Das polizeiliche Meldewesen in der DDR – Struktur, Datenbestände, Informationsbeziehungen

von Kirsten Paritong-Waldheim u.a.

Das Meldewesen der DDR war zentralistisch organisiert. Umfangreiche Dateien wurden auf örtlicher wie auf zentraler Ebene geführt. Zahlreiche staatliche und sonstige Stellen wurden ständig mit aktuellen Daten versorgt. Die zentrale Datenbank in Berlin besteht nach wie vor.

1. Aufgabe und Aufbau

Melde-, Paß- und Ausweiswesen waren in der DDR eine rein polizeiliche Angelegenheit. Gesetzliche Bestimmungen wie das „Gesetz über die Aufgaben der Volkspolizei“ und die „Meldeordnung der DDR“ legten zwar Eingriffsbefugnisse der Polizei und Meldepflichten der BürgerInnen fest, Zweckbestimmung und innere Organisation des Meldewesens sind dagegen ausschließlich internen Papieren des Ministeriums des Innern (MdI) zu entnehmen. In einem Handbuch für VolkspolizistInnen werden als Ziele des Meldewesens u.a. genannt: Gewährleistung einer „hohen öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ durch lückenlose Erfassung der Fluktuationen, Förderung eines Prozesses „der Heranbildung sozialistischer Verhaltensweisen“, Unterstützung der „planmäßigen Tätigkeit aller staatlichen Bereiche“ durch Deckung des entsprechenden Informationsbedarfs sowie „Rationali-sierung der Verwaltungsarbeit“ durch Vergabe von Personenkennzahlen. Umfangreiche Dienstvorschriften des MdI sollten ein DDR-einheitliches Verfahren sicherstellen.

Aufbau auf zentraler Ebene

Auf allen Ebenen der Polizeihierarchie (Innenministerium, Bezirksdirektionen, Volkspolizei-Kreisämter) waren Abteilungen „Paß- und Meldewesen“ (PM) eingerichtet. Daneben gab es zwei spezielle – dem MdI nachgeordnete – zentrale Einrichtungen:
– Büro für Personendaten (BPD): Hier wurde (und wird) die „Personendatenbank der DDR“ (PDB) geführt, die umfangreiche Datenbestände über alle DDR-BürgerInnen enthält und für zahlreiche Datenübermittlungen an staatliche und andere Stellen verantwortlich ist. Die PDB nahm 1984 den Betrieb auf. Büro und Datenbank wurden nach der Wende in „Zentrales Einwohnerregister“ (ZER) umbenannt und existieren nach wie vor.

– Zentrales Büro für Reiseangelegenheiten (ZBRA): Das ZBRA war für die Ausstellung von Pässen für genehmigte Westreisen zuständig und führte ein DDR-weites Paßregister. Daneben wurden dort Einreiseanträge aus dem „Nicht-sozialistischen Ausland“ bearbeitet; dies erfolgte in ständiger und direkter Abstimmung mit der im gleichen Gebäude untergebrachten zuständigen Stelle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Der Bereich „Einreise“ wurde bereits unter der Modrow-Regierung eingestellt; die Abteilung Paßausstellung ist zum Teil in das West-Berliner Landeseinwohneramt übernommen worden – dort werden jetzt Bundespässe für Ost-BerlinerInnen ausgestellt.

Aufbau auf Kreisebene

Beide „Büros“ waren in der DDR-Öffentlichkeit völlig unbekannt, Kontakt hatten die BürgerInnen ausschließlich mit den Meldestellen der Volkspolizei-Kreisämter (VPKÄ) vor Ort, die die einfachen Meldevorgänge (An- und Ab-meldung) bearbeiteten sowie Anträge (z.B. auf Paßausstellung) entgegennahmen und weiterreichten. Daneben gab es bei den VPKÄ die Sachgebiete Kreismeldekartei (s.u.), Reiseverkehr (Entscheidung über Ausreiseanträge in Abstimmung mit MfS-Kreisdienststelle) und Dokumentenausstellung (Perso-nalausweise).
Berlin wich von dieser – ansonsten landesweit einheitlichen – Struktur ab: Die Aufgaben der Abteilung Paß- und Meldewesen des VPKA wurden hier von den entsprechenden Abteilungen der VP-Inspektionen der Stadtbezirke wahrgenommen. Eine Kreis-(Stadtbezirks-)Meldekartei gab es jedoch nicht, stattdessen wurde beim Präsidium der Volkspolizei (PdVP) am Berliner Alexanderplatz eine zentrale Meldekartei aller Ost-BerlinerInnen geführt.

