1. Generelle Anmerkungen
Der vorliegende Entwurf ist der 4. Anlauf zur Novellierung des BVerfSchG von 1972. Er hat gegenüber seinen Vorgängern wiederum beträchtliche Veränderungen erfahren. Sie rühren davon, daß der neue Entwurf eine zusätzliche Funktion übernommen hat:
* Er soll die Zusammenarbeit des Geheimdienstes mit allen anderen Si-cherheitsbehörden umfassend absichern und damit ein gesondertes „Zu-sammenarbeitsgesetz“ erübrigen.
Daneben behält der Entwurf zwei Funktionen, die schon in den Vorentwürfen deutlich wurden:
* Er soll die Arbeitsbereiche und die dabei angewandten Methoden der Nachrichtenbeschaffung rechtlich umfassend absichern. Schließlich soll er
* insbesondere auch die Verarbeitung von Informationen mit Hilfe der EDV und ihre Speicherung in Dateien regeln.
Kennzeichnend für den Entwurf ist, daß er dort, wo es um die Festlegung der zentralen Aufgaben und Befugnisse der VfS-Ämter geht, die geringfügigsten Änderungen gegenüber dem geltenden Recht aufweist. Diese Eigenart bedeutet aber nicht, daß die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung unverändert geblieben wäre, denn die materiellen Bedingungen der Tätigkeit der Ämter haben sich seit Ende der sechziger Jahre beträchtlich verändert:
* Verändert hat sich zunächst die personelle Stärke des Bundesamtes für VfS (BfV), das in der Hochzeit der Kommunistenverfolgung der fünfziger Jahre gerade 250 Mitarbeiter, 1968 knapp 1.000 Mitarbeiter umfaßte; heute beschäftigt es rund 2.500 Personen.
* Verändert hat sich auch das Aufgabenverständnis;
Ursprünglich dazu auserkoren, mögliche Umsturzbewegungen auszuforschen, die – so das BVerfSchG von 1950 – „eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes … zum Ziele haben“, wurde seit Ende der sechziger Jahre das Vorfeld des Verdachts immer weiter ausgebaut. Die sozialliberale Koalition war es, die durch die Novellierung des GG und des BVerfSchG und den Radikalenerlaß im Jahre 1972 die Richtung gewiesen hat.
* Neu sind außerdem viele Mittel, die den Ämtern heute bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen. Dies gilt nicht nur für die unbegrenzten Möglichkeiten der Verarbeitung von Informationen durch die EDV. Neu sind vor allem auch viele nachrichtendienstliche Mittel (nd-Mittel): Vor zwanzig Jahren kannten die Ämter die Möglichkeiten des Einsatzes von Richtmikrofonen oder „Wanzen“, von Videoüberwachung und der beobachtenden Fahndung durch den polizeilichen Staatsschutz höchstens aus der Literatur. Heute jedoch sind sie gängige „nachrichtendienstlichen Mittel“.
Die enorm gewachsene Informations- und Definitionsmacht der Ämter erwächst also nur zu einem Teil aus den neuen Möglichkeiten der elektronisch gesteuerten Informationsverarbeitung. Selbst wenn man hypothetisch von sehr starken rechtlichen Begrenzungen der Datenverarbeitung bei den Geheimdiensten ausginge, blieben die zentralen Probleme des nachrichtendienstlichen VfS weiter bestehen. Das zeigt auch ein Blick auf die diversen Skandale um die Ämter für VfS (in Bonn, Hannover, Berlin):
1) Es bliebe bei einer allein vom jeweiligen politischen „Zeitgeist“ und von bürokratischer Opportunität bestimmten Festlegung der Verdachtsmomente angeblich verfassungsfeindlicher Tätigkeit.
Die „liberalen Errungenschaften“ des neuen Entwurfes – die Wiedererwähnung des institutionellen Trennungsgebots von Polizei und VfS und der „Minderjährigenschutz“ – erscheinen demgegenüber als bloße symbolische Begrenzungen der Aufgaben und Befugnisse, die im Kern dem exekutiven Ermessen Tür und Tor öffnen.
2) Es bliebe die unbegrenzte Möglichkeit, alle den VfS-Ämtern erreichbare Informationen über Personen und Institutionen, die den Ämtern überprüfenswert erscheinen, in Karteien zu speichern und Akten zu verwahren.
3) Es bliebe der faktisch unbegrenzte Spielraum zur Sammlung von In-formationen mit Hilfe „nachrichtendienstlicher Mittel“, der auch durch den durchgängigen Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht kleiner wird: Denn niemand außer den Geheimdienstlern selbst kontrolliert dessen Einhaltung.
Da wir unlängst 2 Schwerpunkthefte zur Organisation, Geschichte und zu aktuellen Praktiken der Ämter für VfS vorgelegt haben, die auch einen ausführlichen Literaturbericht enthalten, ersparen wir es uns, hier auf Geschichte und Praxis dieser Ämter einzugehen. Wir verweisen auf die Ausgaben Nr.27 und 28.
2. Detailkritik
Zu 1: Zusammenarbeitspflicht
Die Abs.2 und 3 finden sich bereits im BVerfSchG von 1950. Dieses wiederum greift in seinen Formulierungen direkt auf die im Grundgesetz 1949 (Art.73 Nr.10) dem Bund zugestandene Möglichkeit zurück, für die „Zusammenarbeit in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ Gesetze zu erlassen. Was darunter konkret zu verstehen war, blieb bei der erst im letzten Moment ohne Debatte erfolgten Aufnahme dieses Satzes in das GG weitgehend offen. Heute werden darunter alle möglichen Ausformungen des Konzepts der „streitbaren Demokratie“ verstanden werden (also auch Parteienverbot, Grundrechtsverwirkung). Im BVerfSchG des Jahres 1950 konkretisierte sich diese Zusammenarbeit in Angelegenheiten des VfS dann durch die Errichtung von geheimdienstlich arbeitenden Behörden.
Der im jetzigen Entw. auftauchende Abs.1 scheint demgegenüber nur eine bloße Umschreibung der Arbeitsbereiche des Staatsschutzes und des VfS im engeren Sinne zu sein, die angesichts der ausführlichen Bestimmungen des 3 überflüssig wirkt. Motive für diesen Einschub werden in der Begr. nicht genannt; bedeutsam ist dieser Abs.1 jedoch gleichwohl. Er hat die Funktion, eine bislang strittige Regelungskompetenz des Bundes in diesem Bereich umfassend abzusichern. Dies gilt in zweifacher Hinsicht:
zum einen im Hinblick auf den Umfang der, einer Zusammenarbeitspflicht unterliegenden Aufgaben (a),
zum anderen im Hinblick auf die Reichweite der Kompetenz des Bundes, die Zusammenarbeit zu regeln (b).
Zu a):
Schon in dem Moment, als der Bundestag, gestützt auf Art.73 Nr.10 GG, geheimdienstlich arbeitende Behörden zum Zwecke des VfS schuf, wies die Exekutive diesen Ämtern darüber hinaus gehende Funktionen zu – die der Spionageabwehr und der Sicherheitsüberprüfungen. Rechtlich gesehen hatte in diesen Bereichen der Bund keinerlei Kompetenz zur Regelung der Zusammenarbeit. In der Praxis spielte der Kompetenzmangel kaum eine Rolle (immerhin weigerte sich der Amtschef von Niedersachsen anfänglich, auf dem Gebiet der Spionageabwehr tätig zu werden).
Noch weniger reichten die im Grundgesetz zugestandenen Kompetenzen aus, um diese Ämter mit umfassenden Staatsschutzaufgaben zu betrau-en (Terrorismus, Ausländer, Staatssicherheit). Deshalb strebte die sozialliberale Koalition 1972 eine Novellierung des GG an. Der hierbei in Art.73 Nr.10 GG eingeführte VfS-Begriff ist – wie der Hausjurist des Bundesamtes vermerkt – „geeignet, … alle spezielleren instrumentalen Verfassungsschutzdefinitionen zu umfassen“ (Roewer 1987, 1 RN 5). Der neue 1 Abs.1 des Entw. enthält die Kurzformel dieses alles umfassenden Begriffs und vollzieht für das BVerfSchG nur die richtungsweisende GG-Änderung von 1972 nach.
Zu b):
Der gewachsene Umfang der Zusammenarbeit entspricht dem Zuwachs an Aufgaben, die von den VfS-Ämtern sukzessive übernommen worden waren. Entscheidend für die organisatorische Struktur des VfS ist nun, welche Konsequenzen man aus der in 1 konstatierten Pflicht zur Zusammenarbeit zieht.
