Literatur – Rezensionen und Hinweise

Literatur zum Schwerpunkt

Wie reagiert ‚die Polizei‘ auf ihr Gegenüber, auf Problemlagen und Anforde-rungen; welches Bild hat sie von sich selbst; welche Modelle bestimmen ihr Handlungskonzept? Polizeikonzepte sind in Deutschland Mangelware. Vielfach gibt es ausschließlich Selbstdarstellungen der beteiligten Polizeien und Innenbürokratien über ihre Vorhaben (s. z.B. die Quellen in den Beiträgen von Narr, Newiger, Stokar). Unabhängige Untersuchungen existieren nicht. Das gilt nicht nur für die relativ neuen Phänomene (Präventionsräte, Sicher-heitspartnerschaften), sondern auch für die Streifentätigkeit oder den Kon-taktbereichsbeamten. Polizeiliches Handeln speist sich aus einer Übermacht an Tradition, aus der Logik einmal bestehender Apparate, juristisch-bürokra-tischen Vorgaben und ihrer Umsetzung aufgrund vorhandener institutioneller und materieller Ressourcen. Immerhin kann man mittlerweile auch in Poli-zeiquellen die Einsicht finden, daß es der Polizei an Konzepten fehlt. Z.B.:

Murck, Manfred: Programme und Projekte, in: Kriminalistik 49. Jg., 1995, H. 6, S. 386-394
Der Direktor an der PFA diagnostiziert fehlende klare Zielvorgaben für poli-zeiliches Handeln und die daraus resultierende Dominanz bestehender All-tagsroutinen. Auch wenn man seinen allgemein formulierten Schlußfolgerungen (z.B. mehr polizeilicher Entscheidungsspielraum auf kommunaler Ebene bei gleichzeitiger Zunahme interner und externer Kontrollen) nicht zustimmen mag, seine Zustandsbeschreibung sollte man zur Kenntnis nehmen.

Einige Veröffentlichungen zu einzelnen Aspekten des Schwerpunktes verdienen Erwähnung. Auf der Seite der empirischen Bestandsaufnahmen ist für das Alltagshandeln der Polizei hinzuweisen auf:
Feltes, Thomas: Notrufe und Funkstreifeneinsätze als Meßinstrument poli-zeilichen Alltagshandelns, in: Die Polizei 86. Jg., 1995, H. 6, S. 157-174
Feltes, Thomas/Rebscher, Erich (Hg.): Polizei und Bevölkerung. Beiträge zum Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung und zur gemeindebezogenen Polizeiarbeit („Community Policing“), Holzkirchen (Felix) 1990 (Empirische Polizeiforschung, Bd. 1), 214 S. (vor allem die Beiträge von Steffen und Busch)

Hanak, Gerhard: Polizeinotruf – Intervention über Aufforderung. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zum Polizeinotruf in Wien, Holzkirchen (Felix) 1991 (Empirische Polizeiforschung, Bd. 4), 93 S.
Durchgängig geben die Studien einen Eindruck davon, wie stark (schutz)polizeilicher Alltag von den Anforderungen der BürgerInnen abhängt, und daß die von der Polizei erwartete Leistung in Krisenintervention und Konfliktschlichtung besteht. Hanaks Wiener Untersuchung bestätigt Feltes Ergebnisse für die BRD aus den 80ern: ständige Ansprechbarkeit, leichte Zugänglichkeit und die Fähigkeit zur autorativen ‚Problemlösung‘ machen die Polizei zu einer Instanz, die für die Regulierung alltäglicher „Unnormalitäten“ in Anspruch genommen wird.

