verfahren verpflichtet. Die VertreterInnen der Jugendhilfe haben die am Jugendstrafverfahren beteiligten Behörden durch Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des jugendlichen Beschuldigten zu unterstützen – allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass die Jugendhilfe die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen hat und die Ermittlungstätigkeit nur zu diesem Zweck erfolgen darf. In keinem Fall darf sie auf die Tataufklärung ausgeweitet werden. Dies gilt auch für die Mitwirkung der Jugendhilfe im Ermittlungsverfahren.[23] Wenn die Ermittlungsbehörden die Jugendämter bereits zu Beginn des Verfahrens zum Zwecke der Persönlichkeitserforschung heranziehen, so kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass damit die Jugendhilfe als Gehilfin der Überwachung und Leitung der Staatsanwaltschaft unterliegt.[24] Zwar muss das Jugendamt am Jugendgerichtsverfahren mitwirken, es bleibt jedoch in der Ausgestaltung seiner Mitwirkungstätigkeit unabhängig und autonom.[25]

Eine Konkretisierung erfährt die Mitwirkungs- und Kooperationspflicht in § 52 Abs. 2 SGB VIIII, wonach in den Fällen, in denen Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen oder bereits eingeleitet bzw. gewährt worden sind, das Jugendamt die Staatsanwaltschaft umgehend darüber informieren muss, so dass aufgrund der Jugendhilfeleistungen ein Absehen von der Verfolgung nach § 45 JGG ermöglicht werden kann. Schließlich ist die Jugendhilfe gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 und 3 JGG verpflichtet, in Haftsachen beschleunigt über das Ergebnis ihrer Ermittlungen zu Person und Umfeld der Beschuldigten zu berichten und sich zu beabsichtigten Haftmaßnahmen zu äußern. Auch die Beteiligung des Jugendamtes in U-Haftentscheidungen dient dem Zweck, dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts Geltung zu verschaffen.[26]

Wenn die Jugendhilfe mit jungen Tatverdächtigen zu tun hat, deren vermehrt aufgetretene Delinquenz offensichtlich Ausdruck einer hoch belasteten Lebenssituation ist, muss die Ermittlungsaufgabe für die Justiz zugunsten einer intensiven Betreuung in den Hintergrund treten.[27] Bei der Gewichtung ihres Einsatzes muss sich die Jugendhilfe in derartigen Fällen primär dem Schutzauftrag gemäß § 8a SGB VIII widmen und die sozialpädagogisch erforderlichen Schritte für die Beseitigung bzw. Verminderung der Gefährdung einleiten.

In der durch das Bundeskinderschutzgesetz[28] veränderten Fassung von § 81 SGB VIII sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu einer „strukturellen Zusammenarbeit“ nun auch mit der Staatsanwaltschaft – neben Jugendgericht, Polizei und Justizvollzugsbehörden – verpflichtet. Diese gesetzliche Kooperationspflicht betrifft nicht die einzelfallbezogene Mitwirkung im Jugendstrafverfahren nach § 52 SGB VIII, sondern bezieht sich auf Formen der strukturellen Zusammenarbeit.[29]

Kritik der Architektur der „Häuser des Jugendrechts“

Die gesetzlich geregelte Kooperation zwischen Ermittlungsbehörden und Jugendhilfe ist zwar für das Jugendamt rechtlich verbindlich, lässt aber den Trägern der Jugendhilfe einen Gestaltungsspielraum, in dem Vor- und Nachteile bestimmter Kooperationsmodelle abgewogen werden. Da die Jugendhilfe auf die Entwicklung und die Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten ausgerichtet ist, überwiegen aus ihrer Perspektive die Nachteile des „Hauses des Jugendrechts“ erheblich gegenüber den geltend gemachten Vorteilen.[30]