2. Datenbestände und internes Meldeverfahren

Karteien
Auf allen Ebenen des polizeilichen Meldewesens gab es umfangreiche Datenbestände. Neben den Kreismeldekarteien (namensalphabetisch alle Einwoh-nerInnen des Kreises) führten die VP-Meldestellen eigene (nach Straßen und Hausnummern sortierte) Meldestellen-Karteien. Der Umfang der verzeichneten Daten war bei beiden Karteien identisch, neben den „normalen“ Melde- und Ausweisdaten waren u.a. polizeiliche Vermerke („kriminell“, „Fahndung“), Inhaftierungszeiten, Aufenthaltsbeschränkungen, Erlaubnisse (z.B. Waffenschein), Zugehörigkeit zu „bewaffneten Organen“, durchgeführte Auslandsreisen und Besuche aus dem westlichen Ausland eingetragen.

Personendatenbank

Der wichtigste Datenbestand des Meldewesens war jedoch die Personendatenbank (PDB) in Berlin-Biesdorf. Sie enthielt für alle DDR-BürgerInnen zahlreiche weitere Angaben: Arbeitsstelle und Tätigkeit, Hinweise auf abgelehnte Reise- und Übersiedlungsanträge, gerichtlich verhängte „Sanktionen“ und vieles mehr. Daneben wurden im Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Stellen (sogenannte „Integrationspartner“) weitere Daten gespeichert. Beispiele sind Informationen wie „Angehöriger der Zollverwaltung“, „Mitglied der FDGB-Sozialversicherung“, „Eintrag im Strafregister“ und „versi-chert bei der staatl. Versicherung“. Bei Änderung der Anschrift oder anderer Daten dieser Personen bekam der „Integrationspartner“ eine Nachricht.

Im Zusammenhang mit dem Datenbestand der PDB ist auch die „Familienverknüpfung“ bedeutsam: Datensätze von Eltern, Kindern und Geschwistern sind in allen Richtungen vollständig und lebenslänglich miteinander verbunden. Anfragen der Art „Wo wohnt der Enkel der Leipzigerin XY, dessen Schwester früher in Halle gelebt hat?“ können damit beantwortet werden, da die PDB auch alle früheren Anschriften seit 1981 enthält.

Aktualisierung der PDB

Die Personendatenbank wurde durch täglich eingehende maschinenlesbare Belege der VPKÄ über die in deren Bereich angefallenen Veränderungen aktualisiert. Das Büro für Personendaten verschickte seinerseits mehrmals pro Woche Änderungslisten an die Kreisämter, mit denen die dortigen Karteien ergänzt wurden. Außerdem bestand zwischen PDB und den „Integrationspartnern“ ein regelmäßiger Datenträgeraustausch, der die Aktualisierung der Dateien beider Seiten sicherstellte.

Personenkennzahl

Für das Funktionieren der Familienverknüpfung wie auch für den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Stellen war die Personenkennzahl (PKZ) von hoher Bedeutung. Die einheitliche und eindeutige PKZ wurde aufgrund eines Ministerratsbeschlusses seit 1970 an alle BürgerInnen vergeben – eine wichtige Anregung für diese Entscheidung war das damals in der BRD geplante Personenkennzeichen, das dann aber 1976 aus verfassungsrechtlichen Gründen verworfen wurde. So entspricht der Aufbau der Personenkennzahl in etwa dem westdeutschen Vorbild, z.B. haben bei der PKZ „170476 5 0522 5“ die einzelnen Teile folgende Bedeutung: Geburtsdatum (17.04.76), Geburtsjahrhundert und Geschlecht (5), Unterscheidungszahl für Geburtsort und laufende Nummer der Geburt (0522), Prüfziffer (5). Das o.g. PKZ ist also einer Frau zugeordnet, die am 17. April 1976 als zweite Frau dieses Tages in Nauen geboren wurde. Die Bedeutung der Unterscheidungszahlen war jedoch nicht allgemein bekannt, da das notwendige Schlüsselverzeichnis als „Vertrauliche Dienstsache“ eingestuft war. Die PKZ wurde nicht nur im Meldewesen, sondern in nahezu allen Bereichen der Datenverarbeitung verwendet und ermöglichte damit die Erschließung und Verknüpfung verschiedener Dateien. Die vielfältige Verwendung führte dazu, daß die meisten DDR-BürgerInnen ihre PKZ auswendig wußten und von selbst angaben, was die Effektivität erheblich erhöhte. Auch heute wird die PKZ noch in vielen Bereichen verwendet, gerade im Meldewesen. Zwar läßt der Einigungsvertrag dies für eine Übergangszeit zu, dürfte in diesem Punkt jedoch – gemessen am Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts – klar verfassungswidrig sein.

