Zeugenschutz

von Otto Diederichs

Seit einigen Jahren beobachten Polizei und Staatsanwaltschaft nach eigener Darstellung bei potentiellen ZeugInnen einen zunehmenden Trend, sich der Zeugenpflicht in Ermittlungs- und Strafverfahren zu entziehen. Die polizeiliche Praxis hat darauf mit der Erarbeitung eines speziellen Zeugenschutzprogrammes reagiert.

Um hierfür die Grundlagen zu schaffen, verabschiedete die AG Kripo der In-nenministerkonferenz im April 1988 entsprechende Richtlinien. Bereits ein halbes Jahr später richtete das Bundeskriminalamt eine spezielle Dienststelle für Zeugenschutz ein, nach und nach gefolgt von den Landeskriminalämtern. Die organisatorische Einbindung dieser Kommissariate innerhalb der Apparate ist unterschiedlich und reicht von der Ansiedlung innerhalb des „Grund-satzreferates“ (BKA) über die Zuordnung zur „Fachabteilung OK“ (div. LKÄ) bis zur eigenen Inspektion beim „Personenschutz“ (Berlin). Sämtlichen Stellen gemeinsam ist allerdings die strikte Trennung von den ermittelnden Fachdienststellen. „Wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, wir kaufen oder präparieren unsere Zeugen“, lautet hierfür die Erklärung von Lei-tungskräften verschiedener Zeugenschutzstellen. Aus diesem Grunde werde die Übernahme von Zeugenschutzmaßnahmen auch in den Ermittlungsakten festgehalten. Darüber hinaus dürfte die Aufgabentrennung allerdings auch  noch einen weiteren, eher praktischen Grund haben, denn die Ermitt-lungsbeamten sind im Regelfall gar nicht in der Lage, zusätzlich noch ar-beitsintensive Zeugenschutzaufgaben zu übernehmen.

Die Klientel, naturgemäß zumeist Personen aus dem Milieu und/oder deren Angehörige, wird den Zeugenschützern in der Regel durch die ermittelnden Beamten überstellt. Bei der eventuellen Übernahme des Falles ist die Schutz-stelle relativ unabhängig. Zwar wird die Situationseinschätzung der beantra-genden Kollegen berücksichtigt, die Gefährdungsanalyse wird jedoch eigen-verantwortlich erhoben. Gelangt man dabei zu der Entscheidung, daß eine Gefährdung vorliegt, wird für die nun zu betreuende Person zunächst ein in-dividuelles „Zeugenschutzkonzept“ entwickelt. Grundbedingung ist dabei zum einen die Freiwilligkeit der zu schützenden Personen sowie deren absolute Unterordnung unter die polizeilichen Maßnahmen. Wird die Kooperation mehrfach nicht eingehalten, werden die Schutzmaßnahmen beendet. „Dann bereiten wir eine weiche Landung vor“, heißt dies im Jargon des Bundeskriminalamtes.
Die zu treffenden Maßnahmen reichen entsprechend einer dreistufigen Ge-fährdungskategorie von der einfachen Verhaltensberatung, vorübergehender auswärtiger Unterbringung über direkte, materielle Sicherheitsvorkehrungen für Wohnung, Arbeitsplatz, Kfz etc. bis zur Identitätsänderung und einer Unterbringung im Ausland. Komplette Identitätsänderungen hat es nach Aussage des Leiters der Zeugenschutzstelle beim BKA bislang jedoch erst bei „einer Handvoll“ Betroffener gegeben. Auch Überstellungen ins benachbarte Ausland habe es schon gegeben, doch sei dies angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten durch zahlreiche zu beteiligende Behörden (ein-schließlich der jeweiligen Innenministerien) bislang noch die Ausnahme. Mit Blick auf das Inkrafttreten des Schengener Abkommens Anfang 1992 rechne man jedoch mit einer Zunahme.

Eine der Hauptaufgaben der zwischen 6 (BKA) und 10 (Berlin) Beamten der Zeugenschutzstellen ist neben der psychologischen Betreuung ihrer „Schütz-linge“ auch die bürokratische Abwicklung von Wohnungs- und Arbeitsver-mittlung, ggf. Beantragung von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe u.ä. Hierbei habe man streng darauf zu achten, so wieder übereinstimmend die Aussagen der Fachbeamten, daß sich die zu Schützenden „materiell nicht verbessern“. Die absoluten Zahlen scheinen dies zu bestätigen. So erforderte der Zeugen-schutz in Berlin im Jahr 1990 für insgesamt 35 Fälle (seit Bestehen 1989 = ca. 70) rund 80.000 DM. Hiervon wurde die Kasse des Polizeipräsidenten mit ca. 23.000 DM belastet, der Rest entfiel auf die Sozialbehörden. Beim BKA konnte man konkrete Zahlen für die dortigen 20 Zeugenschutzfälle nicht nennen, bestätigte jedoch eine ähnliche Kostenverteilung wie in Berlin.

Einer noch druckfrischen Statistik des BKA zufolge kam es 1990 bundesweit zu 330 Zeugenschutzfällen. Betroffen davon waren ca. 500 Personen, wobei sich das Verhältnis weiblich/männlich hier die Waage hält. 300 dieser Personen waren deutsche Staatsangehörige. Von dem verbleibenden Ausländeranteil wiederum entfiel das Gros auf die Türken.

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