Da Konzepte voraussetzen, daß man über die gegenwärtige Praxis informiert ist, ist es nicht verwunderlich, wenn Vorstellungen über angemessene Polizei-Konzepte im Umfeld der Diskussion über polizeiliches Alltagshandeln entstehen. ‚Community policing‘, eingedeutscht als ‚gemeindebezogene Poli-zeiarbeit‘ ist hier das Stichwort. Exemplarisch für die US-amerikanische und englische Diskussion sei auf folgende Veröffentlichungen verwiesen, die einen Überblick über die nationalen Debatten liefern:
Rosenbaum, Dennis P. (Hg.): Community Crime Prevention. Does it Work? Beverly Hills (Sage) 1986, 318 S., (Criminal Justice System Annuals Vol. 22)
Heal, Kevin/Tarling, Roger/Burrows, John (Hg.): Policing Today, London (Her Magesty’s Stationery Office) 1985, 181 S.
Neben dem bereits erwähnten Band von Feltes/Rebscher ist für die erst junge deutsche Diskussion hinzuweisen auf:
Dölling, Dieter/Feltes, Thomas (Hg.): Community Policing – Comparative Aspects of Community Oriented Police Work, Holzkirchen (Felix) 1993, 210 S., DM 44,- (Empirische Polizeiforschung Bd. 5)
Feltes, Thomas/Gramckow, Heike: Bürgernahe Polizei und kommunale Kriminalprävention, in: Neue Kriminalpolitik 1994, H. 2, S. 16-20
Die Beiträge in den Sammelbänden der ‚Empirischen Polizeiforschung‘ berichten über Modelle und Erfahrungen des ‚Community policing‘; Beispiele aus den USA und Kanada, aus Belgien, Großbritannien und Irland werden dargestellt. Die Autoren, Wissenschaftler und Polizeivertreter, schildern die Grundgedanken ‚gemeindeorientierter Polizeiarbeit‘ und die Versuche, die dabei gemacht wurden, nationale bzw. kommunale Polizeistrukturen und polizeiliches Handeln den Bedürfnissen der Gemeinde anzunähern.
Kennzeichnend für die deutsche Situation sind die Beiträge von Kube und Jäger in Bd. 5. Kube, Abteilungspräsident im BKA, beschäftigt sich mit Planung und Strategie, mit polizeilicher Informationssammlung und Zielprogrammen. Daß seine Bemerkungen zu den Verbindungsbeamten oder zu EUROPOL sich in einem Band über ‚Community policing‘ finden, kann nur bedeuten, daß dies für das BKA kein Thema ist. Jäger, Dozent an der PFA, benötigt nur fünfeinhalb Seiten für ‚Community Policing in Germany‘. Er fordert einen bundesweiten Kriminalitäts-Präventionsrat und feiert ansonsten die schleswig-holsteinischen Versuche einer ‚Kommunalen Kriminalpolitik‘ als Wegweiser gemeindeorientierter Polizeiarbeit. Das Verfahren teilt der Autor mit Feltes/Gramckow, die am Beispiel baden-württembergischer Versuche die „demokratische Notwendigkeit“ gemeindebezogener Kriminalprävention realisiert sehen. Hinter den gefälligen Bekenntnissen zu Bürgerbeteiligung und Dezentralisierung, zu Problemlösung und Bedürfnisorientierung verschwinden Sicherheits- wie Polizeiprobleme. Daß die lokalen Präventionsbemühungen mehr Rhetorik denn Realität darstellen, daß sie sich von einer administrativ initiierten Veranstaltung sehr schnell zur lokalen Spielwiese von Verbänden und Honoratioren entwickeln können, die ihre Ordnungsvorstellungen aushandeln und durchzusetzen suchen – das spielt in der Debatte ebensowenig eine Rolle wie der Umstand, daß Polizeifragen auch Macht- und Herrschaftsfragen sind, die sich nicht durch Antworten aus dem zivilgesellschaftlichen Wunschbaukasten beantworten lassen.

Schneppen, Anne: Die neue Angst der Deutschen. Plädoyer für die Wieder-entdeckung der Nachbarschaft, Frankfurt/M. (Eichborn), 138 S., DM 19,80
Ist ein eindrückliches Beispiel für die bundesdeutsche Trivialisierung des ‚Community policing‘. Ein Buch über ‚Nachbarschaftshilfen‘, die die Autorin als adäquate Antwort auf die Sicherheitsängste der BürgerInnen darstellend empfiehlt. Vom ersten Satz „Angst bewegt die Deutschen“ bis zu den Tips für „mehr Sicherheit in der Nachbarschaft“ am Ende des Buches fehlt der Autorin jeder Abstand zum Thema. Sie wollte offensichtlich einen Ratgeber für Menschen schreiben, die Angst vor Kriminalität haben. Daß sie mit ihrer reißerischen Sprache diese Ängste eher bestärkt, scheint sie ebenso wenig zu kümmern, wie der Umstand, daß für ihren Appell an die Nachbarschaft allenfalls der Charme des Anachronismusses, gegen ihn aber die soziale Realität nachbarschaftlich kontrollierter Räume spricht.
(sämtlich: Norbert Pütter)

