Chronologie

zusammengestellt von Otto Diederichs

November 1995

01.11: Der Bremer Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) verbietet den „Kurdisch-Deutschen Verein für Völkerfreundschaft – Hevalti“ als Tarnorganisation der verbotenen „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK). Am 14.11. vollstreckt die Polizei die Verfügung und schließt die Räume des Vereins, zwei Tage später besetzen KurdInnen die Räume und verlangen die Wiederzulassung. Am 30.11. verbietet das bayerische Innenministerium einen kurdischen Elternverein als angebliches Sammelbecken der PKK; am 2.12. besetzen Mitglieder des Vereins ebenfalls die Räume und drohen für den Fall der Räumung mit der Selbstverbrennung. Nach Vermittlung des Oberbürgermeisters geben sie schließlich auf. Gegen 23 Kurden wird Haftbefehl erlassen. Am 5.12. verbietet das hessische Innenministerium ebenfalls zwei kurdische Vereine.
02.11: Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 95 von insgesamt etwa 2.400 Berliner Wachpolizisten wegen des Verdachtes der Manipulation von Dienstplänen und Schwarzarbeit. In der Folge werden die Ermittlungen auf 393 Verdächtige ausgeweitet; vier Beteiligten wird gekündigt, der Leiter der Einheit vom Dienst suspendiert. Am 19.1.96 durchsucht die Staatsanwaltschaft die Rechtsabteilung der Berliner „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) sowie das Büro des Personalrats der betroffenen Direktion. Die Gewerkschaft hatte alle Verdächtigen aufgefordert zu schweigen und den Rechtsrat der GdP einzuholen; sog. Sachverhaltsschilderungen von 100 Beschuldigten werden beschlagnahmt.
Der Potsdamer Polizeipräsident Detlef von Schwerin verbietet eine geplante Kundgebung der „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e.V.“ zum Volkstrauertag auf dem Soldatenfriedhof in Halbe. Am 13.11. hebt das Verwaltungsgericht Potsdam das Verbot auf; das Polizeipräsidium legt gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Am 15.11. verbietet der Polizeipräsident von Frankfurt/O. Hartmut Lietsch eine Veranstaltung der „Jungen Nationaldemokraten Berlin-Brandenburg“ auf dem Friedhof in Gusow. Damit haben drei der fünf brandenburgischen Polizeipräsidien rechtsextremistische Veranstaltungen am Volkstrauertag verboten. Am 16.11. bestätigt das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/O. das Verbot in Halbe. Die Polizei kündigt an, zur Durchsetzung der Verbote rund 3.000 BeamtInnen bereitzuhalten.
03.11: Der Bundesrat verabschiedet einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption. Darin sind u.a. härtere Strafen für Bestechlichkeit und Bestechung sowie bei Vorteilsnahme und -gewährung vorgesehen. Außerdem sollen eine Kronzeugenregelung und Telefonüberwachungen eingeführt werden. Auf ihrer 50. Bundeskonferenz in Bremerhaven am 10.11. warnen die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern vor einer Massenkontrolle von Telefongesprächen, der Gesetzentwurf öffne dem Tür und Tor.
14 Monate nach dem Tod des nigerianischen Asylbewerbers Kola Benkole bei seiner Abschiebung erhebt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen den Arzt, der dem von BGS-Beamten gefesselten Benkole eine Beruhigungsspritze gegeben hatte, Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung.
Das Berliner Verwaltungsgericht verpflichtet das „Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“ Kurden aus der türkischen Notstandsprovinz Bingöl als asylberechtigt anzuerkennen (Az: VG 36 X 211.95). Am 7.11. entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, daß Flüchtlinge, die auf dem Landweg nach Deutschland einreisen, aufgrund der sog. Drittstaatenklausel, grundsätzlich kein Asylrecht genießen (Az: 9 C 73/95). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof widerspricht dieser Auffassung: Die Drittstaatenklausel kann nach seiner Auffassung nur greifen, wenn das Land bekannt ist, über das der Asylbewerber eingereist ist (Az: 12 UE 2014/95). Am 21.11. eröffnet das Bundesverfassungsgericht die mündliche Verhandlung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des deutschen Asylrechts; die Bundesregierung muß bei dessen Anwendung, insbesondere bei der Drittstaatenregelung Mängel einräumen. Laut einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums vom 9.1.96 haben 1995 knapp 128.000 Flüchtlinge in Bundesrepublik politisches Asyl beantragt.
