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Literatur zum Schwerpunkt

Wenn man schon kaum etwas über die Arbeit der Geheimdienste erfahren darf, so wäre doch für ein demokratisches Gemeinwesen zu erwarten, daß zumindest die Chance bestünde, sich darüber informieren zu können, wie, mit welchen ‚Erfolgen‘ und Konsequenzen die StellvertreterInnen des Wahlvolkes die ihnen übertragene Kontrolle jener Dienste verrichten. Doch auch diese Hoffnung wird gründlich enttäuscht, die Kontrolle geschieht so geheim, wie die Dienste ihre Arbeit verrichten. Bereits an einer veröffentlichten Darstellung der gegenwärtigen rechtlich-institutionellen Kontrolleinrichtungen und Verfahren mangelt es. Zum „Recht der Geheimdienste“ kann deshalb nur auf ältere Kommentare hingewiesen werden:
Borgs-Maciejewski, Hermann/Ebert, Frank: Das Recht der Geheimdienste, Stuttgart u.a. 1986
Roewer, Helmut: Nachrichtendienstrecht der Bundesrepublik Deutschland, Köln u.a. 1987
Beide Werke sind veraltet, denn seit ihrem Erscheinen ist das bundesdeutsche Geheimdienstrecht mehrfach novelliert und erweitert worden. Ohne aktuelle Nachfolger bleiben beide Kommentare jedoch für die allgemeine Orientierung über die rechtliche Normierung der Apparate und deren Kontrolle wichtig. Wer sich über den aktuellen Stand informieren will, ist auf die neueren Gesetzestexte selbst sowie ggf. die Begründungen in deren Entwürfen angewiesen.

Ohler, Rainer: Parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit, (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Info-Brief 1/93), Bonn 1993
Diese Veröffentlichung ist nicht im Buchhandel erhältlich, aber über den Bundestag zu beziehen. Sie stellt die verschiedenen Kontrollgremien des Bundestags auf dem Stand von Ende 1992 ausgesprochen verständlich vor: Haushaltsausschuß, G 10, PKK, AWG. Auch wenn man die Wertungen des Autors nicht teilt, werden in der Darstellung die Grundfragen parlamentarischer Kontrolle (und ihre aktuellen Antworten) deutlich. Über die Wirklichkeit parlamentarischer Kontrolle allerdings gibt deren normativer und institutioneller Rahmen keine Auskunft. Diese, wenn auch spärlich, lassen sich eher aus Äußerungen von beteiligten Kontrolleuren gewinnen, z.B.:

Arndt, Claus: 25 Jahre Post- und Fernmeldekontrolle. Die G 10-Kommission des Deutschen Bundestages, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 1993, H. 4, S. 621-634
Miltner, Karl: Die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hg.): Verfassungsschutz in der Demokratie, Köln-Berlin-Bonn, München 1990, S. 53-66
Beide Autoren schildern im wesentlichen Struktur und Aufgaben der G 10-Kommission, der sie seit Jahren angehören. Die Informationen, die über die faktische Kontrolltätigkeit gegeben werden, sind ausgesprochen spärlich. Statt dessen werden die zugrundeliegenden Vorstellungen von parlamentarischer Kontrolle deutlich. Arndt lobt die rechtsstaatliche Qualität der Kommissionskontrolle gegenüber der von Gerichten im Rahmen von Polizei- oder Strafprozeßrecht angeordneten Grundrechtseinschränkungen. Entgegen den von der Kommission dort festgestellten „nicht unerhebliche(n) Gesetzesverstöße(n)“ sei es bei den Geheimdiensten zu keinem „gravierenden Fall“ gekommen. Gerne hätte man hier mehr gewußt, da polizeilicherseits stets behauptet wird, ihre Fernmeldeüberwachung sei noch von keinem höheren Gericht als gesetzeswidrig qualifiziert worden. Zudem verkennt Arndt, daß die Kritik am G 10-Gesetz sich nicht allein auf die Anordnungsbefugnis, sondern vor allem auf den Ausschluß des Rechtsweges stützte. Den vom Verfassungsgericht formulierten Anforderungen folgend, wurde die (eingeschränkte) Benachrichtigungspflicht 1978 in das G 10-Gesetz aufgenommen. Daß sie den Status der Abgehörten keineswegs verbesserte, zeigt der Fall Wallraff, der 1974 mit Zustimmung der Kommission abgehört worden war. Fünf Jahre nach Beendigung der ergebnislosen Telefonüberwachung wurde er vom Innenministerium informiert. Sein Versuch, durch Verwaltungsgerichte die Rechtswidrigkeit des Abhörens feststellen zu lassen, scheiterte. Daß die G 10-Kommission hinter soviel Verständnis für die Dienste keineswegs zurückfällt, zeigt Miltners Bekenntnis eines loyalen Kontrolleurs: „Bei aller Kritik und Kontrolle ist auch stets die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes im Auge zu behalten“ (S. 55). So verwundert es kaum, daß er mit dem Fazit schließt, G 10-Kommission und PKK hätten sich „bewährt“. (Über die Chancen gerichtlicher Kontrolle des Verfassungsschutzes informiert der Beitrag Christoph Gusys im selben Band (S. 67-103). Die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes hat an Gusys Aussagen nichts geändert).

