Einflußnahme der Organisierten Kriminalität auf Politik, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft – unzureichendes Problembewußtsein

von Werner Vahlenkamp

Organisierte Kriminalität stellt sich nicht als sichtbare Lawine dar, die unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem eines Tages überrollen wird, sondern als sich ständig vermehrende Termitenschar, die im Gemäuer zum zerstörenden Fraß angesetzt hat, wobei die Folgen erst dann für jedermann sichtbar werden, wenn das Gebäude einzustürzen droht.

Obwohl in bundesdeutschen Polizeikreisen heute Einigkeit darüber besteht, daß sich die Organisierte Kriminalität (OK) auch bei uns bereits fest eingenistet hat, wird bisweilen eine typische OK-Erscheinungsform in ihrer Bedeutung offenbar immer noch unterschätzt:1 Die Einflußnahme des Organisierten Verbrechens auf Steuerungsmechanismen unseres Staates, wie etwa Politik, öffentliche Verwaltung oder Wirtschaft. Ungeachtet der Frage, ob nun Opportunismus, Zweifel oder Irrglaube ursächlich hierfür sind – die Realität schreibt ein anderes Protokoll.

Ein Blick über die Grenzen zeigt unmißverständlich auf, daß das organisierte Verbrechen in der Lage ist, in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht nur seinen Einfluß geltend zu machen, sondern weit darüber hinaus auch das Steuer vollständig zu übernehmen. In unserem Land hört man hin und wieder Stimmen beschwichtigend feststellen, daß die solide gewachsenen Strukturen in Staat und Gesellschaft der Brandung des organisierten Verbrechens gewachsen sein dürften. Sich mit dieser Feststellung zufrieden geben zu wollen, wäre nicht nur blind und töricht gehandelt, sondern sogar äußerst gefährlich. Der schützende Deich hat schon erhebliche Einbrüche erlitten.2 Korruptionsaffären und Wirtschaftsskandale geraten immer häufiger in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Einflußnahme auf Politik und öffentliche Verwaltung

„Erkennbare Organisierte Kriminalität ist schlecht organisierte Kriminalität!“ Dieser Leitsatz der Straftäter verdeutlicht, daß in den Schaltstellen des organisierten Verbrechens im Regelfall in aller Stille agiert wird. Dabei wird nichts mehr dem Zufall überlassen. Perfekte Planung, konspirative Praktiken und das Schweigen der Täter auf der einen Seite, „opferlose Kriminalität“ mit einer vermutlich sehr hohen Dunkelziffer auf der anderen3 führen dazu, daß der Bürger im Vergleich zu anderen Tagesthemen wenig Notiz von den Ma-chenschaften der OK nimmt.4 Die Polizei läuft angesichts dieses Des-interes-ses mit ihren Warnungen und Forderungen allzu häufig ins Leere. Hierin ist eine der Ursachen zu finden, daß die Strafverfolgungsbehörden den Begriff „Fortschritt“ mitunter differenziert interpretieren: für die Orga-nisierte Kriminalität ist er ein Geschoß, für die Polizei eine Schnecke.

Bei vermuteten bzw. aufgedeckten Verbindungen und Kooperationen zwischen der Organisierten Kriminalität und Vertretern der Politik oder der öffentlichen Verwaltung schlägt Desinteresse abrupt in Wißbegierde um. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und der Medien ist dann groß,5 wenn kriminelle Kräfte an der Integrität staatlicher Stellen nagen und Personen des öffentlichen Lebens oder des öffentlichen Dienstes als Kollaborateure der Unterwelt entlarvt werden.

Die Menetekel einer zunehmenden Verfilzung sind für die Polizei unübersehbar.6 Sie betrachtet das Wuchern der Verflechtungen, die sich nicht etwa auf Nepotismusstrukturen beschränken, mit größter Sorge, zumal hier der Weg geebnet wird, der uns früher oder später einmal mafiaähnliche Strukturen mit dann nicht mehr aufzubrechenden Abhängigkeiten zwischen Staat, Gesellschaft und Kriminalität bescheren könnte.7 Korruption und Infiltration erzeugen den Stoff, der dem Organisierten Verbrechen Elastizität, Weitblick und Reaktionsschnelligkeit beschert. Daneben entsteht eine Informationsquelle, die für die Geschäfte der OK unverzichtbar geworden ist. Diese Kombination von Vorteilen könnte schon bald dazu führen, daß die OK sich gegenüber Einwirkungen von außen als weitgehend resistent erweist.

