TKÜ-Gutachten vorgestellt

Am 15. Mai 2003 stellten Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und der Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht (MPI) Hans-Jörg Albrecht das vom MPI im Auftrag des Ministeriums verfasste Gutachten zur „Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ der Öffentlichkeit vor.[1] Das Gutachten ging auf eine Übereinkunft in der ersten rot-grünen Koalitionsvereinbarung von 1998 zurück; es stellte eine politische Reaktion auf den seit Jahren steigenden Umfang der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) dar.

Den qualitativen Kern der Studie bildet die Analyse von 523 Strafverfahren mit TKÜs aus dem Jahr 1998. Diese Verfahren beinhalteten 1.488 TKÜ-Anordnungen für 2.370 Anschlüsse. (Die Stichprobe entspricht einem Neuntel aller Anordnungen für 1998.) Zum Umfang der Überwachungen kann man der Zusammenfassung des Gutachtens entnehmen, dass in 60 Verfahren zwischen 100 und 1.000 Gespräche abgehört wurden, und in 11 Verfahren wurden mehr als 5.000 Gespräche überwacht – der Spitzenreiter lag bei 30.500.

Hinsichtlich „Transparenz, Kontrolle und Nachvollziehbarkeit“ stellt das Gutachten ein „Auseinanderklaffen von Gesetz und Wirklichkeit“ fest. Nur in 23,5 % der richterlichen Anordnungen wird die TKÜ „substantiell“ begründet; in den anderen Verfahren fand das MPI Begründungen, die nicht auf eine richterliche Prüfung schließen ließen. Ähnlich gering ist die Zahl der nachträglichen Benachrichtigungen, die bei rund 27 % lag – obwohl das Gesetz eine Benachrichtigungspflicht vorschreibt. Während die Ministerin in diesen beiden Punkten einen gewissen Reformbedarf einräumt, bestätige das Gutachten insgesamt, dass die TKÜ ein „effektives“ Mittel der Strafverfolgung sei, das von den Ermittlungsbehörden „sensibel und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit“ eingesetzt werde. Obwohl auch das MPI diese Schönfärberei praktiziert, be­stä­tigen die von ihm präsentierten Daten diese Bewertung kaum. Denn immerhin räumt das Gutachten ein, dass 42 % aller TKÜs zu keiner Anklageerhebung führten. Unbefangene würden eine solche Fehlerquote kaum als Indiz für einen „sensiblen“ Umgang mit einem Grundrechts­eingriff bewerten. Hinzu kommt, dass die Überwachungen nur in 62 % (der 58 % „erfolgreichen“ TKÜs) zu „mittelbaren Erfolgen“ geführt haben.

In der nächsten Ausgabe von „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ werden wir uns ausführlicher mit dem Gutachten auseinandersetzen.

(Norbert Pütter)

[1]      s. die Zusammenfassung unter: www.bmj.bund.de/images/11600.pdf