Parteien zur ‚Inneren Sicherheit‘ – Ein Blick in die Parteiprogramme im Superwahljahr

„Sicherheit statt Angst“ versprach uns die eine große Volkspartei zur Europawahl; als Garanten gegen Gewalt und Terror empfahl sich die andere. Innere Sicherheit ist im Jahr der vielen Wahlen ein besonders beliebtes Thema. Während auf den Plakatwänden von der Werbepsychologie inspirierte Slogans zu lesen sind, ver-sprechen Parteiprogramme und -beschlüsse eher einen Einblick in den Zustand unserer Parteien: Welches Bild zeichnen also sie von der „Inneren Sicherheit“ in der BRD? Welche Probleme werden wie angesprochen, welche Antworten werden als ‚Lösungen‘ präsentiert?

Die Lektüre dieser programmatischen Bemühungen, soviel sei vorweg verraten, ist enttäuschend. Die bereits sprichwörtliche ‚Große Koalition in Fragen der Inneren Sicherheit‘ wird von den Programmen eindringlich bestätigt. Von den ‚Altparteien‘ war anderes wohl auch nicht zu erwarten, und wer das Tagesgeschehen ein wenig verfolgt, dem konnte nicht entgehen, daß die SPD verstärkt versucht, dem (irrigen) Eindruck entgegen zu wirken, sie sei bei der Kriminalitätsbekämpfung nicht zu allem entschlossen. Von größerem Interesse erscheinen deshalb allenfalls die Beschlüsse von Bündnis 90/Die Grünen (B’90/Grüne) und PDS. Aber: Trotz mancher Unterschiede im Detail werden die Erwartungen auch hier enttäuscht.

Gefahren für die Sicherheit

Sämtliche Parteien versprechen Sicherheit und wollen das Sicherheitsgefühl erhöhen. Kriminalität und Gewalt, so die gemeinsame Diagnose, bedrohen die Innere Sicherheit. Aber welche Kriminalität, welche Art von Gewalt? Die SPD formuliert im Entwurf ihres Regierungsprogramms kompakt: „Alltags- und Beschaffungskriminalität, Terrorismus und Gewalt von rechts und links, or-ganisierte und importierte Kriminalität“. Das entspricht weitgehend den Kapitelüberschriften des letztjährigen CDU-Parteitagsbeschlusses: „Massen-kriminalität“, „Gewalt“, „Organisierte Kriminalität“, „Rauschgiftkriminalität“ und „Gewalttätiger politischer Extremismus“. Die FDP spricht von „ver-schiedenen Erscheinungsformen der Kriminalität“, zu denen sie ausdrücklich die „bedrohliche Zunahme der Alltagskriminalität und die Gefahren aus dem Wegfall der europäischen Binnengrenzen“ zählt. Die Republikaner (Reps), die sich selbst als „Partei für Recht und Ordnung“ beschreiben, sehen „neue Formen der unsere Bevölkerung bedrohenden Kriminalität“ sowie einen „seit 1972 dramatisch festzustellenden Anstieg der Kriminalität in unserem Lande“. Die Kriminalitätsentwicklung vor allem auf Fehler der Regierungen zurückzuführen, teilen die RePs dabei mit den Programmen von B’90/Grüne und PDS. Letztere betonen ein schwindendes Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung, das durch die „Ellbogenmentalität“ fördernde Politik der Bundesregierung forciert (B’90/ Grüne) und zugleich durch „den Ruf nach mehr Polizei, den Ausbau der Überwa-chungssysteme“ mißbraucht (PDS) werde. Im einzelnen nennt die PDS die „verheerend anwachsende Wirtschafts- und Umweltkriminalität“ und den „legalen und illegalen Waffenmarkt“. B’90/Grüne sprechen hingegen davon, daß mit „Billigung“ der Regierung „weitgehend rechtsfreie Räume“ entstanden, „z.B. in der Um-welt-, Wirtschafts-, Treuhand-, Steuer-, Menschenhandels- und Waffen-exportkriminalität“. In der Beschreibung der möglichen Gefährdungen unter-scheiden sie sich kaum von SPD-CDU/CSU-Szenarien: „Organisierte Banden“ seien am Werke, und es sei „zu befürchten, daß Hintermänner und Drahtzieher inzwischen erheblichen Einfluß auf wirtschaftliche und staatliche Entscheidungen erlangt haben“. Im Unterschied zu den anderen Parteien stimmen PDS und B’90/Grüne jedoch darin überein, daß Gefahren für die Sicherheit der BürgerInnen auch aus den untauglichen Versuchen staatlicher Sicherheitsproduk-tion resultieren: „Überwachungsmethoden“ höhlten die Freiheitsrechte aus und vernachlässigten „den Schutz des Einzelnen“ (B’90/ Grüne); die „ungehinderte westeuropaweite Datenerhebung und Überwachung“ gehe „mit einem weiteren Abbau von Datenschutz und Rechtssicherheit“ einher (PDS).