Sowohl Adenauer wie die SPD strebten 1949/50 einen bundesstaatlichen Inlandsgeheimdienst an; Teile der CDU und insbesondere die CSU machten sich demgegenüber für ein strikt föderales System stark, bei dem der Bund allenfalls Zentralstellen für die Zusammenarbeit errichten können sollte. Einer Zusammenarbeit nach dem Prinzip der Gleichberechtigung, wie der bayerische Vertreter bei der Debatte des BVerfSchG forderte (Bundesrat, 30.3.1950, 17.Sitzung, S.287), standen die Bemühungen der Zentralisten entgegen, in 5 ein generelles Weisungsrecht des Bundes gegenüber den Länderministerien zu verankern. Damit scheiterte Adenauer. Das in 5 Abs.2 dem Bundesministerium konzedierte Recht, den Landesämtern Weisungen für die Zusammenarbeit zu erteilen, blieb verfassungsrechtlich strittig. Der Bund blieb in der Praxis darauf verwiesen, im Sinne eines „kooperativen Föderalis-mus“ – der der Sache nach häufig eine große Koalition der Sicherheitsexperten war – nach einvernehmlichen Lösungen zwischen Ländern und Bund zu suchen. Bis auf wenige bekannt gewordene Konflikte scheint dies fast vierzig Jahre lang keine allzu großen Probleme bereitet zu haben.
Doch der Zwang zu kooperativen Lösungen nimmt durch die zunehmen-de Vernetzung der Arbeit der Landesämter zu; ein Ausscheren nur eines Landes – wie dies bei der Polizei im Bereich Meldedienst Landfriedensbruch der Fall war – wäre aus der Sicht des Bundesamtes zerstörerisch – deshalb der neue Abs.1. Der Rückgriff auf das in 5 Abs.2 des geltenden Gesetzes enthaltene Weisungsrecht des BMI ist verfassungsrechtlich problematisch. Es ist auf den Fall einer Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes beschränkt und enthält kein Weisungsrecht für den geheimdienstlichen Alltag. Es entfällt im vorliegenden Entwurf völlig. Statt dessen beansprucht nun der Bund – wie aus der allgemeinen Begründung hervorgeht – eine weitreichende allgemeine Gesetzgebungskompetenz für die in 1 Abs.1 umrissenen Bereiche: Nicht über Weisungen, Erlasse, Richtlinien u.ä. will der Bund die Länder in die Pflicht nehmen, sondern über die im Entw. enthaltene Vorschrift der Zusammenarbeit.
Zu 2: Errichtung von Verfassungsschutzbehörden
Die Regelungen des Entw. entsprechen den schon 1950 getroffenen, bis auf drei kleine, aber signifikante Änderungen bzw. Klarstellungen:
a) Nach 40 Jahren nachrichtendienstlichen VfS erscheint es logisch, daß nicht mehr die Errichtung solcher Behörden angeordnet wird, sondern die Pflicht, diese weiter zu unterhalten.
b) Wieder in den Entw. aufgenommen wurde die bereits im Gesetz von 1950 in 3 Abs.2 und im Entw. vom 28.1.86 enthaltene Festellung, daß das Bundesamt einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden darf. Dies ist ein Erfolg der FDP über die Vertreter einer Position, die zumindest theoretisch an einer möglichen Integration von polizeilichem Staatsschutz und Verfassungsschutz festhielt und davon ausging, daß die alliierte Vorgabe eines Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdienst im Polizeibrief vom 14.4.49 den bundesdeutschen Gesetzgeber nicht binde.
Doch der Wert des Satzes 2 des 2 Abs.1 ist fraglich. Er besagt nur, daß der VfS nicht einer Dienststelle angegliedert werden darf. Konsequenzen aus den Erfahrungen der Herrschaft des Nationalsozialismus werden damit nur sehr oberflächlich gezogen. Auch das Reichssicherheitshauptamt war nur die quasi ministerielle Postadresse von „Ämtern“, die an unterschiedlichen Orten residierten und eigenständige Amtsleiter besaßen (SD, Gestapo, Ordnungspolizei). Entscheidend für die Qualität der Trennung bzw. der Integration einzelner Sicherheitsbehörden ist ein Doppeltes:
* die Reichweite der funktionellen Zusammenarbeit im Rahmen der in Deutschland seit alther gepflegten Amtshilfe und
* die Formen der informationellen Integration von Behörden.
Kennzeichnend für das Verhältnis von VfS und Polizei seit Anfang der siebziger Jahre ist die zunehmende Verflechtung polizeilicher Informa-tionserhebung und nachrichtendienstlicher Auswertung. An dieser Verflechtung ändert auch das Trennungsgebot in der vorliegenden Form nichts.
In 6 Abs.1 und im dritten Abschnitt finden sich nur unzureichende Beschränkungen der Zusammenarbeit von Polizei und VfS. Insgesamt bleibt gerade nicht die Trennung, sondern die funktionale Integration kennzeichnend für diesen Entwurf.
c) Neu ist schließlich, daß 2 Abs.2 – gestützt auf die Gesetzgebungs-kompetenz im Bereich der Zusammenarbeit – auch die Zusammenarbeit der Länder regeln will. Verfassungsrechtlich ist dies nach Auffassung etwa von Gusy (1982) fragwürdig; sachlich dient diese Regelung dazu, der durch die Datenverarbeitung erzwungenen Vernetzung der Ämter Rechnung zu tragen.
Zu 3: Die allgemeine Aufgabennorm
Der Entw. lehnt sich – bis auf einen Punkt – an die Formulierungen an, mit denen 1972 die erweiterten Funktionen des Verfassungsschutzes rechtlich abgesichert wurden (vgl. 3 VfS-Gesetz von 1972, die Abs.2 und 3 von 1972 werden im hier kommentierten Entw. nun ausführlicher in 6 ff. geregelt).
Neu gegenüber der geltenden Fassung ist in Abs.1 S.1 der Begriff „In-formationen“, der gegenüber dem in diesem Gesetz benutzten Begriff „personenbezogene Daten in Dateien“ allumfassend ist. Die Differenz ist deshalb wichtig, weil bei den folgenden Erhebungs-, Speicherungs- und Übermittlungsregeln zwischen diesen Begriffen mit deutlicher Absicht changiert wird. Schließlich wird eine zum umfassenden Informationsbegriff korrespondierende Befugnis formuliert: „insbesondere sach- und personenbezogene Auskünfte…“ sammeln zu dürfen.
Abs.1 Nr.1: FdGO-Schutz:
In Bezug auf die bereits geltende Aufgabenbestimmung des VfS bleibt festzuhalten, daß mit diesen Bestimmungen nicht abgrenzbare, dem Inhalt und dem Umfang nach bestimmbare Handlungsfelder des Amtes umrissen werden – wie von Politikern und manchen Juristen gerne suggeriert wird. Bei der Formel von den „Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“, mit der der sog. administrative VfS gemeint ist, bleibt schon die Umschreibung der Aktivität selbst – die sogenannten Bestrebungen – weitgehend dunkel. (Der Begriff hat im übrigen seinen Ursprung in den Sozialistengesetzen von 1878). Zur Auslegung des Inhalts der Bestrebungen sei hier auf den hilflosen Versuch von H. J. Schwagerl (1985, S.13) verwiesen, Referent für positiven Ver-fassungsschutz in Hessen:
„Die Auslegung des Inhalts (der FdGO, d.V.) besonders an den Grenzen, bereitet nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten. Es herrscht über die konkreten Grenzen des Inhalts, den es zu schützen gilt, keine allgemeine Übereinstimmung“.
Wo die Grenzen dessen liegen, was als demokratische Äußerung innerhalb des Spektrums der von den großen Parteien bestimmten „Grundordnung“ betrachtet werden kann, was dagegen als „verfassungsfeindliche“ oder „extremistische“ Bestrebung gilt, hängt nur sehr bedingt vom Recht ab. VfS und Politiker bestimmen diese Grenzen des „Verfassungsfeindlichen“ nach politischen Opportunitätsgesichtspunkten.
„Wie die Staatspolitik sich wandelt“, so der ehemalige Hamburger Senator Helmut Schmidt in den sechziger Jahren, „muß auch der Verfassungsschutz mit seinen konkreten Objekten der Zeit folgen und sich ihr anpassen“ (BMI, 1966, S.15 ff.).
Abs.1 Nr.3: Ausländerüberwachung
Diese Norm stützt sich auf eine aus den Ausländergesetzen bekannte und berüchtigte rechtliche Blankettformulierung, die zu allem dienen kann: nämlich die Gefährdung der „auswärtigen Belange“.
Abs.2 Nr.2: Die Sicherheitsüberprüfungen
Seit längerer Zeit wird ein „Geheimschutz-Gesetz“ angekündigt, das umfassend diesen Bereich regeln soll. Bisher liegen bereits die seit dem 1.Mai 1988 geltende „Sicherheitsrichtlinien vor (vgl. Dokumentation und Kritik in CILIP 29, S.125 ff.). Die Regelungen in diesem Entw. sind insoweit ein Vorgriff.