Das zentrale Argument für die Einrichtung von „Häusern des Jugendrechts“ ist, dass das Strafverfahren gegen Jugendliche insgesamt beschleunigt werden kann, und damit der Erziehungsauftrag des Jugendstrafrechts optimiert wird. Diese Behauptung bedarf der Relativierung. Zwar gebietet bereits das Beschleunigungsgebot, den mit einer überzogenen Dauer des Strafverfahrens einhergehenden Belastungen entgegen zu wirken.[31] Dennoch ist die Annahme, schnelles Sanktionieren trage entscheidend zu einer besseren Prävention bei, empirisch nicht belegt. Verrel weist darauf hin, dass noch ganz erheblicher Forschungsbedarf bestehe, „um evidenzbasierte und differenzierte Aussagen über die Beziehungen zwischen der Reaktionszeit und den Reaktionswirkungen machen zu können.“[32] Auch in der Evaluation des ersten „Hauses des Jugendrechts“ in Stuttgart-Bad Cannstadt fehlt eine Rückfalluntersuchung, die den positiven Effekt von verkürzten Jugendstrafverfahren und damit einhergehender verringerter Rückfallhäufigkeit belegen könnte.[33]

Der Wunsch nach „Optimierung des Informationsflusses unter den Kooperationspartnern“ – dazu bedarf es angesichts moderner Kommunikationstechnik keines gemeinsamen Hauses – muss auf Seiten von Staatsanwaltschaft und Polizei enttäuscht bleiben, wenn die Jugendhilfe die gesetzlichen Barrieren des Sozialdatenschutzes strikt, also rechtsstaatlich anwendet.[34] Bei fehlender Übermittlungsbefugnis besteht für die Jugendhilfe eine Pflicht zur Verweigerung von Daten (§ 35 SGB I). Das ist der Fall, wenn eine – wirksame – Einwilligung[35] sowie die Voraussetzungen der gesetzlichen Übermittlungsbefugnisse nach §§ 68, 69 und 73 SGB X fehlen oder die streng zu beachtenden Schranken der Übermittlungsbefugnisse eine Datenweitergabe an die „Kooperationspartner“ verbieten.[36]

Werden Jugendliche und ihre gesetzlichen VertreterInnen in die Fallkonferenzen einbezogen und als eigenständige Akteure beteiligt, stellt sich die Frage, ob in jedem Fall sichergestellt ist, dass die rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien wie z.B. die Belehrung über das Schweigerecht oder über das Recht, jederzeit einen Verteidiger hinzuzuziehen (§ 136 Abs. 1 StPO), gewährleistet sind.[37] Gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Akteure der Fallkonferenzen mit ihren jeweils unterschiedlichen Aufgaben und Befugnissen stellt sich für Jugendliche und ihre gesetzlichen VertreterInnen die Situation einer solchen Konferenz oft als unübersichtlich und verworren dar; umso größeres Gewicht kommt einer Belehrung zu, die in einer Weise erfolgt, die dem Entwicklungs- und Bildungsstand der betroffenen Jugendlichen entsprechen, also so verständlich sind, wie es § 70a Abs. 1 JGG ausdrücklich verlangt.

Fundament aller sozialpädagogischen Arbeit ist das Bemühen um eine vertrauensvolle Kooperation mit den jugendlichen KlientInnen.[38] Allein der äußere Anschein einer Aufgabenvermischung von Jugendhilfe und Staatsanwaltschaft/Polizei gefährdet eine gelingende Vertrauensarbeit! Die Gefahr ist groß, dass sich generelles Misstrauen der Mehrfachauffälligen gegen die Ermittlungsbehörden, das sich in vielfältigen Erfahrungen von Etikettierung und Kriminalisierung herausgebildet hat,[39] auf die Jugendhilfe ausbreitet. Weiterhin ist zu bedenken, dass die in den „Häusern des Jugendrechts“ strukturell angelegte Dominanz von Polizei und Staatsanwaltschaft[40] den Jugendlichen kaum verborgen bleibt – mit der fatalen Folge, dass die Akteure der Jugendhilfe als untergeordnet wahrgenommen werden. Das Unterschiedliche (in der Aufgabenstellung) muss – auch örtlich – unterscheidbar bleiben. Der gleiche Raum, der gleiche Habitus, der gleiche Stil der „Kooperationsakteure“ im „Haus des Jugendrechts“ lässt für Außenstehende, insbesondere für junge Menschen, die notwendigen Unterscheidungen nicht zu.[41]