Über die Realitäten, d.h. vor allem die Schwierigkeiten und engen Grenzen parlamentarischer Kontrolle informieren einzelne Beiträge, die in den letzten Jahren aus dem Spektrum der GRÜNEN vorgelegt worden sind. Exemplarisch:

AL-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin (Hg.): Verfassungsschutz und Demokratie – vereinbar?, Berlin 1987
In dieser Seminardokumentation ist vor allem der Beitrag Ströbeles (S. 42-45) von Interesse. Der damalige Bundestagsabgeordnete bezweifelt sowohl die Kontrollierbarkeit der Dienste als auch die Kontrollambitionen der bestellten Kontrolleure. Gleichzeitig plädiert er für grüne Beteiligung an der Geheimdienstkontrolle, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (AL), UFV, Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin (Hg.): Kontrolle der Geheimen?, Berlin 1994
Zur Bilanzierung ihrer fünfjährigen Ausschußarbeit siehe Bürgerrechte & Polizei/CILIP 49 (3/94), S. 94.

Weichert, Thilo: Baden-Württemberg: Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 28 (3/87), S. 66-74
Weichert untersucht die Kontrollmöglichkeiten am Beispiel des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Statt von Parlament oder Gericht, verspricht er sich eher „etwas Transparenz“ durch die Tätigkeit der Datenschutzbeauftragten. Demokratischen Kriterien genüge diese aber keineswegs.

Funk, Albrecht/Wieland, Wolfgang: Berliner Verfassungsschutz, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 33 (2/89), S. 10-27
Die Autoren stellen einen Berliner Verfassungsschutzskandal aus der zweiten Häfte der 80er Jahre sowie die Arbeit des ihm nachfolgenden Untersuchungsausschusses dar.

Das Stichwort Untersuchungsausschuß weist auf den zweiten Komplex parlamentarischer Geheimdienst- und Polizeikontrolle: die regulären Parlamentsausschüsse sowie die Untersuchungsausschüsse. Hinsichtlich der Polizei ist keine Untersuchung der kontrollierenden Tätigkeiten (und Grenzen) etwa der Innenausschüsse bekannt. Interessierte sind auf Darstellungen einzelner Ausschußaktivitäten oder die juristisch-politologische Diskussion um Ausschuß- und Parlamentsrechte angewiesen. Für die Untersuchungsausschüsse ergibt die Durchsicht der Literatur, daß die Geheimdienstkontrolle nur beiläufig berücksichtigt wird.

Damkowski, Wulf (Hg.): Der parlamentarische Untersuchungsausschuß, Frankfurt/M., New York 1987
Engels, Dieter: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse: Grundlagen und Praxis im Deutschen Bundestag, Heidelberg 1991
In beiden Büchern kommen die Geheimdienste nicht vor; ihre Problematik verschwindet hinter der Vokabel vom „Geheimnisschutz“. Deutlich wird allenfalls, daß die Ausschüsse sich nur in dem Ausmaß Informationen erschließen können, wie sie sich selbst von der Öffentlichkeit abschließen. Der von Damkowski herausgegebene Band endet mit Reformvorstellungen für die Effektivierung der Untersuchungsausschüsse; sie blieben ebenso Programm wie jene Vorschläge, die in einem Sammelband von 1988 dokumentiert sind:

Thaysen, Uwe/Schüttemeyer, Suzanne S. (Hg.): Bedarf das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einer Reform?, Baden-Baden 1988

Abschließend soll auf eine der wenigen sozialwissenschaftlichen Studien zum Thema aufmerksam gemacht werden:

Plöhn, Jürgen: Untersuchungsausschüsse der Landesparlamente als Instrumente der Politik, Opladen 1991
Auch diese empirisch umfangreiche Studie widmet der Geheimdienstkontrolle keine gesonderte Aufmerksamkeit. In den vorgestellten Fallstudien tauchen die Ämter für Verfassungsschutz nicht auf (zwei Ausschüsse betreffen die Landespolizeien). Plöhn weist nach, daß die Ausschußarbeit nicht von der Suche nach Wahrheit, sondern vom Kampf um die Regierungsmehrheit bestimmt wird. Für ihren Erfolg sei deshalb die Art der Beweiserhebung ausschlaggebend. Legt man solche Zielgrößen und Kriterien an die Geheimdienstuntersuchungsausschüsse an, dann ahnt man, wie wenig sie bewirken können.
(sämtlich: Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Wedding, Jürgen/Claussen, Uwe: Der Mehrzweckeinsatzstock MES/Tonfa in der praktischen Anwendung (Richard Boorberg Verlag), Stuttgart 1994, 96 S., DM 28,-
In Nordrhein-Westfalen wird er bei den Sondereinsatzkommandos (SEK) bereits seit 1985 erprobt. Als 1990 bekannt wurde, daß auch in anderen Bundesländern der neue, einem asiatischen Kampfgerät nachempfundene Schlagstock im Modellversuch eingeführt wurde, galt der Knüppel noch verschämt als „Rettungsmehrzweckstock“ (RMS). Mit der Scham ist es vorbei und offenbar auch mit der Beschränkung auf SEK-BeamtInnen. Das nun erschienene Ausbildungsbuch richtet sich an die gesamte Polizei, und aus dem RMS wurde ein MES (Mehrzweckeinsatzstock). Reich bebildert zeigt das Buch die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, und es zeigt zugleich, daß ein solches Gerät – wenn überhaupt – nur in die Hände speziell trainierter BeamtInnen gehört. Insbesondere die „Sicherungshebel“ (S. 56, 59) demonstrieren die Gefährlichkeit. Selbst die gestellten Aufnahmen lassen ahnen, was passieren kann, wenn solche Techniken von mangelhaft geschulten Einsatzkräften in turbulenten Demonstrationseinsätzen praktiziert werden. Aber auch bei ‚harmloseren‘ Abbildungen meint man dann und wann die Knochen krachen zu hören. Dies ist den Autoren zwar bewußt, („Niemals darf zum Kopf des Angreifers geschlagen werden“, S. 27), dennoch finden sich genau solche Schläge (S. 31, 65). Wenn der Stock „bei Dreh- und Schleuderbewegungen einen Kopf trifft, dann knackt er jeden Schädel“, zitierte der ‚Spiegel‘ im Oktober 1990 einen Polizeigewerkschafter. Dieses Buch tritt den Beweis an.

Edition ID-Archiv (Hg.): „wir haben mehr fragen als antworten …“. RAF-diskussionen 1992-1994, (Edition ID-Archiv), Berlin-Amsterdam, ca. 400 S., 36,- DM
RAF-Texte: Wen interessiert das heute noch? Die nachwachsende Generation kennt allenfalls noch die einstigen Führungsfiguren Baader und Meinhof. Mit militanter Politik kann sie kaum noch etwas anfangen. Uns Älteren, die wir die RAF miterlebt und z.T. mitgelebt haben, geht es häufig nicht viel anders: „Zur Zeit ist die legale Linke nicht in der Lage, öffentlich den prozessualen Charakter der letzten 20 Jahre bewaffneten Widerstandes reflektiert darzustellen“, heißt es zutreffend in der Einleitung der Redaktionsgruppe (S. 12). Mit dem vorgelegten Dokumentationsband der Erklärungen von RAF-Gefangenen (und ihnen Nahestehenden) der letzten zwei Jahre schließt er an die „texte der RAF“ (1983) und „Stammheim vergessen“ (1992), (s. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 44 (1/93), S. 108ff.) an. Intention des neuen Bandes des ID-Archives ist denn auch, „allen Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich mit den ‚RAF-Diskussionen 1992-1994‘ auseinanderzusetzen.“ (S. 9). In einer Linie mit den genannten Büchern heißt das, die gesamte (öffentliche) RAF-Diskussion seit 1974 nunmehr lückenlos nachvollziehen zu können.