Neu ist der Schlußsatz des Abs.2. Er ist ein Musterbeispiel für die se-mantischen Betrügereien dieses Entwurfs. Einen „Fortschritt“ erbringt dieser Satz, indem er bei formellen Sicherheitsüberprüfung vorschreibt, daß der/die Betroffene bzw. der/die davon mitbetroffene Ehemann/frau etc. davon Kenntnis erhalten muß. Diese Normierung entspricht nicht nur den gängigen Richtlinien in Bund und Ländern; sie läßt sich auch in der Praxis kaum vermeiden. Denn eine solche Überprüfung beginnt in der Regel mit dem Ausfüllen eines ausführlichen Fragebogens durch den Betroffenen.
Das entscheidende Problem bei den Sicherheitsüberprüfungen ist also gar nicht, daß der Betroffene davon Kenntnis erhält. Die Frage ist vielmehr, ob ohne Einwilligung der davon mitbetroffenen Personen (Ehefrauen, Lebensgefährten etc.) eine solche Überprüfung vorgenommen werden darf. In den Ursprungsfassung der Entwürfe wurde die Überprüfung der davon Mitbetroffenen von deren Zustimmung abhängig gemacht. Dies entfällt mit der neuen Fassung.
Anzumerken bleibt schließlich, daß die von Datenschützern und Verwal-tungsexperten geforderten materiellen Verbesserungen bei den Sicher-heitsüberprüfungen nicht einmal ansatzweise zu finden sind: Weder erhält der Betroffene ein Anhörungsrecht, bei dem er zu den vielfach dubiosen „Erkenntnissen“ der Ämter Stellung nehmen könnte, noch trifft der Entw. Vorkehrungen dagegen, daß die mit „Einwilligung“ des Betroffenen erhobenen Informationen für andere Zwecke des VfS verwendet werden.
Abs.3, Nr.2: Spionageabwehr
Wenn die in 3 Abs.1 Nr. 2 erwähnte „sicherheitsgefährdende oder ge-heimdienstliche Tätigkeit … für eine fremde Macht“ leichter mit einem konkreten Arbeitsfeld des VfS identifiziert werden kann, so liegt dies weniger an der Gesetzesformulierung, als an der festen Vorstellung über „die fremden Mächte“ und der Tätigkeiten, die für diese ausgeübt werden.
Zu 4: Gegenseitige Unterrichtung, NADIS
Abs.1 entspricht dem geltenden Recht.
Abs.2 schafft – neu – eine Rechtsgrundlage für NADIS. Sie zielt darauf ab, das bestehende Datensystem ohne Einschränkungen rechtlich abzusichern (vgl. Kästchen auf der folgenden Seite).
1. Der Entw. faßt die Rechtsgrundlage von NADIS unter die gemeinsamen Unterrichtungspflichten und nicht unter die Übermittlung von Daten ( 12 ff.). Es handele sich nicht um eine Übermittlung zwischen den VfS-Ämtern, die auf NADIS online Zugriff haben, sondern um eine gemeinsame Nutzung. Für den Dateieninhalt ist jeweils das speichernde Amt verantwortlich, für das Funktionieren des Systems insgesamt das BfV, bei dem die Zentrale des Systems untergebracht ist.
2. Der Entw. gibt ferner die gesetzliche Grundlage ab für die Errichtung der bereits bestehenden Verbunddateien – sowohl der Hinweisdateien wie der PersonenZentralDatei (PZD), als auch der Textdateien. Während das Betreiben der PZD (und auch der Amtsdateien) an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft ist, nennt der Entw. für die „gemeinsame Nutzung“ von Textdateien eigenständige Bedingungen: Sie dürfen nur eingerichtet werden „zur Aufklärung von geheimdienstlichen Tätigkeiten oder zur Beobachtung von bestimmten Formen des politischen Extremismus, insbesondere wenn sie darauf gerichtet sind, Ge-walt anzuwenden“ (Begr.). Rechtlich soll das ausgedrückt werden in der Formel des 2 G-10-Gesetz: Danach reichen für die Eröffnung einer solchen Datei „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht“ aus, daß „jemand“ eine der dort genannten politischen Straftaten plant, begeht oder begangen hat. „Tatsächliche Anhaltspunkte“ sind aber nicht identisch mit einem Anfangsverdacht im Sinne des Strafprozeßrechts. Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Verdacht, für den es einzelne Hinweise gibt. Die Formulierung bezieht sich ferner nicht darauf, daß dieser Verdacht sich gegen den dort zu Speichernden selbst richtet. Es geht vielmehr darum, daß eine solche Tat möglicherweise von irgendjemand geplant wird. Die Frage der Speicherung wird ausschließlich in 8 behandelt. Die Regelung legitimiert damit das Betreiben solcher Dateien auf längere Sicht, denn solche vagen Verdachtsmomente werden sich immer finden lassen.
Zu 5: Weisungsrecht
Das verfassungsrechtlich fragwürdige Weisungsrecht des Bundesinnenministers an die Landesämter entfällt. In der Praxis ist es ohnehin nie zur Anwendung gekommen. Dies ist eine Neuerung – sowohl gegenüber dem geltenden Recht als auch gegenüber den Vorentwürfen. Das Ziel, die Zusammenarbeit vom Bund her verbindlich festzulegen und zu bestimmen, wird durch eine extensive Auslegung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (vgl. Kommentar zu 1) weiterverfolgt.
Zu 6: Die allgemeine Befugnisnorm
Begnügt man sich bis heute mit rund fünfzig Worten, um die Befugnisse des BfV zu regeln ( 3 Abs.3 und 4 des geltenden BVerfSchG), so wird jetzt ein beträchtlicher Paragraphenwald produziert, der eines nicht leistet: die Reichweite der Befugnisse des VfS klar zu definieren oder gar zu begrenzen.
6 regelt als allgemeine Befugnisnorm dieselben umfassend, aber keineswegs abschließend, wobei dieser weitgehend (bis auf die in b) und c) angesprochenen Punkte) dem Entw. vom 19.11.87 folgt.
a) Umfassend regelt der 6 die Befugnisse zur Sammlung von Informationen, soweit diese nicht in Dateien gespeichert werden ( 8 ff.) oder aber personenbezogen mit „nachrichtendienstlichen Mitteln“ erhoben werden ( 7). Dies heißt aber, daß für den allergrößten Teil verfassungsschützerischer Arbeit, nämlich die Sammlung aller erreichbarer Informationen in Sach- und Personalakten etc. keinerlei Regelung getroffen wird. Weder wird der Umfang der zu sammelnden Informationen begrenzt noch der Kreis der Personen, für die beim VfS Personalakten angelegt werden dürfen. Dies alles bleibt im Belieben der Ämter, soweit sie dies mit der Aufgabe des VfS in Verbindung bringen können.
Der in den 8 ff. unternommene Versuch, die maschinelle Verarbeitung dieser Informationen, insbesondere über die allgemeine Aktenhinweisdateien in NADIS, zu regeln und zu begrenzen, greift deshalb nur äußerst begrenzt. Diese Regelung beschneidet bestenfalls (bei strengen datenschutzrechtlichen Normen) die Kapazität der Ämter, die gesammelten Informationen möglichst effektiv zu nutzen, nicht aber die Sammlung von Informationen und deren Archivierung.
b) 6 Abs.1 ist zugleich die Norm, die den Ämtern allgemein die Möglichkeit zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einräumt (soweit nicht der 7 als Spezialnorm greift). Auf eine Legaldefinition dessen, was als „nachrichtendienstliches Mittel“ zu gelten hat, wird – wie schon in den früheren Entw. – ausdrücklich verzichtet. Auch „die geringfügige Beschädigung einer Gefängnismauer mittels Sprengstoff“ – gemeint ist das Celler Loch – fällt nach Meinung der exekutiven Sicherheitsrechtsinterpreten unter die legalen nachrichtendienstlichen Hilfsmittel (Borgs/Ebert 1987, S.111).
Der Verzicht auf eine abschließende Normierung bedeutet, daß jenseits der direkten Zwangsmittel den Ämtern alles erlaubt ist, was nicht öffentlich wird („nd-Mittel“).
Die im vorliegenden Entwurf erstmals enthaltene Vorschrift, daß die nd-Mittel in einer internen, geheimen Dienstvorschrift festzuhalten sind, dürfte in der Praxis kaum eine begrenzende Wirkung besitzen.
c) Wieder aufgenommen wurde in der vorliegenden Fassung eine bereits im Entwurf von 1986 enthaltene Formulierung, nach der die Ämter die Polizei nicht um Maßnahmen ersuchen dürfen, zu denen sie selbst nicht befugt sind. D.h., sie dürfen nicht die Polizei anweisen, ein sie interessierendes Objekt zu durchsuchen, um die Mitgliedskartei einer Organisation zu erhalten, Personenkontrollen an bestimmten Orten fordern etc. Dieser Fortschritt im Recht bleibt praktisch weitgehend folgenlos. Denn zum einen wird in der Praxis die Polizei nicht formell um eine solche Maßnahme ersucht, sondern diese wird höchstens bei den Kollegen vom polizeilichen Staatsschutz auf dem kleinen Dienstweg angeregt. Zum anderen bleibt der breiter Strom an Informationen von der Polizei zum VfS, die für diese Ämter im weitesten Sinne von Interesse sein könnten. Ja, die geheimdienstliche Personenzentraldatei in NADIS dient – wie der letzte Prüfbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten enthüllte – dem polizeilichen Staatsschutz als „Auffangdatei“ für alle Fälle, die im polizeilichen Bereich nicht gespeichert werden dürfen.
