Editorial

von Heiner Busch

„Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen.“ Der Befehl des Polizeikommandanten aus „Casablanca“ hat sich im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt. Er versinnbildlicht wie kaum ein anderer die Erfahrung, dass einige vor dem Gesetz eben gleicher sind als andere. Wer wollte den weniger gleichen die Häme vorwerfen, wenn das schier unglaubliche doch passiert, wenn der Baulöwe Jürgen Schneider sichtlich gescheitert ohne Toupet und ohne „peanuts“ flankiert von Beamten des Bundeskriminalamts über den Fernsehbildschirm wankt, wenn es den raffgierigen Manager – aller Erfahrung zum Trotz – dennoch trifft und er wie ein gewöhnlicher Krimineller in Handschellen abgeführt wird.

So wohltuend derartige Bilder sein mögen, so sicher ist doch auch, dass sie erstens eine gründlichere Analyse nicht ersetzen und zweitens nicht das Fundament einer linken und bürgerrechtlichen Politik abgeben können. Dies klarzumachen, ist eines der wesentlichen Ziele des Heftschwerpunktes „Wirtschaftskriminalität und Geldwäsche“. An dieser Stelle sollen nur einige Punkte vorweggenommen werden: Die enorme Ausweitung des Geldwäschetatbestandes und der Zahl der als Vortaten gewerteten Delikte hat vor allem eines zu Wege gebracht, nämlich dass die Zahl der Verdachtsmeldungen seitens der Banken massiv gestiegen ist. Die „Achillesferse“ des vielbeschworenen organisierten Verbrechens haben Polizei und Strafverfolgungsbehörden nicht getroffen.

„Daneben gegangen“, so müsste auch das Urteil bei der „Bekämpfung“ der Wirtschaftskriminalität lauten – jedenfalls wenn man unterstellt, dass es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sei, die „wirklich großen Betrüger“ an den Kanthaken zu bekommen. Das gelingt schon deshalb selten, weil in den Zeiten der wirtschaftlichen Deregulierung die Grenze zwischen dem erlaubten und erwünschten Risikogeschäft und der Wirtschaftskriminalität hauchdünn ist. Von letzterer ist vor allem dann die Rede, wenn das Geschäft fehlschlägt und der Pleitegeier grinst. Die Insolvenz und damit auch ein Strafverfahren wegen Insolvenzdelikten droht jedoch in erster Linie nicht den Verantwortlichen großer kapitalstarker Unternehmen, sondern den InhaberInnen mittelständischer und junger Firmen. Spätestens bei den Arbeits- und den Zolldelikten sind wir wieder bei den „üblichen Verdächtigen“ angelangt: bei vietnamesischen Zigarettenhändlern oder bei SchwarzarbeiterInnen von außerhalb der EU, die die Kosten der Strafverfolgung in Form einer Abschiebung zu tragen haben. Zwischen der Realität der Wirtschaftskriminalität und ihrer Verfolgung einerseits und den Wunschbildern des Antikapitalismus mit polizeilichen Mitteln andererseits klaffen offensichtlich Welten.

Angesichts der Vorbereitungen auf den Irak-Krieg sei der Enron-Skandal, die bis dahin größte Pleite der US-Firmengeschichte, fast vollständig aus der öffentlichen Diskussion verdrängt worden. So endet der Beitrag von Andrea Böhm über dieses Lehrstück in Sachen Wirtschaftskriminalität. In der ersten Woche der Produktion des vorliegenden Heftes begannen die USA und ihre Verbündeten ihre Bombardements irakischer Städte und ihren Feldzug in Richtung Bagdad. Einmal mehr ist davon die Rede, dass die neuen elektronisch gesteuerten Waffen ihr Ziel metergenau träfen. Das Wort „Kollateralschaden“, das im Krieg gegen Jugoslawien für Entsetzen sorgte, wird dieses Mal tunlichst vermieden. Angesichts des kriegerischen Horrors schien ein normales Arbeiten an anderen politischen Themen abseitig. Wir haben das Heft trotzdem fertiggestellt.

Die kommende Ausgabe wird dem Verhältnis von Polizei und Militär gewidmet sein. Mit dem bis dahin zu erwartenden Ende des Krieges wird dieses Thema eine besondere Aktualität erhalten. Kein Grund zur Freude, aber einer zum Nachdenken.

Für die vorliegende Ausgabe zu spät kam auch die Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht am 18. März. Ein Kommentar dazu bleibt für das nächste Heft aufgespart.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.