Lokale Polizei im Dienst des Geheimdienstes – in den Niederlanden Hand in Hand

von Eveline Lubbers

In jeder kommunalen Polizei (in Städten über 40.000 Einwohner) und jedem Reichspolizeidistrikt der Niederlande versehen Beamte ihren Dienst, die nicht nur normale Polizeiarbeit verrichten, sondern zudem die Hälfte ihrer Arbeitszeit für besondere geheimdienstliche Aufgaben verwenden. Solche Abteilungen, „Politieke Inlichtingen Dienst“ (PID) genannt, arbeiten in enger Kooperation mit dem wichtigsten niederländischen Geheimdienst, dem Inlands-dienst „Binnenlandse Veiligheids Dienst“(BVD). PID-Beamte arbeiten unmittelbar vor Ort und sind vielfach die ‚Sensoren‘ des BVD zum täglichen Geschehen.

Die Technische Universität von Wageningen ist wegen ihrer Forschungen auf dem Gebiet der Gentechnologie auch überregional recht bekannt. Aus diesem Grunde erhielt sie, ebenso wie die mit ihr zusammenarbeitenden Betriebe der Provinz des öfteren nächtlichen Besuch, der u.a. durch das Ausgraben genmanipulierter Kartoffeln immer Material und Argumente für eine kritische Auseinandersetzung um die Genforschung, lieferte. Hierin sah nun Wageningens einziger PID-Agent, Richard Mulder, seine große Chance. Bisher hatte er zumeist Polizeiflugblätter auf dem Wochenmarkt verteilt oder die örtlichen Unternehmen in Einbruchsfragen beraten. Sein konspirativer Nachholbedarf war deshalb hoch. Um den Buddeleien auf die Spur zu kommen, bemühte er sich nun, einen Studenten anzuwerben, den er dem Umfeld der nächtlichen ‚Maulwürfe‘ zuordnete. Kaum daß er begonnen hatte, scheiterte der Versuch allerdings, da das gesamte Werbegespräch auf Tonband mitgeschnitten und anschließend publiziert worden war.

Um einiges heftiger ist der Fall des V-Mannes Lex Hester. Eher durch einen Zufall war man ihm auf die Spur gekommen, als drei Mitarbeiter des linksra-dikalen Amsterdamer Buchladens ‚Het Fort van Sjakoo‘ im Sommer 1990 während eines Gespräches feststellten, daß alle drei dieselbe Erfahrung mit ihrem Kollegen gemacht hatten. Jedem hatte er schon einmal Sprengstoffe angeboten , verbunden mit der Aufforderung diesen an interessierte Kreise weiterzuleiten.

Etwa ein halbes Jahr später war die Angelegenheit dann geklärt: Lex Hester war ein V-Mann und Provocateur, der seit über zehn Jahren sowohl für die Anti-Terror-Abteilung (Bijzondere Zaken Centrale, BZC) der Kriminalpolizeizentrale (Centrale Recherche Informatiedienst, CRI) als auch für den Geheimdienst BVD arbeitete. Im Alter von 18 Jahren war Hester von einem Beamten des PID in Zaanstad angeworben worden. Von ihm war er u.a. dazu veranlaßt worden, in ein besetztes Haus einzudringen und dort RAF-Papiere zu verstecken. Einige Wochen später wurde das Haus überraschend durchsucht, um so die inkriminierten Unterlagen aufzufinden und zu beschlagnahmen. Da die Anstrengungen Hesters, in die Hausbesetzerszene und Gruppen der Friedensbewegung einzudringen, auch ansonsten recht erfolgreich waren, interessierten sich bald BZC und BVD für ihn. Von seinem Anwerber und früheren V-Mann-Führer, dem inzwischen pensionierten PID- Beamten Sjoerd Bos wurde dies in mehreren Interviews bestätigt.1 Darüberhinaus enthüllte Bos zudem weitere illegale Operationen, die unter seiner Leitung stattgefunden hatten. Dabei plädierte er immer wieder dafür, derartige nachrichtendienstliche Operationen der Polizei endlich zu legalisieren, da sie für die Arbeit zwar unerläßlich seien, die bislang zwangsläufig damit verbundenen Rechtsbrüche gesetzestreue Beamte jedoch stark belasten könnten.

Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst ?