Beide Formen der funktionalen Integration von Polizei und VfS läßt der vorliegende Text völlig unberührt. Er sichert diese sogar rechtlich ab.
d) Abs.2 ist ein typisches Beispiel für den symbolischen Gebrauch von Recht, wiederholt er doch nur einen allgemeinen Verwaltungsgrundsatz. Es soll – wie es in der Begr. ohne Ironie heißt – „auf diese Weise dem Anwender das Verhältnismäßigkeitsprinzip besser gegenwärtig gemacht werden“. Wenn man schon nicht – wie der frühere Innenminister Höcherl feststellte – den Verfassungsschützern zumuten könne, dauernd mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumzulaufen, so soll ihnen wohl zumindest vor Augen gehalten werden, daß man im deutschen Rechtsstaat – „zum Schutze der Verfassung“ – nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen sollte.
Zu 7: Nachrichtendienstliche Mittel
Dieser Paragraph ist neu – weniger in der Sache, denn der Form nach -, da er sich auf die „nachrichtendienstlichen Mittel“ bei der Erhebung personenbezogener Daten konzentriert und auf eine bereits in 6 enthaltene allgemeine Befugnis zur Sammlung personenbezogener Informationen verzichtet. Sachlich entspricht der neue 7 Abs.1 weitgehend den Regelungen in 6 Abs.2 der Vorentwürfe.
a) Wie schon für diese bleibt festzuhalten, daß die Regelungen keinerlei materiell-rechtliche Begrenzung des Einsatzes der „nd-Mittel“ für die Aufgaben des VfS – „Extremismusbekämpfung“, Spionageabwehr, Staatsschutz und Ausländerüberwachung – enthalten. Denn in den Fällen, in denen eine Person als „Verfassungsfeind“ definiert oder der geheimdienstlichen Tätigkeit verdächtigt wird, sollen die Ämter die Möglichkeit zum Einsatz nd-Mittel haben. Sie sollen auch dann zum Einsatz kommen können, wenn die Abklärung eines solchen Verdachts (auf „Verfassungsfeindlichkeit“ etc.) auf andere Weise nicht möglich erscheint – also „zur Ausforschung der für solche Erkenntnisse notwendigen Nachrichtenzugänge“.
Auf die dann wortreich folgenden Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsprinzip könnte verzichtet werden; dieses Prinzip gilt unmittelbar für die rechtsstaatliche Tätigkeit jeder Behörde.
b) Neu ist schließlich der Abs.2. Immerhin werden durch diesen die neuen technischen Überwachungsmaßnahmen (Wanzen, Richtmikrofonen) erstmals offiziell zur Kenntnis genommen, wenngleich mit unbefriedigendem Ergebnis. Denn welche Maßnahmen nach Ansicht des Gesetzgebers einer G-10-Maßnahme gleichkommen, wird offengelassen. Ob aber eine nachrichtendienstliche Maßnahme in Art und Schwere einer G-10-Maßnahme entspricht, ergibt sich nicht aus den Instrumenten selbst. Der Einsatz von V-Männern, das gebräuchlichste und als harmlos erachtete nd-Mittel, kann in Art und Schwere eine G-10-Maßnahme weit übersteigen (denkt man etwa an die – bei der „tageszeitung“ mutmaßlich versuchte – Einschleusung eines V-Mannes).
Doch es fehlt nicht nur an Kriterien, mit denen Art und Schwere beurteilt werden sollen. Die schwierige Abwägung wird vielmehr dem Amt überlassen. Und in den Fällen, in denen das Amt von der Schwere der Maßnahme überzeugt ist, genügt es, nachträglich der G-10-Kommission Meldung zu erstatten. Deutlicher läßt sich deren Kontrollkompetenz kaum ad absurdum führen – ein Grund, der jeden rechtsstaatlich denkenden Parlamentarier zum Austritt aus dieser Kommission bewegen müßte.
Eine weitere Folge dieser G-10-Regelung liegt darin, daß der Daten-schutzbeauftragte von der Kontrolle ausgeschlossen wird.
Zu den 8-10: Allgemeine Datenschutzfloskeln
Die genannten sind in dieser oder ähnlicher Form in allen sog. „Si-cherheits“Gesetzen einschließlich der Entwürfe zur Novellierung der StPO und des Polizeirechts nach dem Volkszählungsurteil zu finden. Das Urteil des BVerfG von 1983 bestätigte zum einen die Existenz eines aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und machte damit zum anderen klar, daß es sich bei allen Formen der Informationsverarbeitung um Eingriffe handelt. Für Eingriffe in Grundrechte bedarf es allerdings einer gesetzlichen Grundlage, was nichts anderes heißt, als daß die Regierung gezwungen wurde, in einem angemessenen Zeitraum gesetzliche Grundlagen zu schaffen.
Ergebnis dessen sind Paragraphen wie die folgenden, die im Grunde nur das Zitiergebot erfüllen, d.h. formal dem Anspruch des Urteils genügen, inhaltlich aber dessen Erwägungen auf den Müll werfen, indem sie all das legalisieren, was auch bisher schon Praxis war.
Zu 8: Speicherungsvoraussetzungen
So ist in 8 Abs.1 die Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten nur an die Erwägung des VfS gebunden, daß solche Daten für ihn erforderlich seien. Die Nummern 1-3 decken die verfassungschützerische Arbeit lückenlos ab:
– Nach Nr.1 darf gespeichert werden, wenn die entsprechende Person bereits als Beobachtungsobjekt der Ämter ausgemacht ist, d.h. wenn diese „tatsächliche Anhaltspunkte“ für „extremistische Bestrebungen“ bzw. si-cherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erkannt haben.
– Nach Nr.2 sind Datenverarbeitungsmaßnahmen möglich, um zu eruieren, ob die betreffende Person zum Beobachtungsobjekt gemacht werden soll, juristisch ausgedrückt: „zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten“ der o.g. Art.
– Nr.3 regelt, daß Datenverarbeitungsmaßnahmen auch eingesetzt werden dürfen, wenn das BfV im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungs- oder Geheimschutzmaßnahmen tätig wird.
Der Dateibegriff, der hier angewandt wird, entspricht dem des Daten-schutzgesetzentwurfs, d.h. er erfaßt nur die automatisierten Dateien, nicht die Erfassung in Akten, die nach wie vor ins Belieben der Ämter gestellt wird.
Abs.2: Minderjährigen“schutz“
Dies zählt zu den „Essentials“ der FDP, die für die Annahme der Ge-setzentwürfe im Kabinett zur Bedingung gestellt hat, daß ein Minder-jährigenschutz eingeführt werde. Während hier der „Schutz“ Minderjähriger bei der Speicherung in Dateien geregelt ist, formuliert 20 eine entsprechende Regelung für die Datenübermittlung.
In der Tat hat der VfS insbesondere in den 70er Jahren massiv auch an Schulen gespitzelt, so daß ein Schutz von Kindern gegen den verfassungsschützerischen Zugriff durchaus seine Berechtigung hätte. Indes, das Kernproblem hat die FDP gerade nicht angetastet:
Die Erhebung von Informationen über Minderjährige. Hierzu gibt es keinerlei Sonderregelung. Es soll also weiter zulässig sein, daß der VfS sich z.B. an Schulen umtut, d.h. z.B. V-Leute einschleußt, Veranstaltungen überwacht etc. Desgleichen ist weiter zulässig, daß der VfS die Informationen, die er durch diese Überwachung gewonnen hat, in Akten archiviert. Speicherungs- und Übermittlungsverbote (bis zum 16.Le-bensjahr) respektive -beschränkungen (ab dem 17. bis zum 18.Lebens-jahr) auszusprechen, macht überhaupt nur Sinn, wenn personenbezogene Informationen über Kinder, Jugendliche und Heranwachsende zuvor erhoben worden sind.
Aber dieser Entw. enthält Einschränkungen nur für die Folgen der Erhebung: der Speicherung in Dateien und der Übermittlung von Daten (in 20).
Aber selbst dieser Anspruch wird über die Altersregelung faktisch preisgegeben. Daten von Personen über 16 Jahren dürfen sehr wohl gespeichert werden, wenn auch zunächst nur für zwei Jahre. Daten von Schülern der Sekundarstufe II werden sich deshalb weiter in Dateien des VfS auffinden lassen. Die Speicherung wird ab einem Alter zulässig, in dem Jugendliche überhaupt erst beginnen, sich politisch zu interessieren.
