„Verfassungsschutz“ in Berlin-West – Die Crux mit der Akteneinsicht

von Catharina Kunze/Otto Diederichs

„Die zu unrecht und ohne jeden Wert gesammelten Unterlagen und Daten über zahllose Bürger müssen … offengelegt und gelöscht werden“, hatten die Berliner Koalitionsparteien SPD und AL im März 1989 zum Punkt „Verfassungsschutz“ in ihre Vereinbarungen geschrieben. Angesichts der über 100.000 BürgerInnen, die beim Berliner LfV registriert sind, machte die Losung „Jedem Bürger seine Akte“ schnell die Runde.

Seit einigen Monaten dürfen BürgerInnen nun unter Aufsicht von Mitarbeitern des LfV Kopien ihrer VfS-Akten einsehen. So manche Seite wurde herausgenommen, vieles aus Gründen des Quellenschutzes geschwärzt – aber immerhin, es ist ein Anfang. Unserer Bericht nennt einige Probleme und gibt ein paar Hinweise für jene, die demnächst ihre Akten einsehen wollen.

1. Probleme

Nicht gerechnet hatten die PolitikerInnen bei ihrer Koalitionsvereinbarung allerdings mit dem Verfassungsschutz selbst. Gerade so, als hätte man dort bereits seit langem mit derartigem gerechnet, macht schon die im Amt gepflegte Aktenhaltung den ersten Strich durch die schöne Rechnung. Direkte Personenakten, die man nach den Gesetzen der Logik erwarten konnte, werden nur in begrenztem Umfang geführt. Das Gros der Informationen ist in sogenannten Sachakten zusammengetragen – ein Sammelsurium von Spitzelberichten, Zeitungs-schnipseln, Broschüren und amtswahrhaftigen Auswertungen. Derartige Machwerke allen darin Verzeichneten zu übersenden, verbietet sich bereits aus Datenschutzgründen.

Der zweite Faktor, mit dem niemand rechnen konnte, ist das überwiegende Desinteresse der BerlinerInnen an eben diesen Auskünften. So haben nach ca. einem Dreivierteljahr Auskunftspraxis bisher nur ca. 600 BürgerInnen um Aktenauskunft und -einsicht nachgefragt. Selbst die Alternative Liste und die TAZ bringen die geringe Energie kaum auf, die Modalitäten für die Einsicht in die eigenen Akten auszuhandeln. Berlins Autonome wittern ohnehin nur Lug und Trug hinter der ganzen Sache und verweigern sich dementsprechend. Auf diese Weise ist in Berlin eine absurde Situation entstanden: das LfV, von seiner neuen Führung gemäß den politischen Vorgaben auf Bürgerfreundlichkeit getrimmt, bemüht sich, auf dem Wege der Auskunft auch gleich öffentlichkeitswirksam Ballast abzuwerfen, indem man nach der Auskunft stets auch auf die Einwilligung zur Vernichtung drängt. In Gesprächen unter „vier Augen“ träumen Mitarbeiter des LfV gar von großangelegten Aktenverbrennungen mit Blitzlichtgewitter in der Müllverbrennungsanlage oder ähnlich spektakulären Aktionen zur eigenen „Reinwa-schung“.

Nur, kaum jemand will bisher die angebotenen Auskünfte erteilt bekommen und jene, die sich für ihre Akteneinträge interessieren, widersprechen zumeist einer Vernichtung und bemühen sich um die Überstellung des Aktenmaterials an das Berliner Landesarchiv, um den großen teils geballten Unfug einer späteren Geschichtsschreibung zu erhalten. Das Landesarchiv selbst hat sich an dieser Debatte bislang noch nicht beteiligt.

