§ 129b StGB – Steilvorlage aus Europa – Mit EU-Druck zur Ausweitung des politischen Strafrechts

von Mark Holzberger

Ein neues Jahrtausend und eine rot-grüne Bundesregierung – Anlass genug, um auf eine Entrümpelung der unseligen deutschen Anti-Terror-Gesetze zu hoffen? Wohl kaum. Über die Schiene der EU gerät die BRD, nicht ohne selbst dabei eifrig mitgewirkt zu haben, unter einen entgegengesetzten, repressiven Handlungsdruck: Sie muss die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verfolgung im Ausland operierender „krimineller“ und „terroristischer“ Vereinigungen schaffen.

Der 1976 ins Strafgesetzbuch (StGB) eingefügte § 129a, der Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung sowie Werbung für eine „terroristische Vereinigung“ unter Strafe stellt, bildet das Zentrum des deutschen Staatsschutzstrafrechts. Er ist Anknüpfungsnorm für eine lückenlose polizeiliche Überwachung, für die Aushöhlung der Rechte von Beschuldigten sowie gegebenenfalls deren Isolations-Haftbedingungen.

Der § 129a ist eine Art Präventionsstrafnorm, die – wie selbst der Bundesgerichtshof (BGH) 1978 festgestellte – eine Strafbarkeit „schon weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen“ begründet.[1] Aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden liegt der Vorteil des Organisationsstrafrechts, zu dem auch der bereits aus dem letzten Jahrhundert stammende § 129 (kriminelle Vereinigung) gehört, in einer enormen Erleichterung der Beweisführung – zu Lasten der Beschuldigten: Diesen muss nämlich nicht mehr die Begehung einer konkreten Straftat nachgewiesen werden. Vielmehr kann eine Person, die einmal als Mitglied einer „kriminellen“ oder „terroristischen“ Vereinigung angesehen wird, für sämtliche dieser Organisation zugeschriebenen Straftaten zur Verantwortung gezogen werden.

Die linke und liberale Kritik des Anti-Terror-Strafrechts der 70er Jahre richtete sich vor allem gegen die Tatbestände des Werbens bzw. der Unterstützung einer „terroristischen“ Vereinigung. Hiermit werden Handlungen verfolgt, die – so der BGH in dem bereits zitierten Urteil – „für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft sind“. In der Praxis werden damit vor allem missliebige Meinungsäußerungen kriminalisiert: So wurden JournalistInnen der „Unterstützung terroristischer Vereinigungen“ beschuldigt, weil sie Bekennerschreiben militanter Gruppen abdruckten.[2] SprayerInnen, die die Wände der Münchener U-Bahn mit dem Slogan „Krieg den Palästen“ und einem fünfzackigen Stern bemalten, wurden in den 80er Jahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung zu zwölf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.[3]

Erst jüngst ergab eine Kleine Anfrage der PDS, dass weniger als 3% der Ermittlungsverfahren, die in den 90er Jahren auf Grund des § 129a eingeleitet wurden, mit einem gerichtlichen Urteil endeten.[4] Die eingestellten restlichen 97% waren für den Staatsschutz keineswegs nutzlos, denn der § 129a eröffnet eine Fülle von Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen. So wurden Mitte der 90er Jahre im 129a-Verfahren gegen die Göttinger „Antifa M“ binnen weniger Monate insgesamt 14.000 Telefongespräche abgehört.[5] Das Ausforschen unliebsamer politischer Spektren ist die eigentliche Funktion des § 129a.

Der § 129a in EU-Übersetzung

Nach monatelangen Kontroversen verabschiedete der Rat der Innen- und JustizministerInnen der EU im Dezember 1998 eine Gemeinsame Maßnahme, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihr jeweiliges Strafrecht den Tatbestand der Beteiligung an einer „kriminellen Vereinigung“ aufzunehmen.[6] Die rechtsstaatlich bedenkliche Logik des deutschen Staatsschutzstrafrechts – die einigen europäischen Rechtssystemen bislang völlig fremd gewesen ist – wurde damit zu einer verbindlichen Vorgabe für alle EU-Staaten. Als „kriminelle Vereinigung“ wird in Art. 1 der „auf längere Dauer angelegte organisierte Zusammenschluss von mehr als zwei Personen“ definiert, „die in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen …“, bei denen die vorgesehene Höchststrafe über vier Jahren liegt. Diese weit reichende Definition erfasst auch Formen des politischen und sozialen Protests, die in bestimmten Situationen Gefahr laufen, außerhalb der Legalität gestellt zu werden (von Demonstrationen über Hausbesetzungen bis zu Streiks und Betriebsbesetzungen).[7]

