Berlin (O.): Erlebnisbericht vom 7./8.10.89

„Wir wurden am 7.10. gegen 22.30 Uhr auf der Greifswalder Str. Nähe Mollstr. zusammen mit etwa 30 Leuten von Polizei eingekreist. Wir wurden ohne Auffor-derung, den Ort zu verlassen oder uns zu zerstreuen, mit Stößen, Tritten und Gummiknüppeln zusammengetrieben, auf LOs verladen und in die Strafvollzugsan-stalt Rummelsburg zugeführt. Auf dem Weg dorthin wurden wir von Polizisten beschimpft mit: „Ihr seid zu doof zum ficken.“ In Rummelsburg standen wir etwa anderthalb Stunden in der Kälte auf dem Hof. Wir sahen Leute in offenen Gara-gen, die dort mit dem Gesicht zur Wand stehen mußten.
Viele von uns mußten sehr nötig auf die Toilette, darauf reagierten Polizisten mit Bemerkungen wie: „Dann pinkel dir doch ein, du Sau.“ „Mach dir in die Hose“, „wenn ihr pinkeln müßt, steckt euch ’nen Korken ins Loch.“ „Wenn hier nicht sofort Ruhe ist, lasse ich die Hunde auf Euch los.“
Als die Forderung, auf die Toilette gehen zu dürfen stärker wurde, wurde stark mit Gummiknüppeln gegen den LKW geschlagen. (…)
Ich wurde gegen 12 Uhr aus dem sogenannten Zuführungsraum geholt. Mir wurden sämtliche Sachen (Effekten) abgenommen. Von mir wurden 3 Fotos (von vorn, von der Seite, schräg von vorn) gemacht sowie Fingerabdrücke genommen. Dann wurde ich in den „Entlassungsraum“ gebracht. Nach mehreren Stunden wurde ich zu einer Vernehmung gebracht. Als ich die Unterschrift zum Protokoll verweigerte, wurde mir gesagt: „Wir können auch anders“. Ich wurde in den ‚Keller‘ ge-bracht, wo ich dann gemeinsam mit mehreren Männern weitere Stunden verbrachte. Gegen 19.30 Uhr wurden 6 Frauen und 5 Männer auf einen LKW verladen. Wir erhielten unsere Effekten. Uns wurde gesagt, daß wir nicht verhaftet wären, daß wir nun wohl bald entlassen würden. Nach einer etwa 3/4stündigen Fahrt waren wir in einer Kaserne der Bereitschaftspolizei. Nach einer halben Stunde wurden uns die Ausweise abgenommen mit der Begründung: „Hier werden die ab-schließenden Maßnahmen getroffen.“ Wir mußten dann in Gruppen von zwei bis vier Mann im Laufschritt ein Gebäude betreten und dort mit dem Gesicht zur Wand stehen. Wir wurden einzeln die Treppe raufgejagt mit Schreien: „Kommste, kommste!“, „Schneller, Schneller!“, „Mensch, Mensch, Mensch!“ Auf jedem Trep-penabsatz stand ein Bereitschaftspolizist und schlug mit dem Gummiknüppel ge-gen das Treppengeländer. Oben mußten sich die Männer nackt ausziehen, während die Frauen an ihnen vorbeigeführt wurden. Ich wurde in ein Zimmer mit 5 Betten gebracht, in dem wir dann zu zehnt aufrecht sitzen mußten. Wir hatten 30 Stun-den nicht geschlafen und 14 Stunden nichts zu essen bekommen. Wir durften uns nicht hinlegen, es war uns verboten, zu sprechen. Ein Mädchen, das sehr starke Bauchschmerzen hatte und außerdem noch gehbehindert war, wurde mit „schneller, schneller“ und o.g. Rufen zum Arzt gebracht. Während wir im Zimmer saßen, hörten wir, wie die Männer in sogenannter „Häschen-hüpf-Stellung“ die Treppen hoch- und herunter gejagt wurden. Wir mußten anhören, wie einer der Männer geschlagen wurde. Gegen 22.30 Uhr bekamen wir eine Suppe, eine Scheibe Brot und einen Becher Tee. Das Essen mußten wir jeweils zu fünft und im Laufschritt holen. Einer der Männer mußte die Schüsseln in der o.g. Häschen-hüpf-Stellung wegbringen. Wir mußten Unterhaltungen von Bereitschaftspolizisten anhören: „Man müßte die alle aufhängen, sofort aufhängen“. „Gelbe Freuden“ und „das müßte man jeden Tag mit denen machen“. (…) Wir wurden gegen 0.30 Uhr entlassen (…)“.

Aus: Tage und Nächte nach dem 7. Oktober 1989, a.a.O.

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