Editorial

„SICHERHEITSGESETZE“
Der unentwegte Versuch der Exekutive, die alten Ziele hinter immer neuen Formen zu verstecken

1. Der Stand der Dinge

„Sicherheitsgesetze – und kein Ende“ – so heißt der Titel des Editorials unserer letzten Ausgabe vom Dezember 1988, in der wir die Entwürfe zum Ausländerzentralregister-Gesetz und zur Neufassung des BKA-Gesetzes öffentlich machten.
Kaum kam dieses Heft vom Buchbinder, lag ein nächstes Paket sog. „Sicherheits“-Gesetze auf dem Tisch. Unter dem vielversprechenden Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes“ ist dieses Paket am 30.12.1988 dem Bundesrat vorgelegt worden. Unter geringer öffentlicher Resonanz erfolgte die 1.Lesung am 28.4. dieses Jahres im Bundestag (Drs.11/4306).

Dieses Artikel-Gesetz – nicht zu verwechseln mit dem vom Bundestag am 21.April d.J. verabschiedeten Artikel-Gesetz zum Abbau des Demonstrationsrechts, zur Einführung der Kronzeugenregelung etc. (vgl. Kritik in dieser Ausg.) – faßt jene Gesetzesentwürfe zur Regelung staatsschützerischer Informationsverarbeitung zusammen, deren erste Fassungen wir bereits 1985 (CILIP 21) aus den Schreibtischen ihrer Autoren gezogen hatten:

* Bundesverfassungsschutz-Gesetzes,
* MAD-Gesetz,
* BND-Gesetz,
* Bundesdatenschutz-Gesetz,
* Änderung des Verwaltungsverfahrens-Gesetzes.

Während die ersten drei Entwürfe unmittelbar die Informationsverarbeitung der Geheimdienste regeln, betreffen die beiden Querschnitts-Gesetze BDSG und VwVfG insgesamt die Datenverarbeitung, jedoch mit Sonderregelungen für den Staatsschutzverbund.

Unser Gesamturteil vorab:
1) Die Bundesregierung und ihre exekutiven Ghostwriter haben seit der massiven und breiten Kritik an den ersten Entwürfen von 1985 in nichts zurückgesteckt. Sie zeigen in ihrem Gesetzgebungs-Slalom eine außerordentliche Treue gegenüber dem Gehalt der Ursprungsentwürfe. Das Ziel, den seit langem bestehenden unbegrenzten Informationsverbund in Staatsschutzangelegenheiten zwischen allen beteiligten Teilapparaten des „Sicherheitssystems“ rechtlich abzusichern, ist geblieben. Allerdings, der Entwurf eines „Zusammenarbeitsgesetzes“ von 1985/86, wie der unter dem Titel „VfS-Mitteilungsgesetz“ folgende Entwurf 1988 ist inzwischen preisgegeben worden. Beide waren Kristallisationspunkte der öffentlichen Kritik. Als weniger verräterische Lösung sind die zuvor in diesen Entwürfen verfolgten Intentionen nun in die Befugnisregeln der einzelnen Geheimdienst-Gesetze untergebracht worden. Das ZAG ist in diesen Entwürfen „internalisiert“ worden.

2) Weiter verfolgt wird auch das Ziel, alle Stellen der öffentlichen Verwaltung (vom TÜV, soweit er Aufgaben der öffentl. Verwaltung erfüllt, über die AOK bis zur Universität, von der Bundesversicherungsanstalt bis zur Gemeindeverwaltung) auf eine Zuarbeit für den Staatsschutzverbund rechtlich bindend zu verpflichten. Wird für den Datentransfer zwischen den Staatsschutzapparaten nur festgeschrieben, was immer schon Praxis war, so schaffen jene Normen, die nun „sonstige Stellen“ in Übermittlungspflichten gegenüber den Staaatsschutzapparaten rechtlich verbindlich einschließen, eine qualitativ neue Situation mit durchgreifenden Konsequenzen für den Alltag staatsschützerischer Informationserhebung.