06.11: Durch Presseinformationen wird bekannt, daß ein Verdeckter Ermittler der nordrhein-westfälischen Polizei wegen Verdachts der Untreue festgenommen wurde. Er soll u.a. LKA-Gelder für private Spekulationen an der Edelsteinbörse eingesetzt haben und sich unter seinem Tarnnamen einen 75.000-DM-Kredit erschlichen haben.
08.11: Durch Veröffentlichungen einer niederländischen Zeitung wird bekannt, daß das Bundeskriminalamt (BKA) über Jahre hinweg gemeinsam mit den niederländischen und US-amerikanischen Rauschgiftfahndern große Mengen Drogen auf dem niederländischen Markt angeboten hat. Um die Großabnehmer für Drogen zu enttarnen, wurden u.a. 30.000 kg Haschisch in die Niederlande eingeführt. Das BKA bestätigt den Vorgang und rechtfertigt ihn mit der Festnahme von 13 Dealern; zudem seien die gesamten Drogen wieder sichergestellt worden.
Das Berliner Oberverwaltungsgericht gibt der Klage eines ehemaligen Volkspolizisten statt und entscheidet, daß eine frühere Mitarbeit bei der Stasi nicht automatisch zur Entlassung aus der Polizei führen muß (Az: OVG 4 S 134/95).
09.11: Das Oberlandesgericht in Frankfurt/O. ordnet die sofortige Freilassung zweier Abschiebehäftlinge an, nachdem sich die Ausländerbehörde seit Monaten kaum um die Fälle gekümmert hatte (Az: 20 W 501/95, 20 W 450/95).
10.11: In Mittweida/Sachsen wird der Kreissparkassenleiter wegen des Verdachts der Vorbereitung einer Entführung festgenommen. Der Mann war nach einem Hinweis von der Polizei zuvor ständig überwacht worden. Zum ersten Mal wurde damit der „Große Lauschangriff“ auf der Grundlage des sächsischen Polizeigesetzes angewendet.
14.11.: Bei einer koordinierten Großrazzia gegen Schlepper durchsucht die Polizei Wohnungen und Flüchtlingsheime in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Mehr als hundert Personen, die im Verdacht des Menschenschmuggels oder der illegalen Einreise stehen, werden festgenommen.
16.11.: Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher fordert die Mitglieder seiner Partei auf, in der internen Abstimmung der FDP zum „Großen Lauschangriff“ mit nein zu stimmen. Am 14.12. wird das Ergebnis bekanntgegeben: Bei einer Beteiligung von ca. 42% aller Parteimitglieder haben sich 21.494 für und 12.078 gegen die Einführung ausgesprochen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tritt daraufhin zurück. Am 17.1. wird Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) neuer Bundesjustizminister.
17.11.: Das bayerische Oberste Landesgericht erklärt, das SitzblockierInnen dann eine Straftat begehen, wenn sie „in mehreren Reihen eingehakt auf der Straße sitzen und einem Demonstrationszug die gesamte Geh- und Fahrbahn versperren“ (Az: 4 St RR 186/95). Es stellt sich damit gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom Januar 1995. Rheinland-Pfalz erklärt am 20.11. auf Grundlage des BVerfG-Urteils alle 818 Verurteilungen wegen Beteiligung an Sitzblockaden wiederaufzuheben; 146 Verurteilte seien bereits freigesprochen worden.
18.11.: Die Kölner Polizei löst eine Demonstration gegen das Verbot der kurdischen PKK gewaltsam auf. 220 überwiegend deutsche DemonstrantInnen werden festgenommen. Am 25.11. werden bei Demonstrationen in Essen und Ulm ca. 100 Personen vorübergehend festgenommen; eine Veranstaltung in Saarbrücken verläuft friedlich.
