Mehr Befugnisse und weniger Regeln – Eine nette kleine Debatte um „Europols Zukunft“

von Ben Hayes

Die Debatten der EU-Gremien über Europol folgen immer dem gleichen Muster: Weil das Europäische Polizeiamt mehr Befugnisse und einen „flexibleren“ rechtlichen Rahmen erhalten soll, müssen kritische Fragen ignoriert werden.

Im Januar 2002 veröffentlichte Statewatch einen umfangreichen Bericht über die Arbeit und die weitere Entwicklung des Europäischen Polizeiamtes (Europol). Dieser Bericht beleuchtete zum einen die Arbeit des Amtes, hinterfragte dessen Effizienz und kritisierte die fehlende politische und justizielle Kontrolle. Zum anderen befasste er sich mit den damals schon vorhandenen Plänen, Europols Zuständigkeiten und Befugnisse auszudehnen, und analysierte den undemokratischen Entscheidungsprozess in der EU.[1] Der Untertitel unseres Berichts aus dem Jahre 2002 – „auf dem Weg zu einem unkontrollierbaren europäischen FBI“ – hat seit Anfang des Jahres erneut Aktualität erhalten: Die EU hat die interne Debatte um die „Zukunft Europols“ wieder aufgenommen.

Europol ist eines der ambitiösesten und umstrittensten Projekte in der Dritten Säule der EU. Die Entscheidung zum Aufbau des Amtes trafen die Staats- und Regierungschefs, der Europäische Rat, bereits im Juni 1991. Sie floss ein Jahr später in den Maastrichter EU-Vertrag ein. Die Europol-Konvention wurde 1995 unterzeichnet, trat aber erst 1999 nach einem langen Ratifizierungsprozess in Kraft. Das Amt, das faktisch bereits seit 1994 als „Europol-Drogenstelle“ tätig war, nahm nun auch offiziell seine Arbeit auf. Heute ist Europol eine Organisation mit reichlichen Ressourcen, einem Personalbestand von 530 MitarbeiterInnen (einschließlich der 93 von den Mitgliedstaaten entsandten VerbindungsbeamtInnen) und einem Budget von knapp 68 Millionen Euro für 2007.[2]

Ursprünglich war Europol als zentrale Drehscheibe konzipiert, die Informationen der regionalen und nationalen Polizeidienste über Straftaten, Verdächtige und Ermittlungen zusammenbringen sollte. Aus diesem Grunde beschränkt die Konvention die Befugnisse des Amtes auf die Sammlung und Auswertung von Informationen und seine Zuständigkeiten auf schwere internationale Straftaten. Der Sammlung von Daten über Verurteilte, Verdächtige, Opfer und weitere Personen ist jedoch in der Konvention keine wirkliche Grenze gesetzt. Die letzte Komponente der Europol-Computersysteme wurde im Oktober 2005 in Betrieb genommen – vier Jahre später als geplant. Weil das ursprünglich beauftragte Unternehmen nicht lieferte, musste der Vertrag gekündigt werden. Der Aufbau des Systems kostete mindestens 65 Millionen Euro.

Seit dem Inkrafttreten der Konvention 1999 haben Europol und seine politischen UnterstützerInnen mit ziemlichem Erfolg argumentiert, dass das Amt zur Wahrnehmung seiner Aufgaben mehr Befugnisse und mehr Spielraum benötige. Europols Zuständigkeit wurde von fünf auf inzwischen 27 Delikt(sbereich)e ausgedehnt und umfasst nun alles, was eine halbwegs organisierte, zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffende Straftat darstellen könnte. Ferner ist Europol mehr und mehr in den „operativen“ Bereich eingedrungen, kann an „gemeinsamen Ermittlungsgruppen“ der Mitgliedstaaten teilnehmen, darf die nationalen Behörden auffordern, Ermittlungen aufzunehmen, und kann diese Ermittlungen gegebenenfalls selbst koordinieren. Den nationalen Parlamenten wurden dazu drei die Konvention erweiternde Protokolle vorgelegt und der Rat hat etwa 40 Durchführungsbeschlüsse angenommen. Hinzu kommen 18 Kooperationsabkommen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen. Schon in dem zitierten Bericht von 2002 sah Statewatch deshalb Tendenzen zur Transformation des Amtes von der ursprünglich vorgesehenen reaktiven Analysestelle in eine proaktive und operative Polizeizentrale.