Brisante Fälle aus der kriminalpolizeilichen Praxis8 lassen den Schluß zu, daß sämtliche Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern, die dem Ein-flußnehmenden einen Vorteil verschaffen sollen9 , grundsätzlich dazu geeignet sind, kurzfristig auch von der OK erschlossen zu werden. Dies gilt um so mehr, als mit Kontaktkanälen zu Politik und Verwaltung in der OK-Szene bisweilen auch gehandelt wird, wie mit einer Ware.

Die Motive der Einflußnehmenden sind für OK-Experten der Polizei offenkundig. Zum einen wird eine günstigere persönliche und geschäftliche Position im Windschatten beeinflußter politischer Entscheidungen angestrebt, zum anderen wird bezweckt, das Handeln der den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern nachgeordneten Behörden indirekt zu steuern. Gleichwohl dienen derartige Kontakte dem Machtstreben und der Selbstdarstellung des Einflußnehmenden, wobei auch der geschäftliche Vorteil sichtbar wird, denn mit einer politischen Persönlichkeit als Ettikett lassen sich auf die Person bzw. den jeweiligen „OK-Geschäftsbereich“ zugeschnittene Tarnexistenzen relativ unkompliziert aufbauen und unterhalten. Letztlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß sich der OK-Straftäter mit einer langfristig angelegten Strategie der permanenten Einflußnahme auf Persönlichkeiten der Politik auch den Weg ins bürgerliche Leben ebnet. Zwei Elemente sind ihm behilflich, früher oder später von der Gesellschaft anerkannt zu werden: indiviuelle Verbindungen und Kapital. Die Praxis beweist, daß die Täter bereit sind, in dieser Hinsicht viel Geld zu investieren.

Bei der direkten Einflußnahme auf die öffentliche Verwaltung sind die Motive der Täter ähnlich, in der Art der Verbindungen muß allerdings differenziert werden. Während sich bei der politischen Einflußnahme die Kontakte im Wesentlichen auf die Ebene der Entscheidungsträger beschränken, sind sie bei Verbindungen zur öffentlichen Verwaltung innerhalb der Täterkreise wie auch der Behördenapparate grundsätzlich auf allen Hierarchieebenen zu finden, d.h. involviert sein können sowohl OK-Führungspersonen wie Helfer, Behördenleiter wie Sachbearbeiter.

Eine aufmerksame, in ihren Entscheidungen konsequente öffentliche Verwaltung muß sich insbesondere im Überschneidungsbereich von Legalität und Illegalität, wo beispielsweise die facettenreiche „Vergnügungsindustrie“ angesiedelt ist, für die Täter zwangsläufig als Sand im Getriebe erweisen. Dies zu verhindern ist vordringliches Anliegen der organisierten Straftäter. Im Visier der OK stehen deshalb vor allem solche Verwaltungssektoren, die mit der Erteilung oder dem Entzug von Konzessionen oder Genehmigungen befaßt sind.10 Aber auch Stellen, zu deren Aufgabe die Vergabe öffentlicher Aufträge oder die Gewährung staatlicher Leistungen gehören, sind von besonderem Interesse.

Insgesamt gesehen ist davon auszugehen, daß Einflußnahmen des organisierten Verbrechens auf Politik und Verwaltung einen, wenn auch offensichtlich noch nicht quantitativ, so doch qualitativ erheblichen Bedrohungsfaktor für unser Gesellschaftssystem darstellen. Die bisher aufgedeckten, langjährig gewachsenen Verfilzungsstrukturen lassen befürchten, daß das innerbehördliche Supervising nicht mit der erforderlichen Sensibilität und Sehschärfe durchgeführt wird.11

Bei der prognostischen Einschätzung der Entwicklung gehen namhafte Experten aus den Bereichen Polizei, Justiz, Wissenschaft, Medien und Wirtschaft bis zum Jahr 2000 von einer stark zunehmenden Einflußnahme der Organisierten Kriminalität auf Politik und öffentliche Verwaltung aus, wobei einzelne Mahner für das Jahr 2000 bereits Unterwanderungserscheinungen in Staat und Gesellschaft befürchten.12 Dieser Prozeß könnte nach und nach zu einer schleichenden Zersetzung der Verwaltungsmoral führen, wobei aufgrund der erhöhten Anfälligkeit dann auch das Herausbilden mafioser Beziehungsgeflechte nach italienischem Muster möglich wäre, wenn keine Mittel der Gegensteuerung gefunden werden.

