Vertreibung, Erfassung, Kontrolle – Polizeiliche Eingriffsbefugnisse im öffentlichen Raum

von Martina Kant und Fredrik Roggan

Die polizeilichen Befugnisse für die Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Raumes sind im vergangenen Jahrzehnt stark erweitert worden. Stützte sich die Polizei zuvor (häufig unzulässigerweise) auf polizeirechtliche Generalklauseln, stehen ihr nun in den meisten Bundesländern spezielle Eingriffsnormen für Videoüberwachung, Platzverweise, Aufenthaltsverbote, Identitätsfeststellungen, Schleierfahndungen und Kontrollstellen zur Verfügung.

Die Kontrolle und Überwachung des öffentlichen Raumes ist bei weitem nicht mehr allein Aufgabe der Polizei. Zum einen verschwimmt zusehends die scharfe Trennlinie zwischen „privaten“ und „öffentlichen“ Bereichen, die dann auch zum Handlungsfeld privater Sicherheitsdienst­leister werden. Zum anderen sind mit Ordnungsbehörden, Sicherheitswachten, freiwilligen Polizeidiensten etc. weitere Akteure im öffentlichen Raum präsent, die teilweise sogar polizeiliche Aufgaben übernehmen. Dennoch: Das polizeirechtliche Handlungsrepertoire ist das weitreichendste und eingriffsintensivste. Welche Befugnisse die Polizei zur Kontrolle des öffentlichen Raumes hat, welche Begrenzungen ihr gesetzt sind und welche Strategien anhand der Befugnisse sichtbar werden, soll im Folgenden betrachtet werden.

Platzverweise und Aufenthaltsverbote

Beim Platzverweis handelt es sich um ein kurzfristiges Verweisen einer Person von einem (eng abgrenzbaren) Ort, um eine (beliebige) Gefahr abzuwehren. In vielen Polizeigesetzen werden als Adressaten einer solchen Maßnahme ferner Personen genannt, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindern. Der Platzverweis existiert als Befugnis in allen Polizeigesetzen. Eine Ausnahme bildet jedoch das Polizeigesetz von Baden-Württemberg, wo die Maßnahme auf die polizeiliche Generalklausel gestützt wird,[1] was unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes nicht unproblematisch ist.[2]

Im Vergleich zum Platzverweis handelt es sich beim Aufenthaltsverbot, das erstmalig in Niedersachsen im Jahre 1996 eingeführt wurde, um eine „entgrenzte“ Vorschrift. Weder ist die Maßnahme auf einen kurzen Zeitraum beschränkt, noch ist der Ort näher eingegrenzt. Die in den Landesgesetzen von Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rhein­land-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthaltenen Regelungen sprechen von „Gebieten“[3] oder auch „Bereichen“[4]. Platzverweise und Aufenthaltsverbote können sowohl als Einzelverfügung als auch als Allgemeinverfügung ergehen. Von Letztgenanntem ist immer dann zu sprechen, wenn sich die Maßnahme an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet.[5] Zur Durchsetzung von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten sehen die Polizeigesetze den polizeilichen Gewahrsam vor. An einer entsprechenden Befugnis fehlt es aus den genannten Gründen lediglich in Baden-Württemberg, dort ist eine entsprechende Freiheitsentziehung nur unter den strengeren Regeln über den sog. Präventivgewahrsam[6] (Abwehr oder Beseitigung einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit) statthaft.

Nach wie vor umstritten ist die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot bei fehlender Spezialbefugnis auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden kann. Während dies in der polizeirechtlichen Literatur überwiegend abgelehnt wird, hat die Rechtsprechung hier weniger Zweifel und die entsprechenden Maßnahmen der Polizei für rechtmäßig erachtet.[7]

Bemerkenswert ist in rechtlicher Hinsicht schließlich, dass – unabhängig von der Existenz einer Spezialbefugnis – die Verhängung von Aufenthaltsverboten gegenüber deutschen Staatsbürgern in all denjenigen Bundesländern verfassungswidrig ist, in welchen entgegen dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG im einschlägigen Landesgesetz Art. 11 GG (Freizügigkeit für alle Deutschen) nicht als einschränkbares Grundrecht genannt ist.[8]