Die EU verpflichtet ihre Mitgliedstaaten, Personen selbst dann wegen ihrer Tätigkeit in einer kriminellen Vereinigung zu verfolgen, wenn sie an der eigentlichen Tatausführung gar nicht beteiligt gewesen sind. Mehr noch, die eigentliche strafbare Handlung muss noch nicht einmal begangen worden sein. Eine Person soll zudem auch für „sonstige Tätigkeiten der Vereinigung“ belangt werden können, sofern sie sich „bewusst“ gewesen sei, dass ihre – nicht näher spezifizierte – „Beteiligung“ zur Durchführung der kriminellen Aktivitäten der Vereinigung „beiträgt“. Diese „sonstigen Tätigkeiten“ befinden sich nun endgültig im eigentlich straflosen Vorfeld krimineller Handlungen – damit können alle möglichen legalen Aktivitäten kriminalisiert werden.

Dieser Problematik waren sich die Innen- und JustizministerInnen der EU sehr wohl bewusst. Und so haben sie sich in Art. 2 Abs. 2 der Gemeinsamen Maßnahme gegenseitig zu einer „möglichst weitgehenden Unterstützung“ auch in den Fällen verpflichtet, in denen ein Mitgliedstaat derartige Vorfeldhandlungen nicht unter Strafe gestellt hat – diese dort also nach wie vor vollkommen legal sind.

Schließlich wurden die EU-Staaten dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2000 die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, Mitglieder krimineller Vereinigungen zu verfolgen – unabhängig davon, an welchem Ort innerhalb der EU sich die eigentliche Operationsbasis dieser Gruppe befindet bzw. wo sie agiert. Konkret heißt dies, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden beispielsweise das Mitglied eines finnischen Schmuggler- oder eines griechischen Fluchthelferrings oder aber der baskischen ETA hier zu Lande verfolgen können – obwohl klar ersichtlich ist, dass die Bundesrepublik nicht zu deren Aktionsfeld zählt.

Diese Bestimmung ist für das deutsche Staatsschutzstrafrecht das einzig Neue. Bislang ist die Gemeinsame Maßnahme in der Bundesrepublik noch nicht umgesetzt. Es existiert lediglich ein unveröffentlichter Vorentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ) vom August 1999. Danach sollen mit Hilfe eines neu einzuführenden § 129b die §§ 129 und 129a auch für kriminelle und „terroristische“ Vereinigungen in einem Mitgliedstaat der EU gelten.

In der BRD hat man auch ohne diese Bestimmung in der Vergangenheit ausländische „kriminelle“/“terroristische“ Vereinigungen verfolgt. Voraussetzung hierfür war aber, dass diese Organisation in Deutschland zumindest über eine Teilstruktur verfügte. Die Bundesanwaltschaft benötigte so unendliche Winkelzüge, um einen deutschen Ableger der Brüsseler Europavertretung der PKK zu erfinden – alles nur damit in Deutschland Kurdinnen und Kurden mit Hilfe des § 129a StGB angeklagt werden konnten. Auf derlei Umstände kann nach Umsetzung der EU-Maßnahme verzichtet werden.

Die praktischen Auswirkungen des geplanten § 129b dürften auf absehbare Zeit weniger in der Festnahme und Aburteilung ausländischer „Terroristen“ liegen. Der zweite Versuch, ausländischen Organisationen wegen Aktionen im Bundesgebiet den Prozess zu machen, endete Anfang der 90er Jahre mit Freisprüchen für die mutmaßlichen IRA-Mitglieder. Die politischen Entwicklungen in Irland seither lassen vermuten, dass es bis auf weiteres zu keiner Neuauflage der Kontinentalkampagne der IRA kommt. Bleiben Gruppierungen wie die baskische ETA oder aber der griechische „17. November“. Allerdings liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der deutsche Staatsschutz auf die Verfolgung dieser Gruppierungen vorbereitet.