Während der rechtliche und apparative Ausbau des Amtes munter vorwärts ging, wurden jedoch gleichzeitig Stimmen laut, die seine Effizienz in Frage stellten. Die Polizeibehörden einiger Mitgliedstaaten sind offensichtlich bei der Kooperation mit Europol sehr zurückhaltend und bevorzugen stattdessen die bilaterale Zusammenarbeit. Sicherlich bietet Europol logistische Unterstützung für grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen wie „kontrollierte Lieferungen“ von Drogen und sonstigen Waren (einschließlich kontrollierter Schleusungen von ImmigrantInnen). Die Qualität der von den Mitgliedstaaten gelieferten Informatio­nen lässt aber offensichtlich zu wünschen übrig, was wiederum die Güte von Europols Analysen über „organisierte Kriminalität“ und Terrorismus und damit den „Mehrwert“, den diese Analysen für die Ermittlungen der nationalen Polizeien bringen sollen, mindert. In seinen Jahresberichten glänzt Europol zwar regelmäßig mit Stories über „erfolgreiche Schläge“ gegen das organisierte Verbrechen; Berichte der Zentralstelle der niederländischen Kriminalpolizei (CRI) aus dem Jahre 2001 und des US-amerikanischen FBI von 2006 zeichnen jedoch ein anderes Bild. Das CRI beschrieb Europol als „bessere Durchreiche für Kraftfahrzeugkennzeichen und Telefonnummern“.[3] Laut FBI herrscht unter den US-Straf­verfolgungsbehörden „Unsicherheit und sogar Misstrauen hinsichtlich der Informationsverarbeitung und dem Produktionsprozess von Intelligence bei Europol“.[4]

Europol hat bereits mehrere Evaluationen durch die EU hinter sich, die die Mitgliedstaaten zu einer konsequenteren Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus der Konvention bewegen sollten (Resultate wurden allerdings nie veröffentlicht). Die eigentlichen Fragen bleiben bisher of­fen: Was für eine Polizei will und braucht Europa? Ist Europol die öffentlichen Gelder wert, die für das Amt ausgegeben werden? Sind Europol und seine Tätigkeit adäquat rechtlich geregelt?

Die Debatte um die Zukunft Europols

Diese Fragen werden in der aktuellen Debatte über die Zukunft Europols nur sehr selektiv aufgegriffen, eine tiefer gehende Untersuchung seiner Tätigkeiten ist gar nicht beabsichtigt. Die zwei Annahmen, an denen die „Debatte“ ansetzt, lassen ihr Ergebnis bereits erwarten: Erstens verhindere sein „kümmerlicher“ rechtlicher Rahmen, dass Europol sein Potenzial entfalte. Zweitens seien für diese Entfaltung mehr Befugnisse und eine Erweiterung des Europol-Mandats notwendig. Angesichts dieser Orientierung ist der Ablauf der Debatte kaum verwunderlich: Begonnen hat sie auf dem informellen Treffen des Rates der Innen- und Justizminister im Januar 2006. Im Februar folgte eine „hochrangige Kon­ferenz“ über die Zukunft Europols, bei der – so das Resümee der Ratspräsidentschaft – „eine Diskussion aufkam, ob Europol eher einer Erweiterung oder einer Vertiefung bedürfe. Es wurde argumentiert, dass dies nicht notwendigerweise ein Widerspruch sei, da beide Prozesse simultan ablaufen könnten.“[5]

Eine Arbeitsgruppe von „Friends of the Presidency“ (FOP) sollte nun ein „Optionenpapier“ über die Zukunft des Amtes erstellen. Solche FOP-Gruppen von ExpertInnen aus dem Generalsekretariat des Rates, der Kommission und den Mitgliedstaaten spielen eine wachsende Rolle für die Entwicklung der Innen- und Justizpolitik der EU.