Die von Bos solchermaßen beklagten Beschränkungen der PID-Arbeit gehen indes unmittelbar zurück auf die Erfahrungen, die während der Besatzungszeit des zweiten Weltkrieges mit der deutschen Gestapo gemacht worden waren. Nach dem Krieg waren daher die Zuständigkeiten von Polizei und Geheimdienst strikt getrennt worden. Der Inlandsgeheimdienst BVD besitzt aus diesem Grunde keinerlei exekutive Befugnisse. BVD-MitarbeiterInnen tragen keine Waffen und dürfen weder Durchsuchungen noch Festnahmen vornehmen. Dieses Verbot exekutiver Befugnisse durch den BVD wird unterdessen jedoch durch die bestehenden PID-Dienststellen unterlaufen. Die Beamten dieser Abteilungen machen nämlich genau das, was dem BVD verwehrt ist: sie sammeln Informationen über politische Aktivitäten – z.T. mit eigenen Informanten – und sie verfügen über polizeiliche Befugnisse. Beide Tätigkeiten, die polizeiliche und die geheimdienstliche gehen dabei im Alltag ineinander über. Damit gibt es in den Niederlanden unter der Tarnkappe des PID seit längerem auch eine Geheimpolizei.

Bis vor kurzem hat beispielsweise auch kein holländisches Gericht BVD-In-formationen als Beweismittel akzeptiert, da der BVD keiner justiziellen Kontrolle unterworfen ist. Um sie dennoch in Prozesse einführen zu können, wurden sie daher zunehmend als polizeiliche Erkenntnisse, deren Quellen jedoch nicht offengelegt werden durften, klassifiziert. Unterdessen hat sich das verändert, nachdem das Justizministerium BVD-Unterlagen zu legalen Grundlagen für die weiteren Polizeiermittlungen erklärt hat.

Jagd auf Ausländer und Asylbewerber

Die Doppelzuständigkeit des PID kann zu sehr heiklen Situationen führen. Die extremste Folge dieser Legalkonstruktion ist die Verquickung mit der Ausländerpolizei. Um eine Aufenthaltsgenehmigung für die Niederlande zu erhalten, sind Asylbewerber verpflichtet, der Ausländerpolizei detailliert ihre politischen Aktivitäten und Fluchtgründe darzulegen. Da in den einzelnen Städten die Ausländerpolizei enge Verbindung zum Staatsschutz PID hält, wenn es nicht gar die gleichen Beamten sind, die beide Aufgaben wahrnehmen, hat zugleich auch der BVD Zugriff auf diese Informationen. Für die Flüchtlinge ist dies jedoch nicht erkennbar. Eine Untersuchung des Büros ‚Jansen & Janssen‘, die 1991 veröffentlicht wurde , enthielt über 70 Fälle, in denen der BVD solches Hintergrundwissen einsetzte, um Asylbewerber als Informanten zu werben; sei es durch finanzielle Angebote oder das Versprechen einer Aufenthaltsgenehmigung bzw. holländischer Personalpapiere – aber auch durch schlichte Erpressung.

Verworrene Verantwortlichkeiten contra Öffentliche Kontrolle

Bis zum Februar 1988 regelte ein geheimer königlicher Befehl die Existenz des Inlandsgeheimdienstes BVD. Erst dann wurde in den Niederlanden ein eigenes Geheimdienstgesetz verabschiedet. Das Hauptanliegen der Regierung bestand hierbei jedoch offenkundig darin, die ‚effektive‘ Arbeit des Dienstes nicht zu behindern. Neben den mehr oder weniger akzeptierten Aufgaben der Spionageabwehr und des Geheimschutzes, ist der BVD seither auch beauftragt, die angebliche innere Bedrohung zu bekämpfen. Hauptaufgabe ist dabei laut Gesetz „die Informationssammlung über Personen oder Organisationen, deren Bestrebungen tatsächliche Anhaltspunkte bieten, daß sie die demokratische Ordnung, die Sicherheit des Staates oder andere wichtige Interessen des Landes gefährden könnten.“ Die realen Schutzgüter bleiben damit ungenau definiert und lassen sich im Bedarfsfall entsprechend weit auslegen. So sind es denn auch die „wichtigen Interessen des Landes“, die bevorzugt herangezogen werden, um BVD- und/oder PID-Operationen gegen den ‚inneren Feind‘ zu begründen.

