Ordnungsbehörden im Fahrwasser der polizeilichen Datenverarbeitung – Folgen des Berliner ASOG

von Claudia Schmid

Mit der Neufassung des ‚Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung‘ in Berlin (ASOG), das am 26.4.92 in Kraft getreten ist , sind auch in Berlin die Rechtsgrundlagen für die Informationsverarbeitung in diesem Bereich geschaffen worden. Ein Hauptproblem des Gesetzes liegt darin, daß es nicht nur für die Vollzugspolizei, sondern auch für die Ordnungsbehörden gilt. Der Berliner Datenschutzbeauftragte hat in der Anhörung zum Entwurf des ASOG darauf hingewiesen, daß über 150 datenverarbeitende Stellen bei den Ordnungsbehörden des Landes Berlin mit dem ASOG arbeiten werden.

Die Gelegenheit, anläßlich der Novellierung – wie in anderen Ländern – dif-ferenzierte Regelungen für die Vollzugspolizei und die Ordnungsbehörden zu schaffen, wurde nicht ergriffen. Lediglich die Befugnis, Identitätsfeststellungen an gefährlichen Orten durchzuführen, wurde schon im Referentenentwurf als für Ordnungsbehörden überflüssiges Instrumentarium gestrichen.

Das ASOG

Die Dominanz polizeilicher Belange beim ASOG ist wegen des Ursprungs der gesamten inneren Verwaltung als Polizei historisch erklärbar und wird auch durch die Ressortaufteilung begünstigt, da die Federführung der Innen-verwaltung bei der Gesetzesvorbereitung deren Sicht stärker zur Geltung bringt als die der diversen anderen Fachverwaltungen. Dies wurde schon 1982 in einem Forschungsprojekt der ‚Freien Universität Berlin‘ zum damaligen ASOG festgestellt. Aktuelle Bedeutung erhält dieses Problem durch die 1992 eingefügten Datenverarbeitungsbefugnisse.

Besondere Eingriffe, wie die Observation, der verdeckte Einsatz technischer Mittel, der Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern oder die Ra-sterfahndung, die nur für die Vollzugspolizei gelten, bilden einen Schwer-punkt des Gesetzes. Die allgemeinen – auch für die Ordnungsbehörden anwendba-ren – Datenverarbeitungsbefugnisse sind weitgehend an den voll-zugspolizeili-chen Bedürfnissen ausgerichtet. Dies wird bereits durch die Begrifflichkeit deutlich. Statt der nach Datenschutzgesetzen üblichen ‚Datenerhebung‘ können z. B. ‚Ermittlungen‘ und ‚Befragungen‘ durchgeführt werden.
Die Anwendung des auf die Arbeit der Vollzugspolizei zugeschnittenen ASOG mit seinen weitergehenden Datenverarbeitungskompetenzen durch Ordnungsbehörden führte in der Praxis bereits zu Problemen. Die Meldebehörde wollte z. B. eine Befragung des Vermieters über das Bestehen eines Meldeverhältnisses auf das ASOG stützen, obwohl nach dem Meldegesetz über Meldeangelegenheiten nur Auskünfte von Betroffenen und in Ausnahmefällen vom Wohnungsgeber erfolgen sollen. Eine Heranziehung der Auffangbestimmungen des ASOG würde diesen Kreis erweitern und auch die Befragung anderer Personen hinter dem Rücken der Betroffenen ermöglichen.
Andere Ordnungsbehörden lehnen nunmehr grundsätzlich eine Akteneinsicht durch Betroffene in Unterlagen, die Angaben über sie enthalten, ab. Das im Berliner Datenschutzgesetz vorgesehene Akteneinsichtsrecht wurde im ASOG auf eine Ermessensentscheidung reduziert. Diese Ermessensentscheidung fällt jedoch regelmäßig zu Lasten der Betroffenen aus. Daß bei der Vollzugspolizei besondere Sicherheitsinteressen im Einzelfall zu Einschränkungen bei dem Akteneinsichtsrecht führen können, mag in gewisser Weise noch nachvollziehbar sein, obwohl das Berliner Datenschutzgesetz den öffentlichen Geheimhaltungsinteressen bereits weitgehend Rechnung trägt. Aber warum Ordnungsbehörden hier anders gestellt werden müssen als andere Berliner Behörden, ist nicht einsichtig.