Im April erschien ein Entwurf von ersten Schlussfolgerungen des Rates mit dem Titel „Europol – Maßnahmen für eine verbesserte Effizienz und Verantwortlichkeit“ (im englischen Text: accountability = Kontrollierbarkeit).[6] Die Mitgliedstaaten wurden darin zu einer schnelleren Ratifikation der Protokolle zur Europol-Konvention aufgefordert. Die Kommission erhielt den Auftrag, anschließend an den FOP-Bericht, der einen Monat später erschien,[7] Prinzipien eines „neuen rechtlichen Rahmens“ für Europol vorzuschlagen. Von Kontrollierbarkeit ist in diesen ersten Schlussfolgerungen nicht wirklich die Rede. Der Text enthält einzig die Anregung, der Rat solle das Europäische Parlament (EP) „ermutigen, gemeinsam mit den nationalen Parlamenten einen Mechanismus zur Begleitung von Europols Tätigkeiten einzurichten“ (engl. „to follow“, Hervorhebung durch den Autor). Im Mai folgte ein weiterer Entwurf von Schlussfolgerungen – über die „Zukunft Europols“ –, in denen dieser Vorschlag nicht mehr auftaucht.[8]

Der FOP-Bericht ist in der Tat ein Blueprint für die „Zukunft Europols“. Er beginnt mit einem Lamento über die „altertümliche“ Position Europols im Vergleich zu seinen jüngeren Schwesterorganisationen Eurojust, Frontex (EU-Außengrenzagentur) und CEPOL (EU-Polizei­akademie), die vom „state of the art“ der EU-Gesetzgebung profitierten. Die „Freunde der Präsidentschaft“ meinen damit, dass die zitierten jüngeren Organisationen einzig durch bloße Ratsbeschlüsse eingerichtet wurden, die jederzeit ohne Zustimmung der nationalen Parlamente geändert werden können, was bei der Europol-Konvention nicht möglich ist. Der Ratifikationsprozess für die in den Protokollen zur Europol-Konvention enthaltenen neuen Befugnisse bewirke einen Zeitverlust, der „schlicht nicht tolerierbar“ sei.

Im Anschluss daran präsentiert die FOP-Arbeitsgruppe Vorschläge für eine massive Ausdehnung der Befugnisse des Amtes. Nur für einen einzigen Punkt, den Zuständigkeitsbereich des Amtes, enthält das „Optionenpapier“ mehr als eine Option. Viele der insgesamt 78 „konkreten Optionen“ im Anhang werden im Text nicht einmal diskutiert oder begründet.

Ermittlungskompetenzen?

„Bekämpfung schwerer Straftaten, von denen mehr als zwei Mitgliedstaaten betroffen sind, sowie von Terrorismus und Formen von Kriminalität, die ein von einer Politik der Union abgedecktes gemeinsames Interesse beeinträchtigen“ – das ist die erste Option der FOP-Arbeits­gruppe für eine Neufassung der Europol-Zuständigkeiten. Das bisherige Mandat des Amtes würde damit von 27 spezifischen Straftaten (bzw. Deliktsbereichen), die im Anhang der Konvention aufgelistet sind, auf rund 40 ansteigen und damit fast alle denkbaren Kriminalitätsbereiche abdecken. Europol käme damit sowohl eine Rolle in grenzüberschreitenden als auch in bloß einen einzigen Mitgliedstaat betreffenden Ermittlungen zu.