Einflußnahme auf die Wirtschaft

Eine im Wesen andere Art der Einflußnahme durch das organisierte Verbrechen vollzieht sich im Bereich der Wirtschaft.
Hier ist es weniger die Korrumpierung, die als probates Mittel der Beeinflus-sung gilt; hier steht der Begriff „Infiltration“ im Vordergrund. Die OK ist kontinuierlich bestrebt, in bedeutende Bereiche der Wirtschaft einzusickern, um dort Schlüsselpositionen zu besetzen. Dieses Hineindrängen in die legalen Wirtschaftsabläufe reicht von Fall zu Fall bis zur Übernahme ganzer Unter-nehmen, z.B. solcher, die als marode oder konkursgefährdet gelten, um sie als Tatmittel oder zur Tarnung einzusetzen bzw. um dort illegal erwirtschaftete Gewinne entweder zu legalisieren oder auch nur vorübergehend zu parken.

Durch das Investieren immenser Verbrechensprofite über Geldwäschestationen in die legale Wirtschaft entsteht eine mit legitimen Finanzierungsmitteln kaum erreichbare Thermik in der Profitspirale, die aufstrebende OK-Drahtzieher sich gezielt für die Gewinnmehrung zunutze machen. Dadurch baut sich eine Kapitalmacht auf, die es dem organisierten Verbrechen ermöglicht, ausgewählte Bereiche der Wirtschaft durch Ausschaltung der Konkurrenz zu steuern und letztlich auch zu übernehmen. So lassen sich durch „Geschäfte ohne ethische und rechtliche Grenzen“ nach und nach Monopole aufbauen, die mit den Instrumenten der Wirtschaft kaum mehr aufzubrechen sind.

In der unter solchen Bedingungen ständig größer werdenden Grauzone weiß die Täterseite auch die Rechte unserer Gesellschaft und die Freiheiten des Marktes geschickt für sich zu nutzen.13 Insofern ist es gerade dieser Über-schneidungsbereich zwischen Legalität und Illegalität, der der Polizei beson-dere Sorge bereitet, denn hinter den vermeintlich legalen Fassaden bleiben die „Geschäftsbücher“ der Organisierten Kriminalität für die Strafverfol-gungsbehörden weitgehend verschlossen. Einzelne Warner befürchten sogar, daß bestimmte Sparten des organisierten Verbrechens bereits enger mit der legalen Geschäftswelt kooperieren, als mit der konventionellen Kriminalität.14 Für die Strafverfolgungsbehörden bzw. für den Staat insgesamt gilt es künftig, einer möglicherweise sich herausbildenden Abhängigkeit bestimmter Bereiche der Wirtschaft von der Organisierten Kriminalität entgegenzuwirken, um zu verhindern, daß in den legalen Finanzkreislauf eingeschleuste Verbrechensprofite eines Tages zur Schubkraft unserer Wirtschaft werden.

Eine weitere Gefahr liegt darin, daß die Täter bei unvermindert hoher krimi-neller Energie nach außen hin immer mehr zu honorigen Geschäftsleuten avancieren und dabei Mittel und Wege finden, auch als solche anerkannt zu werden. Persönlichkeiten mit zwielichtigen Lebensläufen könnten so zum Vorbild für den Führungsnachwuchs der Wirtschaft werden. Unter diesen ungünstigen Bedingungen wird es immer wahrscheinlicher, daß sich schon bald eine Lobby des organisierten Verbrechens in der Wirtschaft etabliert, die mit einer enormen Geldmenge ausgestattet sein wird. Es ist zu befürchten, daß beim Einsatz eines derart kräftigen Triebwerkes die Ausschaltung der Konkurrenz künftig von zunehmender Skrupellosigkeit begleitet sein wird, wobei Korrumpierung zum Alltagswerkzeug nicht nur der Schattenwirtschaft und rigoroses Profitstreben zu den üblichen Management-Leitsätzen gehören könnten. Es dürfte dann nur eine Frage der Zeit sein, bis die negativen Folgen, wie beispielsweise mangelndes Unrechtsbewußtsein in den Unternehmensführungen, steigende Kriminalitätszahlen infolge sinkender Hemmschwellen, Arbeitslosigkeit als Folge steigender Konkurszahlen sowie letztlich auch höhere Steuern, für den Bürger zunehmend spürbar werden.

Was tun?

Organisierte Kriminalität ist regelmäßig mit Profitgier in Verbindung zu bringen. Was liegt also näher, als daß auch das internationale organisierte Verbrechen seine Äcker dort bestellt, wo die wirtschaftlichen Bedingungen besonders günstig erscheinen.15 Vor allem im Hinblick auf die Einrichtung des europäischen Binnenmarktes, der mit einem freien Austausch von Personen, Gütern, Kapital und Dienstleistungen einhergehen wird, sollten sich Staat und Gesellschaft nicht nur in unserem Land auf eine solche Entwicklung vorbereiten und ihr mit allen gebotenen Mitteln entgegenwirken. Dabei ist Eile geboten. Vor dem historischen Hintergrund der Korruptionsdelikte16 wird allerdings wohl stets ein Quäntchen Ungewißheit zurückbleiben, ob ein Allheilmittel überhaupt jemals zu finden sein wird.

