Audio- und Videoüberwachung – Kontrolltechniken im öffentlichen Raum

von Thilo Weichert

Als in der deutschen Öffentlichkeit über die Zulassung des ‘Großen Lauschangriffs’ in Wohnungen diskutiert wurde, war schon das Feld abgesteckt, auf dem der nächste Grundrechtsabbau stattfinden soll: Insbesondere Polizisten, aber auch konservative Politiker meinten, ohne den ‘Spähangriff’ in Wohnungen das organisierte Verbrechen nicht hinreichend bekämpfen zu können.[1] Ist innerhalb von Wohnungen aus technischen Gründen der Lauschangriff einfacher und ergiebiger und damit auch häufiger, so dominiert außerhalb von Wohnungen der Spähangriff.

Schutz vor dem Audio- und Videografieren im öffentlichen Raum bestand dagegen bisher vor allem dadurch, daß das Aufzeichnen und Auswerten von Wort und Bild technisch aufwendig war. Die Erhebung von Bildern und Tönen stellt mittlerweile jedoch technisch kein Problem mehr dar und wird allerorten im öffentlich zugänglichen Raum praktiziert.

Kleine Geschichte der öffentlichen Bild- und Tonüberwachung in Deutschland

[2]

Die optische Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen hat in Deutschland eine lange Geschichte. 1958 wurde in München eine Verkehrszentrale eingerichtet, an die von stationären Fernsehkameras über 17 Verkehrsschwerpunkte bewegte Bilder übertragen wurden. 1959 kam zur Überwachung des Straßenverkehrs zur Industriemesse und zur Luftfahrtausstellung in Hannover eine Industriefernsehanlage zum Einsatz; ein Jahr später wurde sie durch mobile, u.a. in Hubschraubern installierte Kameras ergänzt. Hannover war 1976 auch die erste deutsche Stadt, in der mit 25 stationären, ferngesteuert schwenkbaren Zoom-Kameras der Dauereinsatz der Videotechnik praktiziert wurde. Überwacht wurde nicht nur der Autoverkehr. Auf der Mönckebergstraße in Hamburg, am Kröpcke in Hannover oder auf dem Münchner Marienplatz richteten sich die Maßnahmen von Anfang an gegen „Rand- und Problemgruppen“. 1964 wurde der Münchner Stadtpolizei die erste mobile Fernsehaufnahme-Anlage übergeben – zum Füllen der Lücken der stationären Beobachtung, z.B. bei „größeren Menschenansammlungen, Aufmärschen, Versammlungen unter freiem Himmel, evtl. Streiks, Krawallen o.ä.“. Die Anlage war damals auf einem Sechs-Tonnen-LKW-Gestell mit ausfahrbaren Bodenstützen installiert, hatte einen drei Meter hohen Kameramast und eine sieben Meter hohe Antenne.
Inzwischen hat sich die Technik weiterentwickelt. Die Kameras wurden kleiner, leichter, leistungsfähiger und zahlreicher. Schon in den 70er Jahren wurden die Kameras so billig, daß sie zur flächendeckenden Kontrolle von Bahnsteigen, Rolltreppen, Tunneln, Kreuzungen, Fußgänger- und Einkaufszonen, Warenhäusern und Bahnhöfen genutzt werden konnten. Video wurde zum nicht täuschbaren Gefahrenmelder und, z.B. bei Verkehrskontrollen, zum unbestechlichen Beweismittel. Die seit 1976 bundeseinheitlich ausgebildeten polizeilichen Beweissicherungs- und Dokumentations- (BeDo-) Trupps überwachten Demonstrationen mit kleinen handlichen Videokameras, mit deren Zoom-Technik gestochen scharfe Porträtaufnahmen gefertigt werden konnten.
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur verdeckten Globalbeobachtung war die „Aktion Paddy“. Zur Absicherung vor RAF-Anschlägen installierte das Bundeskriminalamt mit Unterstützung des BND und des Bundesamtes für Verfassungsschutz in einem Umkreis von 30 km des amerikanischen NATO-Hauptquartiers Heidelberg im öffentlichen Raum 13 versteckte Hochleistungskameras. Nach sechs Monaten wurde die Anlage ohne den erhofften Ermittlungserfolg abgebaut. Kurz danach wurde knapp außerhalb des Überwachungsbereichs auf den zuvor mitgeschützten Vier-Sterne-General Kroesen von der RAF ein Anschlag verübt.
Anfang der 80er Jahre waren von westlicher Seite am ‘eisernen Vorhang’ automatische Kameras in Grenzkontrollbereichen installiert worden. Nachdem der ‘antifaschistische Schutzwall’ Ende der 80er Jahre von östlicher Seite aus eingerissen war, wurde weiter im Osten ein neuer elektronischer Vorhang bzw. Schutzwall aufgebaut. An der deutschen Ostgrenze zu Tschechien und Polen sollen neben Lichtschranken und Bewegungsmeldern vor allem Infrarot- und Videokameras unerlaubte Grenzübertritte frühzeitig anzeigen. Erklärtes Vorbild ist die Überwachung der südlichen US-Grenze zu Mexiko. [3]