Die zweite Variante – „schwere internationale Kriminalität und terroristische Straftaten, sofern mindestens zwei Mitgliedstaaten betroffen sind“ – entspräche zunächst dem Status quo. Für „Ausnahmefälle“ regt die FOP-Arbeitsgruppe jedoch an, „dass es Europol nicht verboten sein sollte, auch in Fällen, die nur einen Mitgliedstaat betreffen, Unterstützung zu leisten.“ Damit bekäme Europol auch in dieser Variante bei bloß nationalen Ermittlungen einen Fuß in die Tür.

In ihrem Kommentar macht die FOP-Gruppe sieben besonders problematische Vorschläge zur Ausdehnung des Europol-Mandats: Das Amt soll erstens auch bei größeren Störungen der „öffentlichen Ordnung“ Zuständigkeiten haben. Mit „schwerer organisierter Kriminalität“ hat das nichts mehr zu tun, wohl aber mit Demonstrationen oder Sportereignissen. Zweitens könnte Europol nach Meinung der Arbeitsgruppe als „Dienste-Anbieter“ für EU-Informationssysteme „im Bereich der inneren Sicherheit“ agieren und zum Beispiel eine „allgemeine EU-weite DNA-Profil-Datenbank führen, die nicht auf Straftaten aus dem Europol-Zuständigkeitsbereich beschränkt ist“. Auch eine Flugpassagier-Daten­bank kommt für die Arbeitsgruppe in Betracht. Die „Freunde der Präsidentschaft“ empfehlen drittens die „Integration (nationaler) Polizeidatenbanken, um den Informationsfluss zu Europol zu ermöglichen/ver­einfachen.“ Viertens schlägt die Arbeitsgruppe vor, den Zugang zu Europol-Datensystemen zu erweitern. Auf Analysedaten können bisher nur die mit dem jeweiligen Analyseprojekt befassten BeamtInnen zugreifen, das Informationssystem kann nur von den polizeilichen Zen­tralstellen der Mitgliedstaaten abgefragt werden. Die FOP-Arbeitsgruppe möchte Europol nun zu einer Art „black-box“ machen, aus der sich die Polizeien der Mitgliedstaaten einfach bedienen können. Fünftens bezieht sich die Arbeitsgruppe auf das „Prinzip der Verfügbarkeit“, nach dem Strafverfolgungs- und Polizeibehörden eines Mitgliedstaates Zugang zu sämtlichen Daten ihrer Partnerbehörden in allen anderen EU-Staaten erhalten sollen. „Europol sollte unter denselben Bedingungen auf die IT-Systeme der Mitgliedstaaten zugreifen können.“ Sechstens soll Europol gemeinsame Ermittlungsgruppen zwar nicht „führen“, aber „koordinieren“ können. Bisher soll Europol gemäß einem der derzeit zur Ratifikation anstehenden Protokolle solche Gruppen nur „unterstützen“. Auch wenn die Arbeitsgruppe den Begriff „führen“ ausdrücklich ablehnt, besteht kein Zweifel, dass Europol durch die Koordination faktisch eine Führungsrolle bei grenzüberschreitenden Ermittlungen erhielte.

Als „Langzeitoption“ möchte die FOP-Gruppe siebtens „die Rolle Europols bei der Bekämpfung von Euro-Fälschungen und gegebenenfalls EU-Straftaten (noch zu definieren) verstärken.“ Ähnlich wie das Be­trugsbekämpfungsamt der Kommission (OLAF) solle Europol dazu „Ermittlungsbefugnisse (aber keine Zwangsbefugnisse)“ erhalten. Die FOP-Gruppe schlägt damit erstmals vor, Europol mit förmlichen Ermittlungsbefugnissen auszustatten und damit in den Mitgliedstaaten gegen Verdächtige vorzugehen. Solche eigenständige Ermittlungshandlungen sind immer mit Zwangsmaßnahmen verbunden – alles andere ist Augenwischerei.

