Und wo, bitte, ist der Skandal? Ein Kommentar

von Jürgen Gottschlich

Irgendwann 1967 – das genaue Datum harrt noch der Aufklärung – trafen bislang unbekannte Personen eine Abmachung, die für die bundesdeutsche Außenpolitik weitreichende Konsequenzen hatte. Der genaue Inhalt dieser Vereinbarung ist nach wie vor keinem Parlamentarier, geschweige denn der interessierten Öffentlichkeit bekannt. Das ist unterdessen aber auch nicht mehr so wichtig, denn der Kern der Abmachung, der Charakter der Vereinbarung ist aufgedeckt: Der Bundesnachrichtendienst (BND) wurde in Zusammenarbeit mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr ermächtigt, dem israelischen Geheimdienst MOSSAD Waffen aus sowjetischer Produktion zu überlassen. Voraussetzung war, der Deal durfte keine ‚Einbahnstraße‘ sein, und der MOSSAD sollte die Bundesdeutschen ebenfalls an israelischem Beutegut partizipieren lassen.

Zweifellos profitierten die Westdeutschen zunächst in größerem Umfang von der Abmachung als die Israelis. Im Sechs-Tage-Krieg von 1967 erbeuteten die Israelis von den Vereinigten Arabischen Armeen die größte sowjetische Waffensammlung seit dem Zweiten Weltkrieg. Kein Wunder, daß deutsche Waffentechniker daran interessiert waren, das auch jenseits der deutsch-deut-schen Grenze stationierte Gerät zu untersuchen. Was die Bundeswehr den Is-raelis im Laufe der Jahre so anzubieten hatte, gehört ebenfalls noch zu den unaufgeklärten Fragen. Klar ist jedoch, daß die Revanche spätestens Anfang 1990 begann.

Achtung, Stolpergefahr

Als im Herbst 1989 die Mauer fiel, war der größte Teil des sowjetischen Waffenarsenals via Nationaler Volksarmee zur Besichtigung durch die Bun-deswehr freigegeben. Seitdem ging unbemerkt eine Lieferung nach der anderen in Richtung Tel Aviv – bis zur 15. Sendung. Da lüpfte ein vorwitziger Zollinspektor im Hamburger Hafen die Plane einer Ladung „landwirtschaftlicher Geräte“ und traute seinen Augen nicht. Statt Mähdreschern hatte er stattliche Panzer vor sich. Das war im Oktober 1991, und in den folgenden Wochen lernte ein staunendes Publikum dann nach und nach ein neues Kapitel deutscher Außenpolitik kennen. Nicht, daß die Geschichte der Republik umgeschrieben werden müßte – das komplizierte deutsch-israelische Verhältnis erschien aber doch teilweise in einem neuen Licht. Die nach außen im Nahostkonflikt scheinbar neutrale Bundesrepublik hatte in Wahrheit mit Israel auf einer Ebene zusammengearbeitet, als wäre das Land Nato-Mitglied. Eine Position, die sicher einer eingehenden parlamentarischen Debatte wert gewesen wäre, doch die hat bekanntlich nie stattgefunden. Von 1967, als in Bonn eine ‚Große Koalition‘ regierte, bis 1991, als ein Zollbeamter über einen sowjetischen Panzer stolperte, war das Parlament über diesen Geheimdienstdeal nicht informiert. Keine Parlamentarische Kontrollkommission kontrollierte, kein Abgeordneter fragte nach. Wie hätte er dies auch können, zumindest hätte es einen Anhaltspunkt geben müssen, über den die gewählten Kontrolleure überhaupt auf die Spur des Deals hätten kommen können.

Schneewittchen und 008 im Bermudadreieck

Was für die Geheimdienstoperation mit Israel gilt, trifft auf praktisch alle wichtigen innen- und außenpolitischen geheimdienstlichen Aktivitäten zu, die irgendwann einmal, in der Regel über die Presse, ruchbar wurden: Eine par-lamentarische Kontrolle fand nicht statt. Selbst die Dienstaufsicht der Ge-heimdienste durch das Innenministerium, die Hardthöhe oder das Kanzleramt zeichnete sich durch eine Kette peinlicher Pannen aus.