Überwachung in Innenstädten

Mit großem publizistischem Trara hat die Polizeidirektion Leipzig Anfang 1996 ein Pilotprojekt zur “Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten“ gegen Kfz-Aufbrüche, Taschendiebstähle und Drogenhandel begonnen. Vergleichbare Aktivitäten gibt es aber auch an anderen Orten. [4] Die Polizei ist jedoch schon lange nicht mehr die Institution, die diese Technik am umfassendsten einsetzt. Die Erfassung erfolgt inzwischen vor allem durch Kommunen, auf dem Wertstoffsammelplatz ebenso wie auf dem Schulhof. Öffentliche Einrichtungen bis hin zu den Hochschulen sehen in dieser Technik eine Möglichkeit, sich selbst ein Stückchen ‘Sicherheit’ zu schaffen. [5]
Anders als von George Orwell in seinem Roman ‘1984’ befürchtet, waren 1984 die Städte und erst recht Feld, Wald und Wiesen tatsächlich noch frei von versteckten Mikrofonen. Als aber 1986 nach der Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl über 100 Strommasten umgesägt worden waren, besann man sich des literarischen Vorbilds und machte sich an die Installierung von Schalldetektoren, mit denen Sägegeräusche in einem Umkreis von 30 Metern registriert werden konnten. [6] Während in Wohngebieten in den USA akustische Überwachungssysteme schon in der Erprobung und im Einsatz sind, sind in Deutschland vergleichbare Pläne noch nicht bekannt. In einzelnen US-Städten werden die von einem Netz von Mikrofonen registrierten Signale automatisiert danach ausgewertet, ob sie von Gewehr- oder Pistolenschüssen stammen können; zudem wird der präzise Ausgangsort angezeigt. [7] Dagegen gibt es vor allem im privaten Bereich auch in der Bundesrepublik schon erste Beispiele öffentlicher Lauschangriffe, z.B. im Automatenbereich von Banken. Hier werden nicht nur Geräusche erfaßt, sondern auch die gesprochenen Worte der Anwesenden.

Überwachung des öffentlichen Raums im Ausland

Die Bundesrepublik ist in Sachen Audio- und Videoüberwachung nicht Vorreiter. In Großbritannien und in den USA lassen sich Trends feststellen, die auf uns erst noch zukommen werden. Interessant ist, daß in den genannten Staaten (oder auch in Frankreich [8]) große Vorbehalte gegenüber jeder konventionellen direkten staatlichen Personenkontrolle – z.B. mit Hilfe von Ausweisen – bestehen, daß aber die anmaßendere und heimtückischere Form der technischen Überwachung weitgehend akzeptiert wird. Noch ganz andere Dimensionen hat die Kontrollpraxis in den asiatischen Überwachungs-Hochburgen Singapur oder Hongkong. [9]
Schon Ende 1996 war in Großbritannien in jeder zweiten Kommunalverwaltung eine öffentlich-rechtliche Videoüberwachung installiert. Die Wunderwaffe gegen das örtliche Verbrechen heißt ‘Closed Circuit Television’ (CCTV). Allein für 1997 und 1998 ist der Aufbau von 20.000 Polizeikameras geplant. Pro Jahr werden dort über 300.000 Sicherheitskameras verkauft. Die hohe Akzeptanz ist sicher mit der Angst vor nordirischen Terroraktionen erklärbar. Mit Hilfe der Videoüberwachung konnte der blutige Bombenanschlag auf das Londoner Kaufhaus Harrods von 1983 ebenso aufgeklärt werden wie zehn Jahre später der Mord an dem kleinen James Bulger in Merseyside durch zwei Heranwachsende. [10]
Die britische Polizei kontrolliert sämtliche Fahrzeuge im Eurotunnel mit einem elektronischen Überwachungssystem, dessen Kameras die Kfz-Kennzeichen aufnehmen und an eine zentrale Polizeidatei in London weitergeben. Diese meldet innerhalb von vier Sekunden zurück, ob ein verdächtiges bzw. gesuchtes Kennzeichen erfaßt worden ist. [11] Ebenso anlaßunabhängig werden mit dem CCTV der ‘City of London Police’ täglich über 100.000 Kraftfahrzeuge an acht Zufahrtspunkten zur Londoner City erfaßt. Die seit Februar 1997 in Betrieb befindlichen Kameras arbeiten auch mit dem ‘Automatic Number Plate Reading’, der vollautomatischen Datenerfassung der Kennzeichen und dem sofortigen Abgleich mit Polizeidatenbanken. [12]

