Literatur

Gary T. Marx: Undercover „Police Surveillance in America“,
University of California Press 1988

Nicht nur in der Bundesrepublik, auch in den USA spielen sich gegenwärtig wichtige Entwicklungen im Bereich verdeckter polizeilicher Kontrolle ab.
Für die USA belegt dies die empirische Untersuchung von Marx, der bereits seit Jahren zu diesem Themenbereich publiziert. Bundes-republikanische Polizeifor-scher werden mit neidgetränktem Staunen die empirische Basis dieses Buches zur Kenntnis nehmen, offenbart diese doch eine ungetrübte Kooperations- und Informationsbereitschaft auch gegenüber Polizeiforschern, die nicht im polizeilichen Solde stehen. In diesem Sachverhalt drückt sich ein offensichtlicher Unterschied zu den Verhältnissen hierzulande aus. Der Autor – Professor am MIT – kommt aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Nach einer knappen historischen und komparativ verfahrenen Darstellung der Geschichte verdeckter polizeilicher Kontrolle werden Bedingungsgefüge und Elemente der aktuellen Entwicklung skizziert und erörtert. Der Befund ist ein-deutig: welcher Datenreihe man sich immer zuwenden mag, ob dem Indikator personeller oder finanzieller Ausstattung, seit Beginn der siebziger Jahre läßt sich im Bereich verdeckter polizeilicher Kontrolle ein quantitativer und qualitativer Wandel verzeichnen.
Qualilativ dadurch, daß verdeckte polizeiliche Tätigkeiten zum systematischen Bestandteil komplexer polizeilicher Kontrollstrategien werden. Nicht der einsame UCA, wie aus hiesigen Kriminalfilmserien bekannt, regiert das Feld, sondern der UCA als Teil des Einsatzes arbeitsteilig verfahrender Organisa-tionseinheiten.

Bestechend bei der Diskussion der Elemente und des Bedinungsgefüges dieser Entwicklung ist die Mehrdimensionalität, in welcher der Autor verfährt. Soziale und kriminologische Aspekte kommen ebenso zur Sprache, wie die Be-deutung der Rechtssprechung und Gesetzgebung für diese Entwicklung. Daß die polizeiliche Art und Weise der Beweismittelbeschaffung immer auch vor dem Hintergrund des jeweiligen Verfahrensrechts zu sehen ist, daß die Probleme der Beweismittelbeschaffung schon durch die jeweilige Strafnorm konturiert werden, das leuchtet zwar jedem ein, wird aber hierzulande selten zum Bezugspunkt der Analyse polizeilicher Tätigkeit.
Daß verdeckte polizeiliche Kontrolle funktioniert oder doch funktionieren kann, in dem Sinne, daß nur dadurch manchem der Anhänger kriminell umgehängt werden kann, daß es dadurch zu Festnahmen kommt, welche sonst unterblieben wären, ist unmittelbar plausibel und wird vom Autor mit Daten belegt.
Das Verdienst der Arbeit von Marx liegt aber darin, daß er vor allem Preis und Folgekosten, die „unintended consequenses“ verdeckter polizeilicher Kontrolle in das
Zentrum seiner Untersuchung rückt, also gerade den Bereich, welchen die polizeilichen Apologeten unterschlagen.
Untersucht wird dies in der Dimension der Auswirkungen dieser polizeilichen Tätigkeit auf Täter, unbeteiligte Dritte und die Polizei. Aufgefordert, das Ergebnis in einer These zusammenzufassen, würde ich formulieren, daß verdeckte polizeiliche Kontrolle wie ein kriminogenes Biotop wirkt, versteht man darunter einen Bereich, in dem die Kunst zur vollsten Blüte gedeiht, 1.) Personen die Bezeichnung „kriminell“ anzuhängen, 2.) aus dieser Macht oder Fähigkeit das verschiedenste Kapital zu schlagen, 3.) Beweismittel zu produzieren für jeweils benötigte Zwecke.
