Von Susanne Billig
Im Januar dieses Jahres verschickte das Bundesjustizministerium einen „Diskussionsentwurf über gesetzliche Regelungen zum genetischen Fingerabdruck und Folgeänderungen“, datiert vom 20.12.90. Er soll dieser neuen Methode eine strafprozessuale Grundlage geben. Noch im November letzten Jahres hatte hingegen Bundesinnenminister Schäuble unter Hinweis auf 81 StPO betont, daß die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung von Genomanalysen in Strafverfahren „an sich“ ausreichen würden. Unsere Autorin, Mitarbeiterin des „Gen-ethischen Informationsdienstes“, benennt und kritisiert die Details.
1. Vorgeschichte
Nach Paragraph 81a der geltenden StPO darf Beschuldigten zu Untersu-chungszwecken Blut entnommen werden. Darauf stützten sich bisher RichterInnen und die Polizei, wenn nach Rechtsgrundlagen für dieses umstrittene, neue Verfahren gefragt wurde, das auch in der Bundesrepublik inzwischen angewandt und von Gerichten akzeptiert wird (vgl. CILIP 33, S.52 ff.). Doch bei allen Absichten, sich den Wirbel einer besonderen gesetzlichen Regelung zu ersparen und die Bedeutung der Genomanalyse herunterzuspielen, konnte selbst die Bun-desregierung nicht umhin, einzusehen, daß es sich bei der DNA-Methode denn doch um etwas mehr als eine übliche Blutuntersuchung handelt – ein erster Erfolg der öffentlichen Diskussion.
Ist die Erbgutanalyse ein harmloser, überbewerteter Test? Schließlich wür-den, so die BefürworterInnen, nur die „nichtkodierenden“, informationslee-ren Bereiche der DNA untersucht, die keine Aussagen über Persönlichkeits-merkmale der Testperson zuließen.
Oder muß man, wie KritikerInnen dagegenhalten, davon ausgehen, daß sich eines Tages auch aus den nichtkodierenden Sequenzen Erkenntnisse auftun, die die Intimsphäre der Menschen in gefährlicher Weise berühren?
2. Der Regelungsinhalt des Entwurfs
Die geplante Änderung der StPO erweitert den bisherigen 81, der allgemein körperliche Eingriffe für Untersuchungszwecke regelt, und sieht fol-gende Ergänzungen vor:
* Die Genomanalyse ist unter RichterInnenvorbehalt zu stellen. Die StA soll die Entnahme von Körperzellen zur Durchführung einer Genomanalyse veranlassen können. Binnen drei Tagen muß die schriftliche Anordnung der StA richterlich bestätigt werden, um nicht außer Kraft zu treten ( 81a Abs.2). Nur bei „Gefahr im Verzug“ darf auch die StA die Analyse anordnen; sie muß dann ebenfalls innerhalb von drei Tagen richterlich bestätigt werden ( 81f., Abs.2).
* Blutproben oder sonstige Körperzellen, im Falle nicht beschuldigter Personen auch anfallende Unterlagen, dürfen nur für die Strafverfolgung verwendet werden; sobald sie nicht mehr erforderlich sind, müssen sie vernichtet werden ( 81a, Abs.4).
* Eine Beschränkung auf schwere Straftaten ist nicht vorgesehen: „Für die Zulässigkeit des Eingriffs wird (…) auf eine besondere Einsatzschwelle verzichtet“ (Begr. S. 7).
* Zulässig wird die Untersuchung kodierender DNA-Bereiche. Zwar heißt es, die Untersuchung dürfe sich nicht „auf die Bereiche des menschlichen Genoms er-strecken, die Aufschluß über Erbanlagen, Krankheiten, Krankheitsanlagen oder sonstige persönliche Merkmale des Beschuldigten geben könnten;“ – jedoch wird hinzugesetzt: „dies gilt nicht für äußerlich sichtbare Körpermerkmale“ ( 81e Abs.1) Dieser letzte Halbsatz erlaubt den Einbruch in die kodierenden Bereiche der menschlichen DNA. Als erläuterndes Beispiel für ein solches „äußerlich sichtbares Körpermerkmal“, zu dessen Feststellung die kodierende DNA ana-lysiert werden darf, wird im Begrün-dungstext „die menschliche Haut-farbe“ beispielhaft genannt.
* Auch die Körperzellen anderer, nicht beschuldigter Personen dürfen gentech-nisch untersucht werden – dies „ohne ihre Einwilligung zur Feststellung, ob aufgefundenes Spurenmaterial von ihnen stammt (…), wenn dies zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich ist“ ( 81e, Abs.3) Spurenmaterial, das Personen vorerst nicht zuzuordnen ist, darf ebenfalls untersucht werden ( 81e Abs.4). Allerdings darf der Umfang der Untersuchungen denjenigen, der für die Untersuchung des genetischen Materials der Beschuldigten zulässig ist, in beiden Fällen nicht überschreiten.
