Chronologie

zusammengestellt von Alfred Becker

April 2004

01.04.: Keine Gebühr bei rechtswidrigem Gewahrsam: Laut Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Lüneburg muss eine Demonstrantin, die im März 2001 anlässlich der Anti-Castor-Proteste im Wendland in Gewahrsam genommen, dann aber vom Amtsrichter freigelassen wurde, keine Gebühr für den Transport zur Gefangenensammelstelle zahlen.

02.04.: Aussteigerprogramm wird fortgeführt: Seit April 2001 haben laut Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) 900 Personen aus der rechten Szene die Kontakt-Hotline des Bundesamtes für Verfassungsschutz angerufen, 200 seien ausstiegswillig gewesen. „Vielfach“ habe ihnen durch individuelle Beratung geholfen werden können.

Keine „bestellte Lieferung“: In einer Sondersitzung von Justiz- und Innenausschuss des Hessischen Landtags dementieren Landesregierung und Landeskriminalamt die Darstellung eines Fernsehberichts, wonach die Sicherstellung von 1,2 Tonnen Kokain, der größten beschlagnahmten Menge in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in Kassel im Oktober 2002 durch Verdeckte Ermittler (VE) gesteuert worden sei. Weder seien VE im Einsatz gewesen, noch hätten V-Leute als agents provocateurs agiert.

07.04.: Mounir El Motassadeq nach zweieinhalb Jahren frei: Gegen den Antrag der Bundesanwaltschaft setzt das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) den Haftbefehl aus. Der Marokkaner war im Februar 2003 wegen Beihilfe zum Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Am 4.3.2004 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dieses erste Urteil gegen eine Person aus dem Umfeld der Attentäter des 11. Septembers 2001 kassiert. Das OLG muss nun neu verhandeln.

Einkesselung rechtswidrig: 1996 hatte die Polizei beim Castor-Transport nach Gorleben 150 DemonstrantInnen für rund acht Stunden eingekesselt. Ein solcher Unterbindungsgewahrsam, so das Amtsgericht (AG) Dannenberg, sei nur zulässig, wenn von den Betroffenen eine unmittelbare Gefahr ausgehe, dass sie Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung begingen. (Az.: 39 XIV 1,2,3/01 L)

19.04.: Schulausschluss bei Gewaltandrohung: Laut Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) können Schulleitungen bereits einen zeitweiligen Ausschluss vom Unterricht verhängen, wenn ein Schüler eine besondere Neigung zur Gewaltanwendung zeige. Der VGH bestätigt die Disziplinarmaßnahme eines Gymnasiums aus dem Raum Tübingen gegen einen 12-Jährigen. (Az.: 9 S 95/04)

24.04.: Rollheimer-Demo gewaltsam aufgelöst: Unter dem Motto „einmal im Leben pünktlich sein“ blockieren BauwagenbewohnerInnen aus ganz Deutschland die Hamburger Hafenstraße. Sie fordern mehr Standplätze und demonstrieren gegen die Räumungspolitik des Senats. Die Polizei nimmt 112 Personen fest und beschädigt 95 Fahrzeuge.

29.04.: „Erweiterter Verfall“ bestätigt: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) weist die Klage eines wegen Drogenhandels Verurteilten ab und bestätigt die 1992 mit dem „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Formen der organisierten Kriminalität“ (OrgKG) eingeführten Bestimmungen, wonach Gerichte Vermögen von Straftätern auch einziehen können, wenn nur der Verdacht besteht, dass es aus Straftaten stammt. Ein detaillierter Nachweis der deliktischen Herkunft ist nicht erforderlich. (Az.: 2 BvR 564/95)

Berliner Mengenlehre: Gegen die Stimmen der CDU-Fraktion erhöht das Abgeordnetenhaus die Menge Haschisch oder Marihuana, deren Besitz straffrei ist, von bisher sechs auf 15 Gramm und nähert sich damit dem Spitzenreiter Schleswig-Holstein (30 Gramm) an. Auch geringe Mengen werden jedoch von der Polizei beschlagnahmt und vernichtet.