Die Entscheidung über die Weiterspeicherung von Daten 16-18jähriger liegt beim VfS. Es ist ihre Ermessensentscheidung, ob sie einen Schüler weiter beobachten und damit weiter Daten produzieren, oder ob sie den einzelnen oder die beobachtete Gruppe in Ruhe lassen und damit nach 5 Jahren die Speiche-rungshöchstdauer erreicht ist. Nur ein Erhebungsverbot hätte effektiven Minderjährigen-Schutz bedeutet.
Abs.3: Speicherungsfristen
Die Festlegung, daß die Zeit der Speicherung auf das erforderliche Maß beschränkt werden muß, kann datenschutzrechtlich nicht greifen, sondern schützt bestenfalls die Ämter vor allzuviel Datenmüll. Der Entwurf legt nur für die 16-18jährigen eine Regelfrist für die Überprüfung weiterer Erforderlichkeit fest, und diese kann leicht unterlaufen werden. Alles weitere bleibt offen und wird im Rahmen einer Dateianordnung von den Ämtern selbst festgelegt – zur Zeit 15 Jahre. Durchsetzbare Rechtsansprüche ergeben sich daraus nicht.
Zu 9:
Berichtigung, Löschung, Sperrung
Der Anspruch auf die Berichtigung gespeicherter falscher Daten zählt inzwischen zu den datenschutzrechtlichen Selbstverständlichkeiten. Die Entwurfsregelung suggeriert einen Anspruch des Bürgers – ein „Subjektrecht“ – auf Berichtigung, Löschung und Sperrung falscher Daten, um den es hier gerade nicht geht. Sollte der betroffenen Bürger geschützt werden, so hätte zwingend ein Auskunftsanspruch des Bürgers aufgenommen werden müssen, der ihn befähigt, die Qualität der über ihn gespeicherten Daten zu beurteilen.
Ein Auskunftsanspruch über die zur eigenen Person gespeicherten Daten wird jedoch im derzeit geltenden wie im Entwurf BDSG für die Geheimdienste prinzipiell ausgeschlossen, für die Polizei letztlich in deren Ermessen gestellt (vgl. unsere Kommentierung zum BDSG). Eine Regelung über Berichtigung, Löschung und Sperrung ist unter diesen Bedin
gungen bestenfalls ein Hinweis für das Personal der Ämter, auf die Qualität „ihrer“ Daten zu achten – Unsinn zu löschen oder zu berichtigen.
Zu 10: Dateienanordnung
Sie wird vom BfV selbst erstellt, der BMI muß seine Zustimmung erteilen. Der Datenschutzbeauftragte hat nur das Recht, angehört zu werden, über ein Einspruchsrecht verfügt er nicht. Zudem unterliegt er der Geheimhaltungspflicht, so daß er sich auch nicht an die Öffentlichkeit wenden kann. Diese „Vorkontrolle“ bleibt ohne Biß.
Zudem, weder wird eine Höchstspeicherungsdauer, noch eine feste Überprüfungsfrist für die Speicherung in oder für die Fortführung von Dateien vorgeschrieben. Dadurch wird es in der Folge trotz gesetzlicher Grundlage weiterhin dabei bleiben, daß die Dateimodalitäten von den Betreibern bzw. allenfalls vom Dienstherrn festgelegt werden können.
Zu 11: Berichtspflicht
Die Regelung entspricht der Fassung des Entw. von 1986. Es geht um die Möglichkeit der Regierungsmitglieder, das beim VfS gespeicherte Geheimwissen über jeden Bundesbürger abzufragen. Zum anderen wird mit dem Abs.2 darüber hinaus dem BMI die Möglichkeit eröffnet, Informationen über einzelne Bürger gezielt in die Öffentlichkeit zu lancieren – also mit Material der Ämter öffentliche Verrufs- oder Feinderklärungen zu betreiben. Daß dabei an mehr als nur an die Nennung einzelner Namen in den VfS-Berichten gedacht ist, legt die Praxis des derzeitigen Staatssekretärs im BMI, Spranger, nahe. So leitete er nicht nur Berichte über „linksextreme Einflüsse bei den Grünen“ mit langen Namenslisten an den Abgeordneten Todenhöfer weiter, sondern ließ zugleich auch für den Abg. Dregger die „Erkenntnisse“ über den Abg. Schily abfragen.
Zu den 12 – 18: Die Übermittlungsregelungen
Zur Systematik und Begrifflichkeit
Mit dem ersten Paket sog. Sicherheitsgesetze von 1985 ist gesetzge-bungstechnisch eine neue Systematik eingeführt worden:
– Bei der Übermittlung personenbezogener Daten wird unterschieden zwischen Übermittlungen ohne (die Spontan-Übermittlung oder Denunziation) und auf Ersuchen.
– Während die Übermittlungen auf Ersuchen bei dem entsprechenden Datenlieferanten die Pflicht zur Herausgabe der Daten auslöst, wird bei der „Spontan“-Übermittlung differenziert.
– Stellen außerhalb der Sicherheitsbehörden dürfen von sich aus Informationen übermitteln, ohne daß sie hierzu verpflichtet sind. Diese Regelung soll die Beschäftigten der „Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentl. Rechts“ (Bundesgesundheitsamt, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte etc.) davor schützen, wegen eines Verstoßes gegen das datenschutzrechtliche Zweckbindungsprinzip belangt werden zu können (vgl. 12 Abs.1).
– Stellen innerhalb des Verbundes der Staatsschutzapparate müssen „von sich aus“ überliefern. Hier entfällt der einschränkende Begriff „dürfen“ bei der Formulierung der Übermittlungsbefugnisse (vgl. 13 Abs.1).
– Weiteres generelles Merkmal ist, daß bei der Pflicht zur Datenlieferung auf Ersuchen der Datenbesitzer nicht über die Rechtmäßigkeit der Nachfrage und Preisgabe der Daten zu entscheiden hat – dementsprechend muß das BfV seine Aufforderung nicht begründen -, sondern ausschließlich die die Daten abfordernde Stelle. Gebrochen wird hier mit dem datenschutzrechtliche Besitzerprinzip, d.h. der Verantwortlichkeit der die Daten erhebenden Stelle für den rechtmäßigen Umgang mit den Daten.
– Schließlich changiert seit den ersten Entwürfen die Begrifflichkeit, soweit es die Definitionen der zur Datenlieferung auf Ersuchen betroffenen Institutionen der öffentl. Verwaltung betrifft.
Einerseits werden die einzelnen Apparate des Staatsschutzverbundes genannt (Staatsanwaltschaft, Polizei, BND etc.), andererseits wird von „Behörden des Bundes und den bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentl. Rechts“, dann aber auch von „jeder Stelle, die Aufgaben der öffentl. Verwaltung wahrnimmt“ gesprochen, schließlich werden alle Verwaltungen, die „amtliche Register“ führen, in die Pflicht zur Datenlieferung bzw. Einsichtpreisgabe aufgeführt.
– Hierzu parallel changiert die Begrifflichkeit bei der Definition von Empfängern personenbezogener Informationen, die das BfV beliefert (vgl. 14).
Zunächst werden „Behörden“ genannt, dann „Dienststellen der Stationie-rungsstreitkräfte“, darüber hinaus „ausländische öffentliche Stellen sowie über- und zwischenstaatliche Stellen“ und als Auffangdefinition ( 14 Abs.4) nur noch „andere Stellen“.
Abgedeckt wird mit dieser changierenden Begrifflichkeit die Befugnis für das VfS-Amt, jeder nur denkbaren „Stelle“ nach eigenem Ermessen Daten liefern zu können.
Die Einzelregelungen:
Zu 12: Übermittlungen an das BfV
Abs.1 erlaubt die sog. Spontan-Übermittlung seitens der Beschäftigten aller Bundesbehörden und aller „bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentl. Rechts“ („bundesunmittelbare jurist. Personen“). Es ist eine Pauschalermächtigung zur Zweckumwidmung, die dem so agierenden Beschäftigten davor schützt, wegen des Verstoßes gegen das im BDSG festgelegte Prinzip der Zweckbindung von Daten belangt zu werden. Die im Erstentwurf dieser Regelung im Jahre 1985 noch formulierte Pflicht dieses Lieferantenkreises, Erkenntnisse von sich aus zu liefern, ist fallengelassen worden (vgl. CILIP 21, S.69, 8 BVerfSchG). Diese „Einschränkung“ verrät den Verwaltungspraktiker unter den Entwurfsautoren. Eine ohnehin nicht überwachbare und durchsetzbare Unterrichtspflicht gegenüber Beschäftigten des Bundes wird fallengelassen.
Diese Einzelregelungen, die Datenübermittlungsrechte und -pflichten von Stellen außerhalb der Staatsschutz-Apparate gegenüber diesen Apparaten normieren, dürften die nachhaltigste Wirkung des gesamten Gesetzespaketes zeitigen.