Man kann davon ausgehen, dass diese Vorschläge nicht einfach so akzeptiert werden. Die Widerstände gegen derartige Vorhaben werden aber erheblich schwächer ausfallen, wenn die „kümmerliche“ und „unflexible“ Europol-Konvention durch einen Ratsbeschluss ersetzt würde – eine alte Forderung, der der Rat nunmehr folgen will. Diese Umwandlung in einen Beschluss bietet nicht nur jetzt die Gelegenheit, neue Befugnisse für Europol ohne Ratifikation durch die nationalen Parlamente einzuführen. Sie würde auch künftige Erweiterungen des Europol-Man­dats vereinfachen. Umstrittene Vorhaben würden damit noch weniger Debatten erzeugen, als das bisher schon der Fall ist.

Die FOP-Gruppe schlägt ferner vor, auch Entscheidungen über Durchführungsbestimmungen zu „vereinfachen“. Die Arbeitsgruppe möchte den Europol-Verwaltungsrat ermächtigen, „Regelungen über Personal und Finanzen, über Beziehungen zu Drittstaaten und Drittstellen, über Analysen und über die Geheimhaltung“ alleine zu beschließen. Die Behördenleitung würde zum Gesetzgeber. Soweit zur Frage der Gewaltentrennung.

Datenschutz als Sündenbock

In den Augen der FOP-Gruppe hat die mangelnde „Flexibilität“ in Verwaltung, Aufsicht und Datenschutz die Entwicklung Europols behindert. „Flexiblere Datenschutzregeln“ seien nun notwendig, um Europol den Zugang zu nationalen Polizei-Informationssystemen und die Führung einer EU-DNA-Datenbank zu ermöglichen. Eine besondere Rechtsgrundlage „sollte für spezialisierte Europol-Datenbanken z.B. in den Bereichen Kinderpornographie und Terrorismus geschaffen werden.“

Gleichzeitig möchten die „Freunde der Präsidentschaft“ das in der Konvention enthaltene Verbot der Verknüpfung von Europol-Datenban­ken mit anderen Systemen aufheben. Europol müsse Zugang zum EU-Zollinformationssystem und zu Eurodac (Fingerabdrücke von Asylsuchenden) haben. Der Anschluss ans Schengener Informationssystem ist bereits teilweise beschlossen.[9] Für den Zugriff auf das im Aufbau befindliche Visa-Informationssystem (VIS) gibt es einen Vorschlag der Kommission.[10]

Diese Vorschläge untergraben nicht nur die ohnehin schwachen Datenschutzregelungen der Konvention. Wie die Gemeinsame Kontrollinstanz (GKI) für den Datenschutz bei Europol in Bezug auf Zugang des Amtes zum VIS richtig festhält, wird dadurch auch „Europols Aufgabe der Informationsbeschaffung um ein neues Element erweitert.“[11] In ähnlicher Weise möchte die FOP-Gruppe Europol auch erlauben, Informationen von privaten Stellen zu besorgen.

„Flexibilität“ will die FOP-Arbeitsgruppe auch bei den Kooperationsabkommen mit Drittstaaten und -organisationen. Bisher hat der Rat neun „operative“ Vereinbarungen mit Staaten und Organisationen, die ein „vergleichbares“ Datenschutzniveau aufweisen, genehmigt. Diese Abkommen beinhalten auch einen Austausch personenbezogener Daten. Neun weitere „strategische Abkommen“ u.a. mit Kolumbien, Russland und der Türkei lassen einen solchen Datenaustausch nicht zu. Die FOP-Gruppe glaubt, dass eine enge Kooperation mit diesen Staaten wichtiger sei als die jeweiligen Datenschutzstandards. Sie schlägt deshalb erstens vor, „die bestehenden Möglichkeiten des Austauschs personenbezogener Daten mit Drittparteien, die keinen entsprechenden Datenschutzstandard gemäß Art. 18 der Konvention aufweisen, zu klären.“ Ein hinterhältiger Vorschlag, denn Art. 18 schließt solche Möglichkeiten definitiv aus. Er verlangt vielmehr ausdrücklich ein adäquates Datenschutzniveau.

