Der „Untersuchungsausschuß zur Aufklärung von Vorgängen bei der Freiwilligen Polizeireserve“ – Versuch einer Bilanz

von Kea Tielemann

Anfang Februar 1993 setzte Berlins Polizeipräsident Hagen Saberschinsky eine Prüfgruppe zur Untersuchung der „Freiwilligen Polizeireserve“ (FPR) ein. Anlaß hierfür war die Festnahme von zwölf rechtsextremistischen Waffenhändlern, von denen sich fünf als Mitglieder der FPR erwiesen, ein weiterer aus ihr ausgetreten war und zwei sich zwar beworben hatten, dort aber nicht angenommen worden waren. Sofort wurden alle FPR-Mitglieder überprüft, die von den beiden Sachbearbeitern eingestellt worden waren, die auch die Festgenommenen ausgewählt hatten. Es stellte sich heraus, daß von 207 Überprüften insgesamt 89 kriminalpolizeilich erfaßt waren. Der Innenausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses beschäftigte sich daraufhin mit der Frage, ob die FPR von Rechtsextremisten gezielt unterwandert wurde, und debattierte über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Am 17.6.93 beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus die Einsetzung des Untersuchungsausschusses.
Der Untersuchungsauftrag beinhaltete insbesondere die Frage, wie viele Reservisten eingestellt wurden, obwohl sie aufgrund eventueller Vorbelastungen für die Aufnahme in den FPR-Dienst nicht in Betracht gekommen wären, und um welche Straftaten es sich dabei ggf. handelte.

Vorermittlungen

Auch die polizeiinterne Prüfgruppe war diesen Fragen in ihrer Untersuchung nachgegangen und zu folgendem Ergebnis gekommen: Von den 2.360 FPR-Mitgliedern (Stand: Februar 1993) wurden 2.210 mit ihrem Einverständnis anhand des „Informationssystems Verbrechensbekämpfung“ (ISVB), der „Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit“ (APIS), des „Informationssystems der Polizei“ (INPOL) und des „Bundeszentralregisters“ (BZR) überprüft. Die übrigen 150 Reservisten waren in diese Überprüfung nicht einbezogen worden; 36 davon z.B. deshalb, weil sie an Einsätzen bereits seit längerem nicht mehr teilgenommen hatten. 17 verweigerten ihre Einverständniserklärung und 97 beantragten in Zusammenhang mit der beabsichtigten Überprüfung ihre Entlassung.

Bei den 2.210 Überprüften lagen in 515 Fällen schließlich polizeiliche Erkenntnisse vor: 109 rechtskräftige Verurteilungen (71 wegen Verkehrsdelikten und 38 wegen sonstiger Delikte), 392 eingestellte Ermittlungsverfahren und 14 offene Vorgänge. Keine der Straftaten war allerdings im Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Polizeireserve begangen worden. Die Prüfgruppe beschloß daraufhin, von den 515 Belasteten 445 wieder in die Einsatzplanung aufzunehmen und in 11 Fällen die Bestellung als Polizeireservist zu widerrufen. 47 FPR-Mitglieder kündigten im Rahmen des Anhörungsverfahrens bzw. vor einer Entscheidung der Prüfgruppe.

Da die Überprüfung nicht lückenlos erfolgte, erwies sich der Aussagewert dieses Prüfungsergebnisses als eher gering. Bis heute ist somit nicht geklärt, wie viele Rechtsextremisten sich 1993 in der FPR befanden oder heute noch dort sind, da auch dem Verdacht auf Rechtsextremismus von der Prüfgruppe nicht gezielt nachgegangen wurde. So überprüfte sie z.B. die Vielzahl von Fällen gefährlicher Körperverletzung nicht auf einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund, sondern verharmloste sie mit dem Hinweis, es handele sich bei den beschuldigten Personen um Kaufhausdetektive, BVG-Kontrolleure oder Taxifahrer. Diese Angaben stehen allerdings im offenen Widerspruch zu Aussagen des FPR-Referatsleiters Polizeidirektor Klaus Karau, der vor dem Untersuchungsausschuß auf sieben APIS-Registrierungen hinwies und sechs Fälle mit vermutetem neonazistischen Hintergrund nannte. Darüber hinaus führt eine von der FPR-Prüfgruppe erstellte Liste diverse Fälle von Waffenbesitz, Verwendung rechtsextremer Kennzeichen und Volksverhetzung auf.

