Polizeilicher Schußwaffengebrauch 1986

Im Jahre 1986 kamen in der Bundesrepublik 12 Menschen durch polizeilichen Schußwaffengebrauch zu Tode, zwei Personen mehr als im Vorjahr. Gegenüber unserer inoffiziellen Zahlung, die sich auf Pressenotizen stützt, nennt die jährlich von der Innenministerkonferenz herausgegebene offizielle Statistik nur 11 Fälle.

Da die IMK nach wie vor die von der Polizeiführungsakademie geführte detaillierte Statistik polizeilichen Schußwaffeneinsatzes nicht herausgibt, sondern nur interpretierte Einzeldaten in Form einer Presseerklärung, kann diese Differenz von uns nicht eindeutig geklärt werden. Es kam bereits in früheren Jahren vor, daß die IMK weniger Fälle meldete, als wir belegen konnten, da entweder das Opfer erst vier bis sechs Wochen nach dem Ereignis an den Folgen starb oder ein Polizist „unbeabsichtigt“ seine Waffe tödlich einsetzte.

Die Differenz zwischen unserer und der IMK-Zählung mag sich daraus erklären, daß in einem Fall (Nr.11) der Polizeibeamte nicht im Dienst war, als er die Waffe einsetzte. Die besagte Presseerklärung des turnusmäßigen Vorsitzenden der IMK, Niedersachsens Innenminister Hasselbach, (Nr. 8/87 vom 1.6.1987) gibt eine Gesamtzahl von 2.199 abgegebenen Schüssen an, davon 1.962 auf Tiere und 11 auf Sachen. Von den 213 gegen Menschen gerichteten Schüssen waren 105 Warnschüsse.

Von den gezielten richteten sich 53 unmittelbar gegen die Person und 55 gegen Sachen, d.h. unter anderem (vermutlich hauptsächlich) gegen mit Personen besetzte Fahrzeuge. Neben den 11 (bzw.12) Todesfällen nennt die Presseerklärung 32 Verletzungen als Ergebnis polizeilicher Schüsse. In 13 Fällen sei der Schußwaffengebrauch unzulassig gewesen.

Die IMK geht wie üblich nicht auf die Begleitumstande oder die nachfolgende disziplinarische, staatsanwaltliche oder gerichtliche Bearbeitung der Fälle ein, sondern konstatiert pauschal, daß „bei steigender Kriminalitat“ „die Polizei die Schußwaffe weiterhin besonnen und zurückhaltend“ einsetze. Diese Bewertung ist eine Standardformel, die die IMK Jahr für Jahr wiederholt – unabhängig von der zum Teil erheblich schwankeneden Zahl der tödlichen Schüsse durch Polizeibeamte.

„Gefährliche Situationen“

In einem der 12 Todesschußfälle erschoß ein Polizeibeamter während seiner Aushilfstätigkeit als Tankwart einen 25jährigen Räuber mit seiner Dienstpistole (Fall 11). Die Münchener Polizei rechtfertigte diesen Schuß mit der Erklärung, ein Polizeibeamter „sei immer im Dienst, könne einschreiten ob in Zivil oder in Uniform und müsse seine Waffe auch in der Freizeit tragen.“ (Frankfurter Rundschau 14.1 1.1986)

In drei Fällen handelte es sich um vorbereitete Polizeieinsätze. In zweien dieser Fälle (Nrn.9 und 10) machte die bayerische Polizei von der gesetzlichen Regelung des „finalen Rettungsschusses“ Gebrauch, die im Gefolge des „Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes“ während der 70er Jahre in den Ländern Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen in die Polizeigesetze eingeführt wurde.

Wie auch in den Vorjahren wird die überwiegende Zahl polizeilicher Todesschüsse in Alltagssituationen abgegeben,in denen den betreffenden Beamten keine Zeit zur Vorbereitung ihres Einsatzes blieb (8 Fälle). Daß die Zahl der polizeilichen Todesschüsse sehr stark von diesen Situationen abhängt, formuliert auch der IMK-Vorsitzende: „Die Notwendigkeit des Einsatzes der Schußwaffe hängt (…) von der Häufigkeit gefährlicher Situationen ab, auf deren Entstehen die Polizei keinen Einfluß hat. Auf diese Weise ist auch die Zunahme der Todesfolgen um einen Fall auf insgesamt 11 zu erklären.“

Daß solche „gefährliche Situationen“ der Polizei nicht nur von außen diktiert werden, hat man offensichtlich in Nordrhein-Westfalen erkannt. Nachdem hier bereits 1984/85 zusätzliche Sicherungen an Maschinenpistolen angebracht wurden, die ein unbeabsichtigtes Lösen von Schüssen verhindern sollten, begann die NRW-Polizei nach dem Extremjahr 1983 (bundesweit 23 Todesschüsse), ihre Schießausbildung unter dem Motto „Schießausbildung – Nichtschießausbildung“ neu zu reflektieren. Hierzu wurde ein Trainingsprogramm „integrierte Fortbildung“ entwickelt, das auch in Extremsituationen auf eine Konfliktbewältigung mit weniger Gewalt abzielt. Anti-Stress-Training, psychologisches Training, Selbstkontrolle, Lagebeurteilung heißen hier die Stichworte. Trainiert werden soll, so „Die Streife“, „auch auf einen rechtlich zulässigen Schußwaffengebrauch, z.B. bei Geiselnahmen, zu verzichten“.

Diese „Nichtschießausbildung“ ist sicher ein begrüßenswerter Schritt, der allerdings das eigentliche Problem im Alltag, nicht antastet. Eine Regelung entsprechend dem englischen Modell, der Ausgabe von Schußwaffen nur in besonderen Situationen, lastet dagegen nicht den einzelnen Beamten die Verantwortung für den Schußwaffeneinsatz auf, sondern schafft durch die Entwaffnung im Alltag die Voraussetzung dafür, daß solche „gefährlichen Situationen“ nicht entstehen.