Platzverweise und zunehmend auch Aufenthaltsverbote werden von der Polizei bevorzugt zur „Bekämpfung“ offener Drogenszenen ausgesprochen. Damit hofft man „Ansammlungen Abhängiger“ zu verhindern, die „Logistik des Drogenhandels“ zu stören und zugleich eine „Etablierung eines ungestörten Absatzmarktes“ zu vermeiden, so das baden-württembergische Innenministerium.[9] Massenweise Platz­ver­weise wie beispielsweise in Hamburg (1997: 81.714; 1998: 65.744) hätten die Drogenszene nachhaltig verunsichert.[10] Dass damit das Drogen-Problem nur in andere Stadtteile oder weniger öffentliche Bereiche verdrängt wird, ist offensichtlich und wird polizeilicherseits auch nicht bestritten. Man reagiere darauf mit einem „flexibleren Handlungskonzept.“[11] Mit anderen Worten: Die Polizeimaßnahmen werden räumlich ausgedehnt.

Auch Demonstranten, Hooligans, Hütchenspieler, „aggressive“ Bett­ler, Obdachlose, Prostituierte, Freier und andere Personen, die der öffentlichen Sicherheit oder wohl eher der öffentlichen Ordnung gefährlich werden könnten, werden mit Platzverweisen und Aufenthaltsverboten bedacht. Die Bremer und Hannoveraner Polizeibehörden trieben es 1996 anlässlich der befürchteten Chaos-Tage soweit, Platzverweise allein wegen eines szene-, das heißt punktypischen Aussehens zu verhängen. Jeder, der auch nur eine gefärbte Haarsträhne aufzuweisen hatte und in oder nach Bremen bzw. Hannover unterwegs war, wurde gestoppt und nach Hause geschickt oder stundenlang in Gewahrsam genommen. Dass bunte Haare allein nicht als Verdachtsmoment für die Prognose ausreichen, jemand würde Straftaten begehen, hatten die Verwaltungsgerichte schon früher entschieden. In allen nachträglichen Gerichtsentscheidungen wurden die Platzverweise daher konsequenterweise für rechtswidrig erklärt.[12] Genutzt hat es den ihrer Freiheit und Freizügigkeit Beraubten nicht.

Um Platzverweise durchzusetzen, greift die Polizei auch zum sogenannten Verbringungsgewahrsam (für Berlin lag die Anzahl für 1995 bei 1.750 Verbringungen[13]). Es sind mehrere Fälle bekannt, in denen Obdachlose von der Polizei am Stadtrand ausgesetzt wurden und wegen der kühlen Witterung erfroren sind.[14] Dementsprechend hatten sich die Gerichte mit dieser Verfahrensweise nicht nur unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten zu befassen, sondern auch eine strafrechtliche Würdigung des polizeilichen Vorgehens vorzunehmen. Bekannt sind insoweit Verurteilungen von Polizisten wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und auch wegen Aussetzung mit Todesfolge.[15] Von der Frage der Strafbarkeit der Polizisten im Einzelfall ist die generelle – polizeirechtliche – Frage der Zulässigkeit des Verbringungsgewahrsams zu unterscheiden.

Identitätsfeststellungen an „gefährlichen Orten“

An sogenannten gefährlichen oder kriminalitätsbelasteten Orten hat die Polizei weiter gehende Kontrollbefugnisse als an anderen Örtlichkeiten. Im „Normalfall“ darf die Polizei die Identität einer Person nur feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Von den einschlägigen Regelungen gemeint wird insofern, dass die Identitätsfeststellungen aus Anlass von gefahrenabwehrenden Maßnahmen zulässig sind. Die Polizei bringt auf diese Weise in Erfahrung, gegen welches Individuum die Maßnahmen zu richten sind. Insoweit unterliegen sie keinen Bedenken.