Ausschußerkenntnisse

Für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses war es kaum möglich, die Ergebnisse der Prüfgruppe nachzuvollziehen, da ihnen nur nach und nach diverse Listen über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen FPR-Mitglieder präsentiert wurden. Diese Listen enthielten zudem unterschiedliche Informationen mit z.T. unklarer Bedeutung. So war z.B. nicht ersichtlich, in welchen Fällen es sich um Verurteilungen handelte.

Der Untersuchungsausschuß befaßte sich auch mit der Aufklärung zweier Fälle, auf die die Prüfgruppe bei der Durchsicht der FPR-Akten gestoßen war:
– Die „Hammer-Bande“: Hierbei handelte es sich um eine 1978 gefaßte Gruppe von Bank- und Juwelenräubern, der auch zwei FPR-Mitglieder angehört haben sollen. Die Prüfgruppe fand keine Unterlagen über diesen Vorgang, die beiden Personen sollen aber aus der FPR ausgeschieden sein.
– Der „Fall Abbas-Yacoub“: Der rechtsextremistische Waffenhändler Michael Abbas-Yacoub war 1984 trotz mehrfacher Verstöße gegen waffenrechtliche Bestimmungen in die FPR aufgenommen worden. Weshalb seine Straftaten beim Einstellungsverfahren nicht festgestellt wurden, konnte der Untersuchungsausschuß nicht klären. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, daß aufgrund dieses Falles die gesamte Polizeireserve 1985 ohne Zustimmung der damals ca. 3.000 Mitglieder in einer – somit illegalen (und bis 1993 von der Innenbehörde geheimgehaltenen) – Aktion überprüft wurde. Aufgrund dieser Geheimhaltung ist nach den Erkenntnissen des Ausschusses weder in der Innenverwaltung noch innerhalb der Polizei noch bei den damals über den Fall informierten Alliierten heute ein Abschlußbericht vorhanden. Auch die Zeugenaussagen brachten hier keinen zusätzlichen Aufschluß, da sich die seinerzeit Beteiligten regelmäßig auf ein fehlendes Erinnerungsvermögen beriefen.

In bezug auf die Fälle „Hammer-Bande“ und „Abbas-Yacoub“ konnte der Untersuchungsausschuß deshalb wegen fehlender bzw. gesäuberter Akten keine über die Prüfgruppe hinausgehenden Erkenntnisse gewinnen. Aus diesen Vorfällen – zumindest soviel wurde klar – waren offensichtlich keine bzw. nur mangelhafte Konsequenzen gezogen worden. Weiterhin hatte die Prüfgruppe entdeckt, daß es für die Einstellung neuer FPR-Mitglieder keine Richtlinien gab. Daraufhin wurden im Mai 1993 entsprechende Richtlinien festgelegt (u.a. werden die FPR-Angehörigen nun alle zwei Jahre überprüft) . Ob hierdurch jedoch sichergestellt werden kann, daß die FPR zukünftig nicht als waffentechnische Ausbildungsstätte durch Rechtsextreme mißbraucht werden kann, ist zumindest zweifelhaft. Auch die als weitere Maßnahme beschlossene neue Organisationsstruktur (das Einstellungsreferat wurde zum 1.6.94 aufgelöst und in das Landesschutzpolizeiamt eingegliedert, das auch für die Einsatzsteuerung zuständig ist) kann dies wohl nicht sicherstellen.