In diesem Biotop gedeihen Figuren wie Police Officer Lawrence aus Vermont, der in 5 Dienstjahren an rund 600 Verurteilungen im Drogenbereich mitwirkte. Daß die auf Grund seiner Zeugenaussagen Verurteilten später wieder begnadigt werden mußten, verdankten sie der Einsicht eines anderen UCA, der – auf Law-rence angesetzt – dessen Arbeitsprinzip enthüllte; angezeigt wurde, wer Lawrence geärgert hatte, so etwa Frauen, die nicht mit ihm schlafen wollten. Drogen als Beweismittel gegen die Angezeigten führte Lawrence immer schon mit sich – ein Fall von vielen, den Marx anführt. Die Häufung der angeführten Fälle belegt, daß solche Praktiken sich dort festsetzen, wo verdeckte po-lizeiliche Kontrolle für erforderlich gehalten wird.
Gerade wenn man den Preis dieser Art polizeilicher Tätigkeit kennt, wird die Kontrolle der Polizei zu einem vorrangigen Thema. Wie sollte aber eine demokratische und effektive Kontrolle verdeckter polizeilicher Tätigkeit möglich sein?
Der Autor beschreibt zunächst die internen Kontrollmechanismen und weist darauf hin, daß in den USA zuerst versucht wurde, die zusätzlichen Kontrollprobleme intern zu bewältigen. Zu Recht bemerkt er, daß solches nicht genügt, da die entscheidende Frage lautet, wer denn die Wächter bewacht? Marx erörtert dann die externen Kontrollmechnanismen (Kommissionen/ Gerichte), ohne aber eine eindeuti-ge Aussage zu formulieren, ob eine halbwegs effektive Kon-trolle polizeilicher Tätigkeit in diesem Bereich überhaupt möglich ist. Ich habe den Eindruck, daß Marx hier stark auf so etwas wie eine demokratische Kultur und Kultur der Fairness in den USA setzt.
Eines läßt sich mit diesem Buch unschwer belegen: verdeckte polizeiliche Tätigkeit ist gerade darauf angewiesen, sich jeder außerapparativen Kontrolle zu entziehen, um verdeckt zu bleiben. In diesem Bereich bewacht der Wächter sich selbst.

Helmut Willems/ Roland Eckert/ Harald Goldbach/ Toni Loosen:
Demonstranten und Polizisten – Motive, Erfahrungen und Eskalationsbedingungen – Ein Forschungsbericht, München 1988

Die Studie verspricht, Eskalationsprozessen zwischen Polizisten und Demonstranten auf die Spur zu kommen, indem Perspektiven, Wahrnehmungsmuster und damit verbundene Handlungsbereitschaften von Polizisten den Perspektiven und Realitätskonstruktionen von Demonstranten gegenübergestellt werden. Zugleich wird versucht, Veränderungen dieser Perspektiven und Handlungsbereit-schaften auf dem Hintergrund unterschiedlich langer Konflikterfahrungen zu erfassen.
Die Autoren betonen, daß das Handeln der Polizei „in Aktion“ nicht zureichend verstanden werden könne, wenn man es allein aus seiner Rechtsbindung zu erklären suche: „Um das Handeln der Polizei in öffentlichen politischen Konflikten zu erklären, reicht es nicht, lediglich die typischen Merkmale ihrer Strukturen und ihrer institutionellen Verfaßtheit im Rahmen des politischen Systems zu analysieren.“(S.23) Vielmehr müßten „Elemente der individuellen und kollektiven Wahrnehmung und Interpretation“ von Konflik-tabläufen und Konfliktgegnern in ihrer Dynamik herausgearbeitet werden, um Eskalationsprozesse durchsichtig zu machen – dies schließlich auch mit dem Ziel, Eskalationsprozessen dadurch zu begegnen, das Verständigungsprobleme abgebaut würden.
Zu diesen Behufe hat die Forschungsgruppe, theoretisch am symbolischen Interaktionismus orientiert (S.24), mit der Methode der Gruppendiskussion sich bemüht, „die Bewußtseinsinhalte, d.h. die Meinungen, Einstellungen, Reali-tätsinterpretationen einmal von Polizeibeamten in Bezug auf De-monstrationseinsätze und zum anderen von Protestgruppen hinsichtlich ihrer Beteiligung an einer Blockadeaktion“ (S.30) zu erheben.
Bei den Polizisten handelte es sich um rheinland-pfälzische Bepo-Beamte, überwiegend mit Einsatzerfahrungen in Brokdorf und an der Startbahn West; bei den Demonstranten um Leute aus dem nicht-militanten Teil der Friedensbewegung, die vor allem Erfahrungen mit der Polizei bei der Blockade der US-Air-Base in Bitburg (September 1983) gemacht hatten.