23.11.: Auf Sachsen-Anhalts Innenminister Manfred Püchel (SPD) wird ein Brandanschlag verübt. Püchel bleibt unverletzt. Wenige Stunden nach der Tat nimmt die Polizei eine geistig verwirrte Frau aus Stendal fest.
25.11.: Die frühere palästinensische Terroristin Soraya Ansari/Souhaila Andrawes wird von Norwegen an die Bundesrepublik ausgeliefert. Sie soll in Hamburg wegen ihrer Beteiligung an der Flugzeug-Entführung 1977 in Mogadischu vor Gericht gestellt werden.

Dezember 1995

01.12.: Von einem als Pizza-Bote getarntem Polizisten wird in Speyer einen 16jähriger Straßenräuber erschossen.
04.12.: Im Rechtsstreit um den „Münchner Kessel“ von 1992 schlägt das Gericht einen Kompromiß vor: Die Schmerzensgeldklagen sollten zurückgezogen werden und der Freistaat Bayern 5.000 DM an eine gemeinnützige Organisation zahlen.
07.12.: Der Bundestag verlängert die Kronzeugenregelung um weitere vier Jahre bis 1999. Am 15.12. stimmt auch der Bundesrat der Verlängerung zu.
08.12.: Ein Münchner SEK-Beamter erschießt einen Amokläufer mit einem gezielten Kopfschuß, nachdem dieser einen Polizisten als Geisel genommen hatte.
Vor dem Plutoniumuntersuchungsausschuß des Bundestages erklärt der V-Mann „Rafa“ der Bundesnachrichtendienst (BND) habe ihn gezwungen, während des Landgerichtsprozesses im Frühjahr 1995 falsche Aussagen zu machen. Am 13.12. tauchen bisher unbekannte Aktenvermerke aus dem Auswärtigen Amt auf, die die führende Rolle des BND beim Plutoniumschmuggel unterstreichen. Am 18.1. bestreitet BND-Präsident Konrad Porzner (SPD) sein Dienst habe in rechtswidriger Weise Plutonium in die Bundesrepublik schmuggeln lassen. Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU) bestreitet ebenfalls alle Vorwürfe. Der Plutonium-Ausschuß des bayerischen Landrags bestätigt Informationen, nach denen der BND über seine in den Plutonium-Skandal verwickelten V-Leute „Rafa“ und „Roberto“ in Zusammenarbeit mit dem LKA Bayern ein Scheingeschäft über 500 kg Kokain einfädeln wollte. Am 1.2. erklärt der BND-Mitarbeiter „Kulp“ als Zeuge, der Schmuggel sei ein „Pilotprojekt für die Zusammenarbeit von BND und Polizei“ gewesen.
09.12.: Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) bestätigt, daß gegen den iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahian ein Ermittlungsverfahren wegen des Mykonos-Attentates von 1993 geführt wird. Durch Indiskretionen wird am 10.1.96 bekannt, daß die Bundesregierung dem GBA nahegelegt, in Zusammenhang mit dem Mord keinen Haftbefehl gegen Fallahian zu beantragen. Am 25.1. erklärt der Direktor im BfV Klaus Grünwald im Berliner Mykonos-Prozeß, dem BfV lägen Informationen vor, wonach das Attentat vom iranischen Geheimdienst ausgeführt wurde.
11.12.: Das Magdeburger Landgericht spricht einen Polizisten in zweiter Instanz frei, der angeklagt war, während der Himmelfahrtskrawalle 1994 einen Iraker mißhandelt zu haben.
13.12.: Bei einem Schußwechsel zwischen einem Geiselnehmer und der Polizei in Berlin wird der Täter ins Bein geschossen und überwältigt.
14.12.: Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Urteil des Berliner Landgerichts von 1994 auf, das ein Verfahren gegen Erich Mielke wegen der Tötung von DDR-Flüchtlingen wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt hat (Az.: GSSt 1/95).