Zwar haben sich die Dienste auch bisher schon Daten von der AOK, dem Arbeitsamt etc. besorgt, zwar gab es auch bisher schon von spontaner Denunziationsfreude getriebene Beschäftigte in den deutschen Universitäten etc., die von sich aus „Erkenntnisse“ an die Geheimdienste lieferten. Nur waren hier die Dienste mehr oder weniger angewiesen auf die Bereitschaft der Beschäftigten zur Zusammenarbeit. Diese hatten die Möglichkeit, nicht mitzuspielen, bewegten sich solche Praktiken doch im Graubereich zwischen Recht und Rechtsbruch. Das mit den vorliegenden Entwürfen verfolgte Ziel, den Staatsschutzbehörden auch und gerade für den präventiven Staatsschutz weit im Vorfeld konkreter Handlungen den rechtlich verbindlichen Zugriff auf nahezu alle Datenbestände öffentlicher und semiöffentlicher Stellen zu ermöglichen, schafft für diese Stellen und ihre Beschäftigten – damit aber auch für die BürgerInnen und ihren Datenschatten in den Verwaltungen – eine qualitativ neue Situation. Der Zugriff wird systematisiert und soll den VfS-Behörden die Möglichkeit eröffnen, alle Behördendateien für strategische Auswertungen (für Rasterfahndung etc.) heranziehen zu können. In dieser systematischen Zugriffsmöglichkeit liegt die qualitative Neuerung.

3) Die Gesetzesautoren haben inzwischen gelernt, durch Gesetzgebungstechnik und Sprache ihren präventive Datensammlungs-Extremismus zu verstecken. Dies wird deutlich, wenn man auf die Geschichte dieser Gesetzgebung und die Vielzahl von Entwürfen zurückblickt, die chamäleonhaft ständig verändert wurden, ohne daß auch nur ein Zipfelchen an Intentionen preisgegeben wurde. Wir halten dies für so symptomatisch und lehrreich, daß wir der sich ständig wandelnden Gesetzgebungstechnik und den nutzbar gemachten Sprach- und Begriffs-Tricks in diesem Editorial einen eigenen Abschnitt gewidmet haben.

Zur Gesetzgebungsgeschichte dieser Entwürfe vgl. den dem Editorial folgenden Beitrag.

4) Schließlich ist daran zu erinnern, daß mit den hier dokumentierten Entwürfen keineswegs die geplante Gesamtrevision des „Rechts“ der Sicherheitsapparate abgeschlossen ist. Der Kasten auf der folgenden Seite gibt eine Übersicht über weitere, in Arbeit befindliche „Sicherheits“-Gesetze.

5) Im Handstreich – und damit nahezu ohne öffentliche Diskussion und Protest – haben die Bonner Koalitionsparteien zudem im letzten Monat während laufender Gesetzgebungsverfahren zwei für die Informationserhebung und -verarbeitung der „Sicherheitsbehörden“ zentrale Gesetzesregelungen nachgeschoben und umgehend verabschiedet:
* Dem Poststruktur-Gesetz, das am 20.April d.J. verabschiedet wurde, war kurz zuvor eine „Ergänzung“ untergeschoben worden, die den Zugriff von Polizei, Geheimdiensten und Staatsanwaltschaften auf alle neuen Formen der Kommunikation eröffnet – auch und gerade dort, wo diese Formen von privaten Unternehmen betrieben werden (siehe unsere Dokumentation und Kommentierung in dieser Ausgabe).
* Das Artikel-Gesetz zur Demontage des Demonstrationsrechts, zur Einführung des Kronzeugen etc., das am 21.April d.J. verabschiedet wurde, war kurz zuvor um einen neuen 12a Versammlungs-Gesetz bereichert worden, der nun als Bundesrecht für alle Länder verbindlich regelt, was bisher im Polizeirecht der Länder – seit 1985 mit dem ME PolG der IMK vorbereitet – normiert werden sollte: präventive Ton- und Bildaufnahmen bei und in Vorbereitung auf Demonstrationen (Zu diesem Handstreich siehe unsere Kritik in dieser Ausgabe).