Beispielsweise die Geheimdienstoperation ‚Schneewittchen‘. Alexander Schalck-Golodkowski, der Goldfinger der SED, hatte kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden ‚rübergemacht‘ und bot dem BND gegen persönlichen Schutz und andere, bislang unaufgeklärte Vergünstigungen sein Wissen über die ‚Kom-merzielle Koordinierung‘, die SED-Auslandskonten und die Stasi-Arbeit im Bereich Wirtschaftsspionage an. Daß Pullach da nicht nein sagen konnte und sofort bereit war, zumindest die erste Forderung prompt zu erfüllen, gehört zur Geheimdienstlogik. Schalck-Golodkowski und Gattin bekamen neue Pässe und eine Tarnidentität.
Obwohl der Umgang des BND mit Schalck-Golodkowski Gegenstand breitester Spekulation war, blieb die Parlamentarische Kontrollkommission wieder einmal außen vor. Mehr noch, sie wurde direkt angelogen. Der damalige oberste BND-Aufseher, Kanzleramtsminister Lutz Stavenhagen (CDU), behauptete, das Schalck-Ehepaar habe nie die Protektion des BND genossen und nie falsche Papiere bekommen. Der Mann hatte sich in den heiklen Vorgang gar nicht erst eingeschaltet, er hatte nicht einmal die Berichte des damaligen BND-Chefs Hans-Georg Wieck zur Kenntnis genommen. Zwar mußte Stavenhagen unter anderem deshalb seinen Hut nehmen, die Schicksale sowohl seines Vorgängers als auch seines Nachfolgers zeigen aber, daß es sich nicht um simple persönliche Verfehlungen handelte, sondern die Kontrolle der Dienste strukturell zum Scheitern verurteilt ist. Stavenhagens Vorgänger Waldemar Schreckenberger (CDU) zeichnete sich hauptsächlich dadurch aus, daß er nie über irgend etwas informiert war, und sein Schreibtisch als „Bermudadreieck“ in die Politikgeschichte eingegangen ist. Auch der jetzige Geheimdienstkoordinator „008“-Bernd Schmidbauer (CDU) geriet durch die ‚Operation Hades‘, die Münchner Pluto-niumschmuggel-Affäre, bereits wieder heftig ins Trudeln. Wieviel er wann gewußt hat, was er abgesegnet hat, und wo er möglicherweise hintergangen wurde, ist derzeit Gegenstand eines Untersuchungsausschusses.

Das Dunkel mit Glühwürmchen ausleuchten

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind bislang überhaupt das einzige Instrument, um wenigstens im nachhinein etwas Licht in das Dunkel diverser Affären zu bringen. Exemplarisch ist dies am besten zu verdeutlichen an einer der weitreichendsten Verfassungsschutzaffären der bundesdeutschen Geschichte, dem sogenannten ‚Celler Loch‘: Um einen V-Mann in die ‚Rote Armee Fraktion‘ (RAF) einzuschleusen, täuschte der Verfassungsschutz einen Befreiungsversuch des RAF-Gefangenen Sigurd Debus aus der Justizvollzugsanstalt in Celle vor. Zu diesem Zweck wurde von der GSG 9 ein Loch in die Knastmauer gesprengt – ein Anschlag, der dann dem V-Mann zugeschoben wurde und diesem als Eintrittskarte in den engeren Kreis der RAF dienen sollte. Die Sprengung von Amts wegen erfolgte im Juli 1978, noch auf dem Höhepunkt der Terrorismushysterie und vor dem Hintergrund anhaltender Erfolglosigkeit bei der polizeilichen Fahndung nach den Schleyer-Entführern. Obwohl die Reaktionen des Staatsapparates auf die Anschläge der RAF Gegenstand heftiger öffentlicher Auseinandersetzungen waren, erfuhren die parlamentarischen Kontrolleure des niedersächsischen Verfassungsschutzes von der ‚Aktion Celler Loch‘ absolut nichts. Erst vier Jahre später, im Oktober 1982, wurde die Parlamentarische Kontrollkommission des niedersächsischen Landtages von dem fehlgeschlagenen Versuch, einen Agenten in die RAF einzuschleusen, unterrichtet. Wirklich überprüft wurde die ganze Affäre aber erst ca. acht Jahre später, nachdem sich aufgrund von Presseberichten 1986 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß an die Aufklärung machte.