Zweitens fordert die Arbeitsgruppe eine „Überprüfung“ der Regeln, nach denen „operative“ Abkommen mit Nicht-EU-Staaten zu Stande kommen. „Langwierige Prozeduren“ seien zu beseitigen. Derzeit braucht es für eine solche Vereinbarung eine Entscheidung des Verwaltungsrates, einen Bericht der GKI über die Datenschutzstandards in dem Staat oder der Organisation, mit der zusammengearbeitet werden soll, und schließlich eine Entscheidung des Rates. Nach Meinung der FOP-Arbeitsgruppe sollen diese Regeln so „vereinfacht“ werden, dass nur noch je eine Entscheidung des Verwaltungsrates und eine des Rates erforderlich sind.

„Flexiblere und effizientere Verfahren“ fordert die Arbeitsgruppe auch für das Management und die Aufsicht über Europol. Der Direktor müsse „mehr Autonomie” haben, die Leiter der Nationalen Europol Einheiten bräuchten mehr Macht, um Europol-Entscheidungen auf nationaler Ebene umzusetzen. Die Leitungsstrukturen des Amtes seien zu reformieren. Bisher hat jeder Mitgliedstaat einen Vertreter im Verwaltungsrat. Nach Ansicht der FOP-Arbeitsgruppe sollte der Verwaltungsrat nicht mehr ein „Forum für die Repräsentation der Mitgliedstaaten“ sein, sondern zu „einem strategischen Gremium für hochrangige Entscheidungen“ umgebaut werden. Dazu müsse die Zahl der Mitglieder beschränkt werden. Die Arbeitsgruppe nimmt zwar zur Kenntnis, dass einige Mitgliedstaaten daran festhalten wollen, dass jeder Staat seinen Vertreter in dem Gremium habe. Unter die „konkreten Optionen” schaffte es jedoch nur die Idee eines neuen „Geschäftsführenden Verwaltungsrats“ (mit „zum Beispiel“ nur fünf Mitgliedern).

Unter diesen findet sich auch der Vorschlag, die Aufsicht über Europol aufzuteilen: einerseits in einen administrativen Bereich (z.B. finanzielle Fragen), für den der Verwaltungsrat zuständig sein sollte; andererseits in einen professionellen Bereich, den die Arbeitsgruppe der Task Force der EU-Polizeichefs (PCTF) übertragen will. Die PCTF wurde 1999 gebildet, hat aber nach wie vor keinen rechtlichen Status. Sie trifft sich nun regelmäßig bei Europol in Den Haag und diskutiert „operative Fragen“.[12] Die FOP-Arbeitsgruppe weiß immerhin, dass auch für die Zusammenarbeit von Europol und PCTF eine Rechtsgrundlage fehlt.

Die Arbeitsgruppe kommt schließlich nicht umhin, auch das Thema der rechtlichen und parlamentarischen Kontrollierbarkeit von Europol zu streifen. Europol müsse sich „besser vermarkten“, heißt es hierzu in dem Papier. Der einzige greifbare Vorschlag ist, die Opt-out-Klausel in der Europol-Konvention abzuschaffen, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Europol abzulehnen. Die FOP-Arbeitsgruppe muss „ganz klar“ anerkennen, dass es „mehr parlamentarischer Kontrolle über das Funktionieren von Europol“ bedarf, erklärt dann aber, dass diese „Kontrolle keine nicht intendierten negativen Wirkungen auf Europols Effektivität“ haben dürfe. Die weiteren Vorschläge sind dürftig und liegen auch schon seit fünf Jahren auf dem Tisch: Der Europol-Direktor solle bei gelegentlichen Anhörungen des Europäischen Parlaments aussagen. Ein gemeinsamer Ausschuss aus EP- und nationalen Abgeordneten sei zu bilden. Das war’s.

