Schlagwort-Archive: Ermittlungen

Gläserne soziale Netzwerke – Fahndung in digitalen sozialen Interaktionen

von Christiane Schulzki-Haddouti

Menschen kommunizieren, planen, organisieren im Netz und können darüber auch Gleichgesinnte mobilisieren. Strafverfolger können aus den dabei anfallenden Daten nicht nur soziale Netzwerke rekonstruieren, sie können auch Social-Network-Dienste direkt für ihre Zwecke verwenden.

Eine Vielzahl von Diensten unterstützt die Kommunikation im so genannten Social Web. Über Soziale Netzwerke wie Facebook, Xing oder LinkedIn können Menschen Kontakte aufbauen und pflegen oder ihre Beziehungsnetze erweitern. Plattformen wie YouTube und Flickr bieten einfache Möglichkeiten für die Veröffentlichung oder den Tausch von Videos und Fotos. Über Microblogging-Dienste wie Twitter lassen sich per Rechner oder Smartphone Kurznachrichten und Bilder nicht nur an Freunde, sondern ganze Scharen von Interessierten verteilen. Kooperation und Kollaboration über Dienste, die Gruppenkommunikation unterstützen, erweitern die Reichweite der Nutzer – und erlauben eine orts- und zeitunabhängige Präsenz im Netz. Die Menschen geben dabei nicht nur Inhalte preis, sondern auch, wann sie wo mit wem kommunizieren. Gläserne soziale Netzwerke – Fahndung in digitalen sozialen Interaktionen weiterlesen

Von der Ausnahme zur Normalität – Polizei unterwegs im Ausland

von Heiner Busch

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Formen des internationalen und grenzüberschreitenden Einsatzes von Polizei rapide vermehrt – eine unvollständige Übersicht.

Anfang November 2010 erklärte die schwedische Oberstaatsanwaltschaft, dass sie eine Voruntersuchung gegen die US-Botschaft in Stockholm eingeleitet habe.[1] Der Grund: Über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg hat eine mit der „Aufdeckung verdächtiger Aktivitäten“ rund um die Botschaft beauftragte „Surveillance Detection Unit“ schwedische StaatsbürgerInnen ausspioniert. Dies habe man weltweit getan, lautet die wenig beruhigende Antwort der US-Botschaft. Auslöser für die Aktivitäten seien die Anschläge auf die amerikanischen Vertretungen in Kenia und Tansania im Jahre 1998 gewesen. In Schweden wie auch in Norwegen habe man mit den örtlichen Staatsschutzdiensten zusammengearbeitet. Diese bestreiten zwar die Kooperation, sehr glaubwürdig ist das Dementi jedoch nicht. Von der Ausnahme zur Normalität – Polizei unterwegs im Ausland weiterlesen

Früchte vom verbotenen Baum – Geheimdienstliche Steuerung von Gerichtsverfahren

Interview mit Undine Weyers und Rainer Elfferding

Eigentlich ist es ihre Sache nicht. Gleichwohl mischen Geheimdienste zuweilen massiv in Ermittlungsverfahren mit. Welche fatalen Konsequenzen damit verbunden sind, darüber sprachen Martin Beck und Heiner Busch mit den Berliner Strafverteidigern Undine Weyers und Rainer Elfferding.

Was ist eigentlich so schlimm daran, dass ein Geheimdienst bei einem Ermittlungsverfahren der Polizei mitwirkt?

Rainer Elfferding: Problematisch ist es deshalb, weil die Methoden, mit denen Geheimdienste arbeiten, nicht mit den Methoden zusammenpassen, mit denen Polizei und Justiz eigentlich arbeiten sollten. Geheimdienste sind auf zwei verschiedenen Ebenen aktiv: Sie sammeln Information und werten sie aus; sie sind aber auch operativ tätig, d.h. sie steuern bestimmte Sachverhalte und Vorgänge – und manipulieren sie bei Bedarf. Früchte vom verbotenen Baum – Geheimdienstliche Steuerung von Gerichtsverfahren weiterlesen