18.12.: Die baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze tritt nach knapp 16 Jahren wegen „massiver Einmischung“ in ihr Amt durch das Innemministerium zurück.
20.12.: Die Augsburger Pfarrei St. Raphael gibt bekannt, daß sich die Kurdin Sahize Simsek mit ihrer Familie nach achtmonatigem Kirchenasyl ins Ausland abgesetzt hat, um dort ihren untergetauchten Mann wiederzutreffen, da für eine Lösung ihres Falles in Deutschland keine Hoffnung mehr bestand.
23.12.: Auf ein Düsseldorfer Bürohaus wird ein Sprengstoffanschlag verübt. Am 27.12 bekennen sich die „Antiimperialistischen Zellen“ (AIZ) zu der Tat. Am 26.2.96 werden in Witzhave bei Hamburg nach längerer Observation zwei junge Männer als AIZ-Angehörige festgenommen. Es ist erste Festnahme mutmaßlicher AIZ-Mitglieder. Die Bundesanwaltschaft erläßt Haftbefehl.
28.12.: Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes darf ehemaligen DDR-Anwälten die Lizenz nur dann entzogen werden, wenn sie bei ihrer Spitzeltätigkeit für die Stasi zugleich gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben (Az.: 1 BvR 2263/94 u.a.).
Die frühere Terroristin und Ehefrau des Terroristen „Carlos“, Magdalena Kopp kehrt freiwillig in die Bundesrepublik zurück und erklärt sich zu Aussagen bereit. Ein Haftbefehl wird nicht erlassen; im Februar 1996 werden auch die Ermittlungen wegen Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag gegen Frau Kopp eingestellt.
29.12.: Zwei Polizeibeamte, die im Februar 1994 einen Rumänen erschossen hatten, werden vom Landgericht Frankfurt/Oder zu Bewährungsstrafen von zehn bzw. sieben Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre, verurteilt.

Januar 1996

01.01.: Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) weist das Bundeskriminalamt (BKA) an, künftig keine Zahlen über fremdenfeindliche Straftaten mehr zu veröffentlichen. Dies soll nur noch durch die Bundesregierung geschehen, die Zahlen für November 1995 werden mit insgesamt 121 angegeben.
03.01.: Durch Presseveröfentlichungen wird bekannt, daß die mit der Bewachung des Asylbewerberheim in bayerischen Lech beauftragte Wachschutzfirma „BWS Sicherheitsdienst“ Asylbewerber bespitzelt. Eine daraufhin durchgeführte Untersuchung des Datenschutzbeauftragten bestätigt dies auch für andere bayerische Heime.
04.1.: Die Berliner Polizei ermittelt gegen zwei Rauschgiftfahnder, die einen V-Mann mit Heroin entlohnt haben sollen.
In Essen reichen einige der insgesamt 918 Demonstranten, die während des EU-Gipfels 1994 über Stunden im sog. „Essener Kessel“ festgehalten wurden, Klage ein um, die Rechtmäßigkeit des Einsatzes überprüfen zu lassen.
05.01.: In Köln, Brühl und Hamburg werden Brandanschläge auf türkische Banken und Reisebüros verübt. In den nächsten Tagen folgen weitere Anschläge im gesamten Bundesgebiet, als deren Urheber die verbotene „Dev Sol“ gilt. Hintergrund ist eine gewaltsam beendete Gefangegenrevolte im Istanbuler Gefängnis Ümraniye. Am 9.1. nimmt die Kölner Polizei 60 türkische Demonstranten einer nicht genehmigten Solidaritätsdemonstration fest. Am 30.1.96 durchsucht die niedersächsische Polizei einen als „Zentrallager“ der kurdischen PKK bezeichneten Keller in Hannover und beschlagnahmt das aufgefundene Material. Am 11.2. warnt das Bundeskriminalamt, ihm lägen „konkrete Hinweise aus PKK-Führungskreisen“ vor, wonach neue Gewaltaktionen geplant seien. Am 13.2. nimmt die Polizei im Vorfeld einer Fachtagung zur inneren Sicherheit, an der Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) teilnimmt, in Stuttgart 95 KurdInnen bereits bei der Anreise zu einer Protestveranstaltung vorübergehend fest. Weitere 13 KurdInnen werden an ihrem Wohnort „präventiv“ festgenommen; bis auf drei Personen werden alle am nächsten Tag wieder freigelassen.
