Archiv der Kategorie: CILIP 060

(2/1998) Überwachungstechnologien I

Redaktionelle Vorbemerkung

von Norbert Pütter und Martina Kant

Unser aller Alltag ist ohne ‘Technik’ nicht mehr vorstellbar. Vom Aufwachen durch den funkgeeichten Wecker über die verschiedendsten Computeranwendungen am Arbeitsplatz bis zum Fersehangebot, das über Satellit zu uns kommt. ‘Technik’ ist unser ständiger Begleiter; wir nutzen sie nicht nur selbstverständlich, ihr Gebrauch wird auch einfacher, ‘komfortabler’ – paradoxerweise umso mehr, je größer der technische Aufwand und die Komplexität der technischen Vorgänge wird.

Den Instanzen Innerer Sicherheit ist die Technisierung, d.h. heute vor allem Computerisierung und Digitalisierung, suspekt. Neue Bedrohungen und Gefahren werden diagnostiziert: Internet-Kriminalität, ungestörte Kommunikationsmöglichkeiten für Kriminelle, computergestützte Betrugsformen oder verbesserter Schutz gegen Strafverfolgung … Die Schlußfolgerungen aus diesem Gefahren-Gemälde sind klar: Auch in technischer Hinsicht müssen die Strafverfolgungsbehörden, d.h. insbesondere die Polizei, mit ihrem Gegenüber gleichziehen. Damit die Straftäter, so die Argumentation, der Strafverfolgung nicht technisch davonlaufen, sind die technische Aus- und Aufrüstung einschließlich der Ausbildung und Rekrutierung des entsprechenden Personals das Gebot der Stunde. Redaktionelle Vorbemerkung weiterlesen

Chronologie

zusammengestellt von Norbert Pütter

März 1998

02.03.: In Frankfurt am Main beginnt der Prozeß gegen sieben Angeklagte, denen unweltgefährdende Abfallbeseitigung, Betrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Es ist das erste Verfahren, in dem sich Täter aus dem Bereich der Umweltkriminalität wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten müssen.
04.03.: Der Drogenbeauftragte Hannovers teilt mit, daß die Städte Frankfurt am Main, Karlsruhe, Köln und Hannover bei der Bundesregierung einen Modellversuch zur kontrollierten Heroinabgabe an Süchtige beantragen wollen. Chronologie weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 1997

von Otto Diederichs

Die von der Innenministerkonferenz (IMK) für das Jahr 1997 veröffentlichte Statistik über den polizeilichen Schußwaffengebrauch weist wieder einmal Differenzen zur CILIP-Zählung auf. Während offiziell lediglich zehn Polizeischüsse mit Todesfolgen gemeldet wurden,[1] ergaben die Recherchen von Bürgerrechte & Polizei/CILIP zwölf von der Polizei erschossene Personen.

Zusammengestellt wird die Schußwaffengebrauchsstatistik im Auftrag der IMK von der Polizei-Führungsakademie (PFA) in Hiltrup. Grundlage sind dabei die Zahlenangaben aus den einzelnen Bundesländern. Im Gegensatz zur PFA-Zählung nimmt CILIP jedoch auch die tödlichen Folgen sog. „unbeabsichtigter Schußabgaben“ mit auf. Offiziell hingegen werden diese aufgrund eines IMK-Beschlusses von 1983 nicht mehr zu den Polizeischüssen mit Todesfolge gezählt.[2] Selbst die Ausweisung dieser Schüsse in einer gesonderten Kategorie ist mittlerweile entfallen. Polizeiliche Todesschüsse 1997 weiterlesen

VPs hinter Gittern

Vorbemerkung der Redaktion:

‘Vertrauenspersonen’ werden in der Sprache der Polizeigesetze als jene Personen umschrieben, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist. Bei ihnen handelt es sich um Privatpersonen, die auf Dauer für die Polizei arbeiten, von der Polizei Aufträge entgegennehmen und für ihre geleistete Arbeit von der Polizei bezahlt werden. Abgesehen von wenigen Spezialisten innerhalb der Polizeien weiß niemand, wie viele polizeiliche V-Personen es in Deutschland gibt, niemand kennt die Höhe ihrer Bezahlung, niemand die Art und die Zahl ihrer Einsätze. Ihrer Natur nach handelt es sich bei V-Personen um solche Menschen, die sich im bzw. am Rande des kriminellen Milieus befinden. Denn nur wer Zugang zu jenen Kreisen hat, kann der Polizei Informationen versprechen, die sie glaubt, anders nicht erhalten zu können.