2. Zur Rechtsqualität der „Sicherheitsgesetze“

Art. 20 GG formuliert die prinzipielle Gesetzesbindung exekutiven Handelns; d.h. jedweder Verwaltungsakt bedarf der gesetzlichen Grundlage, bedarf mithin der Vorabentscheidung und Ermächtigung durch das Parlament. Recht, soll es mehr sein als eine in Gesetzesform gegossene Verwaltungsvorschrift zur internen Regulierung und Standardisierung von Verwaltungshandeln, soll aber nicht nur ermächtigen, sondern gleichermaßen mit der Ermächtigung auch begrenzen. Es soll mithin den Bereich des zulässigen von dem des unzulässigen, also rechtswidrigen Handelns anhand möglichst klarer tatbestandlicher Definitionen trennen.
„Wenn das Spiel (die Begrenzungsfunktion des Rechts – Red.) Sinn machen soll, muß der Bewertungsmaßstab entscheidbar machen, ob eine bestimmte Maßnahme zulässig ist oder nicht. In der Begrifflichkeit des Justizsyllogismus formuliert: es ist essentiell für diese Bewertungsoperation, daß auch Voraussetzungen (Sachverhalte) denkbar sind, die nicht zu einer positiven Subsumtion führen, also zu dem Ergebnis: diese Maßnahme wäre unzulässig. Das eben ist die Begrenzungsfunktion einer Norm.“ (Wagner 1989)
Nur so läßt sich auch ein grundlegendes rechtsstaatliches Versprechen einhalten: das Prinzip der Rechtssicherheit im Sinne tatbestands- und normenklarer allgemeiner Regeln, die Bürger wie Verwaltung in die Lage versetzen, eigenes Handeln in der Orientierung am Recht zu kalkulieren – und zwar eigenes Handeln, nicht die eigene Gesinnung.

Mißt man die seit 1985 vorgelegten Geheimdienstgesetze, aber auch das Polizeirecht der Länder, das sich seit Anfang der siebziger Jahre in einem ständigen Novellierungsprozeß befindet an diesen Maßstäben, so fällt das Urteil eindeutig aus.

Normenklarheit und Bestimmtheit, die zentralen Voraussetzungen von Rechtssicherheit, sind schubartig preisgegeben worden. Es gibt schlechterdings keine Sachverhalte mehr, die nicht bei gelinder Interpretationskunst unter die Eingriffsvoraussetzungen des teilverwirklichten neuen Polizeirechts und der in diesem Heft dokumentierten Gesetze für die Geheimdienste fallen könnten. Dies hat seine Logik.

Ein Staat, der auf Risikovorsorge und Prävention aus ist, verlangt einen juristischen Eingriffsrahmen, der auf Berechenbarkeit qua Bestimmtheit der Eingriffsnormen verzichten muß. „Dem einzelnen wird allerdings so just die Sicherheit genommen, die ihm die Kodifizierung garantieren soll. Er handelt nicht in Kenntnis bestimmter, jederzeit nachvollziehbarer, ihn ebenso wie jeden anderen bindenden Erwartungen, sondern unter dem Vorbehalt einer in ihren Inhalten und Konsequenzen prinzipiell offenen, richterlichen und administrativen Instanzen vorbehaltenen Korrektur“ (Simitis 1988, S.37).

Als Tendenz war diese Durchbrechung der Bestimmtheit und Kalkulierbarkeit dem Recht der Sicherheitsapparate schon immer immanent.
Dies gilt gerade für das Gefahrenabwehrrecht. So sehr das Polizeirecht auch früher mit Gefährlichkeitsvermutungen und damit auch mit systematischen Irrtumswahrscheinlichkeiten und Optionen für Willkür operierte, so beinhaltete es doch in der Bindung des Eingriffs an konkretisierbare Gefahren und dessen Einschränkung auf den Verursacher dieser Gefahren (Störer) rechtlich überprüfbare Kriterien.

Immer schon unbestimmt war demgegenüber der Eingriffsspielraum der Geheimdienste, der durch die vorliegenden Entwürfe neu- bzw. erstverrechtlicht werden soll. Der Vfs sollte und soll ja gerade die Ungewißheit über politische Entwicklungen im Lande und ihre sozialen Träger weit im Vorfeld des Vorfeldes konkreter Angriffshandlungen abklären. Daher kam bereits der Gesetzgeber von 1951 beim VfS-Gesetz über ganz pauschale Aufgabennormen nicht hinaus – geschweige denn, daß klare Befugnisnormen statuiert worden wären. Die Konsequenz: nicht das Parlament entschied aufgrund gesetzlich detailliert formulierter Eingriffsvoraussetzungen, wer Objekt geheimdienstlicher Operationen und nachrichtendienstlicher Aufklärung werden durfte, sondern die Dienste selbst. Solange Parlament, Geheimdienste und breiteste Teile der Bevölkerung gemeinsam vom starren und militanten Antikommunismus mit seinen relativ klar konturierten Feindbild geprägt waren, fiel die damit geschaffene Eingriffsautonomie der Geheimdienste kaum auf.
Kurz: seit jeher bestimmte nicht das Recht, sondern die Praxis der Dienste und ihr Wandel vor dem Hintergrund einer sich veränderndern Gesellschaft Aufgaben und Befugnisse der VfS-Ämter.