An sogenannten gefährlichen Orten kommt es auf das Verhalten des Betroffenen hingegen nicht an. Es wird deshalb von einer „Orthaftung“ gesprochen: Allein aufgrund der Tatsache, dass sie an „verrufenen“ Orten angetroffen werden, werden die Personen polizeipflichtig. Eine solch weite (in allen Polizeigesetzen enthaltene) Befugnis ist schon unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bedenklich. Es wird deshalb in der Literatur gefordert, dass die entsprechenden Normen verfassungskonform auszulegen sind, sofern sie eine entsprechende Restriktion nicht enthalten:[16] Als gefährliche Orte können überhaupt nur solche Orte in Frage kommen, an denen regelmäßig Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt werden. Orte also, an denen nach polizeilicher Erfahrung lediglich Bagatelldelikte (etwa Ladendiebstähle) begangen werden, dürften nicht ohne weiteres als „gefährlich“ im Sinne des Polizeirechts verstanden werden.[17]

Orte werden zu gefährlichen Orten, indem die Polizei eine Prognose über die zukünftige Begehung von Straftaten trifft. Mit anderen Worten: Maßgeblich ist nicht, dass ein Ort tatsächlich gefährlich ist, sondern nur, ob die Polizei aufgrund der Umstände zu dieser Annahme berechtigt ist.[18] Überprüfbar ist diese „pflichtgemäße Diagnose“ nur sehr eingeschränkt.

Einzige „echte“ tatbestandliche Voraussetzung für die Befugnis zur Identitätsfeststellung ist, dass die zu kontrollierenden Personen sich dort aufhalten müssen. Zum Begriff des Aufhaltens hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht im Jahr 2002 entschieden, dass damit ein „gewisses Verweilen an dem Ort“ gemeint ist. Erforderlich sei ein „verharrendes Element“.[19] Ein zielgerichtetes Passieren genügt demnach nicht. Das Land Niedersachsen nahm diesen Urteilsspruch zum Anlass, ein bloßes Angetroffen-Werden einer Person an einem Ort ausreichen zu lassen, um sie kontrollieren zu dürfen.[20] Die restriktive Rechtsprechung aus Hamburg wurde auf diese Weise ausgehebelt.

In Berlin beispielsweise hat die Polizei zur Zeit 19 Örtlichkeiten als „kriminalitätsbelastete Orte“ eingestuft,[21] nahezu alle wegen des Handels mit Betäubungsmitteln. Bei einigen Orten werden darüber hinaus Raub-, Diebstahls- oder Körperverletzungsdelikte genannt. Aber auch die „Trinker- und Obdachlosenszene“, der Treffpunkt eines Motorradclubs und der „Türsteherszene“ und ein orientalisches Teehaus gelten als „kriminalitätsbelastet“. Ob hierbei in jedem Fall von Straftaten von erheblicher Bedeutung gesprochen werden kann, ist mehr als fraglich.

Kontrollstellen und Schleierfahndung

Auch an „Kontrollstellen“ sind Identitätsfeststellungen zulässig. Bei ihnen handelt es sich um Sperren, an denen Personen angehalten werden, um ihre Identität zu überprüfen und sowie sie selbst und ihre mitgeführten Sachen zu durchsuchen. Sie sollen den einschlägigen Regelungen zufolge dazu dienen, bestimmte Straftaten (die Polizeigesetze unterscheiden sich hier erheblich) zu verhindern. Andererseits wird in manchen Polizeigesetzen die Einrichtung einer Kontrollstelle auch zum Zwecke der allgemeinen Fahndung nach Straftätern erlaubt. An letztgenannter Kompetenz sind seit jeher Zweifel geäußert worden, weil sie nach verbreiteter Auffassung über die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber hinausgeht.[22] Entsprechend entschied auch der Sächsische Verfassungsgerichtshof, dass die dortige Ermächtigung mit der grundgesetzlichen Kompetenzordnung nicht zu vereinbaren und daher nichtig ist.[23]