Hin zu einem unkontrollierbaren europäischen FBI?

Europol ist eine frustrierte Organisation in einem frustrierenden politischen Prozess. Das Amt soll Eckstein der Polizeikooperation in der EU sein und möchte verständlicherweise eine „wirkliche“ Polizei werden. Weil es für diese Ambitionen aber weder eine politische noch eine praktische Nachfrage in den Mitgliedstaaten gibt, erhält Europol nur langsam neue Befugnisse, um seine ebenfalls expandierenden Aufgaben zu erfüllen. Das Amt versucht mühsam, einen Flecken Land in einem schon überfüllten und umstrittenen Terrain zu besetzen. Ob dies der beste Weg zum Aufbau einer EU-Polizei ist (oder eine sinnvolle Weise, öffentliche Gelder auszugeben – eine halbe Milliarde Euro ist für 2009 budgetiert), ist mehr als fraglich. Debattiert wird hierüber jedoch nicht.

Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sind nicht an der neuen EU-Debatte um Europols Zukunft beteiligt gewesen. Und die verschiedenen „Optionen“, die Öffentlichkeit zu konsultieren, hat man geflissentlich ignoriert. Das Europäische Polizeiamt ist für die EU offenbar politisch zu wichtig und darf deshalb nicht als gescheiterte Organisation dastehen. Das „Optionenpapier“ der „Freunde der Präsidentschaft“, das die zentralen Fragen unbeantwortet lässt und keine wirklichen Optionen, d.h. Alternativen, enthält, hat deshalb die besten Chancen auf Erfolg. So betrachtet scheint es unausweichlich, dass die Europol-Konvention durch ein „flexibleres“ Rechtsinstrument ersetzt und das Amt mit einigen neuen Befugnissen und Zuständigkeiten ausgestattet wird.

Die Art und Weise, wie sich Europol entwickelt, ist symptomatisch für viele weitere Bereiche der Justiz- und Innenpolitik der EU. Angesichts der fehlenden öffentlichen Diskussion über die Rolle und die Funktion von Europol (und anderen Bestandteilen des Europäischen Staates) wird der schrittweise Ausbau seiner Aufgaben und Befugnisse so lange anhalten, bis die aktuelle Wunschliste des „Optionenpapiers“ erfüllt ist – und die nächste an ihre Stelle tritt.

[1] Hayes, B.: The activities and development of Europol: towards an unaccountable “FBI” in Europe, London 2002
[2] Europol-Jahresbericht 2005, www.europol.europa.eu/publications/ar2005/EuropolAnnu
alReport2005.pdf
[3] zur Kritik des CRI siehe Hayes a.a.O. (Fn. 1)
[4] vgl. Europol-USA agreement: Was it really needed?, in: Statewatch News online, July 2001: www.statewatch.org/news/2006/jul/01europol-usa.htm
[5] Ratsdok. 7868/06 v. 29.3.2006; nicht auf der EU-Homepage, aber in Englisch auf www.statewatch.org/news/2006/apr/europol-future-06.pdf
[6] Ratsdok. 8234/06 v. 6.4.2006
[7] Ratsdok. 9184/1/06 v. 19.5.2006
[8] Ratsdok. 9670/1/06 v. 30.5.2006
[9] Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. EU) L 68 v. 15.3.2005
[10] KOM(2005) 600 v. 24.11.2005
[11] Opinion 06/22 v. 26.6.2006, www.statewatch.org/news/2006/jul/jsb-europol-vis-access-opinion.pdf
[12] The EU’s Police Chiefs Task Force (PCTF), in: Statewatch bulletin 2005, no. 6, pp. 20-26