Um in Erfahrung zu bringen, wie sich die Dauer der Organisationszugehörigkeit und die Akkumulation von Einsatz- und damit Konflikterfahrungen auf Motive, Wirklichkeitsinterpretationen und Handlungsbereitschaften der Polizisten auswirkt, wurde die Gruppendiskussion mit Polizisten in 3 voneinander getrennten Seminaren durchgeführt: mit Polizisten, die noch in der Grundausbildung waren und keine Einsatzerfahrung hatten, mit Bereitschaftspolizisten, die bereits 3 – 4 Jahre in der Bepo Dienst geleistet hatten, und schließlich mit Zug- und Hundertschaftsführern, die als Teil des Stammpersonals der Bepo und als Vorgesetze bereits über langjährige Einsatzerfahrungen verfügten.
Ein Urteil vorweg:
Unbeschadet methodischer und erheblicher theoretischer Einwände, auf die noch kurz zurückzukommen sein wird, lohnt es sich, die Studie zu lesen. Sie liefert ohne Zweifel einigen Einblick in die Lebenswelt von Polizisten, in deren Prägung durch die berufliche Aufgabe und in den organisatorischen Rahmen, innerhalb dessen man zum Polizisten erzogen wird. Sie gibt Hinweise auf typische Formen der Verarbeitung spezifischer beruflicher Konflikte und veranschaulicht insgesamt, daß Polizisten nicht geboren, sondern gemacht werden.
Zwar sind die vielfältigen Instrumente der Abrichtung junger Menschen zu Polizisten nicht unmittelbarer Gegenstand dieser Studie. Gleichwohl liefert sie hinreichend Indizien für die Ghettoisierung von Polizisten, wenn sie ihr „Noviziat“ bei der Bereitschaftspolizei beginnen; für die Entwicklung einer prinzipiell mißtrauischen Haltung nach außen als einer berufstypischen Prägung, die wiederum Einfluß hat auf Handlungsoptionen; es gibt Indizien für organisationspezifische Entlastungen von individuellen Skrupeln beim Vollzug polizeilicher Aufgaben in einem System strenger Hierarchie und Ver-antwortungsdelegation; man erhält durch die Selbstinterpretation der Polizisten Hinweise darauf, wie es in bürokratischen Organisationen gelingt, den Vollzug der Organisationsaufgaben abzulösen von den persönlichen Motiven der Beschäftigten bis hin zur Alltagsfähigkeit von Beschäftigten in jedweder bürokratischen Organisation, auf Anweisung auch gegen eigene Interessen und politische Orientierungen zu handeln etc.
Auch daß und wie physische Gewalt langsam zur Routinehandlung wird bei Polizisten, die da einst als junge Leute u.a. mit der Vorstellung, in diesem Beruf anderen Menschen helfen zu können, sich für diese Laufbahn entschieden haben (ein Berufswahlmotiv, daß auch andere Untersuchungen bestätigen und deutlich der Alltagsvorstellung speziell in linken Szenen widerspricht, daß „Bullen“ „Bullen“ werden, weil sie als autoritäre Charaktere eine Affinität für diesen Beruf bereits vor dem Eintritt in diese Laufbahn hätten), er-schließt sich aus den Protokollen der Gruppendiskussionen.
Die Lösung für die beruflichen Konflikte sind spezifische Techniken der Neutralisation von Gewissenskonflikten (die Isolierung nach außen und verstärkte Orientierung an der Berufsgruppe, der Rückzug auf formale Rechtspositionen, Feindbilder, Entlastung durch Verantwortungsdelegation an Vorgesetzte etc.)- es sei denn, man wählt den Exit, indem die Uniform an den Nagel gehängt wird. In der Literatur gibt es Hinweise, daß in den ersten 3 Ausbildungsjahren bis zu 30% den Beruf wechseln.
Soweit – und um eine Fülle weiterer Hinweise über das „Innenleben“ von Polizisten und der Polizeiorganisation – lohnt es sich, diese Studie zu lesen, war mithin auch die Arbeit der Autorengruppe der Mühe wert.
Allerdings leistet diese Studie gerade keine Interaktionsanalyse sondern protokolliert nur Reflexionen über Interaktionserfahrungen im Nachhinein, ohne daß die Interaktionsprozesse selbst – und methodisch unabhängig von den Interpretationen dieser Interaktionen durch die Akteure – beobachtet, darge-stellt und gegebenenfalls quergelesen würden zu den Formen ihrer Verarbeitung und Deutung.