Europäische Innenpolitik

Achermann, Alberto u.a.: Schengen und die Folgen. Der Abbau der Grenz-kontrollen in Europa, Bern (Stämpfli & Cie.) 1995, 263 S., Sfr. 64,-
Kühne, Hans-Heiner: Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen, Schriften zum Europäischen Recht Band 8, Berlin (Duncker & Humblot) 1991 158 S., DM 98,-
Spencer, Michael: States of Injustice. A Guide to Human Rights and Civil Liberties in the European Union, London (Pluto Press) 1995, 256 S.., £ 14.95
European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Asylum in Europe, 2 Bde., London 1993/94, 104 bzw. 307 S., zusammen £ 15,-
Anderson, Malcolm/Den Boer, Monica (Hg.): Policing Across National Boundaries, London/New York (Pinter) 1994, 204 S., £ 35,-
In der Gesamtschau belegen die angeführten Bücher, daß EU-Innenpolitik aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden kann – nicht nur im po-litischen, sondern auch im geographischen Sinne. Achermann u.a. hätten die Chance gehabt, aus der Schweiz und damit von außerhalb der EU profunde Kritik zu üben. Sie haben die Chance weitgehend vertan. Das Buch besteht zu einem großen Teil in einer langweiligen juristischen Darstellung der Abkommen von Schengen, Dublin und Maastricht, deren Konsequenzen nicht einmal immanent herausgearbeitet werden. Allenfalls Achermann schafft es, wenn auch nur lauwarm, die Verbindung von der Schengener Asylregelung zu den nationalen Drittstaatenklauseln zu ziehen. Dabei hätten die genuin schweizerischen Aspekte der Nichtmitgliedschaft genug Stoff für ein gutes politisches Buch abgegeben. Die Argumentation, der Abbau der Binnengrenzen bringe einen Sicherheitsverlust, der durch mehr Polizei und schärfere Asyl- und Ausländerpolitik aufzufangen sei, war schon für die Schengen-Staaten falsch. Sie wird noch falscher für die Schweiz, wo die Grenzen eben nicht fallen. Dieser offensichtliche Widerspruch in der herr-schenden Argumentation wird von den AutorInnen nicht aufgedeckt, sondern unisono zitiert. Kühnes Buch ist ein Gutachten für die Landesregierung Rheinland-Pfalz. Bereits 1991 präsentierte er ausführliches Zahlenmaterial über die Wirkung von Grenzkontrollen und stellte die Frage, inwieweit durch den Abbau der Grenzen tatsächlich die ‚Innere Sicherheit‘ gefährdet würde. Leider fällt im Vergleich zu der etwas langen Abhandlung über den Begriff ‚Innere Sicherheit‘ die tatsächliche Analyse des Zahlenmaterials recht kurz aus. Immerhin liefert Kühne dabei jedoch einige wichtige Interpretationshilfen für seinen umfangreichen Tabellenteil und folgert insgesamt, daß der „Beitrag der Grenzen zum Erhalt der inneren Sicherheit (…) sowohl qualitativ als auch quantitativ äußerst gering“ ist (S. 41).
Michael Spencers Perspektive ist bereits im Titel des Buches erkennbar. Wie schon in einer Publikation von 1990 geht es um das demokratische und bür-gerrechtliche Defizit der EU als ganzer und ihrer Mitgliedstaaten. Spencer schöpft dabei aus Recherchen, die er in Brüssel und in sieben EU-Staaten (D, F, I, NL, E, S, GB) unternommen hat. Zu den behandelten Themenkomplexen gehören u.a. der nicht verwirklichte freie Personenverkehr, die Situation von Ausländern, insbesondere Flüchtlingen, die rassistischen Tendenzen in der EU, Fragen des Datenschutzes und der polizeilichen Zusammenarbeit. Das Resultat der Recherchen zeigt in der Tat „Staaten der Ungerechtigkeit“.
Von ‚Asylum in Europe‘ hat ECRE nun die beiden ersten Bände der 4. englischen Ausgabe vorgelegt. Die Veröffentlichung wendet sich an Rechtsanwälte und andere professionelle Praktiker im Bereich des Flüchtlingsrechts; aber auch an diejenigen, die sich ’nur‘ politisch für Schutz und Hilfe für Flüchtlinge engagieren. Beide Bände sind durch Randnummern übersichtlich gegliedert und enthalten zu jedem Themenkomplex weiterführende Literatur und Adressen. Bd. 1 behandelt die internationalen Rechtsinstrumente, Band 2 enthält Länderberichte (DK, F, D, NL, CH), die allesamt auf aktuellem Stand sind. Ein weiterer Band mit Länderbereichen soll folgen. Insgesamt liegt hier nicht nur eine informierte Kritik der Einschränkungen im Asylrecht, sondern ein Handwerkszeug für die praktische Arbeit vor.
Der von Anderson/Den Boer herausgegebene Band dokumentiert dagegen einmal mehr das Dilemma akademischer Sammelbände. Da macht man 1992 eine Konferenz und meint Jahre danach noch etwas publizieren zu müssen. Zwar sind die Beiträge aktualisiert worden, aber ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Fragestellung sind nicht zu erkennen. Sind Spencer und ECRE von dem Ziel getragen, die Bürgerrechte im zusammenwachsenden Europa der „Staaten der Ungerechtigkeit“ zu verteidigen, so ist hier eine bürgerrechtliche Motivation nur in zwei Beiträgen zu erkennen: Bei King, der die Abwehr von Flüchtlingen durch die Festung Europa und ihre Pufferzonen beleuchtet, und bei Baldwin-Edwards/Hebenton, die die Gefahr eines europäischen Großen Bruders am Beispiel des Schengener Informationssystems beschreiben. Der Rest nimmt die bürgerrechtlichen Gefahren polizeilicher Kooperation gar nicht erst zur Kenntnis. Die unterschiedlichen politischen und analytischen Ansätze und Bewertungen stehen ohne Kontroverse nebeneinander. Die beiden letzten Beiträge des Buches sind mit ‚Schlußfolgerung‘ übertitelt. Bigo untersucht die Hindernisse für eine gemeinsame EU-Politik der ‚Inneren Sicherheit‘ und die Rivalitäten der Akteure. Den Boer arbeitet die Rhetorik des Diskurses über polizeiliche Zusammenarbeit bei Politikern, hohen Verwaltungsbeamten und Polizeibeamten heraus. Beide Beiträge sind zwar interessant, aber sie sind keine Schlußfolgerung aus dem Band.
(sämtlich: Heiner Busch)