Gemeinsamkeiten

Trotz der enormen Gefahrenvielfalt, die die Innere Sicherheit – glaubt man den Parteien – bedrohen, gibt es bei den Reaktionen darauf durchaus Über-einstimmungen. Persönliche Sicherheit für die BürgerInnen herzustellen, wird übereinstimmend als staatliche Aufgabe beschrieben. Während B’90/ Grüne eine „auf Vertrauen und Mitwirkung der BürgerInnen“ bauende Kriminalpolitik for-dern, verlangt die CDU eine aus der „Mitwirkungspflicht bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit“ resultierende „Unterstützung der Bürger“. Gleichzeitig fordert sie „zur Unterstützung und Entlastung der Vollzugspolizei (…) einen freiwilligen Polizeidienst“. Andere Parteien äußern sich in diesem Zusammenhang zu den privaten Sicherheitsdiensten: Die SPD spricht der Polizei ihre Unterstützung aus; die Privaten „können und dürfen die Polizei nicht ersetzen“. Die FDP, die sich ansonsten für „Deregulierung“ stark macht, lehnt es ab, „weitere polizeiliche Vollzugsaufgaben auf private Sicherheitsunternehmen (’schwarze Sheriffs‘) zu übertragen“, auch wenn sie prüfen will, ob die Sicherheit bei Großveranstaltungen weiterhin aus Steuer-geldern finanziert werden soll. B’90/ Grüne lehnen „Bürgerwehren und ähnliche Vereinigungen“ ab. Gänzlich einig sind sich alle Parteien, wenn es um die Präsenz der Polizei in der Öffentlichkeit geht. Die Devise „Mehr grün auf die Straßen“ wird von allen geteilt. Sichtbare Präsenz, so die CDU, „ist das wichtigste Mittel, um potentielle Straftäter abzuschrecken und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken“.

Profile

Neben einzelnen Forderungen, die das Bild der Parteien von Innerer Sicherheit bestimmen, ist das programmatische Ensemble, in dem sie auftauchen, von Interesse. In grober Charakterisierung läßt sich folgendes sagen:
– Die CDU präferiert unbeirrt mehr Befugnisse für mehr Sicherheitsbehörden, für mehr Kriminalisierung mit schärferen Strafandrohungen.
– Die FDP betont demgegenüber einen größeren Ressourcenbedarf und die Effekti-vierung der Apparate.
– Die SPD versucht den Spagat zwischen OK-Bekämpfung durch Grundge-setzänderungen (Art. 13 und 14), der Entlastung von Polizei und Justiz (Entkriminalisierung, Diversion) und verschiedenen Formen der Prävention.
– Die REPs als ‚law and order‘-Partei wollen zurück zum starken National-staat, einschließlich wiedereinzuführender Grenzkontrollen, auszuweitender Visumspflichten, vermehrt lebenslangen Freiheitsstrafen etc.
– B’90/Grüne wollen eine „neue Kriminalpolitik“ und ein „Umdenken im Bereich der Polizei“. Den Schwerpunkt wollen sie dabei „auf eine dezentral or-ganisierte, bürgernahe Polizei“ legen.
– Noch stärker überwiegt in den nur kurzen Passagen des PDS-Programms die Skepsis gegenüber den staatlichen Sicherheitsapparaten.