Zwar gab es die Praxis von Spontandenunziationen und die Datenlieferung auf Verlangen von sonstigen Behörden und Stellen der öffentl. Verwaltung an die VfS-Ämter auch schon zuvor. Sie war jedoch nicht rechtlich formalisiert und damit skandalisierbar; sie war rechtlich nicht durchsetzbar und soweit abhängig vom „good will“ der sich hierzu hergebenden Beschäftigten. Die Neuregelung, gerade dort, wo sie Übermittlungspflichten statuiert, also sanktionsbewehrt ist, wandelt private Denunziationslust zur Verwaltungspflicht.
Abs.2 statuiert diese Übermittlungspflichten und erweitert zugleich den Kreis jener, die zur Übermittlung auf Anforderung verpflichtet wird, indem der Behördenbegriff aus Abs.1 ersetzt wird durch den Begriff „jede Stelle, die Aufgaben der öffentl. Verwaltung“ wahrnimmt, und zudem ergänzend der Zugriff auf alle „amtlichen Register“ in die Regelung aufgenommen wird.
Wird in Abs.1 das Recht zur Spontan-Übermittlung begrenzt auf Mitarbeiter von Bundesbehörden, so bezieht sich die Übermittlungspflicht auf Ersuchen des Bundesamtes für VfS auf den gesamten Bereich öffentlicher Aufgaben – vom Bund bis zur Gemeinde – und greift zudem über die Beschäftigten der öffentl. Verwaltung noch insoweit hinaus, als auskunftspflichtig auch jene Bürger sind, die nur punktuell „Aufgaben der öffentl. Verwaltung wahrnehmen“ – z.B. der Schornsteinfeger, der nach dem Bundes-Emissionsgesetz in der Wohnküche die Gastherme auf ihr Abgaswerte mißt oder der TÜV-Beschäftigte, der die jährliche ASU-Kontrolle ausführt.
Die in Abs.2 formulierte Pflicht des BfV, Ersuchen aktenkundig zu machen und einen Nachweis über die Einsicht in amtl. Register zu führen, ist Bestandteil jener generellen datenschutzrechtlichen Rhetorik, mit der die Gesetzesentwürfe gespickt sind – Rhetorik deshalb, weil weder betroffene Bürger einen Rechtsanspruch auf Auskunft der über sie erhobenen und gespeicherten Daten haben noch ansonsten eine von außen kommende Kontrollinstanz wirkungsvolle Befugnisse hat, für die das aktenkundig machen unter dem Kontrollaspekt sinnvoll wäre.
Zu 13: Übermittlung innerhalb des Staatsschutzverbundes
Dies ist gegenüber 12 eine Spezialvorschrift in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes. Sie übernimmt in Gestalt einer Generalklausel die mit dem alten ZAG und dem folgenden VfS-Mitteilungsgesetz intendierte informationelle Gesamtvernetzung aller Staatsschutzapparate, soweit es das Verhältnis zum Bundesamt betrifft.
Staatsanwaltschaften, Polizei, Zoll, BGS und BND sind zur Spontanübermittlung an das Bundesamt verpflichtet gemäß der scheunentorbreiten Aufgabennorm des Amtes (vgl. Kommentierung zu 3). Eine von Datenschutzrechtlern zumindest geforderte Ausdifferenzierung und unterschiedliche Gewichtung der Übermittlungspflichten – bei der Spontan-Übermittlung wie bei der auf Ersuchen – entlang der Einzelaufgaben des Bundesamtes (Extremismus-Erfassung, Spionageabwehr, Sicherheitsüberprüfungen) unterbleibt.
Abs. 2 statuiert Übermittlungspflichten dieser Sicherheitsbehörden auf Verlangen des Bundesamtes, wobei tunlichst jede Festlegung darüber vermieden wird, ob die liefernden Behörden bereits über diese Daten verfügen – oder ob das Ersuchen des Bundesamtes überhaupt erst zum Anlaß der Erhebung wird. Zu erinnern ist etwa an die Zeitschriften-Listen, die das Bundesamt dem Bundesgrenzschutz-Einzeldienst in den siebziger Jahren in die Hand gab, um Lesegewohnheiten von Reisenden zu erfassen.
Im Ergebnis jedenfalls erhält das Bundesamt Zugang zu Daten, die mit polizeirechtlichen respektive strafprozessualen Zwangsbefugnissen erhoben worden sind. Das sog. Trennungsgebot wird somit nicht nur unter dem Gesichtspunkt der informationellen Gewaltenteilung unterlaufen, sondern zudem unter dem Gesichtspunkt jedweden Ausschlusses exekutiver Befugnisse für die VfS-Ämter – ein Element des Trennungsgebots, das bisher auch von den Apologeten des VfS nicht in Frage gestellt worden ist.
In früheren Fassungen (vgl. 7 ZAG vom 31.1.88, CILIP Nr.23, S.43) wurde dieses Problem noch insoweit angesprochen, als durch Hausdurchsuchungen gewonnene Daten nur bei „überwiegendem Allgemeininteresse“ weitergegeben werden durften.
Zur Frage, ob die um Datenlieferung ersuchten Sicherheitsbehörden vom Bundesamt mit dem Ersuchen auch angehalten werden können, die abverlangten Daten aus Anlaß des Ersuchens überhaupt erst zu erheben, gibt es zwar in 6 Abs.1 eine eindeutig scheinende Klarstellung. Das Amt darf nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen es nicht selbst befugt ist. Allerdings machte die amtl. Begründung zu 7 des ZAGs in der Fassung von 1988 deutlich, wie dieses Problem zu umgehen sei: „Anfragen und Anregungen sind dagegen nicht ausgeschlossen“.
In der Begründung zu der hier diskutierten Fassung ist eine so offenkundige Anregung zur Umgehung des Problems vermieden worden.
Abs.3 thematisiert die Übermittlung von Daten, die nach 100a StPO (Strafprozessuale Telefonüberwachung) gewonnen worden sind. Er bindet die Befugnis an den Straftatenkatalog des 2 des G-10-Gesetzes. Die Breite dieses Katalogs zeigt sich daran, daß u.a. der 129a StGB darin enthalten ist.
Anders formuliert, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand“ „plant“, für eine terroristische Vereinigung „zu werben“, greifen bereits die Übermittlungsbefugnisse nach Abs.3. Dies bedeutet die Umwidmung von Daten, die zur repressiven Verfolgung konkreter Straftaten erhoben worden sind, für beliebige nachrichtendienstliche Zwecke.
Es entspricht der immanenten Normierungs-Logik der „Sicherheitsgesetze“, daß Geheimdiensten jene Daten überliefert werden dürfen, die sie auch aus „eigenem Recht“ erheben können – also Telefonüberwachung nach dem G-10-Gesetz. 7 Abs.3 G-10-Gesetz formuliert ein – eingeschränktes – Verwendungsverbot der so gewonnenen Daten für andere Zwecke als dem Ursprungsanlaß, 10 Abs.3 G-10-Gesetz statuiert eine Vernichtungspflicht für diese Daten, sofern sie nicht mehr benötigt werden.
Zu 14: Übermittlungen durch das Bundesamt
Als Spezialvorschrift zu 6 (Informationsaustausch zwischen den VfS-Behörden) wird hier die Datenlieferung des Bundeamtes an Stellen außerhalb des Verbundes der VfS-Ämter geregelt; für den Verbund mit den sonstigen bundesdeutschen „Sicherheits“-Behörden gibt es die Spezialvorschrift des 15.
Abs.1 erweitert gegenüber der Ursprungsfassung von 1985/86, in der als Empfängerkreis nur Bundesbehörden benannt wurden, den Empfängerkreis um alle Behörden (Bund, Länder, Gemeinden). Die genannten Voraussetzungen (Erfüllung der Aufgaben des Bundesamtes, Schutz der FdGO durch den Empfänger, sonstige Zwecke der öffentl. Sicherheit) gelten nicht kumulativ sondern alternativ. Damit wird die Übermittlungsbefugnis grenzenlos. Über die inhaltsleere FdGO-Formel hinaus ist für die Ausweitung der Übermittlungsbefugnis besonders signifikant die Formel von dem „Zwecke der öffentl. Sicherheit“. Dieser, der polizeilichen Generalklausel entnommene Begriff „öffentl. Sicherheit“ deckt nach allgemeiner Rechtsauffassung die Schutzgüter der gesamten Rechtsordnung einschließlich der Rechte privater Personen ab. Daß die Übermittlungsbefugnis nicht an den traditionellen polizeirechtlichen Begriff der „Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit“, sondern an den rechtlich nicht definierten Begriff des „Zweckes“ gebunden wird, ist ein ergänzender semantischer Trick, diese Übermittlungsbefugnis konturenlos offen zu halten – anything goes.
Abs.2 schließt sämtliche NATO-Partner in den Kreis der Empfänger ein, behandelt sie wie deutsche Stellen, ohne daß sie den Kautelen deutschen Rechts im Umgang mit diesen Daten unterlägen. Der sanktionslose Hinweis, daß die Empfänger sich an die Zweckbindung zu halten hätten, bleibt datenschutzrechtliche Rhetorik. Dieser Abs. sichert die geheimdienstliche Vernetzung sämtliche NATO-Geheimdienste ab.