In dieser Hinsicht sind die vorliegenden Entwürfe nicht von „neuer Qualität“. Wie zuvor, ob 1950 oder 1972, sind die neuen Gesetze nur die Legitimation für Eingriffe, über deren allgemeine Voraussetzungen nicht der Gesetzgeber, sondern die Administration entscheidet.

Neu ist allerdings der gesetzgeberische Aufwand, mit dem versucht wird, Erfüllung rechtsstaatlicher Gesetzesformalien, Präzision und die Berücksichtigung von Strukturprinzipien des sich seit den siebziger Jahren herausbildenden Datenschutzrechts vorzugaukeln.

3.Zur gesetzgeberischen Technik der politischen Täuschung

Kamen MAD und BND bis dato ohne gesetzliche Grundlagen und das BfV mit Gesetzen aus, die sich 1950 und 1972 mit sechs Paragraphen begnügten, so wird in den seit 1985 vielfältig mutierten Gesetzentwürfen das Recht der Geheimdienste und des informationellen Staatsschutzverbundes in einem schier endlosen Paragraphenwald versteckt, dessen einziger Zweck es zu sein scheint, vor lauter Bäumen blind zu machen. Gemessen an den Erst-Entwürfen von 1985 ist die Technik des gesetzgeberischen Verwirrspiels ohne Zweifel perfektioniert worden.

* Das, was die Intention dieser Gesetzgebung war und geblieben ist, die Absicherung der informationellen Gesamtvernetzung, war in den ersten Entwürfen – insbesondere im ZAG – noch unmittelbar angesprochen worden. Das „Zusammenarbeits-Gesetz“ nannte nicht nur en detail alle Teilapparate sondern beschrieb noch relativ konkret die spezifischen Formen der Zusammenarbeit – etwa die Zuarbeit des BGS für den BND. Das ZAG, und das folgende, in seiner Detailfreunde schon kargere VfS-Mitteilungsgesetz sind als selbstständige Gesetze nun gestrichen, die Zusammenarbeitspflichten und Befugnisse stattdessen inkorporiert in die jeweiligen „Organisations“-Gesetze für den VfS, MAD und BND.