Diese Grundlinien lassen sich in den Forderungskatalogen der Parteien leicht wiederfinden. An einigen immer wiederkehrenden Themen sei dies demonstriert.
Im CDU-Beschluß von 1993 ist der Wunschkatalog bundesdeutscher Si-cherheitsbehörden nachgedruckt: Er reicht von zu legalisierenden „milieube-dingten Straftaten“ Verdeckter Ermittler über Lausch- und Spähangriffe in jeder denkbaren Form bis zur Beteiligung des Verfassungsschutzes an der Kriminalitätsbekämpfung. Die REPs stehen dem kaum nach; sie verlangen die Rücknahme „kriminalpolitisch überzogener Datenschutzregelungen“ und fordern die „Schaffung besserer gesetzlicher, organisatorischer und ausstat-tungsmäßiger Voraussetzungen zur wirksamen Bekämpfung“ organisierter Kriminalität. Der Verfassungsschutz soll dem Zuständigkeitsbereich des In-nenministeriums entzogen und („zur Verhinderung seines Mißbrauchs zu par-teipolitischen Zwecken“) parlamentarischer Kontrolle unterstellt werden. Die SPD bekennt sich erneut zum Großen Lauschangriff und setzt auf erleichterte Gewinnabschöpfung und Vermögenseinzug. Straftaten Verdeckter Ermittler werden ebenso wie die Verbrechensbekämpfung durch den Verfassungsschutz abgelehnt. Beide Forderungen teilt die FDP; den Lauschangriff auf Wohnungen will sie jedoch nicht in die Strafprozeßordnung aufnehmen; und hinsichtlich der Gewinnabschöpfung äußert sie sich nur äußerst vage. Obwohl auch B’90/GRÜNE und die PDS gefährliche Kriminalitätsbereiche benennen, lehnen sie weitere Kompetenzen für die Sicherheitsapparate ab. Die PDS fordert statt dessen „einen transparenten und kontrollierbaren Polizeiapparat“, die „Einschränkung der Datenerhebung“ und die „Auflösung der Geheimdienste“. Deren Auflösung fordern auch B’90/GRÜNE. Ebenso wollen sie den Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Ländern auflösen. Abgelehnt wird nicht nur der Große Lauschangriff, sondern auch der Einsatz Verdeckter Ermittler und die Rasterfahndung. Die Zahl der Telefonüberwachungen und die Lauschangriffe nach Polizeirecht „müssen zurückgedrängt werden“.

Europa und Rauschgift

Die generelle Einstellung gegenüber den Sicherheitsapparaten zeigt sich deutlich auch an den Positionen, welche die Parteien zur europäischen Politik Innerer Sicherheit einnehmen. Mit Ausnahme der REPs, deren national verengter Blickwinkel derartiges gar nicht erst zuläßt, fordern jene Parteien, die un-gebrochen zu den nationalen Apparaten stehen, deren Ausbau auch auf eu-ropäischer Ebene: Der schnelle Aufbau von EUROPOL gehört dazu ebenso wie die Vereinfachung der direkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizeien etc. B’90/GRÜNE und PDS hingegen lehnen EUROPOL kategorisch ab. B’90/Grüne se-hen EUROPOL als Verlängerung national betriebener Zentralisierung, die der von ihnen angestrebten „an den individuellen Schutzbedürfnissen der BürgerInnen orientierten“ Kriminalpolitik entgegenlaufe. Von der PDS werden „Europol und TREVI“ als Synonyme für den Abbau von „Datenschutz und Rechtssicherheit“ abgelehnt.

Welcher Stellenwert staatlicher Repression für den Umgang mit ge-sellschaftlichen Phänomenen eingeräumt wird, läßt sich exemplarisch am Umgang mit dem Drogenproblem ablesen. Von CDU und REPs wird jede Form einer Lega-lisierung abgelehnt. Beide fordern eine „entschlossenere“ (REPs) bzw. „härtere“ Bekämpfung (CDU); beide verlangen die lebensläng-liche Haft für „Rauschgiftgroßhändler“ (REPs) bzw. für „bandenmäßige Betäu-bungsmittelkriminalität in besonders schweren Fällen“ (CDU). Darüber hinaus will die CDU das Betäubungsmittelgesetz durch neue Straftaten und erhöhte Strafrahmen verschärfen. Sehr vorsichtig spricht die FDP von einer „veränderten Drogenpolitik“, die sie durch den in Klammern gesetzten Zusatz („z.B. kontrollierte Abgabe an Süchtige“) konkretisiert. Die SPD will die „organisierte Drogenkriminalität schwerpunktmäßig“ verfolgen und gleichzeitig den Strafverfolgungsdruck auf Süchtige verringern: Die kontrollierte Abgabe von Drogen durch Ärzte (zunächst als Versuch) soll erlaubt, der Besitz kleiner Mengen von Cannabis nicht mehr bestraft werden. Und hinsichtlich des Besitzes kleinerer Mengen harter Drogen soll die Polizei zum Opportunitätsprinzip übergehen. Die PDS fordert allgemein „die Entkriminalisierung des Drogenge-brauchs und einen staatlich kontrollierten Handel mit harten Drogen, um die Beschaffungskriminalität wirksam zu bekämpfen“. B’90/GRÜNE wollen Haschisch und Marihuana wie Tabak be-handeln; gleichzeitig fordern sie die „Entkriminalisierung und Liberalisie-rung der Drogenpolitik mit einer staatlich kontrollierten Abgabe der Substan-zen, einschließlich Heroin, an Abhängige.“