08.01.: In Potsdam beginnt gegen 12 Jugendliche der Prozeß um die Hausbesetzerkrawalle vom September 1993. Am 30.1. werden die Angeklagten freigesprochen, da die eingesetzten Beamten seinerzeit unter starkem „Ermittlungsdruck“ gestanden haben und ihre Aussagen vor Gericht korrigierten.
09.01.: Der frühere DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel wird vom Berliner Landgericht wegen der Erpressung ausreisewilliger DDR-BürgerInnen, Falschbeurkundung in fünf Fällen und Meineides zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von 92.000 DM verurteilt. Vogel kündigt Berufung an.
10.01.: Die Kölner Polizei eröffnet ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Gefangenenbefreiung. Die Ermittlungen werden eingestellt, als ein opernkundiger Beamter die Gefängnisskizze auf einer Serviette als Bühnenbild aus „Fidelio“ identifiziert.
12.01.: Im Dolgenbrodt-Prozeß um die Brandstiftung in einem Asylbewerberheim erklärt eine Staatsanwältin, sie habe auf Verfügung ihrer Vorgesetzten das Verfahren gegen einen früheren Rechtsextremisten, der als Kronzeuge angesehen wurde, eingestellt, um das „strafaufklärende“ Aussageverhalten zu honorieren. Am 26.1. wird der Angeklagte Silvio J. als Brandstifter zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 7.200 DM verurteilt. Verteidigung und Staatsanwaltschaft legen Revision ein.
In Berlin scheitert der frühere Präsident des BfV Otto John in seinem fünften Versuch, durch die Wiederaufnahme seines Prozesses seine Rehabilitierung zu erreichen. John war 1956 wegen Übertrittes in die DDR wegen Landesverrates verurteilt worden.
16.01.: In Köln und Bünde werden zwei türkische Männer, die mit Messern auf Familienmitglieder einstechen bzw. diese bedrohen von Polizisten erschossen.
17.01.: In Frankfurt/O. und Berlin beginnt ein Prozeß gegen acht bzw. zwei Bernauer Polizisten, denen vorgeworfen wird, in den Jahren 1993 und 1994 mehrfach Vietnamesen mißhandelt zu haben. Am 31.1. werden die Berliner Beamten freigesprochen, da eine „hundertprozentige Sicherheit“ nach Ansicht des Richters nicht gegeben ist.
Der Landauer Polizeibeamte Roland Schlosser scheitert mit der Revision seines Verfahrens. Er hatte 1993 einen Asylbewerber aus der Abschiebehaft befreit und privat untergebracht, da er die Unterbringung des Mannes als menschenunwürdig empfand und war dafür gerichtlich verwarnt worden. Schlosser kündigt Verfassungsbeschwerde an.
In Lübeck wird ein Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim verübt; 10 Menschen sterben in den Flammen, rund 50 weitere werden verletzt. Noch in der Nacht nimmt die Polizei vier verdächtige Jugendliche fest, die der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden. Am nächsten Tag werden sie jedoch freigelassen, da sich der Tatverdacht nicht bestätigt. Am 20.1. wird ein libanesischer Heimbewohner unter Tatverdacht festgenommen; er bestreitet die Tat. Am 23.1. verhängen Polizei und Staatsanwaltschaft eine Nachrichtensperre. Am 6.2. findet für die Opfer eine ökumenische Trauerfeier statt, in deren Anschluß die Särge in die jeweiligen Heimatländer überführt werden. Am 8.2. wird ein Gutachten vorgelegt, daß bestätigt, daß es sich tatsächlich um vorsätzliche Brandstiftung handelte. Am 29.2. bestätigt die Staatsanwaltschaft, daß Besuchergespräche des inhaftierten Libanesen abgehört wurden. Hierdurch habe sich der Tatverdacht erhärtet.