In verschiedenen Landesparlamenten, aber auch auf Bundesebene, sind in den letzten Jahren wiederholt Versuche gemacht worden, aus der offensichtlichen Unfähigkeit die Arbeit der Geheimdienste durch das Parlament zu kontrollie-ren, Konsequenzen zu ziehen. In verschiedenen Ländern wurden die Befugnisse der Kontrollkommissionen erweitert, in Berlin beispielsweise ein Ver-fassungsschutzausschuß eingerichtet, der im Prinzip öffentlich tagt, und in dem die Abgeordneten ein weitgehendes Fragerecht auch an einzelne Mitarbeiter des Dienstes haben – doch selbst hier blieben die Ergebnisse bescheiden. Auch die Parlamentarier der Kontrollkommission des Bundestages erhielten 1992 erweiterte Kompetenzen – was aber nur auf dem Papier gut aussieht: Von dem Handel des BND mit russischem Plutonium hatten sie nicht den geringsten Schimmer. Das kann nicht weiter verwundern, denn Parlamentarische Kontrollkommissionen haben vor allen einen Zweck: Sie sollen dem Antagonismus zwischen Geheimdiensten und Demokratie, dem prinzipiellen Widerspruch einer demokratischen Gesellschaft, die auf Transparenz angewiesen ist, und Geheim-diensten, die alles tun, um eben diese Transparenz zu vermeiden, die Schroffheit nehmen. Kontrollkommissionen suggerieren eine nicht vorhandene Kompatibilität zwischen Demokratie und Instrumenten der Exekutive, die im geheimen arbeiten – im klassischen Sinne Organisationen, die die Herrschaft Weniger über die Vielen sichern helfen sollen. Dieser Charakter der Geheimdienste wird immer dann besonders kraß offenbar, wenn Regierungen sich des Verfassungsschutzes oder auch des BND bedienen, um den politischen Gegner bespitzeln zu lassen oder mit Geheimdienstmaterial zu desavouieren.
Aber auch das umgekehrte Verhalten zeigt letztlich nur, daß Geheimdienste einer demokratischen Gesellschaft zutiefst fremd sind: Als eine Gruppe ge-werkschaftlich organisierter Mitarbeiter aus verschiedenen Verfassungs-schutzämtern vor einigen Jahren ernsthaft darüber diskutierte, wie man den Laden in den Dienst der Demokratie stellen könnte, kam am Ende ein Re-formvorschlag heraus, der einer Abschaffung des Verfassungsschutzes recht nahe kam. Eine staatliche Institution, die im wesentlichen durch Auswertung öffentlicher Quellen Lageberichte erstellt und Politikberatung durchführt – das war die Quintessenz des Vorschlags der ÖTV-Gruppe – hat mit einem Geheimdienst nichts mehr zu tun und könnte auch gleich den Presse- und In-formationsämtern angegliedert werden. Weil dieses Ergebnis so offenkundig die Existenz des Verfassungsschutzes von innen heraus in Frage stellte, wurden die Vorschläge blitzschnell ad acta gelegt und die Gruppe amtsintern isoliert. Dann doch lieber noch ein paar Parlamentarische Kontrollkommis-sionen. Kluge Leute in den diversen Geheimdienstapparaten haben ohnehin längst erkannt, daß die parlamentarische Kontrolle sie nicht wirklich behindert, ihre gesellschaftliche Akzeptanz auf Dauer jedoch erhöhen kann. Dafür sind ein paar unangenehme Fragen ‚am Tag danach‘, wenn wieder mal ein Skandal ruchbar geworden ist, doch ein kleiner Preis.

Jürgen Gottschlich ist freier Journalist in Berlin
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.