* Nahezu die Hälfte der Gesetzesparagraphen in den jeweiligen Einzelgesetzen sind der neuen Datenschutzrhetorik gewidmet. Da gibt es Nachberichtigungs- und Löschungsverpflichtungen; da müssen die Empfänger von personenbezogenen Daten darauf hingewiesen werden, daß sie Daten nur für den Zweck, zu dem sie ihnen übermittelt wurden, nutzen dürfen; da werden die Ämter verpflichtet, Daten nur insoweit zu speichern und zu nutzen, wie dies für ihre jeweiligen Aufgaben notwendig ist; da gibt es die Verpflichtung zu Errichtungsanordnungen für Dateien usw. Ganze Paragraphen wiederholen geltende Rechtssätze wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder den Grundsatz, daß spezialgesetzliche Regelungen denen dieser Gesetze vorausgehen etc. Es sind Selbstverständlichkeiten, die auch gelten würden, wenn sie nicht zur Füllung dieser Gesetze dienen müßten und die nur ein Ziel haben – hinter einem Wortschwall zu verstecken, daß das Gesamtpaket durch einen schlichten Satz ersetzt werden könnte:
Im Interesse des Staatsschutzes sind die Dienste zu jeder nur denkbaren Form der Informationserhebung und -weitergabe befugt!
* Ein weiteres Instrument politischer Täuschung sind die redaktionellen Überschriften zu einzelnen Paragraphen, deren Inhalt die Überschrift jeweils „dementiert“. So findet sich in allen Entw. eine Überschrift, die da heißt: „Geltung des BDSG und des VwVfG“. Anschließend werden jene Paragraphen dieser Querschnittsgesetze benannt, die gerade nicht für den staatsschützerischen Informationsverbund gelten sollen.
* Ähnlich strukturiert ist der „Minderjährigenschutz“ in den Entwürfen der Geheimdienstgesetze. Der Titel suggeriert, daß Informationen über das Verhalten von Minderjährigen nicht erhoben werden dürfen. Der Inhalt besagt, daß Informationen über Minderjährige (bis zum 16.Lebensjahr) nicht in automatisierten Dateien gespeichert und nur restriktiv weitergegeben werden dürfen, wobei die Restriktionen immer schwachbrüstiger werden, je mehr die Minderjährigen das Alter erreichen, in dem Jugendliche überhaupt anfangen, politische Interessen zu entwickeln.
* Kennzeichnend für den Entw. ist auch ein Spiel mit Begriffen, die normativ gleich verwendet werden, faktisch aber unterschiedliche Bedeutung besitzen. Dies gilt vor allem für die Begriffe „Information“ und „personenbezogene Daten“ (letzteres ein Begriff aus der Datenschutzrechts-Dogmatik, der im engeren Sinne automatisiert gespeicherte Daten meint). Zwischen diesen Begriffen changieren diese „Sicherheitsgesetze“ deshalb ständig, weil sie datenschutzrechtlich sehr unterschiedliche Formen und Inhalte der Informationsverarbeitung fassen. Die Paragraphen zu den Erhebungs- und Übermittlungsbefugnissen operieren mit dem Informationsbegriff. Die „speziellen Datenschutzvorschriften“ einschließlich jener zum „Minderjährigenschutz“ operieren mit dem engen Dateienbegriff – ein vorsätzlicher Begriffwechsel mit dem Ziel der Täuschung. Denn beim Vfs liegt unbeschadet der technischen Aufrüstung mit ADV der Großteil der Informationen über relativ knappe Raster und Fundstellenhinweise hinaus, in konventionellen Akten. Gerade da, wo eine Begrenzung ansetzen müßte, bei der Erhebung von personenbezogenen Informationen unabhängig von der Form ihrer Archivierung, wird operiert mit dem Informationsbegriff – dort, wo Begrenzungen suggeriert werden sollen, mit dem Dateienbegriff. Die Informationsmenge wird keineswegs begrenzt.
* Gleichermaßen aussagekräftig ist das Changieren zwischen den Begriffen „Behörde“, „bundesunmittelbare juristische Personen öffentlichen Rechts“, „Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung übernehmen“, sonstige „Stellen“, „amtliche Register“ etc. Auch dies ist keineswegs nur redaktionelle Schlamperei. Je konturenloser jene „Stellen“ rechtlich definiert werden, die informationspflichtig sind bzw. von den Diensten mit „Erkenntissen“ beliefert werden dürfen, desto mehr wird es ins Belieben der Dienste gestellt, wer Daten abzuliefern hat und wen die Dienste mit Verdächtigungen und Feindbestimmungen zu beliefern befugt sind.
* Beispielhaft auch das Schicksal des sog. Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten. Der Satz, daß letztere keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden dürfen war in den Ursprungsentwürfen von 1985 enthalten, wurde zwischenzeitlich fallengelassen und taucht nun wieder auf. Um die organisatorische Zusammenlegung von Polizei und Geheimdiensten ging es aber nie. Vielmehr zielt das Gesamtpaket auf die funktionale Zusammenarbeit der Behörden bei organisatorischer Selbstständigkeit. Daß aus dem Trennungsgebot allerdings auch die informationelle Gewaltenteilung und informationelle Trennung der Datenbestände abzuleiten wäre – dieser Gedanke ist den Autoren allemal fern (zum Trennungsgebot ausführlich R. Gössner in CILIP 27, S.38 ff.).

4. Die politische Logik der „Sicherheitsgesetze“

Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983, damals emphatisch als „Bergpredigt des Datenschutzes“ tituliert, hat vor allem Gesetzgebungsbedarf erzeugt (Urteil in CILIP 21 u. 23). Nach 6 Jahren läuft auch der vom Gericht zugestandene sog. Übergangsbonus aus, so daß der „Gesetzgeber“ derzeit in der Tat unter formalem Gesetzgebungsdruck steht (vgl. die Erklärung des Datenschutzbeauftragten Hamburgs im folgenden Kästchen).

