von Wolfgang Gast
Das Urteil des früheren Chefredakteurs des ‚Spiegel‘ fällt hart aus. „Parlamentarische Ausschüsse“, schreibt Hans Werner Kilz im Januar 1995, „haben nur selten mehr erreicht als den Nachweis eigener Unzulänglichkeit“. Es sei eben allzu schwer, es zugleich der Wahrheit und der Politik recht zu machen. Die Arbeitsteilung scheint klar: Politiker üben Macht aus, und die will kontrolliert sein – durch die Medien, da eine Kontrolle durch die Politik an der ihr eigenen Interessenlage scheitern muß. Die öffentlich publizierte Meinung hat wohl nicht zuletzt deshalb – nach Legislative, Judi-kative und Exekutive – den Ruf der „vierten Macht“ im Staate erhalten, auch wenn dies so nicht in der Verfassung der Bundesrepublik vorgesehen ist.
In seiner Aussage stützt sich Kilz unter anderem auf den früheren Bundesver-fassungsrichter Helmut Simon, für den „Journalisten stärker gehalten sind zu recherchieren, Wahrheit zu ermitteln, während Politiker stärker interessenge-bunden sind“. Zwischen Wirtschaft und Medien, vor allem aber zwischen Politikern und Journalisten besteht für Kilz von jeher ein natürliches Span-nungsverhältnis. Die Medienmacher lassen ihre Leser, Zuschauer und Zuhörer an Vorgängen teilhaben, die ihnen ansonsten verborgen bleiben, die aber für ihre Meinungsbildung außerordentlich wichtig sind. Ergo: „Investigativer Journalismus muß dem Politiker zuwider sein. Der Journalist sucht nach Mißständen im politischen Apparat, recherchiert von unten, zapft Quellen an, die offiziell nicht zugänglich sind. Er zweifelt an Sachverhalten, die andere ungeprüft übernehmen oder aus Gefälligkeit verbreiten“.
Wackere Laienschauspieler?
Daß der Skandal zur Demokratie gehört wie die Sünde zum Christentum, schreiben auch Georg Hafner und Edmund Jacobi, die Herausgeber zweier Bücher über die Skandale der Bundesrepublik. Und was für das Christentum das Gewissen, das sei für die Demokratie die kritische Öffentlichkeit. Nur was auf öffentlichen Versammlungen, in den Parlamenten, von der – hoffentlich – unabhängigen Justiz und in den Medien für alle sichtbar gemacht wird, kann der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger als ‚Sündenfall‘ bewußt und dann auch korrigiert werden. Und wer soll kontrollieren? „Die privilegiertesten öffentlich demokratischen Kontrollinstanzen in einer parlamentarischen De-mokratie wie der Bundesrepublik sind die Parlamente. Sie sind freilich in der Parteiendemokratie zugleich Teil des Herrschaftsapparates und deshalb zum Aufdecken von Skandalen nur äußerst begrenzt tauglich. Das gilt auch für die parlamentarische Opposition, denn es drängt sie stets, endlich (oder wieder) an die Futtertröge der Macht zu gelangen, und so hat sie oft allzuviel Ver-ständnis für das Treiben der Regierungsfraktion. Oft muß sie auch Vergeltung, das Ausgraben gemeinsamer Leichen, fürchten“.
Den parlamentarischen Ausschüssen trauen beide Herausgeber eine Kontroll-funktion nur begrenzt zu: „Läßt sich ein Skandal nicht mehr leugnen, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuß ein, und im Brustton der Über-zeugung verkündet man, niemanden schonen zu wollen. Allein, die parla-mentarischen Untersuchungsausschüsse, in der Geschichte unserer Republik waren selten mehr als eine Ansammlung wackerer Laienschauspieler, die ein Skandalspiel so lange zu spielen hatten, bis das allgemeine Interesse versiegte und die nach Parteienproporz abgestimmten Abschlußberichte nur noch breites Gähnen provozierten“. An Beispielen für die These mangelt es wahrlich nicht. Wer spricht heute noch über die Stasi-Kontakte von Ministerpräsident Manfred Stolpe, über die Rolle von Bundesnachrichtendienst und Bundesregierung bei der Flucht des SED-Chefdevisenbeschaffers Schalck-Golodkowski in den Westen am Vorabend der DDR-Wende? Und wen beschäftigen heute noch die Amigo-Affären der bayerischen Staatsregierung, das skandalöse Versagen der Polizei bei den ausländerfeindlichen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen? Wer weiß noch, womit sich der Treuhand-Ausschuß des Bundestages in der vergangenen Legislaturperiode eigentlich beschäftigt hat?
Die Aufdeckung von Skandalen ist nahezu durchgängig das Ergebnis hartnäckiger journalistischer Recherche!