Fazit

Nach den Beschlüssen der Justizminister- sowie der Jugend- und Familienministerkonferenz vom Juni 2013 scheint die politische Entscheidung gefallen: Fallkonferenzen sollen durch gesetzliche Neuregelungen die Kooperation zwischen den Akteuren des Jugendstrafverfahrens befördern.[42] Die politischen Entscheidungsträger versprechen sich davon größere Effekte bei der „Bekämpfung von Jugendkriminalität“, Staatsanwaltschaft und Polizei sehen darin eine hilfreiche Erweiterung ihrer repressiven Handlungsoptionen.[43] In dieser Konstellation gerät die Jugendhilfe erheblich unter Druck, wenn sie sich auf ihre sozialpädagogischen Postulate beruft und sich gegen Erwartungen wehrt, die den Maximen der polizeilichen Strafverfolgung bzw. Gefahrenabwehr geschuldet sind.[44] Dies gilt umso mehr, wenn sie sich der schnellen Intervention und Entscheidung da verweigert, wo mehr Zeit erforderlich ist, um eine vertrauensvolle Hilfebeziehung aufzubauen und sich Optionen im Umgang mit hochbelasteten jungen Menschen mit ihren vielfältigen sozialen und persönlichen Problemlagen bewusst offen zu halten.[45]

Die ProtagonistInnen einer selbstbewussten Jugendhilfe müssen sich darauf besinnen, dass es für Fallverstehen und den Zuwachs von Handlungsalternativen einen „Freiraum der zumindest situativen Reduktion von Handlungszwängen (bedarf); eine reflexive Handlungspause“.[46] Denn bislang ist es die Polizei, die den Diskurs um „IntensivtäterInnen“ und den „richtigen Umgang“ mit ihnen begonnen hat und weiterhin bestimmt. Sie besitzt insoweit die Deutungs- und Definitionsmacht.[47] Die Soziale Arbeit ist strukturell in die Defensive geraten, wo sie die Öffentlichkeit schon lange vermutet. Da darf sie nicht bleiben!

 