In die offenbar kontinuierlich weiterwuchernden Verfilzungen ließen sich dennoch für die Täter spürbare Schneisen schlagen, wenn Konzepte zur Vor-beugung von Korruption und Infiltration nicht nur auf den Kern des potentiell gefährdeten Kreises der Betroffenen zielen, sondern auch auf dessen Schale. Präventionsstrategien sollten folglich zum einen auf innerbehördliche und -betriebliche Personal- und Organisationsstrukturen ausgerichtet sein, zum anderen müßten sie aber auch in Form von öffentlichen Kampagnen gegen die Organisierte Kriminalität insgesamt geführt werden. Das erste Etappenziel wäre erreicht, wenn klare Signale darauf hindeuten, daß es gelungen ist, dem gefährdeten Personenkreis speziell sowie der Bevölkerung generell, die Folgen einer Aufbereitung von Staat und Gesellschaft für die Gewinnstrategien des organisierten Verbrechens aufzuzeigen.

Von einem durchgreifenden Erfolg kann aber erst dann gesprochen werden, wenn sich die Steuerungsmechanismen von Politik, öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft gegenüber jedweden Kriminalitätseinflüssen als weitgehend immun erweisen.18 Dies kann und darf nicht nur ein Anliegen der Polizei sein. Insbesondere in den Kristallisationspunkten „Korruption“ und „Infil-tration“ ist der Kampf gegen das organisierte Verbrechen nur dann erfolg-reich zu führen, wenn er als gesamtgesellschaftliche Aufgabe19 betrachtet wird.

Werner Vahlenkamp ist Kriminal-hauptkommissar in der kriminalistisch-kriminologischen Forschungsstelle im BKA, Forschungsschwerpunkt: Orga-nisierte Kriminalität

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1 ZDF-Sendung „Studio 1“ zur Organisierten Kriminalität, 12.06.91
2 Ferchland, Bernhard, „Wer gut schmiert, der gut fährt“, Kriminalistik, 10/1988, S. 549 ff.
3 Rebscher, Erich und Vahlenkamp, Werner, „Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland“, Sonderband der BKA-Forschungsreihe, Wiesbaden 1988
4 Vahlenkamp, Werner, „Organisierte Kriminalität – das schleichende Gift“, Der Kriminalist, 11/1988, S. 440 ff.
5 vgl. u.a. Der Spiegel, „Gesicht verloren“, zur niedersächsischen Spielbankaffäre, 51/1989, S. 84 ff.
6 Ciupka, Joachim und Schmidt, Uwe, „Beispiele gefällig?“, Kriminalistik, 4/1989, S. 199 ff.
7 Dörmann, Uwe/Koch, Karl-Friedrich/Risch, Hedwig und Vahlenkamp, Werner, „Organisierte Kriminalität – wie groß ist die Gefahr?“, Sonderband der BKA-Forschungsreihe, Wiesbaden 1989
8 Sielaff, Wolfgang, „Mögliche Schwachstellen der Polizei für korrumpierende Ansätze“, unveröffentlichtes Referat, gehalten anl. der 15. Vortragsfolge der „Krim. Studiengemeinschaft e.V.“, Wildeshausen 1986
9 Pippig, Gerhard, „Verwaltungsskandale – Zur Korruption in der öffentlichen Verwaltung“, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, 2/1990, S. 11 ff.
10 a.a.O., Dörmann u.a., S. 84
11 Schaupensteiner, Wolfgang, „Korruptions-Kartelle“, Kriminalistik, 10/1990, S. 507 ff.
12 a.a.O., Dörmann u.a., S. 84
13 Stuellenberg, Heinz, „Vorbei an der Steuer“, Criminal Digest, 4/1988, S. 11 ff.
14 a.a.O., Dörmann u.a., S. 87
15 vgl. u.a. Müller, Gisbert, „Bedrohung der gewerblichen Wirtschaft durch die Organisierte Kriminalität“, Kriminalpolizei, 2/1989, S. 75 ff.
16 Middendorf, Wolf, „Unterschleif und Korruption im Rahmen des üblichen …“, Kriminalistik, 3/1985, S. 160 ff. und 5/1985, S. 276 ff.
18 Toeberg, Heinrich, „Verhaltensanforderungen an Polizeibeamte bei der Aufgabenerfüllung und Konsequenzen für Ausbildung, Fortbildung und Führung aus der Sicht des BDK“, PFA-Schlußbericht, Münster 1989, S. 129 ff.
19 a.a.O., Dörmann u.a., S. 122