Kontrollstellen werden auch mit Verkehrskontrollen nach § 36 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung verbunden. In einigen Bundesländern finden auf diese Weise regelrechte Großkontrollen oder „Fahndungs­tage“ statt. Die Zielrichtungen dieser Kontrolle scheinen dabei beliebig austauschbar. Mal sind es in Hessen „reisende Tätergruppen aus Osteuropa“, ein anderes Mal – bei der länderübergreifenden Kontrolle „Interregio 2003“ – Rauschgiftdelikte, Menschenhandel und Umweltschutzdelikte.[24] Eine europaweite Großkontrolle zum Aufspüren illegaler Migrationsströme und Schleusungsrouten fand im Oktober 1998 unter Beteiligung der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes statt. Dabei wurde nicht nur der grenzüberschreitende Verkehr kontrolliert, sondern in einer Art konzertierter Schleierfahndung auch im Binnenland.[25] Neben der Ergreifung einiger per Haftbefehl gesuchter Personen, dem Aufspüren von ein paar Gramm Rauschgift und unerlaubt eingereister MigrantInnen ist es der Abschreckungseffekt, der mit solchen Großkontrollen erzielt werden soll. Generalpräventive Erwägungen können polizeirechtliche Eingriffe allerdings nicht rechtfertigen.[26]

Die einzelnen Befugnisse verschwimmen hier zusehends. Der Anlass und die Rechtsgrundlage einer Kontrolle sind für die BürgerInnen damit nicht mehr erkennbar.

Ebenso bei der sogenannten Schleierfahndung, auch verdachtsunabhängige oder lageabhängige Personenkontrolle genannt, steht als Kontrollmotiv die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und illegaler Zuwanderung im Vordergrund. Verbreitet werden sie als tatbestands- bzw. voraussetzungslose Polizeibefugnisse bezeichnet, die als einzige Voraussetzung das Aufhalten der BürgerInnen im öffentlichen Verkehrsraum vorsehen. Je nach Bundesland werden Lageerkenntnisse der Polizei verlangt, die auf grenzüberschreitende Kriminalität hinweisen.

Bemerkenswert ist, dass Berlin im April 2004 als erstes Bundesland die Befugnis zur Schleierfandung aus seinem Polizeigesetz wieder entfernt hat – weil es keinen entsprechenden (polizeilichen) Bedarf gibt.

Neben den grundsätzlichen Bedenken, die gegenüber einer solchen Jedermann-Kontrolle ohne jeden Verdacht bestehen, gibt es auch empirische Befunde, dass die Kontrollen zum Teil gezielt nach ethnischen Kriterien stattfinden.[27]

Videoüberwachung und Kfz-Kennzeichenerfassung

Eine in immer mehr Innenstädten wahrnehmbare Beeinträchtigung der informationellen Selbstbestimmung der Bürger ist die polizeiliche Videoüberwachung von zentralen Plätzen oder auch ganzen Straßenzügen.[28] Mit ihrer Hilfe verspricht die Polizei auf mehr oder weniger großen Hinweistafeln, Straftaten verhüten zu können. Entsprechende Befugnisnormen finden sich inzwischen in allen Polizeigesetzen. Sie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Dauer der zulässigen Speicherung der Aufzeichnungen – sie reicht von 2 Tagen in Bremen bis zu einem Monat in Thüringen – als auch in der teilweisen Beschränkung der Aufzeichnungsbefugnis. In Rheinland-Pfalz etwa ist die Aufzeichnung der Videoaufnahmen auf gefährliche Orte begrenzt. Im Übrigen ist nur eine Beobachtung zulässig, es sei denn, dass konkrete Anlässe zu befürchten sind.[29]

Der im Moment neueste technische Trend ist die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen mittels einer Videokamera und der Abgleich mit Fahndungs- und anderen Polizeidaten. Im Vergleich zur Videoüberwachung des öffentlichen Raumes handelt es sich hier um eine eingriffsintensivere Maßnahme, weil ohne weiteres ein Personenbezug hergestellt werden kann: In vielen Fällen kann vermutet werden, dass das Fahrzeug von seinem Halter/seiner Halterin geführt wird. Erfasst wird demzufolge, dass sich eine bestimmte Person zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort befindet.[30]

Bereits 2003 wurden solche Systeme in Bayern, Thüringen und Brandenburg erprobt. Die Versuche mussten jedoch mangels Rechtsgrundlage vorerst eingestellt werden. Bislang enthalten nur die Polizeigesetze von Rheinland-Pfalz und Hessen eine entsprechende Befugnis; im aktuellen Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung zum Polizeiaufgabengesetz ist sie ebenfalls vorgesehen.