Gipfel des Sicherheitswahns – Politik, Protest und Polizei beim G8-Gipfel 2007

von Elke Steven

Anfang Juni gaben sich die Staats- und RegierungschefInnen der Grup­pe der acht mächtigsten Industriestaaten ihr jährliches Stelldichein – diesmal im Ostseebad Heiligendamm. Proteste gegen diese Demonstration der Macht waren nicht erwünscht. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Ereignisse mit einer Gruppe von BeobachterInnen begleitet.[1]

Seit die WTO-Ministerkonferenz 1999 wegen massiver Proteste abgebrochen werden musste, gelten Gipfeltreffen als gefährdete Ereignisse. Mit dem legitimatorischen Rückenwind des 11.9.2001 und nachfolgender Anschläge scheint den Sicherheitsbehörden heute jedes Mittel recht, Proteste publizistisch in den Dunstkreis des Terrorismus zu rücken, einzuschränken und weitestgehend zu verbieten. Von Beginn an sah sich denn auch das breite und heterogene Bündnis, das zu den Protesten gegen den G8-Gipfel mobilisierte, mit repressiven und eskalierenden politisch-polizeilichen Strategien konfrontiert. Früh begannen vor allem Bundeskriminalamt (BKA) und Verfassungsschutz medienwirksam vor terroristischen Anschlägen, vor Straf- und Gewalttätern zu warnen, mussten aber bei Nachfragen zugeben, über keine konkreten Hinweise zu verfügen. Das verhinderte jedoch nicht, dass die Sicherheitsbehörden seit Anfang 2007 eine Art polizeiliche Propaganda der Tat entfalteten. Gipfel des Sicherheitswahns – Politik, Protest und Polizei beim G8-Gipfel 2007 weiterlesen

Grüne TKÜ-Novelle – Abschied vom Straftatenkatalog als Alternative?

von Norbert Pütter

Während der Entwurf des Justizministeriums noch in den vorparlamentarischen Beratungen steckt, haben Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf zur „Reform der Telekommunikationsüberwachung“ (TKÜ) in den Bundestag eingebracht.[1]

Der Entwurf weist im Hinblick auf Ziele und Mittel streckenweise erstaunliche Ähnlichkeiten mit der Regierungsvorlage auf: Er will die Anordnungsfristen auf zwei Monate verkürzen, die Qualität der gerichtlichen Anordnung bzw. Kontrolle verbessern, die Berichtspflichten gesetzlich verankern, der Kernbereich privater Lebensgestaltung vor der TKÜ schützen und das Zeugnisverweigerungsrecht stärken. In den Details unterscheiden sich die Entwürfe: Während die Grünen die Anschlüsse aller Zeugnisverweigerungsberechtigten von der TKÜ ausnehmen wollen (es sei denn, der Zeugnisverweigerungsberechtigte ist selbst Beschuldigter), differenziert der Regierungsentwurf zwischen Geistlichen, Verteidigern und Parlamentariern, die mehr geschützt werden sollen als die anderen in § 52 StPO genannten Gruppen. Grüne TKÜ-Novelle – Abschied vom Straftatenkatalog als Alternative? weiterlesen

Mehr Befugnisse und weniger Regeln – Eine nette kleine Debatte um „Europols Zukunft“

von Ben Hayes

Die Debatten der EU-Gremien über Europol folgen immer dem gleichen Muster: Weil das Europäische Polizeiamt mehr Befugnisse und einen „flexibleren“ rechtlichen Rahmen erhalten soll, müssen kritische Fragen ignoriert werden.