In der Vergangenheit hat sich die kritische Öffentlichkeit vor allem mit den Folgen des VP-Einsatzes für das Ermittlungsverfahren und den Strafprozeß beschäftigt. Vor einiger Zeit wandte sich ein CILIP-Leser an die Redaktion, der uns darauf hinwies, daß VPs auch eine besondere Rolle in den Gefängnissen spielen. Der Leser hat sich bereit erklärt, seine Erfahrungen mit V-Personen in der Haft zu Papier zu bringen. Wir veröffentlichen seinen Text nachfolgend, weil Informationen über VPs in Haftanstalten nur spärlich vorhanden sind und weil wir eine öffentliche Diskussion auch über diese Auswirkungen moderner polizeilicher Methoden für dringend erforderlich halten. Um den Autor zu schützen, verzichten wir auf die Nennung seines Namens. VPs hinter Gittern weiterlesen

Ausweitung der Generalklauselanwendung durch die Polizei – Aktuelle Beispiele aus Bremen und Hamburg

von Fredrik Roggan

Die Generalklauseln in den Polizeigesetzen, mitunter auch als Generalermächtigungen bezeichnet,[1] sind sprachlich weit gefaßte Eingriffsnormen, die der Polizei allerdings nur auf den ersten Blick ebenso weite Eingriffsbefugnisse verschaffen. Stellten die Generalklauseln der Polizei tatsächlich solch umfassende Befugnisse aus, so wären nicht nur die meisten Regelungen der Standardmaßnahmen schlicht überflüssig,[2] sondern sie machten die Polizeibehörden auch zu einem Machtapparat, der bei jeglicher Gefahr unbegrenzt in die Rechte der BürgerInnen eingreifen dürfte.

Die Polizei greift immer wieder auf die Generalklausel zurück, wenn die speziellen Normen in den Polizeigesetzen die gewünschten polizeilichen Eingriffe nicht decken. Wenn etwa die Videoüberwachung von Wohnungen nicht mit den ohnehin schwer eingrenzbaren Regelungen über polizeirechtliche „große Lauschangriffe“ erfaßt wird, so könnte der Rückgriff auf die Generalklausel diese dennoch erlauben. Die Anwendung der Generalklauseln ist also auf bestimmte Bereiche zu beschränken, soll die Polizei nicht eine unbegrenzte Machtfülle erhalten. Ausweitung der Generalklauselanwendung durch die Polizei – Aktuelle Beispiele aus Bremen und Hamburg weiterlesen

„Wir Bürger als Sicherheitsrisiko“ – Rückblick und Ausblick

1977 habe ich, von Freimut Duve angeregt, einen Band bei Rowohlt-aktuell herausgegeben, der den Titel trug: „Wir Bürger als Sicherheitsrisiko“. Das war mitten im „Deutschen Herbst“. Ein geradezu radikaler Mangel an Augenmaß wurde kund, sowohl auf seiten der RAF und ihrer insgesamt kleinen Anhängerschar: als ob ein „revolutionärer Wandel“ der herrschenden Verhältnisse durch „demaskierende“ Aktionen, die nur auf Mord offizieller Vertreter hinausliefen, herbeigeführt werden könne, als auch auf seiten der etablierten Politik und Öffentlichkeit, die schon auf die demonstrativen Akte der Studentenbewegung reagiert hatte, als drohten Chaos und Gewalt. Seinerzeit wurde das „System Innerer Sicherheit“ aus der Taufe gehoben. Daß es zu einem ‘System’ wurde, ist nicht zuletzt der technischen Entwicklung zu verdanken, die den Sicherheitsbehörden neue Möglichkeiten bot.

Das „System Innerer Sicherheit“ wurde 1972 zum ersten Mal offiziell in den Verkehr gebracht. Die Überlegungen, die zu ihm führten, waren nicht primär auf den „antiterroristischen Kampf“ zurückzuführen. Sie wurden jedoch durch letzteren erheblich begünstigt und intensiviert. An erster Stelle stand der Versuch einer präventiven Kehre der Politik innerer Sicherheit. Statt nur auf begangene Taten zu reagieren, wollte man kriminellen Taten zuvorkommen. „Wir Bürger als Sicherheitsrisiko“ – Rückblick und Ausblick weiterlesen

‘Electronic Monitoring’ – Die elektronische Überwachung von Straffälligen

von Rita Haverkamp

Unter dem Schlagwort „elektronische Fußfessel“ kursiert in neuerer Zeit der elektronisch überwachte Hausarrest (oder vereinfacht die elektronische Überwachung) verstärkt in den Medien. Die Suche nach preisgünstigen Alternativen zum überfüllten und teuren Strafvollzug bestimmt seit Jahrzehnten die Kriminalpolitik. Neben der elektronischen Überwachung gehören hierzu auch andere ambulante Sanktionen wie die gemeinnützige Arbeit und der Täter-Opfer-Ausgleich. Als vermeintlich billige Alternative bietet sich der elektronisch überwachte Hausarrest an. Die aus unterschiedlichen Lagern kommenden Gegner bringen zahlreiche Bedenken gegen diese Kontrollform vor. Die Kritik reicht von dem Vorwurf einer zu milden Sanktionierung bis hin zu einer Totalüberwachung, die ethisch nicht verantwortbar sei und die in die Menschenwürde erheblich eingreife.

Der elektronisch überwachte Hausarrest ist eine Freiheitsbeschränkung, die dem Verurteilten auferlegt, seinen Wohnbereich nicht oder nur zu vorab festgelegten Zeiten zu verlassen. Die Kontrolle erfolgt mit technischen Mitteln unter Einsatz von Überwachungspersonal. Solche Programme erschöpfen sich meist nicht in einer bloßen technischen Aufenthaltskontrolle, sondern gehen in einem Konzept der Intensivbewährung bzw. -überwachung auf, das dem Überwachten besonders strenge Regeln zur Lebensführung auferlegt. ‘Electronic Monitoring’ – Die elektronische Überwachung von Straffälligen weiterlesen