Abs.3 gibt dem Bundesamt die Befugnis, entweder zur Erfüllung der eigenen Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen ausländischer Stellen und über-zwischenstaatlicher Stellen diese mit personenbezogenen Informationen zu beliefern.
Die „Einschränkung“, daß die Lieferung unterbleibt, wenn „auswärt. Belange der Bundesrepublik“ dem entgegenstehen, besagt nur, daß die Lieferung nicht einem rechtlichen, sondern einem außenpolitisches Kalkül unterworfen ist. Die zweite Abwägung „schutzwürdige Belange des Betroffenen“ bleibt konturenlos, da sie nicht angibt, mit welchen „Interessen“ die Belange des Betroffenen „abgewogen“ werden müssen.
Abs.4 genehmigt schließlich die Datenlieferung an private Dritte. In der Ursprungsfassung von 1985/86 wurde noch klarstellend von „anderen als öffentlichen Stellen“ gesprochen. Jetzt wird nicht einmal eine Differenz Ausland/Inland getroffen, mithin die Lieferung auch an ausländische private Dritte gesichert.
Zu 15: Übermittlung an Staatsschutzbehörden und dem BND
Abs.1 begründet die prinzipielle Pflicht des BfV, den Strafverfolgungs-behörden von sich aus sowohl für präventive wie repessive Zwecke „die ihm bekanntgewordenen Informationen“ in Angelegenheiten des strafrechtlichen Staatsschutzes zu liefern. Der Begriff der Staatsschutzdelikte ist schier unbegrenzt. Er umfaßt nicht nur die im Gerichtsverfassungsgesetz festgehaltenen Delikte, für die der Generalbundesanwalt und die Staatsschutzkammern der OLGs erstinstanzlich zuständig sind, sondern auch alle anderen, sofern die vermuteten „Motive, Zielsetzungen“ eine Beeinträchtigung der FdGO bzw. der „Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ erkennen lassen.
In 19 Nr.2 (vgl. Kommentierung) wird diese Übermittlungspflicht wieder eingeschränkt, wenn „überwiegende Sicherheitsinteressen“ dies erfordern. D.h., wenn das operative Kalkül es verlangt, darf das BfV entsprechende Straftaten auch begehen lassen, ohne sie der Strafverfolgung zu überantworten oder das Wissen über die Begehung von Straftaten zurückhalten („Lex Berger“, „Lex Loudil“).
Die BND-Regelung bedeutet eine pauschale Zweckumwidmung der dem VfS erschlossenen Informationen. Da die Aufgaben des BND auch nicht im Ansatz formuliert sind (vgl. Kommentar zum BND-Gesetz), ergibt sich auch von dieser Seite her keine Eingrenzung.
Abs.2 formuliert spiegelbildlich zu Abs.1 die Ansprüche von Polizei, Staatsanwaltschaften und BND, ihrerseits vom Bundesamt erforderliche Informationen abfordern zu dürfen, mit der korrespondierenden Pflicht des Bundesamtes, die Daten zu liefern – eingeschränkt durch 19.
Zu 16: Informationspflichten der Bundesbehörden gegenüber den Landesämtern für VfS
Aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik folgt, daß die Landesge-setzgeber gegenüber Bundesbehörden keine Auskunftspflichten statuieren können. Entsprechend der Befugnisse des Bundesamtes gegenüber den Bundesbehörden (vgl. 12 Abs.2) erhalten die Landesämter identische Rechte. Die Bundesbehörden sind im Gegenzug den Landesämtern gegenüber in derselben „Pflicht“ wie gegenüber dem Bundesamt.
Abs.2 folgt der Normierungslogik dieses Gesetzes: allgemeine Norm für Bundesbehörden, Spezialnormen für Sicherheitsapparate. Er verpflichtet BND, MAD, die Polizeien des Bundes und der Länder (soweit es nicht die Landespolizei des anfragenden Landesamtes für VfS betrifft), unter den gleichen Kautelen auch die Staatsanwaltschaften, von sich aus den Landesämtern Informationen unter den Voraussetzungen des 13 zu liefern – dito auf Ersuchen der Landesämter.
Der letzte Satz nennt nur die verfassungsrechtliche Lage. Der Bundes-gesetzgeber darf landesinterne Beziehungen nicht regeln.
Zu 17: Übermittlungspflichten der Landesämter gegenüber Polizei und Staats-anwaltschaften sowie BND und MAD
Abs.1 ist die korrespondierende Regelung zum 15 für die Landesämter für VfS. Es gilt die Kommentierung zu 15. Abs.2 statuiert, daß 1. die Landesämter von sich aus BND und MAD beliefern müssen und 2. BND und MAD verbindliche Ersuchen mit korrespondierenden Lieferpflichten an die Landesämter stellen können. Es gilt jedoch auch hier die Ausnahmeklausel des 19 (überwiegende Sicherheitsinteressen, die die Übermittlungspflicht ausschließen).
Diese vom Bundesgesetzgeber geregelte Informationspflicht der Landesämter für VfS gegenüber dem MAD mag mit der Begründung gerechtfertigt werden, daß der MAD eine Verfassungsschutzbehörde mit sachlicher Beschränkung auf die Bundeswehr ist. Beim BND kann diese Begründung nicht greifen. Er ist keine Verfassungsschutzbehörde. Der Bundesgesetzgeber greift hier ohne verfassungsrechtliche Deckung in Länderbefugnisse ein.
Zu 18: Informationsfluß auf und ohne Ersuchen seitens Staatsanwaltschaft, Polizei und Zoll an MAD
Es wird klargestellt, daß im Rahmen der MAD-Aufgaben die Staatsanwaltschaft, Polizeien und der Zoll (soweit er Grenzschutzaufgaben erfüllt) diesem gegenüber in identischer Pflicht stehen wie gegenüber dem BfV. Es gelten dieselben Regelungen – und damit die identische Kritik – wie im 13.
Zu den 19 – 22: Spezielle „Datenschutzvorschriften“ für alle Übermittlungsvorgänge zwischen den Staatsschutzapparaten
Die hier zusammengefaßten , in der Begr. als „spezielle Daten-schutzvorschriften“ ausgegeben, sind eine Mischung aus verfassungsrechtlichen Selbstverständlichkeiten und innerorganisatorischen Effizienzkalkülen, die bestenfalls helfen könnten, die Qualität der zwischen den Staatsschutzbehörden wandernden Informationen zu heben.
Zu 19: Übermittlungsverbote
Abs.1 erinnert an das mit Verfassungsrang ausgestattete Verhältnis-mäßigkeitsprinzip in Form der Güterabwegung.
Abs.2 sichert in letzter Instanz die Herrschaft des jeweiligen Datenbesitzers (VfS, BND, MAD, Polizei) über seine Daten – ungeachtet der zuvor statuierten Übermittlungspflichten, sofern das organisationsspezifische Sicherheitsinteresse dem entgegensteht. Dieses datenschutzrechtliche „Besitzerprinzip“, das ansonsten mit dem hier vorliegenden Artikel-Gesetz generell durchbrochen wird, dient allerdings nicht der Erfüllung datenschutzrechtlicher Prinzipien, sondern ausschließlich operativen Kalkülen der nicht nur kooperierenden, sondern gleichzeitig auch konkurrierenden verschiedenen Sparten des „Sicherheitsverbundes“. Recht und Interessen der betroffenen Personen bleiben außerhalb dieses Kalküls. Diese Regelung war bereits in den Vorentwürfen zu finden. Abs.3 benennt die Selbstverständlichkeit, daß besondere Übermittlungsausschlußregelungen, sofern es sie gibt – etwa die des Sozialgesetzbuches X – Vorrang haben. Im Regelfall wird jedoch in anderen Spezialgesetzen (vgl. Ausländerzentralregister-G., Melde-G., ZEVIS-G., Bundeaszentralregister-G.) die Übermittlung an Polizei und Geheimdienste ausdrücklich zugelassen.
In der Summe: 19 enthält keinerlei datenschutzrechtliche Übermitt-lungsverbote über das hinaus, was generell rechtlich gilt.
Zu 20: Minderjährigenschutz
Da die Erhebung und Archivierung von Informationen über Minderjährige jenseits der Dateien nicht einmal thematisiert wird (vgl. Kommentierung zu 8 Abs.2 (Minderjährigen“schutz“ bei der automatisierten Speicherung), dient diese Regelung wie zuvor jene in 8 der Täuschung.
Die eingegrenzte Übermittlungsbefugnis für Daten von Kindern (bis zum 16. Lebensjahr) durch VfS-Behörden macht überhaupt nur unter der Voraussetzung Sinn, daß solche personenbezogenen Informationen erhoben und jenseits der Dateien archiviert sind, da ihre Speicherung in Dateien verboten ist.
Die Übermittlungsbefugnis für Daten über Jugendliche ab dem 16.Lebensjahr folgt operativer Logik. Diese generelle Befugnis setzt zu einem Lebensabschnitt an, in dem Jugendliche überhaupt erst beginnen, politische Interessen zu entwickeln und politisch zu handeln.