Selbstverständlich sind die direkt wahrnehmenbaren Verhalten- und Interaktionsformen (die in dieser Studie nicht miterhoben wurden und damit auch nicht zur Interpretation der geistigen Verarbeitung dieser Erfahrungen herangezogen werden konnten) und ihre Interpretation durch die Akteure ein sinnvoller Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung, will man sich nicht einen sozialwissenschaftlichen Objektivismus oder Strukturalismus zu Schulden kommen lassen, der unterschlägt, daß Menschen ihre Geschichte selbst machen. Die Frage ist nur, ob ein solcher Gegenstandsbereich auch zugleich Ausgangspunkt der theoretischen Erklärung sein kann oder ob die wissenschaftlichere Erklärung nicht erst da beginnt, wo über die Präsentation des Unmittelbaren hinaus dessen vielfältige strukturelle Vermittlung zu analy-sieren wäre.
Zu streiten ist über die nur in Andeutungen formulierten theoretischen Position der Autorengruppe und die ihr entsprechenden Interpretationen und Schlußfolgerungen. Sie beziehen in ihren Interpretationen mehr oder weniger konsistent die Position der ethnomethodologischen Indifferenz: es gibt eine Vielfalt gleichberechtigter Wirklichkeiten und Wirklichkeitsinterpretationen, deren Inkongruenz zu Konflikten führt. Soziale Konflikte auf die unmittelbaren Beziehungen/Interaktionen zwischen den beteiligten Akteuren zurückzuführen respektive auf die Vorstellungen, die sie sich davon machen, mit der entsprechenden Hoffnung (eine Hoffnung, die auch gerade bei den jüngeren Polizisten in dieser Untersuchung durchaus sympathisch auftaucht), daß der herrschaftsfreie Dialog die kognitiven Dissonanzen und damit Eskalati-onsgefahren zwischen den Konfliktparteien auflösen könnte, erinnert doch sehr an die Auseinandersetzung von Marx/Engels mit Max Stirner in der „Deutschen Ideologie“. (MEW, Bd. 3, S.422) Bedarf es wirklich nur der Anstrengung von Demonstranten und Polizisten, sich die „Vorstellung ihres Gegensatzes“ aus dem Kopf zu schlagen, also das Bewußtsein/ihre Perspektiven und Wirk-lichkeitsentwürfe zu ändern und einander anzupassen, um die Wirklichkeit sozialer Verhältnisse und Herrschaftsbeziehungen aufzulösen?
Eine Studie über die Polizei, also über den Arkanapparat staatlicher Herrschaft, die die herrschaftliche Funktion des staatlichen Gewaltmonopols an keiner Stelle thematisiert, verweist darauf, daß die ethnomethodologische Position einer Vielfalt von gleichberechtigten Wirklichkeitsentwürfen, die sich konflikthaft gegenüberstehen, von den Autoren selbst keineswegs durchgehalten wird. Praktisch verhalten sie sich durchaus parteiisch – und sei es nur durch das Nichtsaussprechen dieses zentralen Moments unserer Gesellschaft.
Aber nur dann würde sich auch die Logik und Notwendigkeit der in dieser Studie in den Transkriptionspassagen der Gruppendiskussion mit Polizisten angesprochenen Mechanismen der Abrichtung von Menschen zu Polizisten begreifen und vermitteln lassen. Die unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen und -perspektiven sind, darauf ist zu beharren, aus den objektiven sozialen Verhältnissen mit Zwangsläufigkeit resultierendes „falsches Bewußtsein“ oder, wie es Bourdieu formuliert, „wohlbegründete Irrtümer“. Daß die Aufgabe der Polizei als Herrschaftsapparat wie die spezifischen Formen, inder Polizisten organisiert und geführt werden, entsprechend „wohlbegründete Irrtümer“ produziert – gerade hierfür liefert diese Studie eine Reihe von Hinweisen, ohne daß dies selbst explizites Thema der Studie wäre.