[1]   vgl. Möller, K. (Hg.): Dasselbe in grün? Aktuelle Perspektiven auf das Verhältnis von Polizei und Sozialer Arbeit, Weinheim 2010, S. 9; s.a. Feltes, T.: Die Rolle der Polizei in der Kriminalprävention, in: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) 2012, H. 1, S. 35-40 (37f.)
[2]   Trenczek, T.: Die Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren, Weinheim 2003, S. 14f.
[3]   vgl. Emig, O.: Kooperation von Polizei, Schule, Jugendhilfe und Justiz. Gedanken zu Intensivtätern, neuen Kontrollstrategien und Kriminalisierungstendenzen, in: Dollinger, B.; Schmidt-Semisch, H. (Hg.): Handbuch Jugendkriminalität, Wiesbaden 2010, S. 149-155 (152); zum Begriff „IntensivtäterInnen“ vgl. Walter, M.: Jugendkriminalität in zeitbedingter Wahrnehmung: Der Intensivtäter: empirische Kategorie oder kriminalpolitischer Kampfbegriff, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens 2003, H. 3, S. 272-281
[4]   www.gruene-nrw.de/themen/dokumente/koalitionsvertrag/koalitionsvertrag-2012-2015.html unter dem Kapitel. „Jugend und Recht“
[5]   Lotse Info (NRW) Nr. 63, 10/2010, S. 5 ff.
[6]   s.a. Riekenbrauk, K.: Das „Kölner Haus des Jugendrechts“ – kein Modell für die Jugendhilfe, in: Neubacher, F.; Kubink, M. (Hg.): Kriminologie – Jugendkriminalrecht – Strafvollzug. Gedächtnisschrift für Michael Walter, Berlin 2014, S. 379-393
[7]   vgl. zum „Haus des Jugendrechts“ in Stuttgart: Feuerhelm, W.; Kügler, N.: Das „Haus des Jugendrechts“ in Stuttgart-Bad Cannstadt. Ergebnisse einer Evaluation, Mainz 2003; zu den „Jugendrechtshäusern“ mit eher rechtspädagogischen Zielsetzungen, s. die Beiträge von Lüth, Merkel und v. Hasseln-Grindel in: Möller a.a.O. (Fn. 1), S. 239-266
[8]   Kooperationsvereinbarung für das „Kölner Haus des Jugendrechts“, Redaktion: Dezernat I 32/0 –Präventionsmanagement Sicherheit und Ordnung, Stand: 17.3.2009, S. 4
[9]   Stadtdirektor der Stadt Köln (Hg.), Das „Kölner Haus des Jugendrechts“ und weitere Bausteine für ein gemeinsames Netz des Jugendrechts, Stand 2.3.2009, S. 10
[10] vgl. § 5 der Geschäftsordnung der Kölner Fallkonferenzen Intensivtäter (2008); nach § 4 haben die VertreterInnen der Jugendgerichtsbarkeit eine bloß beobachtende Rolle.
[11] Stadtdirektor der Stadt Köln a.a.O. (Fn. 9), S. 40-42
[12] Im Folgenden soll an dem zwar überholten aber nach wie vor üblichen Begriff der Jugendgerichtshilfe festgehalten werden.
[13] So die mündlichen Berichte gegenüber dem Verfasser.
[14] Meyer-Goßner, Lutz: Strafprozessordnung, Kommentar, München 2012, 55. Aufl., § 163 Rdnr. 9 m.w.N.
[15] Emig a.a.O. (Fn. 3), S. 149 ff.
[16] vgl. Holthusen, B.; Hoops, S.: Kriminalitätsprävention im Kindes- und Jugendalter. Zu Rolle, Beitrag und Bedeutung der Kinder- und Jugendhilfe, in: ZJJ 2012, H. 1, S 23-28 (23f.)
[17] vgl. Riesner, L.; Bliesener, T.; Thomas,J.: Polizeiliche Mehrfach- und Intensivtäterprogramme: Befunde einer Prozessevaluation, in: ZJJ 2012, H. 1, S. 40 ff. (40f.)
[18] Vgl. Rachor, F.: Das Polizeihandeln, in: Denninger, E.; Rachor, F. (Hg.): Handbuch des Polizeirechts, München 2012, 5. Aufl., Kap. E, Rdnr. 745ff.; Dietsch,W .; Gloss, W.: Handbuch der polizeilichen Jugendarbeit, Stuttgart 2005 (S. 156ff.)
[19] so Kunkel, P.-C. (Hg.): SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe, Lehr- und Praxiskommentar, Baden-Baden 2014, 5. Aufl., § 1 Rdnr. 3
[20] Trenczek, T.: Die Mitwirkung der Jugendhilfe im gerichtlichen Verfahren, in: Münder, J.; Wiesner, R.; Meysen, T. (Hg.): Kinder- und Jugendhilferecht. Handbuch, Baden-Baden 2011, 2. Aufl., S. 339-349
[21] Trenczek, T.: Mitwirkung in der Jugendgerichtsbarkeit, in: Münder u.a. a.a.O. (Fn. 20), S. 350-370, § 52 Rdnr. 22
[22] vgl. zu den entsprechenden Informationssperren ausführlich Riekenbrauk, K.: Haus des Jugendrechts und Sozialdatenschutz, in: ZJJ 2011, H. 1, S. 74-83
[23] Riekenbrauk, K. in: Kunkel, P.-C. (Hg.): SGB VIII. Lehr-und Praxiskommentar, Baden-Ba­den 2011, 4. Aufl., § 52 Rdnr. 33; Blessing, G. in: Meier. B.-D. u.a. (Hg.): Jugendgerichtsgesetz. Handkommentar, Baden-Baden 2011, § 43 Rdnr. 37
[24] so aber Brunner,R.; Dölling, D.: Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, Heidelberg 2011, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 3 und Eisenberg, U.: Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, München 2012, 16. Aufl., § 43 Rdnr. 16