Sonstige Neuerscheinungen

Behr, Rafael: Polizei im gesellschaftlichen Umbruch. Ergebnisse der teil-nehmenden Beobachtung bei der Schutzpolizei in Thüringen, Holzkirchen (Felix) 1993, 121 S., DM 34,- (Empirische Polizeiforschung Bd. 6)
Krieglstein, Marco: Der genetische Fingerabdruck zur Personenidentifizierung im Strafverfahren. Zur Frage des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs, Holzkirchen (Felix) 1994, 138 S., DM 39,- (Empirische Polizeiforschung Bd. 7)
Hübner, Gerd-Ekkehard; Quedzuweit, Manfred: Prognose anhand von Kriminalakten. Eine Auswertung von Akten der Hamburger Kriminalpolizei, Holzkirchen (Felix) 1992, 104 S., DM 34,- (Empirische Polizeiforschung Bd. 3)
Funke, Edmund H.: Soziale Leitbilder polizeilichen Handelns: eine empirische Studie zur Einstellung von Polizeibeamten gegenüber „Asozialität“, „Asozialen“ und „asozialem Verhalten“, Holzkirchen (Felix) 1990 101 S., DM 29,- (Empirische Polizeiforschung Bd. 2)

Neben den eingangs bereits genannten Bänden ist auf diese vier Veröffentli-chungen der Reihe ‚Empirische Polizeiforschung‘ zu verweisen. Uneinge-schränkte Empfehlung verdient die Arbeit Behrs. Seiner teilnehmenden Be-obachtung bei der thüringischen Schutzpolizei verdanken wir einen ausge-sprochen interessanten Einblick in die Wende der ehemaligen Volkspolizei. Sie zeigt, wie sich der Systemwandel von DDR zur BRD in der Institution Polizei und vor allem in den Selbstbildern der ehemaligen Vopos niedergeschlagen hat.
Krieglsteins juristisch orientierte, jedoch mit viel biologisch-chemischen Hintergründen versehene Arbeit bejaht die im Untertitel gestellte Frage. Da er den genetischen Fingerabdruck gegenwärtig für unzulässig, jedoch wegen seiner Aussagekraft für wünschenswert hält, fordert er eine entsprechende Legalisierung durch die StPO. Hinter seine 16 Vorschläge kann die Diskussion sicher nicht mehr zurück; allerdings räumen sie keineswegs alle Bedenken aus.
Die Untersuchung von Hübner/Quedzuweit fragt nach dem prognostischen Wert von Polizeiakten. Anhand einer Stichprobe Hamburger Akten kommen die Autoren zu dem Ergebnis, daß erst mit der registrierten vierten Tat einer Person eine Prognose über deren weitere kriminelle Karriere abgegeben werden kann. Sie leiten daraus Forderungen für die Speicherdauer und Datenerfassung ab.
Funkes Untersuchung zu den Leitbildern polizeilichen Handelns (Materialbasis ist die Schutzpolizei einer Großstadt in NRW) kreist um den Begriff der Asozialität. Was Schutzpolizisten als ‚asozial‘ bezeichnen kontrastiert er mit dem Begriffsverständnis des ‚Normalbürgers‘ und anderer Sozi-alkontrolleure wie Lehrer, Gefängnisbeamte etc. Die Erwartung, man erführe etwas über polizeiliche Einstellungen gegenüber Randgruppen, wird weitgehend enttäuscht. Weder vermag der Leser am Ende zu sagen, ob es so etwas wie einen spezifisch schutzpolizeilichen Begriff von Asozialität gibt, noch worin seine Besonderheit liegen könnte.
(sämtlich: Norbert Pütter)