Ostheimer, Michael: Verfassungsschutz nach der Wiedervereinigung. Möglichkeiten und Grenzen einer Aufgabenausweitung, (Peter Lang Verlag), Frankfurt/M., 1994, 143 S., 64,- DM
Bereits auf den ersten Seiten dieses Buches beschleicht die LeserInnen ein merkwürdiges Gefühl: Warum zum Teufel greift der Autor schon bei seiner geschichtlichen Vorbemerkung zum ‚Begriff des Verfassungsschutzes‘ (S. 5ff.) hauptsächlich auf Protagonisten des institutionellen Verfassungsschutzes zurück? Wer da nicht bereits kopfschüttelnd aufgibt, kommt mit zunehmendem Seitenumfang seiner Lektüre langsam dahinter: Der Autor ist zwar kräftig belesen, hat aber weder von seinem Thema eine rechte Vorstellung noch eine eigene Meinung! So wird dann „gezeigt“ oder „geschlossen“; irgend etwas erscheint „voreilig“ oder „problematisch“; es wird eine „Frage in den Raum gestellt“ usw. Wo er dann doch einmal zu einer klaren Feststellung kommt, da wird diese in den Fußnoten durch unterstützende Quellenangaben flugs abgesichert. So stolpert der Autor in seiner ‚Fast-food‘-Dissertation (kaum ein Kapitel ist länger als eine Seite; der Punkt ‚Hausgemachte Probleme des Verfassungsschutzes‘ gar nur ganze 10 Zeilen (S. 38)) munter von Position zu Position. Zur Aufgabenerweiterung des Verfassungsschutzes heißt es: „Es ist daher nach dem grundsätzlichen Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei zu fragen. Aus der Systematik der Aufgabenverteilung zwischen Verfassungsschutz und Polizei läßt sich dann ersehen, ob die vorgeschlagenen Aufgaben vom Verfassungsschutz wahrgenommen werden können“ (S. 61), und einige Seiten später: „Einer Aufgabenausweitung des Verfassungsschutzes in den polizeilichen Bereich steht darüber hinaus auch das Trennungsgebot entgegen, …“ (S. 139). Im Ergebnis ist der Autor gegen die Abschaffung des Verfassungsschutzes als einem Instrument der „streitbaren Demokratie“ (S. 25), die Ämter könnten aber „in der Zukunft (…) in der für die streitbare Demokratie vorgebenen, aber restriktiv ausgelegten Form Sinn machen“ (S. 140). Oh, hättest Du geschwiegen.
(sämtlich: Otto Diederichs)

Marenbach, Ulrich: Die informationellen Beziehungen zwischen Meldebehörde und Polizei in Berlin (Dunker & Humblot), Berlin 1995, 267 S., DM 82,-
Das Buch stellt die rechtlichen und praktischen Informationsbeziehungen zwischen Melde- und Polizeibehörde umfassend dar. Denn ungeachtet der als Folge des Volkszählungsurteils realisierten organisatorischen Trennung des Meldewesens von der Polizei ist das Melderegister immer noch deren wichtigster und größter Datenlieferant. Der Autor gliedert die Darstellung der vielfältigen Informationsbeziehungen in vier Abschnitte. Die beiden ersten stellen Untersuchungsgegenstand und -methode dar und beleuchten die Entwicklung des Meldewesens im preußischen Raum vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Dritten Reiches. Im dritten Abschnitt werden die im Volkszählungsurteil entwickelten Kriterien rechtsstaatlicher Informationsverarbeitung beschrieben und im Hinblick auf das Meldewesen untersucht. Der vierte Abschnitt schließlich stellt die informationelle Zusammenarbeit der Meldebehörde und der Polizei dar. Hier werden nicht nur die Rechtsgrundlagen umfassend erörtert, sondern auch einzelne Maßnahmen wie z.B. Hotel- und Krankenhausmeldepflicht, Datenübermittlungsregelungen und Datenabfragebefugnisse bis hin zu Datenabgleichen. Gerade in diesem Abschnitt dürfte das Buch von großem Nutzen für jeden sein, der das rechtsstaatliche Handeln von Polizei und Meldebehörden auf dieser Datenrollbahn beurteilen soll.
(Lena Schraut, Mitarbeiterin des brandenburgischen Datenschutzbeauftragten)