Datenlöschungen

Unter Innenminister Diestel wurden die Datenbestände der PDB erheblich reduziert und im wesentlichen den Anforderungen der westdeutschen Meldegesetze angeglichen (einschließlich der Aufnahme neuer Datenfelder, wie z.B. Lohnsteuermerkmale). Teile des Datenbestandes wurden inzwischen auch an andere Behörden abgegeben (Kraftfahrtbundesamt, Bundeszentralregister). Eine Sicherungskopie von Oktober 1989, in der alle damals gespeicherten Daten enthalten sind, existiert im „Zentralen Einwohnerregister“ allerdings nach wie vor. Darüberhinaus dürften die Datenlöschungen in der PDB ohnehin kaum in allen örtlichen Karteien nachvollzogen worden sein.

3. Informationsbeziehungen

Das DDR-Meldewesen diente als Datenquelle für zahlreiche andere Stellen. Schon auf Kreisebene gab es regelmäßige Mitteilungen an die Kriminalpolizei (u.a. Umzüge von Personen, die als „kriminell“ eingestuft waren), die Kreisdienststelle der Staatssicherheit (alle Wohnungs- und Personenstandsveränderungen), die Wehrkreiskommandos, die statistischen Ämter, die örtlichen Räte, die Kreisgerichte, etc. Von der Personendatenbank wurden zusätzlich eine erhebliche Anzahl von Übermittlungen (zumeist durch Magnetbandversand) durchgeführt, so z.B. an die Sozialversicherung, das DDR-Reisebüro, das Ministerium für Nationale Verteidigung (Wehrpflichtige), das ZK der SED (Parteimitglieder), das Strafregister und an die „Zentralstelle für kriminalistische Registrierung“ (im Projekt „Täterindex“ gespeicherte Personen). Alle Übermittlungen waren durch Weisungen des MdI genau festgelegt, Datenschutzregelungen nach westlichem Verständnis gab es nicht. Daneben wurden zahlreiche Einzelauskünfte erteilt; online-Anschlüsse an die PDB hatten das MfS und das Berliner VP-Präsidium. Die meisten der genannten Übermittlungen wurden inzwischen eingestellt; neue Übermittlungen kamen hinzu, die nach westlichem Melderecht vorgeschrieben sind.

4. Zukunft des Meldewesens

Das ZER arbeitet als gemeinsames Amt der ostdeutschen Länder im Zusammenspiel mit den örtlichen Meldebehörden weiter. Zwar schreibt der Einigungsvertrag eine Auflösung bis Ende 1992 vor, doch dürfte diese Zeitspanne für den Aufbau eines Meldewesens nach westdeutschem Muster kaum ausreichen. Selbst die Übertragung der Ost-Berliner Daten in das West-Berliner Datenverarbeitungsverfahren „Einwohnerwesen“, die bis Mitte 1991 erfolgt sein soll, wirft erhebliche rechtliche und technische Probleme auf, die hier nicht im einzelnen behandelt werden können. Für die fünf neuen Länder sind die Probleme ungleich größer: Meldegesetze und Durchführungsverordnungen müssen verabschiedet, örtliche Meldebehörden aufgebaut und mit DV-Technik ausgestattet werden – hinzu kommen die in den örtlichen Karteien schlummernden Altlasten. Die jetzt schon erkennbare Tendenz zur Erhaltung des ZER wird daher nach unserer Auffassung eher größer werden, nicht zuletzt aufgrund der umfangreichen Datenbedürfnisse mehrerer öffentlicher Stellen (Bundesanstalt für Arbeit, Rentenversicherungsträger, Kreiswehrersatzämter), die wohl in nächster Zeit nur das ZER erfüllen kann.

Doch schon jetzt vollzieht sich die Tätigkeit des ZER in einer rechtlichen Grauzone. Daran ändern auch die Bestimmungen des Einigungsvertrages nichts: die Weiterverwendung der PKZ, die Familienverknüpfungen in der Datenbank und die fehlende Trennung der Länderdaten im ZER sind verfassungsrechtlich kaum haltbar – technische und organisatorische Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang schon jetzt dringend erforderlich, ein Weiterbestehen der zentralen Datenbank über 1992 hinaus ist unter keinen Umständen vertretbar.

Der vorstehende Artikel ist eine Zusammenfassung einer ausführlichen Arbeit der VerfasserInnen. Kontakte können über die Redaktion vermittelt werden.

Kirsten Paritong-Waldheim, Sven Mörs und Martin Schallbruch sind Informatikstudenten an der TU Berlin; ihr Arbeitsschwerpunkt sind Datenschutz und Verwaltungsinformatik.