Kriminalpolitische Gewinn- und Verlustrechnung

Die Audio- und Videoüberwachung im öffentlichen Raum hat sowohl eine private wie eine öffentliche Komponente. Nicht nur die Polizei, auch Privatpersonen setzen diese Überwachungstechniken ein. Anlaß hierfür kann ein Nachbarstreit sein; zumeist wird aber die Überwachung von privaten Grundstücken, von Verkehrsanlagen, im Taxi bis hin zur optischen Kontrolle von Kundenräumen, Geldautomaten, Warenhäusern und Einkaufspassagen aus allgemeinen Sicherheitsgründen praktiziert. Inzwischen kann zumindest in städtischen Räumen schon fast von einer flächendeckenden Überwachung durch eine Vielzahl unterschiedlicher Betreiber gesprochen werden.
Wegen ihrer Privatnützigkeit erfolgt die Überwachung zumeist nicht systematisch und in strategischer Absicht. Eine Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichem Bereich besteht bei der Bild- und Ton-Erhebung durch private Sicherheitsunternehmen, die ihr ‘Beweismaterial’ den Sicherheitsbehörden weitergeben. [13] Während der Staat bei der personellen Datenerhebung schon einmal eher ‘Outsourcing’ praktiziert, da dieses erheblich billiger ist als die hoheitliche Lösung, spielt diese Überlegung beim reinen Technikeinsatz eine geringere Rolle. Um von vornherein und vollständig die Bestimmungsmöglichkeit über die Beobachtungsoperationen zu behalten, wird die typische hoheitliche Audio- und Videoüberwachung regelmäßig nicht aus der Hand gegeben. Doch auch dieser Bereich ist dem ‘Outsourcing’ zugänglich, wenn polizeiliche und private Interessen gleichläufig sind, wie die Nutzung der 3-S-Zentralen der Deutschen Bahn AG zur Bahnhofsüberwachung durch den Bundesgrenzschutz zeigt. [14]
Kostenprobleme bestehen heute weniger in der Beschaffung der Überwachungshardware. Teuer ist derzeit die noch von Menschen vorzunehmende Auswertung der Aufzeichnungen. Daher erfolgt zumeist nur dann eine Aufzeichnung, wenn hierfür ein konkreter Anlaß besteht. Die Aufzeichnung wird personell von einer Person am Bildschirm, aber auch schon durch Bewegungsmelder oder durch einfache Mustererkennung (z.B. bei besonderen Geräuschen) initialisiert. Statt des Durchlaufens von Bildern erfolgt oft die technisch etwas aufwendigere Kurzzeitspeicherung, die nach wenigen Tagen überspielt wird. Dadurch kann die Entscheidung über die längerfristige Aufbewahrung bestimmter Aufzeichnungen hinausgezögert werden. Solange aber keine elektronische Selektion evtl. relevanter Aufnahmen, die derzeit noch sehr teuer ist, praktiziert wird, werden mit der flächendeckenden Überwachung vielleicht erwünschte, psychologisch abschreckende Wirkungen erreicht, noch nicht aber die automatisierte Totalkontrolle. Audio- und Videoüberwachung hat also die gleichen Vorteile wie sämtliche sonstigen elektronischen Überwachungsmethoden: Sie ist (zunehmend) billig und ersetzt kostenintensive personelle Wachtätigkeit.
Während personelle Kontrolle bestenfalls Zeugenbeweise produziert, liefert die maschinelle Version den unbestechlichen Sachbeweis: „Der Sachbeweis ist objektiv, er wertet nicht, er lügt nicht, sein Erinnerungsvermögen läßt nicht nach, er widerspricht sich nicht.“ [15] Die menschliche Wahrnehmungsmöglichkeit wird technisch verlängert und erweitert. Möglich ist nicht nur das Registrieren von üblichem Licht und Schall, sondern auch z.B. von Wärmestrahlen. Dunkelheits- oder wetterbedingte Behinderungen können kompensiert werden. Durch Heranzoomen (Vergrößerung) und elektronische Verstärkung können weit entfernte, besonders abgeschottete oder menschlich nicht mehr wahrnehmbare Objekte registriert werden. All dies kann unbeobachtet und unabhängig von Ort und Zeit erfolgen und für beliebige Beobachter beliebig oft reproduziert werden.
Sind sich die technisch Beobachteten der Beobachtung bewußt, so beeinflußt dies deren Verhalten. Welche psychologischen Auswirkungen dies bei rechtschaffenen Menschen haben kann, erläuterte das Bundesverfassungsgericht: „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl.“ [16] Dieses zentrale bürgerrechtliche Argument gegen jede Form der elektronischen Rundum-Überwachung hat angesichts der Konjunktur von Sicherheitsphrasologie einen schweren Stand.
Die sicherheitspolitische Bilanz der Technologie ist nicht berauschend. Das Verhalten von potentiellen Störern und Rechtsbrechern wird sicherlich durch die Beobachtung in der Form beeinflußt, daß es im Beobachtungsraum zu erheblich weniger Rechtsverletzungen kommt. Erfolgsquoten von über 75% Kriminalitätsrückgang werden vermeldet. [17] Die abschreckende Wirkung greift aber nur, wenn auf die Überwachung hingewiesen wird. Sie läßt sich schon dadurch erreichen, daß glaubwürdig auf eine elektronische Überwachung hingewiesen wird, ohne daß diese tatsächlich erfolgen müßte. Erreicht wird aber keine Verringerung von Rechtsverletzungen, sondern durchgängig nur deren Verdrängung bzw. Verlagerung. Überwachung bessert keine Übeltäter, sondern verscheucht diese. Werden bestimmte Gebiete sicherer, so werden andere dafür zwangsläufig gefährlicher: Überwachen z.B. polizeiliche BeDo-Trupps ein Fußballstadion, so kommt es eben auf den An- und Abmarschwegen zu den Ausschreitungen.
Betroffen vom Verdrängungsprozeß durch optische und akustische Überwachung ist nicht der raffiniert und organisiert agierende Täter, der großen materiellen Schaden anrichtet, sondern der ‘kleine’ Straßenkriminelle. Verdrängt werden diejenigen, denen lediglich vorgeworfen werden kann, daß sich andere von ihnen belästigt fühlen. So wurde etwa auf Sylt Videotechnik gezielt gegen Punks eingesetzt, die das touristische Treiben in der Fußgängerzone von Westerland behinderten. [18] Verdrängt werden Bettler, Obdachlose und Jugendliche und sonstige ohnehin sozial ausgegrenzte Minderheiten , unabhängig davon, ob sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder nicht. Den ‘rechtschaffenen’ Bürgerinnen und Bürgern wird im Gegenzug eine saubere Stadt geboten, in der diese sich subjektiv sicher fühlen. Daß dieses Gefühl mit dem objektiven Befund nicht übereinstimmen muß, steht auf einem anderen Blatt.