30.04.: Deutsche Ausweisungsregelung nicht EU-konform: Die im Ausländergesetz enthaltene Regelung, wonach AusländerInnen zwingend auszuweisen sind, wenn sie zu Haftstrafen von drei bzw. bei Drogendelikten von zwei Jahren verurteilt wurden, verstößt laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg gegen EU-Recht. Die Behörden müssen im Einzelfall prüfen, ob von der Person auch nach der Haft noch eine „gegenwärtige Gefahr“ ausgehe. (Az.: C-482/01 und C-493/01)

Polizeilicher Todesschuss in Göppingen: Ein Polizist erschießt einen mit einem Messer bewaffneten Mann, der laut Polizeiangaben zuvor die Reifen eines Autos zerstochen hatte. Der von dem Autobesitzer alarmierten Polizei gelingt es nicht, den 35-Jährigen zu beruhigen und ihn zu entwaffnen. Als der Mann auf die Beamten losgeht, greifen sie zur Waffe, zielen auf seine Beine und treffen ihn tödlich.

Mai 2004

01.05.: Erster Mai der Berliner Polizei: 620 Platzverweise, 79 Gewahrsamnahmen, 269 Festnahmen, über 100 Haftbefehle – das ist die Bilanz des „harten Durchgreifens“ und des verdeckten Einsatzes der Polizei am 1. Mai und der Nacht davor. Fünf Wochen später sind immer noch 36 Personen in U-Haft. Für Freilassungen fordert die Staatsanwaltschaft Kautionen von bis zu 10.000 Euro. Am 25.5. wird ein 19-Jähriger zu einem halben Jahr, am 14.6. ein 22-Jähriger zu zwei Jahren Haft jeweils auf Bewährung verurteilt. Gegen zwei PolizeibeamtInnen wird wegen Freiheitsberaubung, gegen neun wegen Körperverletzung ermittelt.

03.05.: Neuer Vize beim BND: Der Diplomat Rüdiger Freiherr von Fritsch-Seerhausen löst Rudolf Adam als Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes ab. Adam wird Chef der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

04.05.: Angeblicher Al Qaida-Mann: Vor dem Berliner Kammergericht beginnt das Verfahren gegen den 33-jährigen Tunesier Ihsan G., den die Bundesanwaltschaft der Bildung einer terroristischen Vereinigung beschuldigt. In einer Berliner Moschee habe G. Mittäter für Anschläge auf US-amerikanische und jüdische Ziele in Deutschland rekrutiert. Bei einer Durchsuchung fand die Polizei Material für Sprengstoffattentate. Der Vorwurf einer Verbindung zu Al Qaida beruht laut Verteidigung auf Aussagen von V-Leuten, die den Mann nie gesehen haben.

05.05.: Misshandlungen im Knast Brandenburg/Havel: Laut einem Fernsehbericht des Rundfunks Berlin-Brandenburg, der sich auf einen Strafgefangenen und zwei Ex-Insassen stützt, habe es in den letzten Jahren immer wieder „Rollkommandos“ maskierter Bediensteter gegen widerspenstige Gefangene gegeben. Ermittlungen richten sich zunächst gegen acht Bedienstete, darunter den Sanitäter und den Anstaltsarzt. Am 7.5. werden fünf weitere Beamte suspendiert. Am 10.5. entlässt Justizministerin Barbara Richstein (CDU) den selbst nicht beschuldigten Anstaltsleiter, den eigenen Rücktritt schloss sie aus.

07.05.: Todesschussermittlungen eingestellt: Zwei Zivilfahnder der Frankfurter Polizei, die am Abend des 27. Januars bei einer Verkehrskontrolle zwei Männer in einem Auto erschossen, haben gemäß Staatsanwaltschaft aus Notwehr bzw. Nothilfe gehandelt. Die beiden 22 und 31 Jahre alten Erschossenen hätten als Erste ihre Waffen gezogen.

11.05.: Politbüromitglied für Mauertode verantwortlich: Laut Urteil der 40. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin hat der heute 77-jährige Herbert Häber in einer Sitzung des SED-Politbüros 1985 der Verlängerung des Schießbefehls an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten zugestimmt und sei damit an dem Tod von drei Männern zwischen 1986 und 1989 mitschuldig. Wegen Häbers Einsatz für eine Lockerung des Grenzregimes sah das Gericht gestützt auf DDR-Recht von einer Strafe ab.

Statistik politisch motivierter Straftaten für 2003: Gemäß den vom Bundesinnenminister vorgestellten Daten ist die Zahl der registrierten Straftaten mit politischem Hintergrund gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent auf 20.477 gesunken. Davon entfielen 3.614 auf linke, 11.576 auf rechte und 5.287 auf ausländische Tatverdächtige. Die Polizei rühmt sich einer Aufklärungsquote von 48 Prozent.