Der Schwerpunkt des § 129b dürfte somit erst einmal darin liegen, die gegenseitige Rechtshilfe – also im wesentlichen den grenzüberschreitenden Informationsaustausch und die seit kurzem deutlich erleichterte Auslieferung politischer Straftäter – zu intensivieren. „Möglichst weitgehende Unterstützung“ haben sich die EU-Staaten in der Gemeinsamen Maßnahme gegenseitig zugesichert. Zudem wollen sie ihr Vorgehen in grenzüberschreitenden Ermittlungskomplexen untereinander abstimmen, um eine möglichst „effiziente Strafverfolgung“ sicherzustellen.

Kleine Brötchen

Der § 129a wird seit seiner Entstehung 1976 durch Bürgerrechtsverbände und kritische JuristInnenvereinigungen kritisiert, da die verfassungs- und bürgerrechtlichen Kosten dieses Sondergesetzes zu hoch und seine Erforderlichkeit äußerst fraglich sind. Die Grünen haben zu Oppositionszeiten mehrfach – zuletzt in ihrem Wahlprogramm 1998 – die Abschaffung des § 129a gefordert; ebenso die PDS, die zudem angekündigt hat, diesen Aspekt ihres Strafrechtsdemokratisierungsgesetzes aus der letzten Legislaturperiode[8] jetzt erneut einzubringen. Erst jüngst hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie dazu aufgerufen, eine Kampagne zur Abschaffung der §§ 129 und 129a zu starten. Dies könnte auf fruchtbaren Boden fallen, nachdem im Januar dieses Jahres der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer, die Strafverteidiger-Vereinigungen und der Verein Deutscher Strafverteidiger vorgeschlagen haben, zumindest Folgevorschriften des § 129a – wie z.B. das Kontaktsperregesetz aus dem Deutschen Herbst 1977 – endlich zu streichen.

So richtig diese Forderung ist, so klar ist es jedoch auch, dass nach der Gemeinsamen Maßnahme mit einer kurzfristigen Durchsetzung im nationalen Rahmen nicht mehr gerechnet werden kann. Was bleibt, ist aber mehr als nur der schale Appell an den Rat der EU, das gerade erst Beschlossene gleich wieder abzuschaffen. Vielmehr muss die Umsetzung der Maßnahme nicht so ablaufen, wie es sich das BMJ gedacht hat: Die Mitgliedstaaten sind nicht gezwungen, Unterstützung und Werbung für solche Vereinigungen zu kriminalisieren. Im Hinblick auf die erst einmal unumgängliche Umsetzung der Maßnahme wäre daher ein Paket möglich, im Zuge dessen diese beiden Varianten aus dem § 129a gestrichen (und somit auch nicht auf den § 129b übertragen) würden.

Auch wenn 85% aller § 129a-Ermittlungsverfahren sich auf Unterstützung bzw. Werben beziehen, bleibt dies immer noch ein kleines Brötchen. Was das Ausmaß der Staatsschutz-Kooperation angeht, hat uns Europa inzwischen fest im Griff.

Mark Holzberger ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP und Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Claudia Roth.
[1] BGHSt 28, S. 147 (148)
[2] vgl. Gössner, R.: Das Anti-Terror-System, Hamburg 1991, S. 146ff.
[3] Frankfurter Rundschau v. 6.6.1981
[4] BT-Drs. 14/2840. Bei anderen – unpolitischen – Delikten liegt die Quote weit über 40%.
[5] Gössner, R.: Einmal verdächtig, immer verdächtig, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 64 (3/99), S. 78-81
[6] Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 351 v. 29.12.1998, „terroristische Vereinigungen“ werden von dieser Gemeinsamen Maßnahme mitumfasst.
[7] Als strafwürdiger Zweck krimineller Vereinigungen wird in der Gemeinsamen Maßnahme die Begehung nicht nur solcher Straftaten angesehen, bei denen es um die Erlangung „geldwerter Vorteile“ geht. Vielmehr stellt die „unzulässige“ (also nicht unbedingt rechtswidrige) „Beeinflussung der Tätigkeit öffentlicher Stellen“ eine nicht minder verwerfliche Absicht krimineller Vereinigungen dar.
[8] BT-Drs. 13/10272

Bibliographische Angaben: Holzberger, Mark: § 129b StGB – Steilvorlage aus Europa. Mit EU-Druck zur Ausweitung des politischen Strafrechts, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 66 (2/2000), S. 75-79