Im Januar 2002 veröffentlichte Statewatch einen umfangreichen Bericht über die Arbeit und die weitere Entwicklung des Europäischen Polizeiamtes (Europol). Dieser Bericht beleuchtete zum einen die Arbeit des Amtes, hinterfragte dessen Effizienz und kritisierte die fehlende politische und justizielle Kontrolle. Zum anderen be Mehr Befugnisse und weniger Regeln – Eine nette kleine Debatte um „Europols Zukunft“ weiterlesen

Die Ausländerkriminalität sinkt nicht! Der Zusammenhang von Kriminalstatistik und Rassismus

von Oliver Brüchert

Mit Statistiken lässt sich ohne offenkundige Fälschung und Täuschungsabsicht Schindluder treiben. Es reicht, zu wenig Angaben über die Erhebung der Daten und die verwendeten Auswertungsverfahren zu machen. Eine erfreuliche Ausnahme stellt die „Polizeiliche Kriminalstatistik“ (PKS) dar, die u.a. aufgrund der langen kontinuierlichen Erhebung vielfältige Informationen für eine sorgfältige Interpretation enthält. Dennoch wird regelmäßig unter Berufung auf die PKS von steigender oder sinkender „Ausländerkriminalität“ berichtet. Richtig gelesen enthält die PKS keine Daten über „Ausländerkriminalität“, sehr wohl aber über Rassismus.

Dieser Beitrag könnte mit einer guten Nachricht beginnen: der Anteil der in der PKS erfassten „nichtdeutschen Tatverdächtigen“ ist – wie bereits in den Jahren zuvor – auch 1998 zurückgegangen. Nach einem Höchststand 1993 (33,6% aller Verdächtigten) liegt ihr Anteil nun bei 27,1%. Entwarnung also. Die gute Nachricht hat allerdings einen Haken. Sie deutet in die Statistik etwas hinein, was dort nicht nur nicht drin steht, sondern im Begleittext sogar explizit als Fehlinterpretation gekennzeichnet wird, die tunlichst zu unterlassen sei. Die Ausländerkriminalität sinkt nicht! Der Zusammenhang von Kriminalstatistik und Rassismus weiterlesen

Einmal verdächtig, immer verdächtig – Göttinger Spudok-Skandal: BürgerInnen unter Dauerverdacht

von Rolf Gössner

In der Nacht zum 7. November 1997 brannte das Arbeitsamt in Göttingen. Brandstifter hatten im Eingangsbereich Benzin ausgekippt und angezündet. Sie waren unerkannt verschwunden. Alarmstufe 1 für die ermittelnde Polizei, die aufgrund eines „Bekennerschreibens“ von einem „terroristischen“ Anschlag ausging. Routiniert hielt sie sich an die üblichen Verdächtigen aus der linken Göttinger Szene. Dabei geriet auch eine ganze Reihe angesehener Bürgerinnen und Bürger ins Fahndungsvisier, unter ihnen Rechtsanwälte und Ärzte, Journalisten und Pfarrer, ein Stadtarchivar und ein Baudezernent, Stadträte und Fotografen, Fraktionsmitarbeiter und Ministerialbeamte, Angestellte und Hausfrauen.

Auch eine 68jährige Ehrenbürgerin der Stadt Göttingen, die seit ihrer Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wird von der Sonderkommission 413 des Landeskriminalamtes und der Göttinger Polizei auf der Verdächtigenliste geführt. Insgesamt 105 Personen sind dort mit Namen, Geburtsdaten und Adressen verzeichnet. Die Fahnder legten diese Liste auch dem brandgeschädigten Arbeitsamt vor, das per Datenabgleich (Rasterfahndung) prüfen sollte, „ob diesen Personen Leistungen versagt, gekürzt oder gestrichen wurden“ – für die Ermittler ein mögliches Motiv der Brandstifter.[1] Der Brand, der einen Schaden von einer halben Mio. DM anrichtete, konnte rasch gelöscht werden, die personenbezogenen Daten, die für die Ermittlungen genutzt wurden, jedoch bis heute nicht, obwohl dies nach Datenschutzrecht längst hätte geschehen müssen. Der entstandene Schaden ist nicht bezifferbar. Wie kamen die 105 Männer und Frauen, die zumeist in den 80er Jahren als StudentInnen politisch aktiv gewesen waren, in den schweren Verdacht der Brandstiftung und der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“? Einmal verdächtig, immer verdächtig – Göttinger Spudok-Skandal: BürgerInnen unter Dauerverdacht weiterlesen