14.05.: Sexuelle Nötigung im Abschiebegewahrsam: Die Bremer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen heute 47-jährigen Polizisten, der 1998 und 1999 Frauen in der Abschiebehaft sexuell genötigt und die Szenen per Selbstauslöser fotografiert haben soll. Zwei weitere Fälle aus Vorjahren sind bereits verjährt. Der Mann wurde inzwischen „auf eigenen Wunsch“ entlassen.

17.05.: Verfassungsschutzbericht 2003: Der vom Bundesinnenminister präsentierte Bericht sieht im islamistischen Terrorismus und Extremismus die derzeit größte Bedrohung. Rechtsextreme Parteien hätten an Einfluss eingebüßt, „Kameradschaften“ seien dagegen im Aufwind.

Schläge bei Kontrolle an EU-Binnengrenze: Als er auf dem Bahnhof Aachen aus dem von Paris kommenden Zug steigt, wird ein schwarzer Deutscher kongolesischer Herkunft von Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) angehalten, geschlagen, gefesselt und festgenommen. Nach BGS-Angaben habe der Mann zwar einen gültigen Ausweis bei sich getragen, sich aber geweigert ihn vorzuweisen.

24.05.: Besondere körperliche Merkmale: Bei einer erkennungsdienstlichen (ED-)Behandlung, so der baden-württembergische VGH, darf die Polizei intime körperliche Merkmale (Tätowierungen etc.) nur erheben, wenn die betroffene Person bei der Begehung von Straftaten ihr Aussehen manipuliert. Der VGH entschied auf die Berufung einer Frau, gegen die wegen der Vortäuschung von Straftaten ermittelt wurde. Die bei ihr erhobenen intimen Merkmale waren bei keinem der Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin von Bedeutung. (Az.: 1 S 2211/02)

25.05.: Geiselnahme freiwillig beendet: In Münster gibt ein offenbar psychisch gestörter 37-jähriger, mit einem Messer bewaffneter Niederländer auf Druck der Polizei seine Geisel, ein 13-jähriges Mädchen, nach 40 Stunden frei und wird festgenommen.

26.05.: Vorerst keine Abschiebung Metin Kaplans: Laut Urteil des OVG Münster bestehen keine Hindernisse für eine Abschiebung des „Kalifen von Köln“ in die Türkei. Der Versuch, das Urteil, gegen das eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht möglich und inzwischen eingelegt ist, sofort zu vollziehen, scheitert jedoch. Kaplan hat trotz Observation durch Polizei und Verfassungsschutz seine Wohnung verlassen. Am 27.5. verlängert das VG Köln Kaplans Duldung um zwei Monate (Az.: 8 A 3852/03.A), eine Entscheidung, die am 1.7. durch das OVG Münster bestätigt wird (Az.: 17 B 1154/04). In der Woche darauf kommt er fristgerecht seiner Meldepflicht bei der Polizei nach.

Zuwanderungskompromiss: CDU und SPD einigen sich: Geschlechtsspezifische Verfolgung wird anerkannt, die Arbeitsimmigration an deutsche Wirtschaftsinteressen gebunden. Die Sicherungshaft für „gefährliche“ AusländerInnen ist zwar vom Tisch, Ausweisungs- und Abschiebemöglichkeiten werden jedoch verstärkt. Vor Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltes und vor Einbürgerung gibt es eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Die von der Endphase der Verhandlungen ausgeschlossenen Grünen stimmen dem Ergebnis zu. Am 2. und 9.7. segnen Bundestag und Bundesrat das Zuwanderungsgesetz ab.

27.05.: Blockade-Urteil: Das AG Homburg (Saar) verurteilt einen Studenten, der sich im August 2001 an die Gleise gekettet und einen Castor-Zug für 40 Minuten blockiert hatte, wegen Nötigung zu 30 Tagessätzen à zehn Euro. Der Angeklagte habe mit seinem Körper physischen Zwang und damit verwerfliche Gewalt ausgeübt.

Juni 2004

01.06.: BKA-Umzugspläne: Der Bundesinnenminister veröffentlicht die überarbeiteten Umzugspläne für das Bundeskriminalamt (BKA). Danach sollen die Standorte Wiesbaden und Bonn-Meckenheim nicht wie ursprünglich geplant ganz aufgelöst werden, sondern nur ein Teil der Staatsschutzabteilung, für die internationale Zusammenarbeit zuständige Gruppen sowie eine Stabsabteilung nach Berlin umziehen.