Der Untersuchungsausschuß befaßte sich ferner mit der Frage nach eventuellen Informationen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) über eine mögliche Unterwanderung der FPR. Seit November 1990 wurden Bewerber allerdings nicht mehr durch das LfV überprüft, da die damalige „rot-grüne Koalition“ aus SPD und ALTERNATIVER LISTE (AL) die Auflösung der FPR beschlossen hatte und somit keine neuen Mitglieder mehr eingestellt werden sollten. Die nachfolgende CDU/SPD-Koalition hatte diesen Auflösungsbeschluß jedoch aufgehoben, die Regelanfrage allerdings nicht wieder eingeführt. Der Untersuchungsausschuß entdeckte ferner, daß die FPR-Prüfgruppe in die Überprüfung von 1993 auch deshalb keine Erkenntnisse des LfV einbezogen hatte, weil sie auf eine entsprechende Anfrage bei Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) von diesem keine Antwort erhalten hatte. Ein Auftrag zu einer allgemeinen Gefährdungsanalyse hinsichtlich rechtsextremistischer Unterwanderung bei der FPR war daraufhin an das LfV nicht ergangen.

Der Untersuchungsauftrag beinhaltete außerdem die Frage nach einem Kostenvergleich der FPR im Verhältnis zur Schutzpolizei, Wachpolizei und den privaten Sicherheitsdiensten. Hierfür wurden von der Senatsinnenverwaltung, dem FPR-Referat und der „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) entsprechende Berechnungen vorgelegt, die sämtlich zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, teilweise nicht nachvollziehbar und wegen unterschiedlicher Entstehungsweisen ohnehin nicht miteinander vergleichbar waren. Da keine exakte betriebswirtschaftliche Vergleichsbetrachtung zur Verfügung stand, konnte die Kostenfrage vom Untersuchungsausschuß nicht beantwortet werden.

Blockaden

Gleich zu Beginn hatte der Untersuchungsausschuß Startschwierigkeiten, weil es zu Auseinandersetzungen um die personelle Zusammensetzung kam. Erst nachdem im November 1993 das Untersuchungsausschußgesetz hinsichtlich der Mitgliederstärke geändert wurde, konnten alle Fraktionen mit mindestens einem Mitglied im Ausschuß vertreten sein. So begannen die Zeugenanhörungen erst im Februar 1994 – ein Jahr nach der Einsetzung der FPR-Prüfgruppe. Im Januar 1995 wurde der Ausschuß nach 13 Sitzungen mit nur sieben Zeugenanhörungen beendet. Im März 1995 wurde über den Abschlußbericht im Abgeordnetenhaus debattiert.

Durchgängig bestimmte in erster Linie parteitaktisches Verhalten die Initiative bei der Aufklärung: Jede Fraktion versuchte, anhand von Zeugenaussagen und Unterlagen ihre vorgefaßte Position zu bestätigen. Auf seiten der CDU bestand von Beginn an ein Desinteresse an der Aufklärung von Mißständen, da sie die FPR nicht „beschmutzt“ und in ihrem Fortbestand gefährdet sehen wollte. Bereits vor der Einsetzung des Ausschusses erklärte etwa der CDU-Abgeordnete Dieter Hapel im „Ausschuß für Inneres, Sicherheit und Ordnung“, „seine Fraktion denke, daß ein Untersuchungsausschuß mit den verabredeten Fragestellungen dazu beitragen werde, die FPR zu entlasten. Im Ergebnis werde er den Bericht der Polizei bestätigen; von daher mache er Sinn.“ Die SPD befand sich in Koalitionszwang und verhielt sich schon deshalb im Untersuchungsausschuß eher passiv. Auch hatte sie unter „Rot-Grün“ die FPR noch auflösen wollen, in der Großen Koalition die Aufgaben der Freizeitpolizisten 1992 mit einem neuen Gesetz jedoch noch erweitert.