Die Ordnungsbehörden profitieren auch von einem anderen datenschutzver-kürzenden Privileg im ASOG. Sie brauchen die betroffenen Personen bei Be-fragungen nicht mehr über die Rechtsgrundlage und ihre Auskunftspflicht oder Freiwilligkeit zu belehren, wenn es ihre Aufgabenerfüllung erheblich erschweren würde. Diese Abweichung von den Aufklärungspflichten des Berliner Datenschutzgesetzes wurde wegen der Besonderheiten der vollzugspolizeilichen Arbeit aufgenommen. In den Gesetzesberatungen wurde als Beispiel die Unfallaufnahme oder ein Handeln in anderen Notsituationen genannt, bei denen keine Zeit für Belehrungen der Betroffenen bleibe. Solche Situationen sind auf die Ordnungsbehörden allerdings nicht übertragbar, da nur die Polizei für unaufschiebbare Maßnahmen zuständig ist.
Daß es sich bei der Zuweisung der Befugnisse durch das ASOG um einen einseitigen Prozeß aus polizeilicher Sicht handelt, zeigen auch die Standard-maßnahmen, die überwiegend vollzugspolizeilichen Charakter haben. So sieht das Gesetz nicht nur für die Vollzugspolizei, sondern auch für alle Ord-nungsbehörden unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit von verdeckten Ermittlungen vor. Auch die Befugnisse, einen Platzverweis auszusprechen oder einen Bürger für die Dauer eines Datenabgleichs anzuhalten, Durchsuchungen von hilflosen Personen oder zur Sicherstellung von Sachen, Wohnungsdurchsuchungen vorzunehmen sind ohne Differenzierung auch für alle Ordnungsbehörden vorgesehen.

Bei den Regelungen zur Löschung personenbezogener Daten wurden die Bedürfnisse der Ordnungsbehörden vollkommen übersehen. Es wurde lediglich die bisherige Praxis der Polizei bei der Datenspeicherung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung gesetzlich umgesetzt. Im ASOG sind (außer für die Speicherung der Daten von Zeugen, Hinweisgebern, Auskunfts- und Kontaktpersonen bei der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung ) keine Löschungsfristen vorgesehen, sondern lediglich die Prüfung, ob die gespei-cherten Daten nach bestimmten Fristen für die Aufgabenerfüllung noch er-forderlich sind. Diese Prüffristen richten sich nach dem Alter der Betroffenen und dürfen nicht vor einer Haftentlassung der betroffenen Person beginnen. Für die Ordnungsbehörden und die zu ihrer Aufgabenerfüllung ge-speicherten Daten sind diese Kriterien unbrauchbar. Die ausschließlich (vollzugs-)polizeiliche Ausrichtung der Löschungsregelungen wurde mit der Prüffristenverordnung konsequent umgesetzt. Die Verordnung gilt aus-schließlich für Datenspeicherungen durch die Polizei und bestimmt Prüffristen für Daten über Tatverdächtige, vermißte und gefährdete Personen sowie Kontaktpersonen, Zeugen, Hinweisgeber und sonstige Auskunftspersonen, die zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung registriert wurden. Auch für die Ordnungsbehörden sieht das ASOG vor, daß sie für ihre Dateien Er-richtungsanordnungen erlassen müssen. Sie müssen hier auch die für sie nicht umsetzbaren Prüffristen aufführen.

Fazit

Die genannten Beispiele zeigen, daß das Berliner ASOG der Vielgestaltigkeit der ordnungsbehördlichen Aufgaben und ihren besonderen Bedürfnissen nicht gewachsen ist und sich dieses Problem durch die eingeführten Datenverar-beitungsbefugnisse eher noch verschärft hat. Das ASOG sollte sich auf die – ohnehin schwierige – Aufgabe beschränken, die Befugnisse der Vollzugspolizei zu regeln. Es ist an der Zeit für eine klare Trennung und Entpolizeilichung des materiellen Ordnungsrechtes.

Claudia Schmid ist stellvertretende Datenschutzbeauftragte in Berlin.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.