* Die Entnahme von Blut oder das Entfernen von Körperzellen (DNA-Analysen lassen sich auch aus Zellen der Mundschleimhaut oder der Haarwurzeln machen) soll nur durch ÄrztInnen zulässig sein ( 81e Abs.2). Mit der Analyse selbst sollen hingegen AmtsträgerInnen aus dem BKA, den LKAs oder polizeilichen Untersuchungsstellen und öffentlich bestellte Sachverständige beauftragt werden ( 81f Abs.3).
3. Die erheblichen Mängel des Entwurfs
Stellt man zunächst solche Überlegungen beiseite, die generell gegen Genomanalysen als gerichtsverwertbares Beweismittel sprechen, bleiben gleichwohl viele Einwände.
* Niemand ist vor der DNA-Analyse geschützt. Ohne ihr Einverständnis können Beschuldigte, dritte, vierte, fünfte Personen zwangsweise gentechnologisch erfaßt werden.
* Mit Einwilligung der Betroffenen darf sogar mitten hinein in den kodierenden Bereich, mitten hinein in Krankheit und Gesundheit, Norm und Abweichung ge-gangen werden. Als Beispiel werden „letzte Absicherungen“ genannt, „etwa um festzustellen, ob der Betroffene Merkmalsträger für Chorea Huntington ist.“ Grenzen sieht der Entwurf nur in den schwammigen „verfassungsrechtlichen Be-denken“ (Begr. S. 8). Doch verboten wird erst einmal nichts. Völlig ungeklärt bleibt hier der Umgang mit den Untersuchungsergebnissen. „Es wird noch zu prüfen sein, ob es insoweit einer gesetzlichen Klarstellung und für das be-sonders sensible Untersuchungsergeb-nis einer engeren Verwendungsregelung bedarf“ (ebenda).
* Überlegungen, diese Methode zumindest nur bei schweren Straftaten zuzulas-sen, fegt das Bundesjustizministerium beiseite. Es bemüht sich vielmehr, dem Verfahren einen betont lockeren Anstrich zu geben: „Gerade die Möglichkeit, einen Beschuldigten mit Hilfe dieser Methode sicher auszuschließen, kann es sachgerecht erscheinen lassen, das DNA-Fingerprinting in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens vor Ausschöpfung sonstiger Erkenntnismöglichkeiten anzuwenden, um so auf möglicherweise eingriffsintensivere Maßnahmen verzichten zu können, wie z.B. eine Befragung der Nachbarschaft, eine Durchsuchung oder längerdauernde Observation.“
* Auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten gibt es erhebliche Einwände. So heißt es: „Die für die Untersuchung entnommenen Körperzellen (…), aufgefundenes Spurenmaterial (…), und im Zusammenhang mit der Untersuchung angefallene Unterlagen (…) dürfen nur für Zwecke des Straf-verfahrens verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie für das Strafverfahren nicht mehr erforderlich sind“ ( 81f Abs.4). Allerdings beziehen sich diese Aussagen ausdrücklich und ausschließlich auf nicht beschuldigten Personen. Wer aufmerksam liest, wird hier außerdem die Wörtchen „geneti-sches Material“ vermissen, denn dieser Begriff ist gerade nicht iden-tisch mit dem der Körperzellen, die einem/einer Beschuldigten entnom-men wurden. So verlangt diese Rege-lung nicht, daß auch das Genmaterial, das wiederum aus den „für die Untersuchung entnommenen Körper-zellen“ abgezweigt wurde, zu vernichten sei.
Angefallene Untersuchungsergebnisse dürfen in Akten aufbewahrt werden, begrün-det mit den Rechten der Verteidigung und dem Argument, daß sie für ein Wiederaufnahmeverfahren benötigt werden könnten. Überhaupt nicht berührt wird die Frage der Speicherung von Untersuchungsergebnissen in EDV-gestützten polizeilichen Informationssystemen.
* Politisch und juristisch fragwürdig eingeschränkt ist auch der Richtervor-behalt. In der Begründung (S. 11) wird ausgeführt: „Die staatsanwalt-liche Eilkompetenz (…) entspricht den Bedürfnissen der Praxis, insbesondere den vom GBA (Generalbun-desanwalt, die Red.) für den Bereich der Terro-rismusbekämpfung mitge-teilten Erkenntnissen.“ Wenn etwa der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, mangels dringenden Tatverdachtes ein Haftbefehl aber (noch) nicht erlassen werden kann, so soll für die Untersuchung aufgefundenen Spurenmaterials und für das Einsam-meln von Vergleichsmaterial vom Verdächtigten keine richterliche Anordnung erforderlich sein. Der RichterInnenvorbehalt soll erst grei-fen, wenn die so gewonnenen Erkenntnisse im Laufe der Ermittlun-gen einer Person zugeordnet werden sollen.
* Vernachlässigt wurden auch die gewachsenen wissenschaftlichen Zweifel an der Beweiskraft dieser Methode. Zur Zeit jedenfalls, so die Meinung einiger namhafter US-WissenschaftlerInnen, die teilweise sogar selbst an der Erarbeitung des neuen Verfahrens beteiligt gewesen waren, befinde sich der ge-netische Fingerabdruck in einem noch völlig unausgereiften Stadium. Viele Fra-gen sind noch offen: In unterschiedlichen ethnischen Gruppen ist die Frequenz genetischer Merkmale verschieden – wie lassen sich die verfälschenden Auswir-kungen auf den DNA-Fingerabdruck vermeiden?