2. Einige Hinweise für Auskunftsuchende

* Die PZD-Kartei
Ungeachtet des Nadis-Systems erfolgt auch heute noch die Erschließung der Akten über eine Personenzentral-Datei (PZD) in Karteikartenform. Diese Karteikarte, bundeseinheitlich von der Bundesdruckerei gefertigt, ist der Schlüssel zu den Personen- und Sachakten. Wir haben sie auf der gegenüberliegenden Seite 62 im Faksimile nachgedruckt und raten allen Besuchern beim VfS, sich hiervon eine Kopie zu ziehen und beim Besuch die Daten aus der eigenen PZD-Karte in dieses Blatt zu übertragen, da das Amt bisher nicht bereit ist, Kopien herauszurücken. Soweit für uns die Rubriken dieser Karte zu entschlüsseln waren, haben wir sie erläutert.

* Die Aktenzeichen
Was wäre eine Behörde ohne Aktenzeichen? Hier einige Erläuterungen zu denen des Berliner LfVs:
Beispiel: 086-S-60188-394/77
Hiervon bedeuten die ersten drei Ziffern bundeseinheitlich das Aktensach-gebiet:
086 = organisierter Linksextremismus.
Andere mögliche Kategorien u.a.:
084 = unorganisierter Linksextremismus
017 = Prozeßakte

Der folgende Buchstabe bedeutet:
S = Sachakte
P = Personenakte
Die nächsten 5 oder 6 Ziffern sind in Berlin die Aktenordnungszahl. Bei älteren Akten bedeuten mutmaßlich die ersten zwei, bei aktuellen Akten die ersten 3 Ziffern das Jahr (verschlüsselt), in dem die Akte angelegt wurde. Die weiteren Ziffern sollen die fortlaufende Aktennummerierung sein, mit der offenbar bestimmte inhaltliche Sortierungen erfolgen.
In unserem Beispiel: 60 188: Einstellungsprüfung für den öffentl. Dienst.

Andere Möglichkeiten u.a.:
70 002: Neue Linke (allgemein)
70 011: Neue Linke – Aktionen (Demo-Anmeldungen, Info-Stände etc.)
120 017: Initiative gegen das einheitl. Polizeigesetz
130 002: undogamtische Strömungen innerhalb der Neuen Linken.
Die Ziffer vor dem Schrägstrich:
Sie nennt die Aktenstückzahl, im obigen Beispiel also der 394. Ein-/Ausgang.
Die Schlußziffer bedeutet das Jahr, im obigen Bespiel also der 394. Ein- oder Ausgang im Jahre 1977.

Das ganze Beispiel interpretiert:
Das mit diesem Aktenzeichen gekennzeichnete Schriftstück stammt aus der Sachakte „organisierter Linksextremiusmus“ / Einstellungsüberprüfungen für den öffentlichen Dienst und ist das 394. Schriftstück, das 1977 in diese Akte genommen wurde.
Ein ausführlicher Beitrag über Art und Umfang der Aktenauskünfte durch das Berliner LfV folgt in der nächsten Ausgabe.

Zur PZD-Karte (S.62):
folgende Rubrik

BS: Besonderheiten
ST: Staatenlos, nicht mehr verwendet
Posthorn: Schließfach, nicht mehr
verwendet
M: männlich
W: weiblich
D: Dr.
A: Akademiker
P: ?
S: ?
F: Foto
K: Merkmalskartei (für bes. Merk-
male)
O: im öffentl. Dienst beschäftigt
Z: Zeitverkartung (d.h. Zeitpunkt er-
neuter Bearbeitung, überholt)

Muster der bundeseinheitlichen Personen-Zentral-Datei-Karte (PZD)

d.h. Anfangsdatum

Hinweis auf ggf. vorhandene
weitere Akten und/oder Karteien
(z.B. PAK: Personenarbeits-Kartei)

Aktenzeichen der zum Anfangs-
Datum gehörenden 1.Akte

Besonderheiten (siehe S.64)

betr.: Inhalt der Anfrage

hier erscheint Kürzel des betr.
Landesamtes für Verfassungsschutz

betr.: Anfrage anderer Behörden
Standard-Angaben

Personen-Zentral-Datei

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