Sieber, Ulrich/Bögel, Marion: Logistik der Organisierten Kriminalität (BKA-Forschungsreihe, Bd. 28), Wiesbaden 1993, 408 S., DM 25,-
Bögel, Marion: Strukturen und Systemanalyse der Organisierten Kriminalität in Deutschland, (Duncker & Humblot), Berlin 1994, 216 S., DM 78,-
Flormann, Willi: Heimliche Unterwanderung. Organisierte Kriminalität – Herausforderung für Staat und Gesellschaft (Organisierte Kriminalität in Deutschland, Bd. 1), (Schmidt-Römhild), Lübeck 1995, 163 S., DM 28,-
Sehr, Peter: Internationale Kraftfahrzeug-Verschiebung (Organisierte Kriminalität in Deutschland, Bd. 2), (Schmidt-Römhild), Lübeck 1995, 131 S., DM 24,-
Die beiden ersten Bände präsentieren die Ergebnisse einer vom Bundeskriminalamt in Auftrag gegebenen Untersuchung. 1992/93 führten Sieber/Bögel 49 strukturierte Interviews mit OK-Experten von Polizei und Staatsanwaltschaft, aus der öffentlichen Verwaltung, der Kfz-Industrie und der Versicherungswirtschaft, mit (2) OK-Tätern sowie InteressenvertreterInnen der Prostituiertenvereinigung ‚HWG‘. Aus der Perspektive des von der Betriebswirtschaft entlehnten Logistik-Konzepts wird versucht, die Strukturen und Funktionsweisen in den OK-trächtigen Deliktsbereichen: Kfz-Verschiebung, Ausbeutung der Prostitution, Menschenhandel und illegales Glücksspiel nachzuzeichnen. Gemessen an den bislang in der BRD vorliegenden OK-Studien stellt der Logistik-Ansatz unzweifelhaft einen Fortschritt dar; er gibt ein begriffliches Instrumentarium an die Hand, das eine zunächst von kriminalistischen oder juristischen Kategorien ungetrübte Beschreibung von OK erlaubt. Dem selbstgesteckten Ziel, zu erweiterten Ansätzen für Prävention und Repression von OK zu kommen, werden Sieber/Bögel dabei durchaus gerecht. Daß ihre Analyse eher gegen verschärfte Repression spricht, weil sie die Marktbedingungen zugunsten besonders professioneller oder brutaler Tätergruppen verändert, hält die Autoren jedoch nicht davon ab, im Gleichklang mit ihrem Auftraggeber den Ausbau traditioneller OK-Bekämpfung zu fordern. Während die gemeinsame Veröffentlichung noch den Eindruck nahelegte, daß mit einer interessanten Untersuchungsperspektive OK besser verstanden (verhindert und bekämpft) werden könnte, offenbart die Analyse Bögels die zentrale Schwäche des gesamten Vorhabens. Mit dem nahezu trivial anmutenden, aber analytisch wirkenden Jargon des „Logistik-Ansatzes“ werden die weichen Daten, die aus den in Interviews geäußerten Erfahrungen, Interpretationen und Einschätzungen bestehen, in vermeintlich harte Fakten gegossen. Wirkte das wiederkehrende Bekenntnis, beim Dargestellten handele es sich tatsächlich um OK im Sinne der gültigen Definition, im gemeinsamen BKA-Bericht nur peinlich, so wird die Arbeit Bögels, eine Dissertation, dadurch entwertet, daß sie jeden methodischen Skrupel vermissen läßt: Das, was sie analysiert, ist nicht OK, sondern die Aussagen von Personen, die Erfahrungen im Umgang mit OK haben (sollen). Wer den BKA-Band zur Kenntnis nimmt, kann das Bögelsche Werk getrost übersehen.

Eine andere Art von Information versprechen die ersten beiden einer auf 24 Bände angelegten Reihe über „Organisierte Kriminalität in Deutschland“. Naiv wäre, wer hier anderes als die polizeiliche Sicht der Dinge erwartet. Im Unterschied zu Sieber/Bögel kommen hier Polizeipraktiker zu Wort, die aus der Unmittelbarkeit ihres beruflichen Horizonts schöpfen. Im ersten Band zeichnet Flormann, der Herausgeber der Reihe, die bundesdeutsche Diskussion um „organisierte Kriminalität“ nach. Die mit Zitaten gespickte Darstellung bringt nichts Neues; sie klebt zu eng an den polizeilichen Quellen, um die frühe Debatte um OK und ihren Siegeszug in den 80ern verstehen zu können. Flormanns unreflektierte Erfolgsgeschichte setzt sich wie selbstverständlich mit der Erläuterung der gegenwärtigen offiziellen Definition fort. Ihr folgt ein Überblick über die „Deliktsbereiche der Organisierten Kriminalität“, von A wie „Arbeitnehmerüberlassung, illegale“ bis Z wie „Zuhälterei“. Als handfeste Krönung des Bandes stehen am Ende zwei Seiten mit Zahlen aus dem OK-Lagebild 1993. So als ob hinter der scheinbaren Objektivität von Zahlen verborgen werden könnte, wie die Rede über OK von polizeilichen und politischen Konstruktionsprozessen abhängt.
Der zweite Band über Kfz-Verschiebung kündigt den weiteren Verlauf der Reihe an: Nun werden die OK-trächtigen Deliktsbereiche im einzelnen unter die Lupe genommen. Der Band gibt einen Einblick in das polizeilich wahrgenommene Ausmaß der Kfz-Verschiebung und stellt die polizeilichen Bekämpfungsstrategien vor. Dem Logistik-Ansatz folgend wird als wichtigste Aufgabe die „Zerschlagung der jeweiligen Täter-Logistik“ proklamiert. Mit welchen Implikationen eine solche Strategie verbunden ist, wird allerdings weder erwähnt noch problematisiert. Im zweiten Teil kommen verschiedene PraktikerInnen mit Fallbeispielen zu Wort. So gibt der Band Einblick in polizeiliches Wissen über und Reaktionen auf die Kfz-Verschiebung; mehr und anderes wäre wünschenswert, aber fairerweise nicht zu erwarten.

Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg/Institut für Kriminologie der Universität Tübingen/Fachhochschule Villingen-Schwenningen – Hochschule für Polizei (Hg.): KRIMDOK – KRIMMON, CD-ROM, Betaversion 1/95, 99,- DM.
Bibliographische Bestände anderer Disziplinen sind schon z.T. seit Jahren auf CD-ROM in Bibiliotheken verfügbar. Dank der Initiative der Universität Tübingen und der Polizeifachhochschule in Villingen-Schwenningen liegt mit KRIMDOK – KRIMMON nun auch ein Anfang für die Kriminologie vor. KRIMDOK ist die Fortsetzung der ‚Heidelberger Dokumentation der deutschsprachigen kriminologischen Literatur‘, die seit 1990 elektronisch erfaßt wird und in der jetzt vorliegenden Fassung bereits mehr als 20.000 Einträge aufweist. Mit KRIMMON hingegen ist der Bestand des Tübinger Sammlungsschwerpunkts ausländischer kriminologischer Literatur erfaßt und recherchierbar. Die vorliegende Version enthält rund 51.000 Bände. Während die Monographien in KRIMMON durch die bekannte Systematik des Tübinger Schwerpunkts erschließbar sind, erfolgt die Deskribierung in KRIMDOK anhand von nicht hierarchisierten Schlagworten. Da beide Systeme zusätzliche Recherchen nach Autoren oder Suchbegriffen aus Titeln und Untertiteln erlauben, wird die Literatursuche erheblich erleichtert. Auch kündigen die Herausgeber an, nach Möglichkeit die ältere Literatur schrittweise in die Datei einzustellen. Wichtiger als ein bibliothekarischen Maßstäben gerecht werdender Thesaurus wäre allerdings, wenn die bibliographischen Angaben um Abstracts ergänzt würden. Aus der Sicht derjenigen, die besonders an der Polizei interessiert sind, wäre es zudem wünschenswert, wenn in die Liste der ausländischen Zeitschriften, die für KRIMDOK ausgewertet werden, um einige wichtige ergänzt würden, etwa: Policing, Police Studies, Policing and Society, Cahiers de la Sécurité Intérieur. Gleichwohl ist ein nützlicher und längst überfälliger Anfang gemacht. Die CD-ROM soll jährlich aktualisiert werden und kann (im Abo) über die Fachhochschule Villingen-Schwenningen bezogen werden.
(sämtlich: Norbert Pütter)

Lohner, Erwin: Der Tatverdacht im Ermittlungsverfahren, Frankfurt/M. u.a. (Lang) 1994, 272 S., DM 79,-
Dem Tatverdacht kommt für das Strafverfahren eine erhebliche Bedeutung zu. Daß in der Praxis freilich die Feststellung des Tatverdachts im wesentlichen von der Beurteilung durch die Polizei abhängt, hat die kriminologische Forschung in einigen Untersuchungen gezeigt. Vor dem Hintergrund der Verrechtlichung verdeckter Methoden in der StPO, die im polizeilichen Verständnis der Gewinnung und Verdichtung eines Anfangsverdachts dienen sollen, ist Lohners Frage nach rechtlicher Kontrolle der polizeilichen Verdachtsgewinnung aktueller denn je. Daß er die Problematik der Vorfeldermittlungen sehr knapp abhandelt und dabei die neuen Befugnisse zu verdeckten Ermittlungen mit keiner Silbe erwähnt, ist daher unverständlich. Dies um so mehr, als er an anderer Stelle feststellt, daß gerade diese Methoden im Grenzbereich zwischen Vermutung und Verdacht anzusiedeln sind (S. 93ff.). Dennoch ist die Untersuchung nicht völlig uninteressant. In den ersten Kapiteln werden der juristische und polizeiliche Verdachtsbegriff behandelt. Dabei arbeitet Lohner die Unterschiede zwischen tat- und täterbezogenen bzw. zwischen retrospektiver und prospektiver Verdachtsprognose und deren Bedeutung in der Verdachtsfindung und Steuerung der polizeilichen Ermittlungen heraus. Angesichts der Vormachtstellung der Polizei bei der Feststellung des Tatverdachts fragt er nach den Kontrollmöglichkeiten und kommt zu dem Ergebnis, daß es an diesen eklatant mangelt. Auch wenn man dem Autor an manchen Stellen nicht zustimmen mag, und es streckenweise an einer kohärenten Begründung mangelt, stößt man doch auf interessante Apekte, die Anregungen für die weitere Auseinandersetzung um die Kontrolle der polizeilichen Ermittlungen geben können.
(Sabine Strunk, AG Bürgerrechte)