Gewalt von rechts

Der „‚Kampf gegen rechts‘ beginnt“ für die PDS bereits „mit der Kritik der konservativ-liberalen Regierung.“ Vorrangig sieht sie „ihre Aufgabe darin, rechtsextremistische und neofaschistische Gruppierungen und Parteien politisch zu bekämpfen“. Neben „Mut und Zivilcourage“ verlangt sie auch, „neofaschistischem Terror und Gewalt (…) mit den gegebenen strafrechtlichen Mitteln zu verfolgen“. Und: „Das Grundgesetz sieht keine Organisations-, Versammlungs- und Pressefreiheit für Faschisten vor.“
Die Anwendung bestehender strafrechtlicher Bestimmungen („vorrangig und konsequent“) verlangt auch B’90/Grüne. Die Polizei wird aufgefordert, „wirksamen Schutz vor rassistischen Übergriffen zu gewähren“. Die Partei fordert die Ächtung faschistischer und menschenverachtender Haltungen; setzt auf die „geistig-politische Auseinandersetzung“ und lehnt „Zensur und Bespitzelung“ auch gegenüber Rechtsextremisten ab. Verbote von Organisationen und Veröffentlichungen werden nur als „kurzfristig wirksame Mittel“ für Einzelfälle akzeptiert – „solange die Ursachen (…) nicht ausgeräumt sind“.

Die SPD will rechtsextreme Gewalt ebenfalls „entschlossen bekämpfen“. Als Mittel hierzu nennt ihr ‚Regierungs’programm das Verbot von neonazistischen Organisationen und eine konsequente strafrechtliche Verfolgung, wenn „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet oder die Men-schenwürde von Minderheiten mit Füßen“ getreten werden. Die Bürgerinnen und Bürger werden zur Zivilcourage aufgerufen. In ihrem nahezu gleichlauten Par-teitagsbeschluß von 1993 hält die SPD außerdem den Verfassungsschutz für prädestiniert, das Vorfeld rechtsextremistischer Straftaten zu beobachten.

In ihrem neuen Grundsatzprogramm spricht die CDU lediglich vom „politischen Extremismus in seinen verschiedenen Formen und Organisationen“. Im 93er Parteitagsbeschluß wird auf die Gefährdungen „unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung“ „von links und rechts“ hingewiesen und die „zunehmend brutale Auseinandersetzung zwischen rechts- und links-extremistischen Organisationen“. Zwar werden die „Übergriffe auf ausländische Mitbürger und deren Unterkünfte“ „entschieden“ verurteilt, nicht jedoch ohne im nächsten Satz „gleichermaßen“ die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ausländern und deren „Übergriffe auf Deutsche“ zu verurteilen. Mit „allen rechtsstaatlichen Mitteln“ will die CDU die Gewalt bekämpfen. Dazu schlägt sie vor, die Verhängung von Untersuchungshaft zu erleichtern und auszuweiten, den Landfriedensbruchparagraphen zu erweitern, Vorbeugehaft für „potentielle Gewalttäter“ einzuführen, die Einsatzfähigkeit geschlossener Polizeiverbände „anläßlich von Demonstrationen und gewalttätigen Ausschrei-tungen“ zu erhöhen. Die polizeilichen Beweis-sicherungsgruppen sollen bundesweit ausgeweitet werden, dem Verfassungsschutz sollen „Abhörmaßnahmen über das Entstehen krimineller Vereinigungen, über die Vorbereitung volks-verhetzender Aufrufe und die Aufstachelung zum Rassenhaß“ erlaubt sowie der Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz „verbessert“ werden. Schließlich fordert die CDU noch Verschärfungen des Ver-einsrechts und die Ausweitung des Straftatbestands der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Auch der Koalitionspartner FDP will „rechtsextremer Gewalt den Kampf ansagen“. „Rechtsextremismus und Fremdenhaß müssen“, so die FDP, „heute ebenso konsequent bekämpft werden, wie das in der Vergangenheit bei terroristischen Aktionen selbstverständlich war“. Im einzelnen wollen die Liberalen die „Verbreitung neonazistischer und volksverhetzender Schriften“ „wirksam bekämpfen“, den „jungen Menschen in unserem Lande“ „Demo-kratie und Rechtsstaatlichkeit“ als „Wertordnung“ „vermitteln“, und schließlich werden Polizei und Justiz aufgefordert, die Öffentlichkeit über „ihre Aufgaben, Schwierigkeiten und Erfolge“ gegenüber der Gewaltkriminalität besser zu informieren.
Daß im Parteiprogramm der REPs die Gewalt von rechts überhaupt keine Erwähnung findet, überrascht nicht.