Werkentin, Falco: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin (Christoph Links Verlag) 1995, 432 S., DM 38,-
Werkentin beschreibt episodenhaft in sieben Kapiteln die Neuordnung (besser: neue Unordnung) einer Justiz, die sicher weniger Unrechtsjustiz war als die der Nazizeit, dafür aber mehr Scheinjustiz. Denn während die Richterschaft des Dritten Reiches sich willfährig in den Dienst der Machthaber stellte, ließ man in der DDR so etwas wie Justiz gar nicht erst aufkommen: „Vom ersten bis zum letzten Tage blieb die Verfügung der SED-Spitze über die Gesetzgebung, über das konkrete Strafverfahren, über die Rechtsauslegung und schließlich über Entscheidungskorrekturen im Rahmen des Gnadenrechts gewahrt“ (S. 404).
Der Autor hat einen flüssigen Schreibstil; wissenschaftlich, doch fern aller Verstiegenheiten. Sein Buch ist engagiert geschrieben, ohne Wut, eher mit leisem Erstaunen darüber, was alles möglich war. Lakonisch, nicht ohne Iro-nie, und mit viel Sinn fürs Groteske. Den Leser packt bisweilen die Wut, wenn er erfährt, wie ausgerechnet die Leute, denen wir in den sechziger Jahren die umfangreichsten Informationen über die Renazifizierung des bundesdeutschen Staatsapparates verdankten, mit Großnazis in den eigenen Reihen umgingen, z.B. mit dem Nazi-General von Lenski, der als ehrenamtlicher Richter des Volksgerichtshofs an zahlreichen Todesurteilen mitgewirkt hatte, 1952 die Panzerverbände der Kasernierten Volkspolizei aufbaute und daraufhin die Ehrenmedaille ‚Verdienter antifaschistischer Kämpfer 1933-1945‘ verliehen bekam. Ein besonderer Skandal ist auch der Umgang der DDR mit dem Verfahren gegen die mutmaßlichen Mörder Ernst Thälmanns. Während der Hauptverdächtige, SS-Obersturmführer Erich Gust, trotz Haftbefehls für bundesdeutsche Staatsanwaltschaften unauffindbar blieb, hatte die STASI seinen Aufenthalt nahe Hannover ermittelt. Aus unerfindlichen Gründen blieb das Wissen in den Akten verborgen und selbst als der Rechtsanwalt Heinrich Hannover Mitte der achtziger Jahre (mit ausdrücklicher Unterstützung und Billigung durch die DDR-Führung) die Anklage des Mitverdächtigen Wolfgang Otto erzwang, informierte man weder ihn noch die Justizbehörden von den STASI-Erkenntnissen.
Mindestens ebenso interessant wie die Geschichte der SED-Justiz (so muß man sie wohl nennen) sind die Passagen des Buches, die sich mit der westdeutschen Reaktion auf das Unrecht in der DDR auseinandersetzen, speziell mit der Reaktion der Linken, der ‚Achtundsechziger Generation‘, wie Werkentin sie nennt. Oppositionelle und Kritiker der Mißstände im eigenen Land arbeiten gern mit Gegenbeispielen und nennen Länder, in denen es besser ist. Naturgemäß ist der Blick über die Grenzen dann nicht so scharf, man kennt die Zustände dort nicht so gut und will es auch nicht so genau wissen, das würde das Weltbild unnötig komplizieren. So ging es wohl auch dem Autor (dem Rezensenten übrigens auch) und vielen anderen Kritikern der westdeutschen Renazifizierungspolitik. Wer wollte damals schon wahrnehmen, daß gegenüber den NS-Verbrechen drüben die gleiche Schlußstrich-Mentalität herrschte wie hier, daß Volkspolizei und NVA genauso von Nazi-Offizieren aufgebaut wurden wie die Bundeswehr. Wie die Nachkriegsgesellschaft ihren Frieden mit den Nazitätern, meist auf dem Rücken der Opfer, geschlossen hat, so hat die bundesdeutsche Linke, auch der Teil, der nie übertriebene Sympathie für die DDR hegte, ihren Frieden mit dem SED-Regime geschlossen. Werkentin spricht dieses Tabu deutlich an und bekennt auch eigene Fehler. Mag sein, daß er dafür viel Applaus von der falschen Seite bekommt. Den Verdacht, ins Lager der ‚Kalten Krieger‘ gewechselt zu sein, widerlegt er mit jeder Zeile seines Buches, die von früher Geschriebenem keinen Millimeter abweichen und auch an der BRD-Justiz kein gutes Haar lassen. Er hat aber auch keine Furcht mehr vor dem falschen Applaus, denn der soll nicht noch einmal den Blick gnädig trüben und zu neuen Eiertänzen verleiten.
So ist nicht nur ein spannendes, sondern auch ein sehr aufrichtiges Buch ent-standen.
(Ingo Müller, Senatsverwaltung für Justiz, Bremen)