Für geheimdienstliche Tätigkeiten (und damit auch die des PID) trägt der In-nenminister die Verantwortung, der seinerseits vom Parlament kontrolliert werden soll. Als Teil der örtlichen Polizei untersteht der PID aber auch dem lokalen Polizeichef und dem Bürgermeister, der wiederum dem Stadtrat re-chenschaftspflichtig ist. Offiziell bestellt werden die PID-Geheimdienstler also vom Innenministerium. Tatsächlich jedoch handelt dies der BVD mit den örtlich zuständigen Stellen – dem Bürgermeister und dem Polizeipräsidenten – selbst aus. Wieviele BeamtInnen dann ‚vor Ort‘ arbeiten, hängt in erster Linie von der jeweiligen Polizeistärke und der Lageeinschätzung der Beteiligten ab.
Die kommunalen Verantwortlichen nun nur für die polizeiliche Tätigkeit der PID-BeamtInnen verantwortlich zu machen, wäre indes zu einfach, denn der PID nimmt auch örtliche Staatsschutzaufgaben wahr. So soll er z.B. – in der Zuständigkeit des Bürgermeisters – auch Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verhindern. Es liegt auf der Hand, daß somit im Zweifelsfall die Verantwortlichkeiten hin und her geschoben werden. Für den Fall der Fälle gibt es für den Innenminister zudem ein weiteres Schlupfloch, indem er die fragliche Angelegenheit zur Prüfung an die geheim tagende Parlamentarische Kontrollkommission überweist. Auf diese Weise haben sich bisher alle Minister einer eigenen Verantwortlichkeit stets erfolgreich entzogen.

Zwar wurden im Parlament während der Beratungen des Geheimdienstgesetzes von 1988 Forderungen nach einer demokratischen Kontrolle laut, das Gesetz jedoch sieht ledigliche die geheime Kontrollkommission vor, bestehend aus den Fraktionsvorsitzenden der vier größten Parteien. Da diese indes viel-beschäftigte Parlamentarier und zudem ausnahmslos keine Geheimdienstspe-zialisten sind, kommt die Kommission lediglich zu unregelmäßigen Sitzungen – meist anläßlich einschlägiger Skandale – zusammen. Dennoch trägt sie die Verantwortung für die Kontrolle des Innenministers und des BVD-Chefs. Im Ergebnis werden öffentliche Beschwerden oder Parlamentsanfragen immer wieder auf die nächste Kommissionssitzung verschoben oder gänzlich abgewehrt, da Einzelheiten „strategische Informationen“ enthalten würden.

Zweifelhafte Reformen

Durch die Wende im sog. Ostblock entfiel auch für die Niederlande und ihre Geheimdienste ein Großteil der außenpolitischen Feinde, so daß man sich nun im Zuge der anstehenden Reformen verstärkt dem ‚innenpolitischen‘ Gegner zuwenden konnte. Im Bereich der polizeilichen Geheimdienstarbeit führte dies u.a. dazu, daß die PID-Beamten ihr Handwerk künftig professioneller ausüben sollen, indem sie sich als fulltime-Spezialisten ausschließlich dem Staatsschutz widmen. Für die Polizei fallen diese Veränderungen zeitlich besonders glücklich, da sie zugleich Teil der gegenwärtigen Polizeireformen werden können. Bei diesen Reformen3 werden Gemeindepolizei und Reichspolizeidistrikte zu 25 regionalen Polizeien zusammengefaßt, ergänzt um eine 26. nationale Einheit, zu der u.a. die Kripo-Zentrale CRI gehört. Die regionalen Polizeien werden einem ‚Superpolizeichef‘ unterstellt, der in der Regel der bisherige Leiter der größten Gemeindepolizei der Region ist. Im Zuge dieses Prozesses verwandeln sich ie lokalen PID-Gliederungen somit in 25 professionelle Staatsschutzabteilungen.
Umstritten ist diese, ohne Beteiligung des Parlamentes eingeleitete Reform u.a. auch wegen der Aufweichung der kommunalen Polizeikontrolle, denn diese verbleibt zwar weiterhin bei einem Bürgermeister, der nun jedoch ebenfalls überregional zuständig wird.

Eveline Lubbers ist Mitarbeiterin des Amsterdamer ‚Büro Jansen & Janssen‘, das sich seit einigen Jahren mit der Beobachtung von Polizei und Geheimdiensten der Niederlande beschäftigt.
1 Nieuwe Revu v. 6.12.90, 13.12.90, 20.12.90
Jansen & Janssen, De Vluchtelingen Achtervolgd – De BVD en Asielzoekers, Am-sterdam (Ravijn) 1990
3 vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 40 (3/91)