Vertane Gelegenheiten

Abschließend legt die Durchsicht der programmatischen Leistungen unserer Parteien in Fragen der Inneren Sicherheit folgende Bemerkungen nahe:

– Im Unterschied zu den anderen Parteien findet sich bei der CDU (noch kon-sequent-bornierter bei den REPs) ein geschlossenes kriminalpolitisches Kon-zept. Ein Konzept zwar, das seine Untauglichkeit täglich unter Beweis stellt, damit seine Attraktivität für immer wiederkehrende Beschwörungen aber offenbar nur steigert: mehr und härtere Strafen, Ausbau und Vernetzung der repressiven Apparate, Ausblenden gesellschaftlicher Zusammenhänge etc.

– Die kriminal- oder polizeipolitischen Modelle, denen FDP und SPD folgen, entsprechen, wenn auch mit Variationen, im wesentlichen denen der CDU. Die FDP stilisiert sich programmatisch zwar als liberaler Wächter; Bedenken indes werden ggf. umstandslos der nächsten Koalitionsraison geopfert. Die SPD gibt sich zwar offen für Alternativen (Diversion, Entkriminialisierung), verbindet andererseits ihre verschärften Repressionsforderungen stets mit dem mutmaßlichen Weltbild ihrer Klientel: Wenn es gegen die ‚großen Fische‘ geht, dürfen Eigentumsgarantie und Unverletzlichkeit der Wohnung nicht im Wege stehen. Diese Art von Klientelismus durchzieht auch die Programme von PDS und B’90/GRÜNE. Beide beteuern, um die begrenzten und kontraproduktiven Wirkungen des Repressionsmodells zu wissen. Wenn diese allgemeinen Überzeugungen dann jedoch konkret werden sollen, werden sie schnell über Bord geworfen: Die PDS räumt Grundrechte flugs beiseite, wenn es nur gegen ‚die richtigen‘ (diesmal die Neonazis) geht. Und auch B’90/GRÜNE zimmern den bunten Katalog der Bedrohungen gern auf die vermuteten Vorlieben ihrer potentiellen Wählerschaft zurecht, so daß sich neben der Umweltkriminalität dann verunglückte semantische Neuschöpfungen wie die „Menschenhandelskriminalität“ finden. Im Ergebnis entstehen so Potpourri-Programme, in denen hier etwas Entkriminalisierung neben der konsequenten Anwendung des Strafrechts dort steht; in denen mit Schlagworten und Allerweltsforderungen das eigene Wahlvolk zufriedengestellt werden soll.

– Parteiprogramme solchen Zuschnitts sind überflüssig. Statt etwa An-forderungen an Regierung und Exekutive zu formulieren, sind sie zu deren Sprachrohr verkommen. Das trifft im vollen Maße auch auf die formelle Oppositionspartei SPD zu. Sie gibt sich bekannt staatstragend und nuanciert etwas anders, verbreitet aber – ohne nennenswerte Differenz – lediglich die Wünsche der Sicherheitsapparate.

– Während die PDS in ihren äußerst kurzen Ausführungen noch die program-matische Unschuld einer Partei demonstrieren kann, die auf absehbare Zeit nicht in Verlegenheit kommen wird, als Regierungspartei an ihrem Progamm gemessen zu werden, müssen die Vorstellungen von B’90/GRÜNE immer wieder durch den Rückgriff auf pragmatische Antworten ‚gekrönt‘ werden, die Brücken zur an-gestrebten Koalition bauen und die lange angemahnte „Politikfähigkeit“ der Partei unter Beweis stellen sollen.

– In Parteiprogrammen bietet sich die Chance konzeptioneller Auseinander-setzung mit der Realität und deren Vermittlung an die Bürger und Bürgerinnen. Aus der Verbindung von Problemwahrnehmungen und Erfahrungen, eigenen Grundüberzeugungen und den Vorstellungen anderer könnten und müßten Parteien Fragen aufwerfen und konzeptionelle Entwürfe zur Diskussion stellen. Dies wird von keiner unserer Parteien getan. Vermutlich wird es nicht einmal mehr gesehen. Statt dessen werden vornehmlich Bekenntnisse abgeliefert.

Norbert Pütter ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.