[25] Ostendorf, H.: Jugendgerichtsgesetz, Baden-Baden 2012, 9. Aufl., § 38 Rdnr. 6 u. § 43 Rdnr. 7; Riekenbrauk a.a.O. (Fn. 24), § 52 Rdnr. 35; Blessing a.a.O. (Fn. 23)
[26] vgl. Blessing a.a.O. (Fn. 23), § 72a Rdnr. 6; Cornel, H.: Haftentscheidungshilfe und Untersuchungshaftvermeidung, in: Cornel, H. u.a. (Hg.): Resozialisierung, Baden-Baden 2009, 3. Aufl., S. 277-291
[27] Eisenberg a.a.O. (Fn. 24), § 43 Rdnr. 16b
[28] Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen v. 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2975)
[29] vgl. Schäfer in: Münder u.a. a.a.O. (Fn. 20), § 81 Rdnr. 9
[30] so im Ergebnis auch Gerhard, H.: Das „Haus des Jugendrechts“. Wohnsitz kriminalpräventiver Ansätze oder Unterschlupf repressiven Vorgehens?, in: ZJJ 2008, H. 2, S. 184-189
[31] so Nr. 20.1 der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit (Beijing-Grundsätze)
[32] Verrel, T.: Zur (Un)Wirksamkeit schnellerer Reaktionen auf Jugendstraftaten. Erkenntnisse aus der Begleitforschung zum nordrhein-westfälischen „Staatsanwalt vor/für den Ort“, in: Hilgendorf, E.; Rengier, R. (Hg.): Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, Baden-Baden 2012, S. 521-530 (530)
[33] Feuerhelm; Kügler a.a.O. (Fn. 7)
[34] zum Sozialdatenschutz im Haus des Jugendrechts vgl. Riekenbrauk, K.: Haus des Jugendrechts und Sozialdatenschutz, in: ZJJ 2011, H. 1, S. 74-83; s. zu diesem Komplex insgesamt: Coskun, A.N.: Kommunikation und Kooperation durch fachliche Konfrontation zwischen Jugend(gerichts)hilfe und Justiz in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz, Hamburg 2012, S. 215ff.
[35] Nach § 67b Abs. 1 und 2 SGB X muss die Einwilligungserklärung des einwilligungsfähigen Jugendlichen vorher, ausdrücklich, freiwillig und schriftlich nach umfassender Information durch das Jugendamt erfolgen.
[36] vgl. im Einzelnen Riekenbrauk a.a.O. (Fn. 34), S. 77ff.
[37] so auch das Positionspapier der DVJJ in: ZJJ 2014, H. 1, S.
[38] vgl. Schwerpunkthefte „Vertrauen in der Arbeit mit Straffälligen“ in: Bewährungshilfe 2000, H. 4 und 2001, H. 1
[39] vgl. Riesner; Bliesener; Thomas a.a.O. (Fn. 17), S. 45, die in ihrer Untersuchung eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der Polizei konstatieren. auch Oberwittler, D.; Schwarzenbach, A.; Gerstner, D.: Polizei und Jugendliche in multiethnischen Gesellschaften. Ergebnisse der Schulbefragung 2011 „Lebenslagen und Risiken von Jugendlichen“ in Köln und Mannheim, Freiburg 2014, S. 42, die feststellen, dass sich die Meinung der Jugendlichen zur Polizei bei häufigeren Polizeikontakten, ganz besonders ab dem fünften Kontakt, verschlechtert.
[40] so Eisenberg a.a.O. (Fn. 24), § 43 Rdnr. 17a; Emig a.a.O. (Fn. 3), S. 150
[41] so Neubacher, F.: Aufbruch ins Ungenannte. Wohin steuert die Jugendkriminalpolitik in Nordrhein-Westfalen?, in: ZJJ 2011, H. 4, S. 433-440 (438)
[42] www.justiz.nrw.de/WebPortal/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/fruehjahrs-konferenz13/index.php
[43] vgl. Emig a.a.O. (Fn. 3)
[44] so Holthusen; Hoops a.a.O. (Fn. 16), S. 27
[45] vgl. Lindenberg, M.: Vielfalt ermöglichen und Sicherheit organisieren? Ein Essay zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Polizei aus der Sicht der Sozialen Arbeit, in: ZJJ 2012, H. 4, S. 410-415, der für das „kluge Warten“ plädiert, das von der Polizei für eine gelingende Kooperation akzeptiert werden müsse, S. 415
[46] so überzeugend Sturzenhecker, B.; Karolczak, M.; Braband, J.: Ergebnisse der Evaluation der „gemeinsamen Fallkonferenzen“ im Rahmen des Hamburger Handlungskonzepts „Handeln gegen Jugendgewalt“, in: ZJJ 2011, H. 3, S. 305-312 (311); vgl. aus der Sicht der Jugendstrafverteidigung: Mertens, A.; Murges-Kemper, K.: Muss schnell auch immer gut sein?, in: ZJJ 2008, H. 4, S. 356-361
[47] vgl. Neubacher, F.;Oelsner, J.; Boxberg, V.; Schmidt, H.: Kriminalpolitik unter Ideologieverdacht. Wunsch und Wirklichkeit jugendstrafrechtlicher Sanktionierung, in: Hilgendorf; Rengier a.a.O. (Fn. 32) S. 454-463, die eine „Verpolizeilichung“ ausmachen (S. 456); Emig a.a.O. (Fn. 3), S. 149f.; Holthusen; Hoops a.a.O. (Fn. 16), S. 24