Zu spät freigelassen: Laut Urteil des AG Dannenberg hat die Polizei im November 2002 einen Castor-Gegner zu lange festgehalten. Dieser war zunächst unter einem strafrechtlichen Vorwurf festgenommen und verhört worden. Danach prüfte die Polizei weitere zwei Stunden, ob sie ihn aus polizeirechtlichen Gründen weiter in Gewahrsam halten könnte.

02.06.: Polizei erschießt Bankräuber: In Schöneck bei Hanau flüchtet ein mit einer Pistole bewaffneter Bankräuber zu Fuß. Als ihn zwei von Zeugen informierte Zivilfahnder stellen wollen, schießt der Mann auf die Beamten, die das Feuer erwidern. Der ca. 62-Jährige stirbt wenig später im Krankenhaus.

04.06.: Einkesselung rechtswidrig: Das AG Dannenberg bewertet die fünfstündige Einkesselung von 724 Anti-Castor-DemonstrantInnen in einer kalten Novembernacht 2003 auf einem Feld bei Laase als illegal. Aufgrund des Versammlungsverbots sei allenfalls eine zweistündige Gewahrsamnahme rechtmäßig gewesen. (Az.: 39 XIV 525/03 L)

06.06.: Asylstatistik: Gemäß Angaben des Bundesinnenministeriums (BMI) gab es in den ersten fünf Monaten des Jahres 15.784 Erstanträge auf Asyl, 30 Prozent weniger als im selben Vorjahreszeitraum. 480 Menschen erhielten Asyl, 532 Abschiebeschutz.

07.06.: E-Mail-Spitzelei des BKA: Durch eine Fehlermeldung („nicht zustellbar“) wird bekannt, dass sich das BKA unter Tarnadressen (gipfel-sturm11@gmx.de) auf Mailinglisten von „linkeseite.de“ abonniert hat.

08.06.: Rechter V-Mann schaltet sich ab: Gegenüber dem Informationsdienst „Blick nach rechts“ erklärt Manfred R., zwölf Jahre lang als V-Mann für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz gearbeitet zu haben. R. war seiner Zielperson, dem Thüringer Rechtsextremisten Kurt Hoppe, von der Deutsch-Sozialen Union zu den Reps, der DVU und schließlich zur Deutschen Partei gefolgt.

09.06.: Bombenanschlag in Köln: Bei der Explosion einer mit Nägeln gefüllten Bombe in einem vorwiegend von TürkInnen bewohnten Stadtteil werden 22 Personen teils schwer verletzt. Aufgrund der Aufzeichnungen einer Überwachungskamera geht die Polizei davon aus, dass die Bombe auf einem Fahrrad deponiert worden sei. Die Hintergründe sind bisher unbekannt. Am 9.7. wird ein 23-jähriger Mann nach Hinweisen aus der Bevölkerung festgenommen, nach zweitägigem Verhör jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem er jegliche Beteiligung an dem Anschlag bestritten hatte. Zwei mit ihm angeblich in Verbindung stehende 28-jährige türkischstämmige Deutsche, gegen die ein dringender Tatverdacht von Anfang an nicht besteht, werden am 12.7. festgenommen und am Folgetag wieder freigelassen.

14.06.: Berliner „KiezpolizistInnen“: Der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses genehmigt den Einsatz von „AußendienstmitarbeiterInnen“ der bezirklichen Ordnungsämter, die in Parks und Grünanlagen auf die Einhaltung von Ordnung und Sauberkeit achten sollen.

15.06.: Entwurf für neues Polizeigesetz: Der Hessische Innenminister Volker Bouffier präsentiert einen Entwurf, der die Polizei zur präventiven Telekommunikationsüberwachung, zum Einsatz von IMSI-Catchern und Auto-Kennzeichenlesegeräten sowie zum „finalen Rettungsschuss“ ermächtigen soll.

16.06.: Kein Abschiebeschutz für Mutter eines Kleinkindes: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet im Falle einer 33-jährigen Nigerianerin, dass das Schutzbedürfnis eines Kleinkindes die Mutter nicht vor Abschiebung bewahrt. (Az.: 1 C 27.03)

Geldstrafe für BGS-Beamten: Das AG Berlin-Tiergarten verurteilt einen BGS-Beamten, der im November 2003 im Vernehmungsraum des Bahnhofs Friedrichstraße einer betrunkenen 25-jährigen Frau Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hatte, zu einer Geldstrafe von 6.300 Euro.