Während Hessen in einer europaweiten Ausschreibung gerade die technische Ausrüstung für derartige Kontrollen beschafft und der Einsatz bis spätestens Ende des Jahres geplant ist, sieht Rheinland-Pfalz zur Zeit keinen Handlungsbedarf.[31] Wie schnell sich diese Überwachungsinfrastruktur bundesweit ausbreiten wird, ist noch nicht abzusehen. Angesichts der Erfahrungen mit anderen neueren Befugnissen, etwa der Videoüberwachung, sollte aber durchaus nicht darauf gehofft werden, dass der Republik das flächendeckende Scannen der Kfz-Kennzeichen dauerhaft erspart bleibt. Schon in wenigen Jahren dürfte sich ein entsprechender „Befugnis-Teppich“ über das gesamte Land gelegt haben.

Fazit: Polizeirecht auf Abwegen

Generell ist im Polizeirecht ein Abschied vom Störer-Prinzip zu verzeichnen. D.h. es wird zunehmend durch verdachts­unabhän­gige Maßnahmen in die Grundrechte völlig Unbeteiligter (Nichtstörer) eingegriffen. Im öffentlichen Raum wird dies zum einen an den „Jedermann-Kontrollen“ im Zusammenhang mit der Schleierfahndung, der Videoüberwachung, der Kfz-Kennzeichen­erfassung und den Kontrollstellen deutlich. Gleichzeitig betreffen polizeiliche Maßnahmen in zunehmendem Maße Personen, die von der Polizei als potentielle Störer eingestuft werden – aufgrund von Annahmen, dass sie zukünftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellen bzw. Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen könnten. Beispiele sind hier insbesondere die Verhängung von längerfristigen Platzverweisen und Aufenthaltsverboten auf der Grundlage von Prognosen. Bezogen auf die Kontrolle des öffentlichen Raumes ist darüber hinaus Folgendes festzuhalten:

  • Die technische Überwachung des öffentlichen Raumes nimmt zu. Die entsprechenden Befugnisse werden nach und nach ins Polizeirecht aufgenommen. Im Zusammenspiel weiterer technischer Neuentwicklungen wie z.B. Gesichtserkennung und anderer biometrischer Erkennungsverfahren wird schleichend eine neue Überwachungsinfrastruktur geschaffen.
  • Polizeiliche Eingriffsmaßnahmen werden verstärkt zur Abschreckung und Verunsicherung von Szenen eingesetzt und weniger zur Abwehr konkreter Gefahren oder Verhinderung von Straftaten.
  • Sozialen Problemen wie sichtbarer Armut, Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit wird mit Mitteln des Polizeirechts begegnet. D.h. störende Personengruppen werden zwangsweise aus dem öffentlichen Raum entfernt oder verdrängt ohne die dahinterstehenden Probleme zu lösen.
Martina Kant ist Bundesgeschäftsführerin der Humanistischen Union e.V. und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
Dr. Fredrik Roggan ist Rechtsanwalt in Berlin und stellvertretender Bundesvorsitzender der Humanistischen Union e.V.
[1] vgl. dazu etwa Würtenberger, T.; Heckmann, D.; Riggert, R.: Polizeirecht in Baden-Württemberg, Heidelberg 2002, S. 134-138
[2] Schenke, W.-R.: Polizei- und Ordnungsrecht, Heidelberg 2003, S. 72
[3] so etwa § 29 Abs. 2 BlnASOG
[4] so etwa § 14 Abs. 2 BremPolG
[5] § 35 Satz 2 VwVfG
[6] § 28 Abs. 1 Nr. 1 BWPolG
[7] vgl. exemplarisch einerseits Hecker, W.: Aufenthaltsverbote im Recht der Gefahrenabwehr, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1999, H. 3, S. 261-263 und andererseits OVG Bremen, in: NVwZ 1999, H. 3, S. 314-318
[8] Cremer, W.: Aufenthaltsverbote und offene Drogenszene: Gesetzesvorrang, Parlamentsvorbehalt und grundgesetzliche Kompetenzordnung, in: NVwZ 2001, H. 11, S. 1218-1223 (1219). Betroffen sind Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, und Thüringen.
[9] Die Polizei-Zeitung Baden-Württemberg 1995, Nr. 11+12, S. 2
[10] www.hamburg.de/Behoerden/Pressestelle/Meldungen/tagesmeldungen/1999/maerz/w1 0/mi/news.htm
[11] ebd.
[12] die tageszeitung v. 5.8.1996, 21.8.1996; Frankfurter Rundschau v. 9.7.1997, 11.7.1998
[13] Frankfurter Rundschau v. 5.12.2003
[14] ebd.
[15] In einem Fall aus dem Jahr 2002 wurden die angeklagten Polizeibeamten zu drei Jahren und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, s. ebd.; vgl. die Nachweise bei Roggan, F.: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Bonn 2003, S. 133 f.
[16] so aber die Gesetze in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland
[17] ausführlicher dazu Roggan a.a.O. (Fn. 15), S. 152-155
[18] Rachor, F.: Das Polizeihandeln, in: Lisken, H.; Denninger, E. (Hg.): Handbuch des Polizeirechts, München 2001, S. 295-562 (402)
[19] NVwZ – Rechtsprechungsreport 2003, S. 276 f.
[20] vgl. § 13 Abs. 1 NdsSOG
[21] Die Welt v. 13.6.2005. Die Einstufung erfolgt jeweils quartalsweise; Juli 1996: 24 gefährliche Orte, Juli 1999: 36, Juli 2002: 28; die im Text nachfolgend genannten Orte sind einem internen Papier der Berliner Polizei von März 2004 entnommen.
[22] ausführlich dazu Rachor a.a.O. (Fn. 18), S. 406
[23] sog. zweites Polizeiurteil, SächsVerfGH: Urt. v. 10.7.2003 (Az.: 43-II-00), S. 54 f.
[24] Frankfurter Rundschau v. 14.12.1996; Hessen, Innenministerium: Pressemitteilung Nr. 64 v. 24.9.2003
[25] Bundesministerium des Innern: Pressemitteilung v. 19.10.1998
[26] ausführlich Roggan a.a.O. (Fn. 15), S. 239-254
[27] Herrnkind, M.: Personenkontrollen und Schleierfahndung, in: Kritische Justiz 2000, H. 2, S. 188-208; Kant, M.: Verdachtsunabhängige Kontrollen. MigrantInnen im Netz der Schleierfahndung, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 65 (1/2000), S. 29-35
[28] vgl. dazu etwa Hempel, L.; Töpfer, E.: „Schaut auf diese Stadt!“ Videoüberwachung in Berlin, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 74 (1/2003), S. 76-83
[29] ausführlicher dazu Rühle, D.: Polizei- und Ordnungsrecht für Rheinland-Pfalz, Baden-Baden 2004, S. 146 f.
[30] Arzt, C.: Voraussetzungen und Grenzen der automatisierten Kennzeichenerkennung, in: Die öffentliche Verwaltung 2004, H. 2, S. 56-64 (57); aus polizeilicher Sicht Schieder, A.: Die automatisierte Erkennung amtlicher Kfz-Kennzeichen als polizeiliche Maßnahme, in: NVwZ 2004, H. 7, S. 778-788
[31] jeweils telefonische Auskunft der Pressestelle des Hessischen bzw. rheinland-pfäl­zi­schen Innenministeriums am 12.8.2005

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