Genannt seien hier beispielhaft nur der Lauschangriff auf den Atomkritiker Klaus Traube (1978), die Parteispendenaffäre des damaligen Wirtschaftsmini-sters Otto Graf Lambsdorff (1984), die als ‚Barschelaffäre‘ in die Analen eingegangene Rufmordkampagne des schleswig-holsteinischen CDU-Mini-sterpräsidenten Uwe Barschel gegen seinen SPD-Herausforderer Engholm (1987) und Engholms anschließender Sturz über die sogenannte ‚Schubladen-Affäre‘ (1993). Auch die dubiose Rolle des Berliner Verfassungsschutzes beim Fememord an dem Studenten Ulrich Schmücker 1974 wurde erstmals zwölf Jahre später von einem Redakteur des Hamburger Magazins ‚Der Spiegel‘ beschrieben. Der Prozeß um den Schmücker-Mord, der zunächst wie ein ganz normaler Mordprozeß begann, entwickelte sich zum längsten und skandalreichsten Strafverfahren in der deutschen Justizgeschichte. Der Bericht löste – wenngleich mit rund dreijähriger Verspätung – nicht nur zwei Untersuchungsausschüsse des Berliner Abgeordnetenhauses aus. Im Ergebnis der Durchleuchtung der Berliner Verfassungsschutzbehörde tauchte eine Vielzahl weiterer kleiner und großer Skandale auf.
Wechselwirkungen
Skandale werden von den Medien aufgedeckt?
Sind aber parlamentarische Kommissionen wirklich nur Nachweis von „eigener Unzulänglichkeit“ und eine „Ansammlung wackerer Laienschauspieler“? Es scheint, daß der Eindruck schon deshalb zwangsläufig entstehen muß, weil der Ausschuß stets dem Skandal folgen muß. Das parlamentarische Gremium kann erst dann in Gang kommen, wenn der Skandal in der Öffentlichkeit bereits (in Umrissen) bekannt und somit der politische Druck zu seiner Installierung hoch genug ist. Damit scheint die parlamentarische Ausschußtätigkeit zweifellos Ausfluß einer Kontrollfunktion der Medien zu sein. Ganz so zwangsläufig ist der Zusammenhang indessen nicht. Denn zur Aufdeckung der Skandale sind die Medien zwangsläufig auf Informationen angewiesen – und die wiederum kommen meist aus dem politischen Raum.
Selten ist es ausschließlich die eigene Recherche, die zu aufsehenerregenden Berichten führt. Bei der Aufdeckung der langjährigen intimen Kontakte zwi-schen Bayerns Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß und dem DDR-Chef-devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski hat dies gegolten. Der konspirative Draht der CSU zu den Machthabern in der DDR wurde mehr oder weniger im Alleingang von einem Journalisten aufgedeckt. In anderen Fällen folgte die Enthüllung oftmals erst den Hinweisen aus der politischen oder der ver-waltungstechnischen Ebene – also, wenn Teilnehmer des später als Skandal klassifizierten Vorfalls zuvor selbst den Anstoß zur Enthüllung geben. Kom-plex ist das Zusammenspiel zwischen parlamentarischen Ausschüssen und Medien auch deshalb, weil Journalisten und Ausschüsse von ihrer Arbeit gegenseitig profitieren.
Wie etwa im Schalck-Ausschuß des Bundestages. Ohne die breite Berichter-stattung der Presse hätte es den Untersuchungsausschuß unter Umständen nicht gegeben. Ob das parlamentarische Gewicht der im Bundestag vertretenen Bürgerrechtler zur Durchsetzung allein groß genug gewesen wäre, ist zumindest fraglich. Nachdem der Ausschuß dann im Juni 1991 jedoch eingesetzt war, hatte er die Kompetenz, umfangreich Akten bei der Behörde des ‚Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen‘ zu beschaffen. Hinweise auf entsprechende Unterlagen konnte er wiederum den Medien entnehmen und in diesem Zusammenhang in der ‚Gauck-Behörde‘ nach weiterem Schriftmaterial recherchieren lassen. Die dort neu aufgefundenen Stasi-Unterlagen dienten den Medien dann zur weiteren Berichterstattung. Das informelle Zusammenspiel von einzelnen Journalisten mit Mitgliedern und Mitarbeitern des Ausschusses machte dieses Zusammenwirken trotz der bestehenden Geheimhaltungsvorschriften möglich. Daß dies auf der einen Seite von parteipolitischen Erwägungen getragen wird und auf der anderen auch stets den Blick auf die Auflagenhöhe beinhaltet, ist offensichtlich. So ist denn im übertragenen Sinne auch für die Medienberichterstattung über die Skandale der Republik der von Hafner und Jacobi beklagte „Parteiproporz“ der Ausschüsse von z.T entscheidender Bedeutung.
So gilt für das Verhältnis von Medien und Ausschüssen häufig, daß der Lahme dem Blinden den Weg weisen muß.