Profitiert der polizeiliche Staatsschutz von einer Reduzierung der Geheimdienste? Der ‚Polizeibrief‘ und die Folgen

von Renate Künast

Nach dem 3. Oktober 1990 und dem ‚Zwei-plus-Vier-Vertrag‘ vom 12.9.90 stellt sich die Frage nach der Fortgeltung Alliierten Rechts, insbesondere des sog. Polizeibriefes der Militärgouverneure vom 14. April 1949. Welche Bedeutung hat dieser heute noch für die Abgrenzung der Tätigkeitsfelder zwischen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden ?

Kurz vor Abschluß der Arbeiten am Grundgesetz lehnten die alliierten Mili-tärgouverneure in ihrem ‚Polizeibrief‘ an den Präsidenten des Parlamentari-schen Rates das Drängen der deutschen Innenminister auf eine Genehmigung zum Neuaufbau einer geheimen politischen Polizei endgültig ab und bestimmten hierzu: „Der Bundesregierung wird (…) gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnisse haben.“1

Alliiertes Recht

Zur Auslegung dieses Schreibens ist auf die seinerzeitigen Besatzungsziele hinzuweisen, die darin bestanden, sowohl militärische und sicherheitspoliti-sche Interessen umzusetzen, wie auch die alten NS-Strukturen zu zerschlagen mit dem Ziel, Deutschland zu einem „demokratischen und friedlichen oder friedliebenden Rechtsstaat zu entwickeln“.2 Eine Formulierung, die sich in vielen Erklärungen und Reden in dieser oder ähnlicher Weise wiederfindet und mit zu den Besatzungszielen gezählt wird.

Die im ‚Polizeibrief‘ aufgestellten Regeln sind somit nicht nur das Resultat von Erfahrungen der NS-Zeit mit der Machtstellung einer zentralstaatlichen Geheimpolizei, sondern stellen auch ein grundsätzliches Demokratieprinzip auf, das als Besatzungsziel beim Polizeiaufbau zwingend zu berücksichtigen war. In den Artikeln des ‚Zwei-plus-Vier-Vertrages‘ wird darauf nicht ausdrücklich eingegangen, dort heißt es generell in Artikel 7:

„1) Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken , das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwort-lichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes.Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Verein-barungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Ein-richtungen der vier Mächte aufgelöst.
2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“

Von der ursprünglichen Aussage des ‚Polizeibriefes‘, daß nach der Zeit der Besatzung die Rechte der Bundesregierung „auf die durch internationale Ver-einbarungen bestimmten Befugnisse beschränkt“ seien, haben die Alliierten keinen Gebrauch mehr gemacht, sondern die volle Souveränität festgestellt. Der den ‚Polizeibrief‘ rechtlich ablösende ‚Zwei-plus-Vier-Vertrag‘ trifft kei-ne Regelungen über den Aufbau der Sicherheitsbehörden. Er stellt vielmehr fest, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten ihre Bedeutung aufgrund des demokratischen Aufbaus Deutschlands verlieren: Besatzungsziel erreicht.

Deutsches Recht

Die Trennung von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden und eine entsprechende Ausstattung mit, bzw. ohne Exekutivbefugnisse hat das Grundgesetz (GG) selbst vollzogen.
In Art. 87 Absatz 1 Satz 2 GG wird die Ermächtigung erteilt, durch Bundes-gesetz Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Aus-kunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Gewaltanwendung auswärtige Belange gefährden, einzurichten.

Dem vorausgegangen waren kritische Diskussionen und die Vorgaben der Alliierten. So waren seinerzeit z.B. die Franzosen nur schwer dazu zu bewegen, im Rahmen der Vereinheitlichung der Besatzungszonen zentrale Behörden überhaupt zuzulassen und es stellte somit bereits einen besonderen Schritt dar, als sie sich 1947 in einem Memorandum mit einer Anzahl von deutschen Zentralbehörden einverstanden erklärten. Die Debatte folgte diesen Kriterien: föderale Strukturen, Herrschaft des Gesetzes und Gewaltenteilung zwischen der Zentralregierung und den Ländern.

In Art. 87 GG regelt das Grundgesetz durch die Trennung von geheimdienstlichem Verfassungsschutz und Polizei nun selbst inhaltsgleich die Vorgaben des ‚Polizeibriefes‘. Die Aufzählung von Behörden in Art. 87 I 2 GG wird nach dem eindeutigen Verfassungswortlaut für abschließend gehalten.

Der sogenannte Verfassungsschutz

Der Begriffsinhalt selbst fand mit dem 31. Änderungsgesetz vom 28.7.72 Eingang in das Grundgesetz. Im Text findet sich nun die verfassungsrechtliche Begriffsbestimmung des Schutzes der freiheitlich demokratischen Grundordnung und des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes.3

Aus dem eindeutigen Wortlaut des Verfassungstextes ergibt sich, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) keine Exekutivbefugnisse haben kann.4 Es soll vielmehr Zentralstelle für die Sammlung von Unterlagen sein. Damit ist unmittelbar nach außen gerichtetes hoheitliches Handeln nicht zulässig.5 Eine Ausnahme bildet nur das Gesetz über die Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Aber auch da hat das BfV selbst keine Befugnisse, die Anordnung erfolgt durch den Minister.