18.01.: In Frankfurt/M. beginnt der Prozeß gegen Monika Haas, der vorgeworfen wird, im Herbst 1977 die Waffen für die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ geliefert zu haben. Am 22.1. zieht die Kronzeugin Soraya Ansari in einem Schreiben an den Generalbundesanwalt ihre bisherigen belastenden Aussagen zurück. Am 16.2. wird der Haftbefehl gegen Haas aus gesundheitlichen Gründen aufgehoben; sie muß jedoch weiter in Haft bleiben, da die Bundesanwaltschaft Beschwerde gegen die Entscheidung einlegt. Am 29.2. wird der Prozeß aufgrund andauernder Erkrankung der Angeklagten ausgesetzt.
22.01.: Durch Presseveröffentlichungen wird bekannt, daß Geheimdienstler des „Militärischen Abschirmdienstes“ (MAD) und des BND am Schutz der Bundeswehr bei Bosnieneinsätzen beteiligt sind.
25.1.: Der Staatssekretär im Verteidugungsministerium Generalleutnant a.D. Jörg Schönbohm (CDU) wird neuer Berliner Innensenator.
30.01.: Vor dem stillgelegten Atomkraftwerk Greifswald räumt die Polizei eine friedliche Blockade von ca. 20 AtomkraftgegnerInnen, die einen Transport von Brennelementen nach Ungarn verhindern wollen. Eine zweite Blockade von „Greenpeace“ am nächsten Tag wird ebenfalls geräumt. Am 17.2. blockieren „Greenpeace“-Aktivisten erneut die Ausfahrtgleise, um die bevorstehende Abfahrt des Transportes zu verhindern. Die Polizei räumt die Blockade. Entlang der Transportstrecke kommt es wiederholt zu Protestaktionen. Gegen 23 DemonstrantInnen der drei Blockaden werden Ermittlungen wegen Sachbeschädigung, Nötigung und gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr eingeleitet. Am 20.2. verüben „Autonome Gruppen“ einen Anschlag auf die Bahnstrecke Berlin-Stralsund.
In Berlin beginnt der Prozeß gegen den früheren DDR-Rechtsanwalt und Stasi-Spitzel Wolfgang Schnur, dem Mandantenverrat vorgeworfen wird.
31.01. Die Fraktion der GRÜNEN im niedersächsischen Landtag stellt ihre Mitarbeit im Untersuchungsausschuß zu den „Chaostagen 1995“ ein, da SPD und CDU nicht bereit sind, neben Polizisten auch unabhängige ZeugInnen zu hören.

Februar 1996

01.02.: In einem Prozeß um die Mißhandlung von Ausländern in Hamburg (Hamburger Polizeiskandal) wird ein Beamter schuldig gesprochen, einen Afrikaner mit Insektenspray besprüht zu haben; er wird zu einer Geldstrafe von 9.000 DM verurteilt. Gegen fünf weitere Beamte ist ebenfalls Anklage erhoben. Am 8.2. gibt der Kronzeuge in diesem Skandal, der Polizeibeamte Uwe Chrobok, bekannt, er habe mit der Dienstpost auch Morddrohungen erhalten.
Laut Auskunft der Bundesregierung wurden 1995 insgesamt 3.600 Telefonüberwachungen durchgeführt. Das bedeutet einen leichten Rückgang.
05.02.: In Bonn und London legt „amnesty internatioal“ (ai) nach 1995 seinen zweiten Bericht zu fremdenfeindlichen Übergriffen bei der deutschen Polizei vor. Am gleichen Tage veröffentlicht auch die Innenministerkonferenz (IMK) ihren bei der Polizeiführungsakademie in Auftrag gegebenen Forschungsbericht „Polizei und Fremde“, der bereits seit rund einem halben Jahr unter Verschluß gehalten wurde. In diesem Bericht werden Übergriffe als Folge von Streß und Frustration dargestellt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) weist den ai-Bericht als „keineswegs sauber recherchiert“ zurück.