Schall, Hero/Schirrmacher, Gesa: Gewalt gegen Frauen und Möglichkeiten staatlicher Intervention (Richard Boorberg Verlag), Stuttgart u.a. 1995, 76 S., DM 24,-
Grundlage dieses Bändchens ist ein interdisziplinäres Projekt der Universität Osnabrück, das seit 1992 versucht, Barrieren zwischen staatlichen Instanzen wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten einerseits und Frauennotrufen, Frauenhäusern und Beratungsstellen andererseits gegen eine Zusammenarbeit bei staatlichem Eingreifen bei häuslicher Gewalt gegen Frauen zu beseitigen und geeignete Maßnahmen für eine solche staatliche Intervention zu erarbeiten. Im Ergebnis befürworten Schall/Schirrmacher polizeiliches Eingreifen, das ggf. zur Ingewahrsamnahme des schlagenden Mannes führt und verknüpft mit „sozialpädagogischen Maßnahmen“ (d.h. soziale Trainingskurse zur Verhaltensänderung beim Täter) eine „präventive Resozialisierung“ bewirken soll (S. 63ff.). Nach Ansicht der AutorInnen wird diese Vorgehensweise in den USA seit Anfang der 80er Jahre im Rahmen des ‚Domestic Abuse Intervention Projects‘ (DAIP) in verschiedenen Staaten recht erfolgreich praktiziert; der Übertragbarkeit auf die bundesdeutsche Rechtslage stehe im großen und ganzen nichts im Wege. Obwohl die Untersuchung etwas kurz geraten ist, leistet sie dennoch einen Beitrag in der juristischen Diskussion über sinnvolle Interventionsmaßnahmen bei häuslicher Gewalt.

Funken, Christiane: Frau – Frauen – Kriminelle. Zur aktuellen Diskussion über „Frauenkriminalität“ (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Bd. 112), (Westdeutscher Verlag), Opladen 1989, 296 S., DM 48,-
Gransee, Carmen/Stammermann, Ulla: Kriminalität als Konstruktion von Wirklichkeit und die Kategorie Geschlecht (Hamburger Studien zur Kriminologie, Bd. 14), (Centaurus Verlagsgesellschaft), Pfaffenweiler 1992, 143 S., DM 24,-
Frauenkriminalität, so kritisiert Funken, sei von feministischer Seite immer wieder als reaktive Nahraumkriminalität eingeordnet worden. Die Kategorie Geschlecht werde dabei unkritisch als Bedingung für eine Analyse von Frauenkriminalität vorausgesetzt. Die Bandbreite weiblicher Lebens- und Erfahrungszusammenhänge werde so allerdings völlig ausgeblendet, Frauen auf eine Konstruktion von Weiblichkeit reduziert. In ihrer Arbeit will sie daher anhand von standardisierten Fragebögen und Tiefeninterviews mit 125 strafgefangenen Frauen die These von Frauenkriminalität als reaktiver Nahraumkriminalität widerlegen und das Thema einer differenzierteren Betrachtung unterwerfen. Dazu hätte allerdings auch der wenig aufwendige Blick in die Verurteilungsstatistiken gereicht, danach können nämlich nur ca. 50% der von Frauen begangenen Delikte dem sozialen Nahraum zugeordnet werden. Die Ergebnisse der Studie sind insgesamt wenig überraschend, wenn man am Ende erfährt, daß der Ort der kriminalisierten Handlung davon bestimmt ist, ob die Täterin für sich selbst eine traditionelle, mannfixierte Rollenkonzeption hat, oder ob sie fortschrittlicher ist und sich dadurch alternative Lebens- und Handlungsräume außerhalb des sozialen Nahraums erschließen lassen (S. 231ff.).