Busch, Heiner: Grenzenlose Polizei? Neue Grenzen und polizeiliche Zusam-menarbeit in Europa, Münster (Verlag Westfälisches Dampfboot) 1995, 435 S., DM 39,80
Bisher gab es keine umfassende deutschsprachige Darstellung der Organisa-tionen, Strukturen, Arbeitsweisen und Entwicklungen der Polizeien in Europa. Buschs Buch füllt diese Lücke. Es liefert eine mit unglaublich vielen Detailinformationen gespickte, höchst informative und zugleich locker lesbare Analyse der europäischen Polizeien und deren Annäherung in Europa. Zunächst räumt er mit Hilfe von amtlichem Zahlenmaterial mit der tausendfach verbreiteten Legende auf, Grenzkontrollen seien Kriminalitätsfilter, deren Abbau Sicherheitsverluste zur Folge haben, die ausgeglichen werden müßten. Dann stellt er die Entwicklung der EU-Asyl- und Ausländerpolitik dar, die in immer stärkerem Maße auf polizeiliche Mittel zurückgreift und damit zum Treibsatz für die EU-Innenpolitik wird. Mit der Darstellung eines traditionell autoritären (Spanien), eines traditionell zivilistischen (England), eines dezentralen (Holland) und eines normativ geprägten (Deutschland) Polizeiapparates werden Differenzen und Konvergenzen europäischer Polizeien herausgearbeitet. Während Spanien nach der Franco-Diktatur noch stark von regionalistischen und auch zentral konkurrierenden Interessen geprägt ist und ein eher disparates Bild abgibt, überrascht die gleichgerichtete Entwicklung in den anderen drei Polizeisystemen. Bei der internationalen Polizeizusammenarbeit geht Busch ausführlich auf die Rolle von Interpol ein und stellt präzise das Zusammenwachsen der unterschiedlichen organisatorischen Ansätze (Schengen, TREVI, Clubs und Arbeitsgruppen) zu einer gemeinsamen europäischen Polizeipolitik dar. Das Buch ist eine Fundgrube für Fakten, Daten und Strukturen aus vielen primären Quellen, die auch für den interessierten Forscher nicht zugänglich sind und mit denen auch innere Widersprüche in den Apparaten offengelegt werden. Es ist eine spannende und anregende Analyse, für Bürgerrechtler zum Weiterdenken; für Praktiker und etablierte Politiker zum Nachdenken.
(Thilo Weichert, ‚Deutsche Vereinigung für Datenschutz‘)

Bürgerrechte & Polizei/CILIP/Otto Diederichs (Hg.): Hilfe, Polizei. Fremdenfeindlichkeit bei Deutschlands Ordnungshütern (Elefanten Press Verlag), Berlin 1995, 155 S., DM 24,90
Um das Fazit des Buches vorweg zu nehmen: „Das Problem ist vielschichtig und facettenreich; und es ist beileibe nicht nur auf die Formel ‚Polizeilicher Rassismus‘ zu reduzieren.“ (S. 147) Dieser Erkenntnis wird der Sammelband rundum gerecht. In vier Abschnitten nähern sich die AutorInnen sachkundig und unter verschiedenen Gesichtspunkten dem Thema. Im ersten Teil werden die Ereignisse und Hintergründe in Rostock/Lichtenhagen, Bernau/Berlin und Magdeburg aufgearbeitet. Die exemplarischen Beispiele werfen die Frage auf, ob es sich hierbei um Einzelerscheinungen handelt oder ob sie symptomatisch für das System sind. Die Abschnitte zwei und drei legen den Schluß nahe: Sowohl-als-auch. Verschiedene, ineinandergreifende Faktoren werden identifiziert, wobei nicht ganz klar wird, welches Gewicht die Autoren ihnen jeweils beimessen: Genannt werden Defizite der einzelnen BeamtInnen (mangelnde Konfliktfähigkeit, Vorurteile etc.), die unreflektierte ras-sistische Tradition der deutschen Polizei (z.B. die gesonderte Erfassung von Sinti und Roma noch nach 1945) und die Struktur des Polizeiapparates, die charakterisiert ist durch Hierarchie, Corpsgeist und Abgeschlossenheit nach außen. Daran schließen sich ungenügende Beschwerdemöglichkeiten an, die zudem noch zum Nachteil des/der Klagenden gewendet werden (können). Eher am Rande werden auch die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Zwei Beiträge zu Frankreich und den Niederlanden zeigen, daß es sich nicht nur um ein deutsches Phänomen handelt.
Der Schlußteil befaßt sich mit konkreten Gegenstrategien. Als bedingt wir-kungsvoll werden ‚polizeiliche Ausländerbeauftragte‘ und die Aufnahme von (mehr) AusländerInnen in die Polizei gewertet; als dringend nötig wird hin-gegen die Einsetzung einer/eines ‚Polizeibeauftragten‘ gesehen, deren oberste Aufgabe die umfassende Kontrolle der Einhaltung von Verfassung und Gesetzen durch die Polizei sein sollte.
Das einzige, was zu bemängeln wäre: Im Schlußwort heißt es, daß das Problem Rassismus vor allem in der Institution Polizei und in ihrer Rolle in der Gesellschaft liege. Gerade diese Rolle wird im Buch aber leider kaum deut-lich.
(Birgit Erbe, Internationale Liga für Menschenrechte e. V.)