Wilfried Thewes:
Rettungs- oder Todesschuß? – Pro und Contra zum polizeilichen Schußwaffeneinsatz mit der Absicht oder dem Risiko der Tötung, Hilden 1988

Der Autor, Polizeioberrat und Leiter einer saarländischen Polizeiinspektion, hat mit dieser Studie zum Dr. jur. promoviert. Wer einen Überblick über die seit mehr denn 10 Jahren geführte juristische Diskussion um die Verrechtli-chung des Tötens als hoheitliche Handlung gewinnen will, ist gut beraten, sich die Arbeit anzuschauen, denn wellenweise hat diese Frage immer wieder erneut politische Konjunktur. Die CDU/CSU-Länder Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben vor Jahren schon die im Musterentwurf PolG der IMK von 1974/76 vorgeschlagene Todesschußregelung übernommen.
Wer erwartet, daß hier ein Polizeipraktiker nicht nur rechtsdogmatische Fragen auswälzt, sondern vor dem Hintergrund tödlich ausgehender Fälle polizeilichen Schußwaffeneinsatzes auch anhand der Rechtsempirie diskutiert, wird enttäuscht sein. Es ist eine Arbeit, die nahezu ausschließlich juristisch argumentiert und genauso von jedem x-beliebigen Juristen hätte geschrieben werden können – schade.
Daß mit der Forderung nach der Verrechtlichung des Tötens als staatliche Befugnis keine „rechtlichen“, sondern vor allem politische Ziele verfolgt werden, daß es um das Primat staatlicher Autorität gegenüber dem Opferschutz geht, hätte der Polizeioberrat in der PDV 132 nachlesen können: „Bei der Befreiung von Geiseln läßt sich nicht jedes Risiko ausschließen. Bei übergeordnetem Interesse kann im Einzelfall eine erhöhte Gefährdung der Geiseln unumgänglich sein.“
Politisch geht es im Kern darum, den Todesschuß befehlen zu können, oder, wie es vor langen Jahren Manfred Schreiber, zuletzt unter Zimmermann Staatssekretär im BMI, da einst im „Stern“ (16.1.1975) formulierte:
„Wenn ich einem Polizeibeamten sage, jetzt müssen Sie den Mann erschießen!, dann antwortet der mir womöglich: Ich kann das nicht verantworten. Wenn Sie den Mann erschießen wollen, dann schießen Sie ihn doch selbst tot.“
Der Autor plädiert für eine förmliche rechtliche Befugnis zum tödlichen Schußwaffeneinsatz. Man muß ihm nicht unterstellen, daß er mit diesem Plädoyer sich als eifernder „Hartliner“ ausweist. Vielmehr scheint er der Illusion aufzusitzen, daß polizeilicher Schußwaffeneinsatz (und seine Begrenzung) vorrangig eine Frage rechtlicher Formulierungen und Eingrenzungen sei. Eine Illusion, die bei einem Juristen noch hinnehmbar sein mag, bei einem Polizisten aber, der in schwierigen Situationen gegebenenfalls den Todesschuß kommandieren darf, vermeidbare tödliche Konsequenzen produzieren kann.
Der inzwischen pensionierte NRW-Polizei-Direktor Kurt Gintzel, selbst von Hause aus Jurist, erweist sich da als der bessere Polizeipraktiker. Er schrieb 1987 (Die Polizei, 1/1987, S.21):
„Als Mittel der Konfliktbewältigung wurde überwiegend angenommen, daß der sog. Rettungsschuß Lagebewältigung ermögliche. Heute wissen wir, daß nicht Gewalt, nicht Schußwaffengebrauch, sondern Kommunikation das einzige Mittel ist, das wirklich Erfolg verspricht. Die insoweit vorliegende Bilanz läßt keinen Zweifel daran.“

Die Erschießung eines 13jährigen türkischen Jungen am 1.Juli d.J. in Essen – gewiß nicht aus mörderischer Absicht, sondern als Folge polizeilicher Routineprogramme in unübersichtlichen Situationen – verweist darauf, wie wenig „das Recht“ dazu verhilft, solche im Ergebnis mörderischen Lösungen zu vermeiden. Genau darum geht es jedoch – nicht darum, daß die Polizisten etwa in dieser Situation berechtigt waren, mit tödlichem Ergebnis zu schießen. Daß sie „im Recht waren“, schützt zwar die Polizisten unmittelbar vor straf-rechtlichen und disziplinarischen Sanktionen. Es hilft ihnen allerdings nur wenig, diese Situationen auch psychisch zu bewältigen. Denn daß hinter polizeilichen Todesschüssen im Regelfall eine „Killermentalität“ steht, ist eine dumme, linke Legende.