Zukünftige Aussichten

Auch bei der Weiternutzung des Materials der Audio- und Videoüberwachung befinden wir uns derzeit mitten in einer rasanten technischen Entwicklung: Die Mustererkennung von Tonaufnahmen ist so weit ausgereift, daß mit Sprachdatenbanken massenhaft Abgleiche gefahren werden können. Zu deren Realisierung fehlen derzeit abgleichfähige hoheitliche Sprach-Datenbanken für Identifizierungszwecke. Es ist nur eine Frage von Speicher- und Rechenkapazität, daß auch hinsichtlich sonstiger biometrischer Merkmale, insbesondere bei der Gesichtserkennung, Abgleiche möglich sind. Die in Florida beheimatete Firma ‘NeuroMetric’ hat ein System entwickelt, das aus einer Menschenmasse pro Sekunde 20 Gesichter herausfiltern kann. Deren biometrische Daten lassen sich innerhalb von Sekunden in einer Datenbank mit 50 Mio. Datensätzen abgleichen. [19]
Eine völlig neue Dimension wird auch dadurch eröffnet, daß Bilder über das Internet weltweit verbreitet werden können. Die Einspeisung digitaler Bild- und Tonaufzeichnungen ins Internet erfreut sich einer gefährlich zunehmenden Beliebtheit. Mehr als eine Mio. Besucher haben z.B. eine Web-Kamera-Homepage besucht, über die festgestellt werden konnte, wer an einer Haltestelle in Beverly Hills einen Bus betritt oder verläßt. Jede Überwachungskamera läßt sich auch als Web-Cam benutzen, sei sie in einem Supermarkt, auf einem öffentlichen Platz, in einem Hotelzimmer oder in der Brille eines Internet-Freaks installiert. [20]
Ein anderer, völlig neuer Blickwinkel – im wahrsten Sinne des Wortes – entsteht durch die Luft- und Satellitenüberwachung. [21] Inzwischen werden gestochen scharfe Luftbilder, wie aus 25 m Höhe geknipst, von privat auf dem Markt angeboten. Adressaten dieses Angebots sind neben öffentlichen Stellen (Grundbuch-, Kataster- und Planungsverwaltung) z.B. Adressenhändler, die den Grundstücken Bewohnernamen zuordnen. Zur Überführung von Umweltsündern auf dem Meer wird die Luftbildüberwachung schon eingesetzt. Der Einsatz der Luftbildtechnik zur Observation von Grundstücken oder zum Verfolgen von Fahrzeugen ist nur noch eine Frage der Zeit.
Audio- und Videotechniken tragen zum unaufhaltsamen Run in die Informationsgesellschaft bei. Für das Persönlichkeitsrecht besonders fatal ist bei diesen Techniken, daß die Betroffenen zumeist nicht bemerken, daß sie überwacht werden. Die Biometrie, die Mustererkennung und die weltweite Vernetzung eröffnen völlig neue Überwachungsperspektiven. Neben der qualitativen Aufrüstung erfolgt – vor allem im Namen der Sicherheit – eine rasante quantitative Zunahme der eingesetzten Geräte. Was vordergründig vor allem individuellem Voyeurismus zu dienen scheint und zweifelsfrei Rationalisierungseffekte hat, fördert auch Law-and-Order-Denken. Gegenstrategien zum Schutz von Grundrechten und Privatsphäre sind noch nicht in Sicht.