Das ist indes nur ein äußerer Anlaß. Im Kern läßt sich der aktuelle „Gesetzgebungsbedarf“ auf gesellschaftliche Veränderungen und einen Wandel des staatlichen Politikmodells zurückführen – zwei Prozesse, die sich seit Mitte der sechziger Jahre ankündigten.

a) Die demokratische „Kulturrevolution“

Schon im Ausklang der autoritären Kanzler-Demokratie Adenauers gab es bereits erste Zeichen wachsenden demokratischen Selbstbewußtseins in diesem Lande, sichtbar bei der öffentlichen Reaktion auf die Spiegel-Affäre 1962, verstärkt mit der Anti-Notstandsbewegung und der Studentenbewegung und schließlich in den 70er und 80er Jahren weiterentwickelt im sozial und politisch buntscheckigen Feld von Bürgerinitiativen, in der Umwelt-, der Friedensbewegung, etc. Das „Volk“, im Grundgesetz von 1949 systematisch mediatisiert, meldete in Gestalt außerparlamentarischer Initiativen und Bewegungen politische Teilhabe- und Mitentscheidungsansprüche an.

Gewiß, es war und ist nicht das „ganze Volk“, sondern es sind artikulationsstarke Minderheiten – weder von ihrer Klassen- und Schichtzugehörigkeit her homogen, noch von ihren Organisations- und Artikulationsformen, Zielen und ideologischen Konzepten. Aber gerade diese schwere Faßlichkeit sozialer Träger und politischer Ziele der neuen demokratischen Unruhe jenseits der hierarchisch gegliederten und geführten Marschkolonnen der traditionellen Fundamentalopposition Arbeiterbewegung schuf neuen Kontrollbedarf.
Die Sozialdemokratie, dank dieses demokratischen Aufschwungs Ende der 60er Jahre bundesweit zur führenden Regierungspartei geworden, reagierte in doppelter Weise.

Zum einen versprach sie, „mehr Demokratie zu wagen“ und begann, Mitbestimmungsmodelle etwa im Hochschulbereich durchzusetzen. Gleichzeitig begann sie in politischer Koalition mit der CDU/CSU, sich des veränderten politischen Prozesses in der Bundesrepublik herrschaftlich zu vergewissern. Nicht die Bürger oder gar Massenbewegungen, sondern eine mit kraftvoll-neuen Muskeln versehene staatliche Bürokratie sollte, ganz in sozialdemokratischer Tradition, „Subjekt“ sozialdemokratischen Krisenmanagements und der Gesellschaftsreform werden. Der demokratisch selbstbewußte Bürger, der mitbestimmen und mitentscheiden wollte, war eher ein Störfaktor. Wie seit Beginn bundesdeutscher Geschichte und Vorgeschichte blieb auch in den sozialliberalen 70er Jahren die „Innere Sicherheit“ das verbindende Geschäft der Allparteienkoalition von CDU/CSU, SPD und FDP. Das „Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung“ der Bundesregierung aus dem Jahre 1970, das „Programm für die innere Sicherheit“ der IMK von 1972, die Ausweitung der Befugnisse von BGS, BKA und Vfs im Jahre 1972 zusammen mit dem massiven personellen Ausbau dieser Apparate bei parallelen Entwicklungen auf Länderebene, der sog. Radikalenerlaß von 1972 – all dies war das verschreckte Bemühen der Parteien und Bürokratien, jenen neuen sich außerhalb des parlamentarischen Repräsentationssystems der Bundesrepublik entwickelnden politischen Prozeß repressiv zu überwachen und zu beherrschen.

Diesen Zusammenhang von gesellschaftlicher Demokratisierung und repressiver Reaktion formulierte u.a. die Landesregierung Niedersachsens 1972 programmatisch in ihrem Landesentwicklungsprogramm „Niedersachsen 1985“:
„Die wachsende Kompliziertheit des gesellschaftlichen Lebens mit ihren durch die Demokratie nur in langwierigen Prozessen zu lösenden Problemen sowie das steigende politische Bewußtsein der Bevölkerung werden wahrscheinlich dazu führen, daß die Neigung zur öffentlichen Konfrontation ansteigt. Die Polizei geht deshalb davon aus, daß auch im kommenden Jahrzehnt eine erhebliche Anzahl von Einsätzen aus Anlaß von Demonstrationen notwendig werden wird“ (S.447).