In Bochum werden zwei Polizeibeamte zu Geldstrafen zwischen 5.600 und 9.000 DM wegen Veruntreuung verurteilt. Sie hatten mit fingierten Rechnungen heimlich einen Squashplatz im Polizeipräsidium einbauen lassen.
06.02.: Vom Amtsgericht Kempten werden zwei Polizisten zu Geldstrafen von 7.000 DM und 8.000 DM verurteilt. Sie hatten in ihrer Freizeit in betrunkenem Zustand drei Punks zusammengeschlagen und mißhandelt.
Der Präsident des Bundeskriminalamtes Hans-Ludwig Zachert tritt „aus gesundheitlichen Gründen“ zurück. Zu seinem Nachfolger wird der bisherige Leiter der Bundesgrenzschutzabteilung im Bundesinnenministerium Ulrich Kersten berufen.
In Dachau wird von der Polizei ein Geiselnehmer erschossen.
08.02.: In Berlin wird in einem U-Bahnhof von einem Justizwachtmeister ein Häftling erschossen, der während der Ausführung zu einer ärztlichen Behandlung trotz seiner Fesselung einen Fluchtversuch unternimmt.
BGS-Beamte trennen auf dem Stuttgarter Flughafen ein kurdisches Asylbewerberpaar von ihren eingereisten Kindern. Umgehend werden die beiden zwei- und sechsjährigen Kinder zurückgeschoben in die Türkei zurück.
13.02.: Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung stellt den Drogenbericht 1995 vor. Danach ist die Zahl der Drogentoten im Vergleich zum Vorjahr um 3,6% auf 1.565 Fälle gesunken.
14.02.: Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU) legt erstmals einen gemeinsamen Bericht von BfV und BND vor. Die innere Sicherheit Deutschlands, so der Bericht, werde zunehmend durch ausländische Extremisten und Terroristen bedroht.
15.02.: Vom Frankfurter Landgericht wird ein Polizeibeamter, der 1992 einen flüchtenden Einbrecher erschossen hatte, in der Berufsverhandlung zu 8.000 DM Geldstrafe verurteilt. Laut Urteilsbegründung ist ein Polizist auch dann noch strafrechtlich verantwortlich, wenn er selbst „unbewußt fahrlässig“ einen tödlichen Schuß abgibt (Az.: 73 Js 31496.3/92).
16.02.: Wegen möglicher „Strafvereitelung im Amt“ in Zusammenhang mit dem untergetauchten Verfassungsschutz-V-Mann Klaus Steinmetz stellt die hessische Landtagsfraktion der GRÜNEN Strafantrag gegen das rheinland-pfälzische Landesamt für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz.
In Nordrhein-Westfalen und Brandenburg durchsucht die Polizei zeitgleich die Wohnungen von 22 Rechtsextremisten. Sie stehen im Verdacht, die 1995 verbotene „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) weiterzuführen.
23.02.: Der in den USA festgenommene Bauspekulant Jürgen Schneider wird von BKA-Beamten nach Frankfurt/Main zurückgebracht.
28.02.: In Berlin beginnt der Prozeß gegen Johannes Weinrich. Ihm wird vorgeworfen, im August 1983 einen Sprengstoffanschlag auf das „Maison de France“ verübt zu haben, bei dem ein Mensch umkam. Mit Weinrich werden auch der frühere syrische Botschafter in Ost-Berlin und ein ehem. Stasi-Offizier angeklagt.
29.02.: Wegen der Zerwürfnisse mit dem Bundeskanzleramt wird der BND Präsident Konrad Porzner (SPD) auf eigenen Wunsch in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Mit knapper Mehrheit verabschiedet der Landtag in Potsdam ein neues brandenburgisches Polizeigesetz. Es gilt als eines härtesten in der Bundesrepublik; u.a. werden damit der „Große Lauschangriff“ und (indirekt) der gezielte Todesschuß ermöglicht sowie ein viertägiger Unterbindungsgewahrsam eingeführt.