Abs.1 Nr.1 gibt den VfS-Behörden die Befugnis, Kinder-Daten zur Strafverfolgung bei Straftaten von erheblicher Bedeutung und zur Abwehr erheblicher Gefahren weiterzuleiten. Dieser Erheblichkeitsbegriff spielt auch im Bereich des neueren Polizeirechts eine „erhebliche“ Bedeutung. Welche rechtsdogmatischen Kriterien ihn definieren, ist völlig unklar. Allerdings gibt es Indizien für die Uferlosigkeit des Begriffs „erheblich“. In einigen Polizeigesetzentwürfen ersetzt der Begriff „erhebliche Straftaten“ einen Katalog von nahezu 100 Einzeltatbeständen, die z.T. bis in den Bereich des schweren Diebstahls herabreichen, also in äußerst gewöhnliche Kriminalitätsbereiche. Wagner (1988) spricht daher in seinem Kommentar zum NRW-Polizeigesetz von einer „Scheinvertatbestandlichung“.
Abs.1 Nr.2 läßt Datenaustausch über Kinder unter 16 Jahren zwischen allen Staatsschutz- und Geheimdienstbehörden zur Strafverfolgung zu, soweit es um Katalog-Straftatbestände nach 2 des G-10-Gesetzes geht (vgl. Kommentierung zu 13 Abs.3). Man muß sich zudem klar machen, daß nicht der/die Jugendliche verdächtig sein muß, eine der entsprechenden Straftaten begangen zu haben, sondern „jemand“ – und es in diesem Ermittlungskontext den Staatsschutzbehörden sinnvoll erscheint, die Kinder-Daten zu übermitteln.
Abs.2 eröffnet (unter Verweis auf den 8 Abs.2) den generellen Datentransfer über Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr unter Berücksichtigung der in 8 Abs.2 genannten Löschungsfristen. Anders formuliert: sind die Daten nicht gelöscht worden, dürfen sie auch transferiert werden – ins Ausland, an private Dritte etc.
Abs.3 hebt für Sicherheitsüberprüfungen, in die Kinder und selbstverständlich Jugendliche eingeschlossen werden können, die zuvor genannten Übermittlungs“-begrenzungen“ generell auf; für Kinder ausländischer Eltern gibt es keinerlei Begrenzungen. Damit dürfen deren Daten u.a. wiederum auch an ausländische Stellen geliefert werden (vgl. 14 Abs.3).
Zu 21: Pflichten des Empfängers
Eine allgemein geltende datenschutzrechtliche Floskel. Der Empfänger, soweit er dem Geltungsbereich dieses Gesetzes unterworfen ist – die Regelung kann für ausländische und übernationale Stellen nicht greifen – hat zu prüfen, ob er die Daten benötigt. Ist dies nicht der Fall, so muß er die Daten löschen oder sperren. Dies ist insoweit als Regelung notwendig, da bei Datenlieferanten außerhalb des Sicherheitsbereichs an die Sicherheitsbehörden die Lieferanten einem Ersuchen zu folgen haben, ohne prüfen zu dürfen oder gar zu müssen, ob es rechtens sei. Die Entscheidung wird vom Empfänger getroffen. Eine informationelle
Gewaltenteilung durch gegenseitige Kontrolle wird gerade ausgeschlossen.
Es ist eine unter bürokratischen Effizienzgesichtspunkten sinnvolle Er-innerung, sich vor Daten zu schützen, die für die Aufgabenerfüllung nutzlos sind.
Zu 22: Nachberichtigungspflicht
Regelt 9 die Pflicht des BfV zur Berichtigung der eigenen, gespeicherten Daten bzw. zur Löschung oder Sperrung unrichtiger Daten, so wird hier gegenüber dem Empfänger eine Nachberichtigungspflicht statuiert.
Aber auch hier geht es nicht um Rechte der unmittelbar betroffenen BürgerInnen, die solange nicht angemeldet und durchgesetzt werden können, wie diese keinen Auskunftsanspruch haben. Die Abwägung über die „Wahrung schützwürdiger Interessen des Betroffenen“ trifft nur die liefernde Behörde – ohne daß der/die Betroffene davon Kenntnis hat.
Es ist eine Norm, die bestenfalls die Mitarbeiter der Staatsschutzbehörden daran erinnert, die Qualität der den Kollegen gelieferten Daten – im eigenen Interesse des Verbundes – nachzubessern. Hier und da wird es auch unmittelbar Betroffenen dienlich sein, denkt man daran, in welchem Maße BürgerInnen mit auf Datenschrott gestützten politischen Vorwürfen zu kämpfen hatten.
Zu 23: Automatisierte Abrufverfahren zwischen den Dateien der Geheimdienste und Polizei
Diese Regelung ist in Zusammenhang mit dem 4 Abs.2 zu sehen, in dem die Rechtsgrundlage für NADIS gegeben wird. Darin heißt es, daß die gemeinsam von den VfS-Ämtern gefütterten Dateien in NADIS nur diesen Ämtern direkt zugänglich sein sollen. Der noch immer vorhandene Bestand des BKAs in NADIS, von Datenschutzbeauftragten regelmäßig gerügt (vgl. Kästchen auf der folgenden Seite), müßte nach dieser Regelung von dem der VfS-Ämter technisch getrennt sein. Die Übermittlung zwischen Polizei und VfS wäre demnach nicht auf dem Wege der Direktanfrage, wohl aber in Form des Austauschs von Bändern oder der Abfrage über Telex zulässig. Dem entspricht die bisherige Praxis für alle nicht in NADIS gespeicherten Dateien der polizeilichen Staatsschutzabteilungen (so etwa APIS u.a.).
Mehr als um eine Verzögerung des Übermittlungsvorganges handelt es sich dabei nicht. Aber auch sie soll entfallen dürfen, „wenn eine erhebliche Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung droht oder eine konkrete Gefahr für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes besteht“. In diesem Fall soll es möglich werden, die polizeilichen Dateien und die der Geheimdiente direkt zusammenzuschalten. Als Beispiel für diesen Fall nennt die Begründung den „deutschen Herbst“ 1977. Welche anderen Fälle denkbar sind, ob evtl. eine einfache Fahndung nach RAF-Mitgliedern genügt, bleibt der Phantasie der Minister vorbehalten.
Sie müssen der Einrichtung des Online-Verbundes zustimmen. Ein solcher Verbund darf nur befristet hergestellt werden. Wie lange solch eine Frist dauern kann, sagt der Entw. nicht.
Zu 24: „Geltung“ des BDSG und des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Auch diese Überschrift steht exemplarisch für sprachlichen Betrug. Sie hebt für das BfV gerade alle einschlägigen Datenschutzregelungen des BDSG und des Verwaltungsverfahrensgesetz auf, sofern diese nicht bereits selbst Einschränkungen für den „Sicherheits“-Bereich enthalten. Suspendiert werden:
* die Regelung für Speicherung, Veränderung und Nutzung in 12 BDSG. An seine Stelle tritt 8 VfS-Gesetz,
* die Übermittlungsvorschriften in den 12 – 15 BDSG, die durch den gesamten Abs.3 des VfS-Gesetzes ersetzt werden,
* 16 BDSG, der u.a. die schriftliche Festlegung von Dateianordnungen vorschreibt, für die im 10 des hier diskutierten Entwurfs eigenständige Wege eingeschlagen werden,
* 18 BDSG – Berichtigung, Löschung, Sperrung – der ebenfalls durch eine erheblich magere Lösung im 9 dieses Entwurfs ersetzt wird, sowie
* die 3a (Erhebung) und 3c (Zweckbindung) des Verwaltungsverfah-rensgesetzes (vgl. 6 und 7 VfS-Gesetz).
Keine Einschränkungen enthält diese Vorschrift für folgende des BDSG:
* 17 (Auskunftsansprüche), der die Geheimdienste ausdrücklich von Auskunftsansprüchen ausschließt, sowie
* die 22 und 24, die die Zugangs- und Kontrollmöglichkeiten des Datenschutzbeauftragten in Bezug auf die Geheimdienste einschränken.
Literatur:
BMI (Hg.),Verfassungsschutz, Köln-Berlin-Bonn-Müpnchen, 1966
Borgs-Maciejewski, Hermann/ Ebert, Frank, Das Recht der Geheimdienste, Stuttgart – München – Hannover 1986
Gusy, Christoph, Bundes- und Landeskompetenzen für den administrativen VfS, in: BayVBL. 1982, Heft 7
Roewer, Helmut, Nachrichtendienstrecht der Bundesrepublik Deutschland, Köln – Berlin – Bonn – München 1987
Schwagerl, H. Joachim, Verfassungsschutz in der Bundesrepublik, Heidelberg 1985
Wagner, Heinz, Kommentar zum Polizeigesetz von NRW – Reihe: Alternativ-Kommentare, Neuwied – Darmstadt 1987