Anders sieht dies der Grundgesetzkommentator Maunz für die Landesämter für Verfassungsschutz, wonach die Länder durch das Grundgesetz direkt nicht gehindert seien, ihren Ämtern Exekutivbefugnisse zu erteilen.6 Ande-renorts wird diese Frage nicht diskutiert, sondern vielmehr von einem Gesamtsystem der Verfassungsschutzbehörden ohne Exekutivbefugnisse aus-gegangen. Auch Maunz führt keinerlei Gründe für seine Unterscheidung an, widerspricht sich hier vielmehr selbst.

So führt der Kommentar unter Art. 87 Rdnr 61 an, daß die Schranken für die Befugnisse des Bundesamtes nicht umgangen werden dürfen, auch nicht durch Amtshilfeleistungen des Bundeskriminalamtes (BKA) oder der Polizeien der Länder, um so etwa mittelbar hoheitliche Befugnisse auszuüben.

Davon geht auch der Alternativkommentar aus, der feststellt, daß das Amt organisatorisch und funktionell von anderen Sicherheitsbehörden getrennt zu halten ist und dieses Trennungsgebot auch nicht durch Amtshilfeersuchen unterlaufen werden dürfe.7 Anderer Ansicht ist nur der Staatsrechtler Stern, der immerhin eine Zusammenlegung von BKA und BfV für zulässig hält, ohne sich allerdings die Mühe zu machen auch nur einen einzigen Satz der Begründung zu formulieren.8

Die heutigen Strukturen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden sind damit aufgrund der bereits erwähnten Vorgaben der Alliierten entstanden. Danach hat sich der Grundgesetzgeber gerichtet. Da die Länder in ihren Verfassungen keinerlei Regelungen über die Einrichtung von Landesämtern für Verfassungsschutz getroffen haben, sich deren Existenz vielmehr aus dem Bundesgesetz ableitet, muß sich auch die Kompetenz dieser Ämter damit aus dem Bundesgesetz und dem Grundgesetz ableiten. Anderenfalls bedürfte es einer Regelung des Bundes, mit der eine Vermischung der Tätigkeiten infolge der Zusammenarbeitspflicht verhindert wird. Wenn aufgrund der jetzigen Fassung des Grundgesetzes eine Zusammenlegung verschiedener Sicherheitsbehörden somit unzulässig ist, Exekutivbefugnisse für den Bundesverfassungsschutz nicht zulässig sind und keine Umgehung z.B. durch eine Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien erfolgen darf, muß dieses auch für Exekutivbefugnisse der Landesämter für Verfassungsschutz gelten, die qualitativ nicht anders zu bewerten wären.

Die Reduzierung der Verfassungschutzämter

Aus der gegenwärtig erfolgenden Reduzierung der Landesämter für Verfas-sungsschutz und auch des Bundesamtes kann der polizeiliche Staatsschutz daher für sich keine Kompetenz- oder Personalerweiterungen ableiten.
Der ‚Polizeibrief‘ der Alliierten und dem folgend das jetzt rechtlich allein relevante Grundgesetz haben eine klare und umfassende Trennung für alle Ebenen vorgenommen, die allenfalls durch eine Grundgesetzänderung abänderbar wäre. Der ‚Zwei-plus-Vier-Vertrag‘ setzt für eine solche Änderung des Grundgesetzes jedoch keine Grenzen.

Das heißt: Der in einer Legitimationskrise steckende Verfassungsschutz muß angesichts schwindender Feindbilder und knapper öffentlicher Mittel Stellen-streichungen hinnehmen, ohne daß der polizeiliche Staatsschutz bei der herr-schenden Rechtslage daraus für sich direkt Profit ziehen könnte.

Diskutiert werden muß in Zukunft aber der Umgang und die Kontrolle der Polizei. Da diese nicht mehr nur über ihre Aufgabe der Gefahrenabwehr und als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ‚klaren Sachverhalten folgt‘, sondern im Bereich der sog. Prävention tätig ist, darf ihr die Definitionsmacht der unbestimmten Rechtsbegriffe nicht mehr allein überlassen werden.

Renate Künast ist Rechtsanwältin, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin für die Fraktion BÜNDNIS 90/ GRÜNE (AL), seit 1989 Mitglied des Ausschusses für Verfassungsschutz
1 ‚Polizeibrief‘ v. 14.4.49, Zif. 2; vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 21 (2/85), S. 129
2 Molotow auf der 2. Außenministerkonferenz, Paris 9.7.46, Europa-Archiv 1946, S. 184
3 Art. 73 Nr. 10
4 Art. 87
5 Maunz, Dürig, Herzog, Scholz, GG, Art. 87 Rdnr 61
6 ebd.
7 Alternativkommentar zum GG, Art. 87 Rdnr. 95, 2. Aufl. Neuwied 1989
8 Stern, Das Staatsrecht in der Bundesrepublik II, München 1980