Thilo Weichert ist Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. und seit Februar 1998 Stellv. Landesbeauftragter für den Datenschutz in Schleswig-Holstein.
[1] s. Datenschutz-Nachrichten 1997, H. 3, S. 16f.
[2] zur Geschichte: Weichert, T.: Praxis und rechtliche Aspekte optischer Überwachungsmethoden – zum Einsatz moderner Videotechnik, in: Datenschutz-Nachrichten 1988, Sonderheft Videoüberwachung, S. 4-57 (7ff.)
[3] s. Datenschutz-Nachrichten 1997, H. 4, S. 20
[4] ebd., S. 20f.
[5] Der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz (Hg.): 2. Tätigkeitsbericht. Berichtszeitraum 1.1.1996 bis 31.12.1997, Erfurt 1998, S. 103ff.
[6] Weichert a.a.O. (Fn. 2), S. 15
[7] Der Spiegel 1996, Nr. 34, S. 88 u. 90
[8] Eine umfassende Darstellung der Entwicklung im Ausland enthält: Sack, F.; Nogala, D.; Lindenberg, M.: Social Control Technologies, Hamburg 1997 (Ms.), S. 306ff.
[9] Weichert a.a.O. (Fn. 2), S. 18
[10] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 5.11.1996; die tageszeitung v. 4.9.1996
[11] Datenschutz-Nachrichten 1997, H. 3, S. 22
[12] Datenschutz-Nachrichten 1997, H. 4, S. 26f.
[13] Weichert, T.: Sechs Fragen zu privaten Sicherheitsdiensten, in: Datenschutz-Nachrichten 1997, H. 2, S. 16-20 (18)
[14] s. Jacobs, W.: BGS nutzt 3-S-Zentralen der Deutschen Bahn AG, in: Zeitschrift des BGS 1998, H. 1/2, S. 8-12
[15] Herold, H.: Erwartungen von Polizei und Justiz in die Kriminaltechnik, in: Kriminalistik 1979, H. 1, S. 17-26 (18f.)
[16] Bundesverfassungsgericht: Volkszählungsurteil v. 15.12.1983, in: Neue Juristische Wochenschrift 1984, H. 8, S. 419-428 (422)
[17] kritisch dazu Sack; Nogala; Lindenberg a.a.O. (Fn. 8), S. 315ff.
[18] Landesbeauftragter für den Datenschutz Schleswig-Holstein: Zwanzigster Tätigkeitsbericht. Berichtszeitraum: 1997, Kiel 1998, S. 36
[19] die tageszeitung v. 4.9.1996
[20] die tageszeitung v. 9.1.1997; zur globalen Nachbarschaftshilfe über das Internet: Sack; Nogala; Lindenberg a.a.O. (Fn. 8),S. 326f.; zur Übertragung von Bildern des öffentlichen Verkehrs über einen lokalen Fernsehsender: Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte (Hg.): 13. Tätigkeitsbericht (Berichtsjahr 1994), Hamburg 1995, S. 38-41
[21] Weichert a.a.O. (Fn. 2), S. 17