Würz, Jochen: Frauen im Vollzugsdienst der Schutzpolizei (Peter Lang Verlag), Frankfurt/M. u.a. 1993, 253 S., DM 74,-
Als Schutzpolizist sammelte Würz eigene Erfahrungen mit Frauen in der Po-lizei. Für seine Diplomarbeit führte er Ende 1990 eine Fragebogen- und In-terviewaktion mit hessischen Schutzpolizistinnen durch. Untersucht wurden u.a. Ausbildungs- und Berufserwartung, dienstliche Verwendung, Bewältigung von Konfliktsituationen, Akzeptanz bei den männlichen Kollegen und in der Bevölkerung sowie frauenspezifische Probleme. Die Aussagen der Polizistinnen werden verglichen mit Ergebnissen der offiziellen Berichte über Modellversuche, die in den 80er Jahren in einigen Bundesländern durchgeführt wurden. Würz weist darauf hin, daß entgegen offizieller Behauptung nicht der Gleichberechtigungsgrundsatz Hauptmotiv für die Einstellung von Frauen gewesen sei, sondern ein Mangel an männlichen Bewerbern. Insbesondere interessiert Würz, inwieweit die Integration der Frauen erreicht ist: Trotz existierender Probleme werde die Integration in den offiziellen Berichten als abgeschlossen bewertet. Dies bewirke, daß Fehler nicht behoben werden und somit zukünftig weitere Probleme entstehen. Würz stellt den Begriff ‚Integration‘ dabei jedoch nicht in Frage und übersieht, daß Frauen in der Schutzpolizei aufgrund ihrer Minderheitensituation einem Anpassungsdruck ausgesetzt sind, aus Gründen der Akzeptanz Diskriminierung leugnen und sich als bevorzugt empfinden. Er ist der Ansicht, ihre Unzufriedenheit sei weniger in frauenspezifischen Problemen begründet, als in der kritischen Lage der Schutzpolizei. Die Diplomarbeit wurde für die Veröffentlichung inhaltlich nicht überarbeitet, so daß sie nicht den aktuellen Stand widerspiegelt. Da zum Thema allerdings immer noch wenig Literatur existiert, ist das Buch trotz der genannten Mängel lesenswert.
(Kea Tielemann, Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP)

Lüdtke, Alf (Hg.): „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“. Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrundert (Suhrkamp), Frankfurt/M. 1992, 392 S., DM 26,-
Die 14 Beiträge des Sammelbandes untersuchen zentrale Aspekte der deutschen Polizeientwicklung seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Nach der instruktiven Einleitung Lüdtkes, in der die Spezifika der deutschen Polizei thesenartig benannt werden, folgen Aufsätze zu Polizei-Konzepten und Einsätzen im süddeutschen Vormärz, zur Konstruktion des polizeilichen Gegenübers (‚Verbrecher‘, Jugendliche, Zigeunerverfolgung), zur ‚Polizierung‘ in-dustrieller Konflikte bzw. Regionen, zu einzelnen Phasen der Polizeient-wicklung (weibliche Polizei, Polizei in der Weimarer Republik) sowie zur Entwicklung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems am Beispiel der Gestapo. Die Beiträge verkleinern ein wenig den vom Herausgeber zurecht beklagten Mangel an (sozialwissenschaftlicher) Polizeigeschichtsschreibung; sie ermuntern gleichzeitig dazu, die umfassenderen Studien zur Kenntnis zu nehmen, in deren Zusammenhang sie entstanden.
(Heiner Busch)