18.06.: Nachträgliche Sicherungsverwahrung: Der Bundestag beschließt eine Strafrechtsergänzung, wonach eine unbegrenzte Sicherungsverwahrung gegen „hochgefährliche“ StraftäterInnen auch verhängt werden kann, wenn sie im Urteil nicht vorgesehen war.

Schilys Zentralisierungswünsche: Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht Pläne des Innenministers, der in einem Brief an Justizministerin Zypries ein Weisungsrecht des BKA und des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegenüber den jeweiligen Landesämtern fordert. Vor der Sitzung der Innenministerkonferenz (IMK) am 7./8. Juli zieht Schily seine Forderungen zurück. Die IMK beschließt stattdessen eine von Polizei und Verfassungsschutz abfragbare „Islamisten-Datei“ sowie die Einrichtung eines Lagezentrums von BKA und Geheimdiensten.

20.06.: Hungerstreik am Flüchtlingstag: 50 Flüchtlinge aus Kamerun und Togo protestieren mit einem öffentlichen Hungerstreik auf dem Berliner Gendarmenmarkt gegen Sammelabschiebungen und Residenzpflicht. Die Polizei genehmigt die Aktion rund um den internationalen Flüchtlingstag als Versammlung unter freiem Himmel, verbietet jedoch das Aufstellen von Zelten.

21.06.: Anklage gegen Daschner zugelassen: Die 27. Strafkammer des LG Frankfurt nimmt die Klage der Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Polizei-Vizepräsidenten der Mainmetropole und einen weiteren Kriminalbeamten an. Daschner, der Ende 2002 dem Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzler mit Folter drohen ließ, um den Aufenthalt des zu diesem Zeitpunkt schon toten Opfers zu erfahren, muss sich nicht wegen Aussageerpressung, sondern wegen schwerer Nötigung verantworten.

23.06.: Niederlage für Birthler-Behörde: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, dass die Unterlagen über Helmut Kohl und andere CDU-Politiker, die die Stasi im Zuge von Lauschangriffen erhoben hatte, weiter unter Verschluss bleiben. (Az.: 3 C 41.03)

24.06.: La-Belle-Urteile bestätigt: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision der Bundesanwaltschaft gegen das Urteil des LG Berlin im Falle des Anschlags auf die Berliner Diskothek La Belle im Jahre 1986. Das LG hatte gegen vier Angeklagte Haftstrafen von zwölf bis vierzehn Jahren verhängt. (Az.: 5 StR 306/03)

Gesetzentwurf zum Lauschangriff: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) legt einen Entwurf zur Umsetzung des BVerfG-Lauschangriff-Urteils vom 3.3. vor. Damit Abhöraktionen bei allen Tatbeständen der §§ 129, 129 a und b Strafgesetzbuch (kriminelle und terroristische Vereinigung) möglich bleiben, sollen die Strafrahmen erhöht werden. Gleichzeitig soll bei besonders schweren Straftaten auch das Abhören bei ÄrztInnen, AnwältInnen, JournalistInnen und Geistlichen erlaubt werden. Nach heftiger Kritik des grünen Koalitionspartners und der FDP zieht Zypries die Vorlage am 9.7. zurück.

27.06.: Persönlichkeitsrechte auch für rechte Schläger: Das LG Göttingen bekräftigt, dass Tatverdächtige nur dann mit vollem Namen in den Medien genannt werden dürfen, wenn es sich um eine schwere oder eine Straftat von besonderem öffentlichen Interesse handelt. Die „taz“ hatte einen 19-jährigen Teilnehmer einer NPD-Demo benannt, der einen Gegendemonstranten schwer verletzt hatte. (Az.: 6 O 33/04)

29.06.: Erneut mehr Überwachungen: Unter Bezugnahme auf Daten der Regulierungsbehörde kritisiert der Bundesdatenschutzbeauftragte den erneuten Anstieg der Zahl der Telekommunikationsüberwachungen. Im vergangenen Jahr ließen die Strafverfolgungsbehörden 24.441 Anschlüsse überwachen. Das sind zwölf Prozent mehr als 2002 und über 400 Prozent mehr als 1995.

30.06.: Freispruch für Todesschützen bestätigt: Der BGH bestätigt den Freispruch für einen Polizisten, der in der Nacht des 28.7.2002 im thüringischen Nordhausen einen alkoholisierten Mann erschossen hatte. (Az.: 2 StR 82/04 – siehe Inland aktuell in diesem Heft)

Alfred Becker studiert Politologie.