Nur die Oppositionsparteien BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, deren erklärtes Ziel die Auflösung der FPR darstellte, zeigten Interesse an dem Untersuchungsausschuß. Änderungsanträge zum Entwurf des Abschlußberichts brachte indessen alleine die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein.

Für viele Ausschußmitglieder war die Aufklärung mit der polizeiinternen Überprüfung bereits erledigt. Deren Ergebnis, wonach es in der FPR keine Rechtsextremisten gebe, war jedoch nicht nachzuvollziehen. Auch entstand das Problem, daß die Prüfgruppe über mehr Informationen verfügte als der Ausschuß und dieser somit von den Informationen abhängig war, die er von der Prüfgruppe erhielt. Dadurch, daß sehr wenig bzw. nur gesäuberte Akten vorhanden waren, wurde eine Aufklärung erheblich erschwert. Die Ausschußmitglieder erfuhren entweder erst im Zuge der Zeugenanhörungen von der Existenz wichtiger Unterlagen (u.a. acht Ordner sowie zwei Protokolle der Prüfgruppe) oder durch Zufall: Erst als im März 1994 drei Aktenordner mit Unterlagen aus Metallschränken einer Polizeidirektion gestohlen wurden, gelangten die Abgeordneten anhand der rekonstruierten Unterlagen an solche zusätzlichen Informationen. Diese Ordner, die sich drei Führungsbeamte der FPR für eine mögliche Anhörung vor dem Untersuchungsausschuß angelegt hatten, enthielten deren persönliche Aufzeichnungen, z.B. ein Gedächtnisprotokoll über die Überprüfung von 1985, und Listen über kriminelle FPR-Mitglieder. Diese Listen brachten Zusatzinformationen, die in dem offiziellen Bericht der FPR-Prüfgruppe nicht enthalten waren. Der Diebstahl, der nur von einem Insider begangen werden konnte, ist übrigens bis heute nicht aufgeklärt.

Insgesamt magere Ergebnisse

Von Anfang an war der Sinn des Ausschusses aufgrund des unmittelbar auf die FPR eingeschränkten Untersuchungsauftrags fraglich. Zwar hatte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gleich zu Beginn der parlamentarischen Debatte gefordert, den Untersuchungsauftrag auch auf das Einstellungsverfahren bei der Polizei insgesamt, die Beförderungspraxis u. ä. auszudehnen, dieser Antrag war jedoch abgelehnt worden. Selbst die im Untersuchungsauftrag gestellten Fragen konnten nur ansatzweise geklärt werden. Schon über die Hauptfrage, ob die FPR nun frei von Rechtsextremisten ist, konnten sich die Ausschußmitglieder nicht einigen. Die wenigen Ergebnisse, die der Ausschuß schließlich erbrachte, gelangten kaum noch an die Öffentlichkeit, da der Ausschuß sich über einen viel zu langen Zeitraum hinzog und die Presse infolgedessen bald das Interesse verlor.

Trotzdem muß bei der Beurteilung berücksichtigt werden, daß für die schnelle Bildung einer polizeiinternen Prüfgruppe sicherlich die drohende Einsetzung eines Untersuchungsausschusses von entscheidender Bedeutung war. Auch wenn die FPR nur lückenhaft überprüft werden konnte, kamen so einige mit der FPR verbundene Skandale wie der „Fall Abbas-Yacoub“, die noch in den 80er Jahren in großem Umfang stattgefundene Aktenvernichtung und die unzulänglichen Einstellungsbedingungen an die Öffentlichkeit und konnten nicht – wie bei der internen Prüfung 1985 – vertuscht werden. Tatsächliche Maßnahmen zu beschließen, wie z.B. die Auflösung der FPR, lag von vornherein nicht in der Kompetenz des Untersuchungsausschusses. Er konnte hierfür allerdings weitere Argumente liefern.

Kea Tielemann war Fraktionsmitarbeiterin für BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im FPR-Untersuchungsausschuß
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.

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