Das, was sich an demokratischen Fundamentalansprüchen seit Ende der 60er Jahre artikulierte und nicht mehr – wie KPD/DKP und Umfeld – einem im Rahmen der Ostpolitik ebenfalls an Konturen verlierenden äußeren Feind zugeordnet werden konnte, führte zur Entdeckung des Verfassungsfeindes. Dieser neue Begriff ergänzte die Kategorie des „Verfassungswidrigen“ und sollte gerade den nicht durch das Verfassungsgericht verbotenen und auch nicht illegalen, wohl aber inopportunen politischen Kampf bezeichnen und ihn mit Sanktion bedrohen.

Die neue Kategorie zu füllen und zu definieren oblag zuvörderst den VfS-Ämtern, deren Personal sich innerhalb von 10 – 15 Jahren verdoppelte und verdreifachte, unterstützt durch die Zuarbeit der Polizeien von Bund und Ländern. Hätte es nur neue Befugnisse, jedoch keine neuen Ressourcen an Rössern und Reitern, Personal und neuen technischen Instrumenten wie der herausragenden EDV gegeben, so hätten die neuen Befugnisse nur zu mehr Willkür, nicht aber zur Ausweitung des staatsschützerischen Überwachungswahnes führen können.

Die soziale, organisatorische und politische Diffusität der neuen demokratischen Bewegungen in der Bundesrepublik bedeutete dabei auch ein erhebliches internes Problem für die „Sicherheits“-Bürokratien. Diese „neue Unübersichtlichkeit“, deren Akteure durch alle liebgewonnenen Raster das traditionellen Antikommunismus der 50er und 60er Jahre fielen, für die Apparate übersichtlich werden zu lassen, verlangte ganz neue Raster und einen qualitativ breiteren, überwachenden Zugriff auf die Gesellschaft. Die Infrastruktur und die Methoden für diesen neuen Zugriff wurden in den 70er Jahren aufgebaut und entwickelt.

Soweit dieser Prozeß auch rechtlich zu fassen und zu legitimieren versucht wurde, drückte er sich in neuen, juristisch-dogmatisch nicht fixierten Kategorien aus, deren Konturenlosigkeit mit der Diffusität ihrer Anwendung korrespondierte.

Ordnet man die aktuell zur Debatte stehenden „Sicherheits“-Gesetze der CDU/CSU/FDP-Koalition in die hier holzschnittartig skizzierte Entwicklung ein, so ist zum wiederholten Male festzuhalten, daß diese Gesetze eine zu Zeiten der sozialliberalen Bonner Koalition forcierte Entwicklung bei den „Sicherheits“apparaten nur noch rechtlich festschreiben und mit der Weihe der Gesetzlichkeit ausstatten sollen.

b) Der an Krisen- und Risikovorsorge orientierte aktive Staat

Der Rezessionseinbruch im Herbst 1965, der das Ende einer langjährigen Ära ökonomischer und damit auch politischer Stabilität in der Bundesrepublik einzuleiten schien, führte sehr schnell zu einem signifikanten Wandel staatlicher Politik, begünstigt durch den mit der Zustimmung zu den Notstandsgesetzen bezahlten Einstieg der SPD in die Bonner Regierungsverantwortung.

Mit dem Stabilitätsgesetz von 1967, dem Haushaltsgrundsätze- und dem Finanzreformgesetz von 1969 wurde ein Wandel des staatlichen Politikmodells eingeleitet: die Abkehr von einem auf gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen nur reagierenden Handlungsmodell hin zu staatlichen Interventionen, die auf aktive wirtschafts- und gesellschaftspolitische Krisenregulierung und Risikoprävention zielten. Dies verlangte nicht nur neue Interventionsbefugnisse, sondern zugleich neue staatliche Diagnose- und Prognose-Instrumente, um möglichst frühzeitig krisenträchtige Entwicklungen erkennen und ihnen gegensteuern zu können.