Gransee/Stammermann versuchen etwas völlig anderes. Ihnen geht es um eine feministische Kritik an der (kritischen) Kriminologie, die sich nicht darauf beschränken sollte, die Kriminalisierung von Frauen zu untersuchen, sondern die die Kategorie Geschlecht in die gesamte kriminologische Theoriebildung und Analyse einbringen will. Den Autorinnen gelingt es äußerst spannend, durch das Herausarbeiten der Prämissen sowohl der ‚Kritischen Kriminologie‘ als auch der feministischen Wissenschaftskritik die Grundlage für eine ‚feministische Perspektive‘ in der Kriminologie zu entwickeln. Am Ende ist die ‚Kritische Kriminologie‘ ihres Allgemeingültigkeitsanspruches beraubt: Sie verkürzte die Funktionen von Kriminalisierung auf Legitimation und Aufrechterhaltung der herrschenden Produktionsweisen und der damit verbundenen Verhaltenszumutungen, ohne dabei das Geschlechterverhältnis zu berücksichtigen. Statt weibliche Lebens- und Erfahrungszusammenhänge im hierarchischen Geschlechterverhältnis mit einzubeziehen, werde ein Bild von „Weiblichkeit“ gesetzt (S. 54, 121). Letztlich sei aber die Empirie gefordert, die geschlechtsspezifische Konstruktion von Kriminalität anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen. Hier verspricht die inzwischen erschienene Medienanalyse der Autorinnen zum „Fall der Kindermörderin Monika Weimar“, in der die theoretischen Überlegungen umgesetzt werden, eine spannende Lektüre.
(sämtlich: Martina Kant, AG Bürgerrechte)

von Flocken, Jan/Scholz, Michael F.: Ernst Wollweber – Saboteur – Minister – Unperson, Berlin (Aufbau Verlag) 1994, 224 S., 32,- DM
Im journalistischen Stil nachgezeichnet wird der Werdegang eines kommunistischen Berufsrevolutionärs, der nach dem 17. Juni 1953 den ersten MfS-Chef, Wilhelm Zaisser, ablöste, bis er 1957 selbst in Ungnade fiel und aus dem Amt gejagt wurde. Ihm folgte Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit. Wollweber, Arbeitersohn aus Hannoversch-Münden, erhielt seine erste Ausbildung als Spreng-Experte während des Ersten Weltkrieges in der Kaiserlichen Marine. Später setzte er seine militärische Ausbildung an der internationalen Lenin-Schule in Moskau fort. Seit 1921 hauptberuflicher KPD-Funktionär, wurde er 1940 in Schweden verhaftet, wegen Sprengstoffdiebstahls verurteilt und durfte 1944 in die Sowjetunion ausreisen. Während die Autoren für diese Jahre ein detailliertes Bild zeichnen, ist die Darstellung des weiteren Lebensweges Wollwebers seit 1945 entschieden dünner geraten. In der ‚SBZ‘ wurde der ehemalige Seemann zunächst bei der ‚Generaldirektion Schiffahrt‘ untergebracht. Kaum als MfS-Chef berufen, war seine erste Aufgabe, den Nachweis zu erbringen, daß der 17. Juni ein vom Westen gesteuerter Putsch faschistischer Elemente gewesen sei. Im Krisenjahr 1956 zählte Wollweber zu den ZK-Genossen, die auf den Sturz Ulbrichts hinarbeiteten. Über diese Schlußphase seiner Karriere geben zwei Mitarbeiter der Gauck-Behörde in einem jüngst erschienenen Aufsatz (mit präzisen Quellenangaben und Dokumenten) weitaus mehr Auskunft (Roger Engelmann/Silke Schumann: Der Ausbau des Überwachungsstaates – Der Konflikt Ulbricht – Wollweber und die Neuausrichtung des Staatssicherheitsdienstes der DDR 1957, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1995, H. 2, S. 341-378). Obwohl bei Flocken/Scholz detaillierte Quellenangaben fehlen, liegt der Wert des Bandes darin, einen Einblick in die prägende Lebenswelt jener Generation von Arbeitern zu vermitteln, die unter dem Eindruck der sozialen Lage ihrer Klasse und der im Ersten Weltkrieg gemachten Erfahrungen zu Berufsrevolutionären wurden.
(Falco Werkentin, Mitarbeiter beim Berliner Stasi-Landesbeauftragten)

 

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