Beckman, Morris: The 43 Group. Antifaschistischer Kampf in Großbritannien 1946-1950, Berlin (Harald Kater Verlag) 1995, 206 S., DM 25,-
Haase, Norbert; Paul, Gerhard (Hg.): Die anderen Soldaten. Wehrkraft-zersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt/M. (Fischer Taschenbuchverlag) 1995, 240 S., DM 19,90
Das Buch von Beckman berichtet über eine ebenso unglaublich anmutende wie faszinierende Episode der englischen Nachkriegsgeschichte: Nachdem die meisten britischen Soldaten aus den Kampfgebieten zurückgekehrt waren, entdeckte eine Gruppe jüdischer englischer Ex-Soldatinnen und -Soldaten, daß im eigenen Land noch kräftig für faschistische und antisemitische Ziele geworben wurde. Bereits im Herbst 1945 kam es zu tätlichen Auseinander-setzungen zwischen den Anhängern faschistischer Organisationen wie der ‚British League of Ex-Servicemen and Women‘ oder der ‚British Union of Fascists‘ und den Mitgliedern der ‚Association of Jewish Ex-Servicemen‘. Angeheizt durch die britische Palästinapolitik radikalisierten sich Teile der antifaschistischen Gruppen. Im März 1946 wurde die ’43 Group‘ (38 Männer und 5 Frauen) gegründet. Sie wollte den emporkommenden Faschismus vernichten und das Parlament dahingehend beeinflussen, rassistische Hetze unter Strafe zu stellen. Für die LeserInnen von Bürgerrechte und Polizei/CILIP sicherlich am interessantesten sind die eher en passant erfolgenden Berichte über die Erfahrungen der Mitglieder mit der Polizei. Sie unterschieden sich durchaus von dem, was zwischen Demonstrierenden und Ordnungskräften in Deutschland gang und gäbe ist. Insofern für kritische PolizistInnen und gegen Rechtsradikale Demonstrierende eine (wenngleich nicht ohne weiteres übertragbare und dennoch) nützliche Lektüre.
Haase/Paul vermessen das „verminte Gelände“ von Dissens und Verweigerung in der deutschen Wehrmacht und stellen dabei auch dar, wie Kriegsgerichte und andere Einrichtungen die Wehrdienstverweigerer, ‚Wehrkraftzersetzer‘ und Zwangsrekrutierten mit allen Mitteln drangsalierten und verfolgten. Gehört heute noch unter konservativen Kommentatoren der damaligen Situation innerhalb der Wehrmacht der edlen Motiven entstammende Widerstand eher zum Vorrecht der Offiziersränge, so hat sich dieses (Vor)Urteil dank der kontinuierlichen Arbeit vieler der in diesem Buch versammelten Autoren inzwischen gewandelt.
Im mittleren der drei Abschnitte, in die der Band gegliedert ist, werden die unterschiedlichen Facetten des Widerstandes im Militär dargestellt: Kriegs-dienstverweigerer 1939-1945, ‚Wehrkraftzersetzung‘ und Denunziation in der Truppe, Deserteure, Überläufer zu den Alliierten und den europäischen Befreiungsbewegungen, das Schicksal der ausländischen Zwangsrekrutierten im Zweiten Weltkrieg und schließlich der Widerstand der letzten Stunde: Kapitulanten und Befehlsverweigerer 1945.
Auch wenn die einzelnen Beiträge dies nicht ausdrücklich ausweisen, beziehen sie sich sämtlich auf die Deutsche Wehrmacht. Für alle, die sich beruflich und privat mit Fragen individuellen, bürgerrechtlichen Verhaltens innerhalb von geschlossenen Verbänden befassen, eine wichtige empirische Ergänzung, die auch neueste Forschungsergebnisse zum Thema knapp zusammenfaßt.
(sämtlich: Dave Harris, Archiv Soldatenrechte)

Krolzig, Martin (Hg.): Wenn Polizisten töten. Ein Werkstattbericht aus dem Umkreis einer Selbsthilfegruppe (Verlag Theomail), Meerbusch 1995, 190 S., DM 17,90
Einer (leider nicht näher bezeichneten) US-amerikanischen Studie zufolge werden ca. 20% der PolizeibeamtInnen mit den u.U. tödlichen Folgen eines von ihnen abgegebenen Schusses seelisch allein nicht fertig und leiden an-schließend an einem ‚Post-Shooting-Trauma‘ mit z.T. gravierenden Folgen (S. 9). Die Lektüre dieser Studie war für den nordrhein-westfälischen Poli-zeipfarrer Martin Krolzig der Anlaß, einen Gesprächskreis für PolizistInnen ins Leben zu rufen, die auf Menschen geschossen hatten. Ob diese Schüsse rechtlich zulässig waren oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Herausgekom-men ist dabei – neben den seelsorgerischen Erfolgen – nun ein sog. „Werkstattbericht“ aus einer Selbsthilfegruppe. Dies ist für das Buch Stärke und Schwäche zugleich. Seine Stärke zeigt sich da, wo es einen Eindruck davon vermittelt, welche Gefühle PolizeibeamtInnen nach einem abgegebenen Schuß überfallen. Und es zeigt in erschreckender Weise, in welch verrohter Art KollegInnen damit z.T. umgehen (S. 135) und wie hilf- und/oder interessenlos Vorgesetzte dem gegenüber stehen.
Die Schwäche des Buches hingegen liegt unübersehbar in seinem Selbstver-ständnis als Bericht einer Selbsthilfegruppe: Alles wird, mit wechselnden Worten, ständig wiederholt – wie eben Selbsthilfegruppen leicht in die Gefahr geraten, ihren Nabel für die Mitte der Welt zu halten. Die nicht unwichtigen Gründe, die zu einem Schußwaffeneinsatz führten, bleiben dabei weitgehend außen vor. Wichtig ist ausschließlich die seelische Verarbeitung des Vorge-fallenen – das nervt. Da es in der Bundesrepublik, im Gegensatz zu den USA, bislang keine wissenschaftlichen Untersuchungen des ‚Post-Shooting-Traumas‘ gibt, hat dieser ‚Werkstattbericht‘ dennoch seine Be-rechtigung: Nämlich in eben dieser Lücke.
(Otto Diederichs)

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