Mit Beginn der sozialliberalen Bonner Koalition im Winter 1969 wurde dieses Politikmodell verallgemeinert. Es amalgierten Krisenprävention und sozialdemokratische Vorstellungen aktiver Gesellschaftspolitik. Nicht mehr nur Bestandsgarantie des gesellschaftlichen status quo, sondern Gesellschaftsreform und damit Bestandswandel durch aktive staatliche Gesellschaftspolitik wurde zum Programm. Als „Subjekt“ sozialdemokratischer Gesellschaftsreform sollte eine modernisierte Bürokratie geschaffen werden, die in ihren jeweiligen Politikbereichen (von der Wirtschafts- bis zur Gesundheitspolitik, von der Bildungs- bis zur Polizeipolitik) befähigt wäre, „gesellschaftsgestaltend“ tätig zu werden. Die Strukturmerkmale des Modernisierungsschubes von Polizei und Geheimdiensten in den 70er Jahren, also der
* personelle Ausbau,
* die Zentralisierung und Binnendifferenzierung bürokratischer Apparate,
* die Technisierung,
* die Mobilisierung von Intelligenz für die jeweiligen Bürokratien durch qualitativ neue Ausbildungsformen für die Mitarbeiter wie durch wissenschaftliche Beratungsgremien, Forschungsaufträge etc.,
– all dies zeigte sich in der Folgezeit nicht nur bei Polizei und Geheimdiensten, sondern als Merkmale der Modernisierung staatlicher Bürokratien und Interventionsformen insgesamt.

Planung, Information und Diagnose, Prävention und Risikovorsorge wurden zu neuen Schlüsselbegriffen staatlicher Politik weit über die Politik „innerer Sicherheit“ hinaus.

Die rechtliche Konsequenz:

Der Eingriffsrahmen für staatliche Politik mußte neu formuliert werden, mußte sich rechtlich vom alten Konditionalprogramm lösen und unbestimmter kodifiziert werden – auch dies nicht nur im sog. Sicherheitsrecht.
Die rapide wachsende internationale Verflechtung und Abhängigkeit nationaler Politik, die Bildung größerer politischer Räume im Inneren wie europa- und weltpolitisch, deutliche gesellschaftliche Veränderungen wie der weitgehende Zerfall der traditionellen Arbeiterbewegung, aber auch der bereits skizzierte neue demokratische Aufbruch klassenmäßig nicht mehr homogener gesellschaftlicher Gruppen – all dies forcierte die politischen Anstrengungen, die staatliche-bürokratische Potenz und das staatliche Handlungsvermögen gegenüber der Gesellschaft qualitativ neu zu gestalten.

Demokratisch selbstbewußte Bürger, eine sich anmeldende neue gesellschaftliche Spontaneität wurden in diesem Konzept der Reform und Krisenvorsorge von oben zu Störfaktoren, denen gegenüber man sich herrschaftlich versichern wollte.

In dem Maße, wie es keinen staatsfreien gesellschaftlichen Konfliktbereich mehr gab, das Versagen des Marktmechanismus als Regulierungsprinzip zu verstärkten staatlichen Interventionen in jedem gesellschaftlichen Sektor führte, wuchs auch die unmittelbare Konfrontation von gesellschaftlichen Bewegungen mit dem Staat:
in der Wohnungsbau“politik“, in der Energie“politik“, der Umwelt“politik“ etc.
Beide Stränge der Entwicklung seit dem Ende der 60er Jahre:
– ein wachsendes demokratisches Selbstbewußtsein und zunehmende Ansprüche auf politische Beteiligung jenseits des Repräsentationssystem der bundesdeutschen Parteien-Demokratie, sowie
– der neue Anspruch staatlicher Politik, aktiv gesellschaftliche Entwicklungen zu gestalten, Risiken und Gefahren autonom zu definieren und möglichst früh gegenzusteuern,
gerieten zwangsläufig miteinander in Konflikt und verstärkten den politischen Versuch, mit neuen staatlichen Herrschaftsressourcen, in neuen Formen der Überwachung, Kontrolle und Intervention diesen Konflikt herrschaftlich unter Kontrolle zu halten, ein Versuch, in dessen Zentrum die Apparate „innerer Sicherheit“ standen.

So betrachtet ist der aktuelle Gesetzgebungsprozeß in der Tat die gesetzgeberisch-notarielle Bekräftigung von Prozessen der Modernisierung und strategischen Neuorientierung der „Sicherheitsapparate“ und der Politik „innerer Sicherheit“ insgesamt, die sich seit den siebziger Jahren vollzogen.

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