Auf den Röntgenfilmen, die mit ihrem „Supermarktstrichcode“ das Endergebnis der Laboranstrengungen darstellen, treten nicht selten Hintergrundschatten und zusätzliche Striche auf, die der DNA von Luftbakterien oder der der ExperimentatorInnen entstammen. Wie soll hier entschieden werden, welche Striche gelten und welche nicht?
Auch das gequetschte Auftreten von Strichen, das sogenannte bandshifting, hat sich als gravierendes methodisches Problem erwiesen. Geeignete Kon-trollexperimente würden es erlauben, einen „Quetschfaktor“ zu errechnen, mit dem sich der Fingerabdruck korrigieren ließe, doch welche Kontrollexperimente sinnvoll sind, hat die GentechnikerInnen-Zunft noch längst nicht aus-diskutiert. Eric Lander, US-Forscher, tat sich im letzten Jahr am kritischsten hervor: „Der richtig Platz für all diese Fragen sind wissenschaft-liche Zeitschriften – nicht Gerichts-säle“ (Science, 22. Dez. ’90).
Obgleich mindestens zwei Gerichte in den USA sich vergangenes Jahr weigerten, genetische Fingerabdrücke als Beweismittel anzuerkennen, weil sie mit Unsi-cherheiten behaftet oder gar schlampig ausgeführt worden waren, hat das Bundesjustizministerium sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, welche Ansprüche an die genetische Untersuchung zu stellen wären. Es hofft dagegen auf den Sachverstand der AmtsträgerInnen und öffentlich bestellten Sachverständigen, die ja als einzige die Untersuchung durchführen dürfen sollen. Auf diese Weise, und weil die DNA-Fingerabruck-Techni-kerInnen im Gesetz aufgefordert würden, Vorkehrungen gegen Mißbräuche zu treffen, sei der Standard bereits „gesetzlich festgeschrieben“ (Begr. S. 12).
4. Die Positionen der Befürworter und Gegner
Am 13. Dezember ’89 hat die Bundestagsfraktion der GRÜNEN einen Antrag zur „Beendigung von Genomanalysen durch Strafverfolgungsbehörden“ vorgelegt (BT-Drs. 11/6092). In einer Pressemitteilung nennt die Fraktion den Gesetzentwurf knallhart „ein Stück Orwell“ und fordert erneut ein sofortiges administratives und nachfolgendes gesetzliches Verbot.
„Mit dem Entwurf kann man sehr gut leben“, bescheinigt dagegen Herrmann Schmitter, wissenschaftlicher Oberrat beim BKA in der Abteilung Kriminaltechnische Institute in einem Telefon-Interview mit der Autorin. Das BKA ist seit seiner Ankündigung im Oktober letzten Jahres, den Fingerabdruck nun in seinen Laboren durchführen zu können, nicht faul gewesen. „Unsere Gutachten sind noch zu frisch, um in Gerichtsurteilen aufzutauchen, aber sie werden es bald tun“, so Schmitter. Auch zahlreiche Landeskriminalämter sind offensichtlich schon fleißig dabei, genetische Fingerabdrücke zu erstellen.
Vergewaltigungen und Sexualmordfälle sei-en das Einsatzgebiet, weil eine ver-gleichbar genaue, nicht-gentechnische Untersuchung an Sperma bisher nicht möglich sei. Der Umfang sei bereits jetzt wesentlich und steige. Die beste-hende StPO decke das Verfahren ab.
Auch wissenschaftlich-methodische Probleme existieren für die Polizei-wissen-schaftler offensichtlich nicht. Man halte sich an die Empfehlungen der DNA-Kommission der Internationalen Gesellschaft für Forensische Hämogenetik, so Schmitter. Sie hatte im letzten Jahr einen Katalog für durchzuführende Kon-troll- und Absicherungsexperimente vorgelegt. Daß das geplante Gesetz sich zu diesen Fragen nicht äußert, ist für Schmitter nur logisch:
„Verstehen Sie mich nicht falsch, aber das sind naturwissenschaftliche Pro-bleme, die müssen von Naturwissenschaftlern diskutiert werden“.
Es bleibt die Frage, welche Zukunft hier vorbereitet wird? Dieser Gesetzentwurf ist dazu da, über das Tagesgeschäft der Kriminalämter hinaus in die Zukunft zu denken. Welche Zukunft? Offensichtlich bereitet das BMJ eine gesellschaftspoli-tische Situation vor, die die Kriminal-ämter, verbal zumindest, für derzeit nicht planenswert halten – eine Situa-tion, die durch ein bisher nicht erreichtes Maß an Erkenntnisdrang und Durchleuchtungswillen geprägt ist, stimuliert durch die neuen technischen Möglichkeiten.